Rn 78
Zur Unternehmensfortführung ist das Insolvenzgeld von überragender Bedeutung. Ein Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld als Lohnersatzleistung gegen die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wenn
- u. a. das Insolvenzverfahren über das Vermögen seines Arbeitgebers eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen wird,
- er im Inland beschäftigt war, und
- er für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat.
Der Anspruch auf Insolvenzgeld entsteht für jedes Insolvenzereignis nur einmal. Ein neues Insolvenzereignis kann nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert. Dies gilt selbst in einem zweiten Insolvenzverfahren über im ersten Insolvenzverfahren freigegebenes Vermögen. Die Höhe des Insolvenzgelds bemisst sich zunächst nach der Höhe des im Insolvenzgeldzeitraum erarbeiteten Arbeitsentgelts. Dieses wird jedoch gedeckelt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung (§ 167 Abs. 1 SGB III). Daraus ist im nächsten Schritt das maßgebende Nettoarbeitsentgelt zu berechnen. Das ausgezahlte Insolvenzgeld ist steuerfrei (§ 3 Nr. 2 lit. b EStG). Sozialversicherungsbeiträge werden im Insolvenzgeldzeitraum von der Bundesagentur für Arbeit übernommen (§ 175 SGB III).
Weiterhin sieht § 169 Satz 1 SGB III einen Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit vor. Insoweit geht der gesamte Bruttogehaltsanspruch mit der Stellung des Insolvenzgeldantrages über. Der Arbeitnehmer verliert mithin die Aktivlegitimation im Hinblick auf seine Lohn- oder Gehaltsansprüche.
Rn 79
Eigentlich ist eine Zahlung von Insolvenzgeld im Eröffnungsverfahren ausgeschlossen, da die Agentur für Arbeit bei laufendem Arbeitsverhältnis keinen Vorschuss zahlt (§ 168 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Eine vorläufige Zahlung von Insolvenzgeld vor Verfahrenseröffnung gem. § 328 SGB III ist ebenfalls nicht zulässig. Durch eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes kann der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch die Löhne der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer für längstens drei Monate ohne Belastung der Liquidität weiterzahlen. Dies wird rechtlich im Wesentlichen in zwei Modellen umgesetzt. Bei der sog. Ankauflösung treten die Arbeitnehmer ihre Ansprüche auf Arbeitsentgelt an den Vorfinanzierer ab. Bei der sog. Darlehenslösung gewährt der Vorfinanzierer ein Darlehen in Höhe der zu erwartenden Insolvenzgeldansprüche und lässt sich die Ansprüche der Arbeitnehmer sicherungshalber abtreten oder verpfänden. Einem Anspruch auf Insolvenzgeld steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass der zugrunde liegende Arbeitsvertrag erst im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossen worden ist.
Eine Vorfinanzierung setzt gemäß § 170 Abs. 4 SGB III voraus, dass die zuständige Arbeitsagentur einer Übertragung oder Verpfändung des Insolvenzgeldanspruchs zugestimmt hat. Die Zustimmung kann als vorherige Einwilligung (§ 183 BGB) oder nachträgliche Genehmigung (§ 184 BGB) erfolgen. Dabei darf die Arbeitsagentur einer Vorfinanzierung der Entgeltforderungen der Arbeitnehmer nur zustimmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III). Hierfür muss die betriebliche Funktion erhalten bleiben und eine nicht unwesentliche Begünstigung des Arbeitsmarktes eintreten. Zur Orientierung kann einheitlich für alle Betriebe eine Mindestgrenze in Höhe von 10 % zu erhaltender Arbeitsplätze angenommen werden. Weiterhin müssen die Arbeitsplätze auf Dauer erhalten bleiben. Die Bundesagentur trifft auf Grundlage eines glaubhaft gemachten Sanierungskonzepts eine Prognoseentscheidung bei der eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht.
Zur monatlichen Auszahlung des vorfinanzierten Nettoarbeitsentgelts darf nicht auf einen Massekredit zurückgegriffen werden. Stattdessen muss jeder betroffene Arbeitnehmer zur Insolvenzgeldvorfinanzierung einen Forderungskaufvertrag mit dem Vorfinanzierer abschließen. Dies wird gemeinhin vom vorläufigen Insolvenzverwalter über eine entsprechende Bevollmächtigung abgewickelt. Seine Tätigkeit im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung führt regelmäßig zu einer Erhöhung der Verwaltervergütung.
Rn 80
Eine wesentliche Masseanreicherung ergibt sich durch die Rückstufungsvorschrift des § 55 Abs. 3. Danach kann die Bundesagentur für Arbeit die auf sie nach § 169 SGB III übergegangenen Ansprüche der Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren als Ausnahme zu dem Grundsatz in § 55 Abs. 2 nur als Insolvenzforderungen geltend machen. Nach § 55 Abs. 3 Satz 2 gilt dies entsprechend für die von der Insolvenzgeldsicherung abgedeckten Sozialversicherungsbeiträge. Hierzu war eine separate Regelung erforderlich, da diese Ansprüche nicht auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen, sondern v...