Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 16
Mit Gesetz vom 8. 12. 1999 wurde § 96 zunächst ein umfangreicher Absatz 2 angefügt. Die Gesetzesänderung beruhte auf der EG-Richtlinie 98/26 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 5. 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen. Indes kommt diese Neuregelung und die damit verbundene Privilegierung nur Gläubigern der Kreditwirtschaft zugute, außerdem muss auch der Insolvenzschuldner Teilnehmer des Systems sein, so dass sich nur eine äußerst eingeschränkte Anwendung im Bereich von Bankeninsolvenzen ergeben dürfte. Mit der betreffenden EG-Richtlinie und der in § 96 Abs. 2 ebenso wie in § 147 Abs. 1 und § 166 Abs. 2 bzw. § 223 Abs. 1 erfolgten Umsetzung in nationales Recht soll verhindert werden, dass interne Abrechnungen zwischen Teilnehmern an Zahlungs- oder Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen nachträglich insolvenzbedingt in Frage gestellt werden. Angesichts der in solchen Zahlungssystemen bewegten Volumina könnten die Aufrechnungsverbote nach der InsO im Einzelfall für die außer dem Insolvenzschuldner beteiligten Kreditinstitute existenzbedrohende Bedeutung erlangen. Geschützt wird daher die als gesamtwirtschaftlich notwendig angesehene Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Zahlungs- und Abrechnungssystemen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft von Kreditinstituten unterhalten werden. Zu den Grundlagen der Abrechnungen zwischen den Teilnehmern an solchen Systemen, dem Kreis der privilegierten Gläubiger sowie sonstigen Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 147 und § 166. Nach der gesetzlichen Neuregelung kommen die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 sowie der Aufrechnungsausschluss in § 95 Abs. 1 Satz 3 nicht auf solche Abrechnungen zwischen Teilnehmern an den genannten Zahlungssystemen zur Anwendung. Voraussetzung ist jedoch, dass spätestens am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verrechnet wird. Welche Systeme privilegiert sein sollen, kann nach der zitierten EG-Richtlinie und § 1 Abs. 16 Satz 1 KWG von jedem Mitgliedstaat selbst bestimmt werden. Die Systeme müssen nur von der Deutschen Bundesbank oder der zuständigen Stelle eines anderen Mitgliedstaats oder Vertragsstaats des europäischen Wirtschaftsraums der EG-Kommission gemeldet werden. Schließlich ist eine Gleichstellung auch von drittstaatlichen Zahlungs- und Abrechnungssystemen in der betreffenden EG-Richtlinie vorgesehen und in die Privilegierung nach § 1 Abs. 16 Satz 2 KWG einbezogen.
Schließlich ist § 96 Abs. 2 durch Gesetz vom 5. 4. 2004 zwecks Umsetzung der EG-Richtlinie 2002/47 vom 6. 6. 2002 dahin erweitert worden, dass auch Verfügungen über Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Abs. 17 KWG (also Barguthaben, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente sowie sonstige Schuldscheindarlehen) von den Aufrechnungsbeschränkungen nach § 95 Abs. 1 Satz 3 und § 96 Abs. 1 freigestellt werden. Zwingend gilt die Richtlinie nur für den Inter-Banken-Verkehr. Von der Möglichkeit, Geschäfte von Banken mit sonstigen Unternehmen bei der Umsetzung der Richtlinie von deren Anwendungsbereich auszunehmen (Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie), hat die Bundesregierung trotz teils heftiger Kritik an diesem Vorgehen keinen Gebrauch gemacht. Allerdings beschränkt § 96 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 17 KWG die Privilegierung von Finanzsicherheiten bei Vereinbarungen zwischen Banken und nicht zu den Finanzdienstleistern gehörenden Unternehmen auf Sicherheiten, die der Absicherung einer Verbindlichkeit aus Geschäften über "Finanzinstrumente" dienen. Dass die Regelung den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung tangiere, wird verschiedentlich und nicht ganz zu Unrecht gerügt, von anderen aber mehr oder weniger deutlich dementiert. Auch über die rechtliche Tragweite der Neuregelung besteht noch einige Unklarheit. Die Verweisungen von einem Gesetz (InsO) auf ein zweites (KWG) und von diesem auf eine dritte Normgruppe (Richtlinie) tragen nicht zur Lesbarkeit und Klarheit bei.
Zuletzt geändert worden ist § 96 Abs. 2 mit Wirkung vom 31. 10. 2009 durch Art. 8 Abs. 7 des Gesetzes vom 29. 7. 2009 und mit Wirkung vom 30. 6. 2011 durch Art. 2 des Gesetzes vom 19. 11. 2010.