Rn 37
Die Verordnung enthält keine Vorschriften für Unternehmenszusammenschlüsse (in der Form von Mutter- und Tochtergesellschaften). Insbesondere gibt es keinen "Konzerngerichtsstand", obwohl Konzerninsolvenzen den Prototyp grenzüberschreitender Insolvenzen schlechthin darstellen. Für die Eröffnung oder Verbindung von Insolvenzverfahren gegen ein zusammengeschlossenes Unternehmen als Hauptschuldner oder Gesamtschuldner gilt, dass für jeden der betroffenen Schuldner mit eigener Rechtspersönlichkeit die Zuständigkeit nach der Verordnung gegeben sein muss. Durch Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO und der Widerlegung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO gelangt man dennoch zunehmend zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand, wenn die Muttergesellschaft und die verschiedenen Tochtergesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedstaaten registriert sind. Diese Auslegung war anfangs in der Rechtsprechung englischer Gerichte zu finden und hat sich mittlerweile in zahlreichen Mitgliedstaaten verbreitet. Die Erreichung eines Konzergerichtsstands erfolgt in zwei Etappen. Zunächst wird der Begriff des COMI von Tochterunternehmen sehr weit ausgelegt und wird am Sitz der Muttergesellschaft angenommen. Ein Hauptinsolvenzverfahren kann somit vom selben Gericht je über das Vermögen der Muttergesellschaft und über das Vermögen der jeweiligen Tochtergesellschaften eröffnet werden, ohne dass die verschiedenen Insolvenzmassen vermischt werden. Diese Konzentration der Insolvenzverfahren vor einem einzigen Gericht kann sodann von den Gerichten anderer Mitgliedstaaten nicht in Frage gestellt werden – aufgrund des Prioritätsgrundsatzes. So wurden z.B. in den Sachen Daisytek, MG Rover, EMTEC, EMBIC, Hettlage usf. zusammenhängende Konzerngesellschaften vor einem einzigen Gericht liquidiert bzw. saniert.
Rn 38
Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand. Durch die Konzentration der Insolvenverfahren kann eine bessere Koordinierung der Verfahren erzielt werden, die womöglich zu besseren Insolvenzquoten führt. Allerdings birgt die Verfahrenskonzentration die Gefahr eines forum shopping in sich, was gerade dem Ziel der EuInsVO entgegenläuft (vgl. Erwägungsgrund 13 EuInsVO).
Durch die oben besprochene Entscheidung des EuGH in Sachen Eurofood/Parmalat, NZI 2006, 360 ff. wurde letztendlich die extensive Auslegung des COMI von Tochterunternehmen deutlich erschwert. Da nunmehr die Widerlegung der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes aufgrund objektiver und für Dritte feststellbarer Elemente erfolgen muss, kann eine Verfahrenskonzentration nur in Ausnahmesituationen stattfinden.
Rn 39
Falls ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen einer Tochtergesellschaft im Mitgliedstaate des Sitzes der Muttergesellschaft eröffnet wurde, bleibt es nichtsdestotrotz möglich, im Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes der Tochtergesellschaft ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. Zu diesem Zweck soll der Hauptsitz der Tochtergesellschaft als eine Niederlassung im Sinne von Art. 2 lit. h EuInsVO angesehen werden. Dies war zum Beispiel der Fall in Sachen MG Rover oder auch Automold. Durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens wird die lex fori concursus am Ort des satzungsmäßigen Sitzes der Tochtergesellschaft anwendbar, was möglicherweise den Gläubigern günstiger ist.