Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
In der Hauptsache verlangt der 1943 geborene Kläger Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen Misshandlungen durch seine Mutter insbesondere in früher Kindheit.
Das LSG hat den Anspruch wie vor ihm der Beklagte und das SG verneint. Für die ersten sechs Lebensjahre des Klägers bis 1949, die er in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt habe, scheide eine Anwendung des OEG wegen § 10a des Gesetzes aus. Im Übrigen habe der Kläger ganz überwiegend keine Gewalttaten iS von § 1 OEG, sondern eine Vernachlässigung geschildert, die ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich des OEG falle. Ansonsten lasse sich nicht feststellen, dass er Opfer von Angriffen seiner Mutter iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG geworden sei (Beschluss vom 11.5.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder eine grundsätzliche Bedeutung noch eine Divergenz ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Der Kläger versäumt es bereits, den vom LSG festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) und die maßgebliche Verfahrensgeschichte darzustellen, obwohl eine verständliche Sachverhaltsschilderung zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge gehört. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die entscheidungserheblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.2.2018 - B 10 ÜG 12/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.9.2017 - B 13 R 365/15 B - juris RdNr 3). Vielmehr muss die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdebegründung das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein vollständiges Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 36/17 B - juris RdNr 10 mwN). Hierfür reicht die allenfalls fragmentarische Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Beschwerdebegründung ebenso wenig aus wie der pauschale Verweis des Klägers auf die Sachverhaltszusammenfassung durch das LSG.
Unabhängig davon hat der Kläger es auch versäumt, eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage anzugeben.
Der Kläger misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung zu,
"ob das LSG Niedersachsen-Bremen ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens davon ausgehen durfte, dass keine Schädigungsfolge beim Kläger anzunehmen ist und die Gesundheitsstörungen in keinem kausalen Zusammenhang zur Schädigung stehen könnten und somit einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung rechtfertigt".
Dabei gehe es um die abzugrenzende Rechtsfrage,
"wann Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt bewerten dürfen und wann die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich ist".
Des Weiteren gehe es um die Rechtsfrage,
"ob und inwiefern sich Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidung an den Einzelfall orientieren müssen und jedes Verfahren für sich bewerten muss".
Es sei auch grundsätzlich bedeutsam, dass ein "Mangel der nötigen Beachtung" der von ihm dargelegten Punkte zu seinem Gesundheitszustand stattgefunden habe.
Zur Erläuterung führt der Kläger aus, das LSG habe bei seiner Entscheidung keine eigenständige Argumentation bzw Begründung hinsichtlich des Sachverhalts vorgenommen, sondern sich überwiegend auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils gestützt. Eine eigene Bewertung habe nicht stattgefunden. Tatsächlich liege beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vor.
Damit hat der Kläger aber bereits keine hinreichend konkreten Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen (vgl auch BSG Beschluss vom 30.9.2021 - B 9 V 25/21 B - juris RdNr 7). Vielmehr zielt die Fragestellung auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab; sie beinhaltet im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Der Kläger zeigt nicht auf, dass es hier über seinen Fall hinaus um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei denen die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge nicht greifen.
Selbst wenn man die vom Kläger formulierten Fragen in Rechtsfragen "umdeuten" könnte und wollte, hat er es unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen darzulegen. Der Kläger geht nicht darauf ein, inwieweit die Fragen bereits durch Gesetz oder höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind. Insbesondere hätte sich der Kläger zunächst mit § 103 SGG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen. Dies hat er nicht getan. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt aber, wenn die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist und ihre Beantwortung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl zB BSG Beschluss vom 7.3.2019 - B 9 V 40/18 B - juris RdNr 7).
2. Ebenso wenig formgerecht bezeichnet hat der Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz.
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Vortrag, es könne nicht nachvollzogen werden, "weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen" erfolgt seien und dass das Gericht zu den Ermittlungen verpflichtet sei, die nach "Lage der Sache" erforderlich seien, bezeichnet keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Der Kläger benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer der von ihm zitierten Entscheidungen des BSG, noch stellt er diesem einen solchen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Beschluss gegenüber.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Kaltenstein Othmer Röhl
Fundstellen
Dokument-Index HI15073930 |