Entscheidungsstichwort (Thema)
Anti-D-Hilfegesetz. Anti-D-Immunprophylaxe. Beitrittsgebiet. Hepatitis. Schädigung. Schädigungsfolge. Minderung der Erwerbsfähigkeit. Grad der Schädigungsfolgen. besondere berufliche Betroffenheit. grundsätzliche Bedeutung. Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Die Rechtsfrage, ob bei der Bewertung der MdE (seit 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen - GdS) im Rahmen des Gesetzes über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (juris: AntiDHG) neben § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (juris: BVG) auch § 30 Abs 2 BVG Anwendung findet hat keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
2. Die Antwort auf die aufgeworfene Frage steht von vornherein außer Zweifel, denn sie ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzestext (vgl hierzu etwa BSG vom 30.3.2005 - B 4 RA 257/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Das AntiDHG ordnet nicht wie andere Gesetze - etwa das Opferentschädigungsgesetz (juris: OEG) in § 1 Abs 1 S 1 oder das Infektionsschutzgesetz (juris: IfSG) in § 60 Abs 1 S 1 - umfassend eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des BVG an, sondern verweist nur in einigen Bestimmungen auf dort im Einzelnen genannten Regelungen des BVG, so auch in § 3 Abs 4 S 1 AntiDHG. Dort wird hinsichtlich der Bestimmung der MdE (seit 21.12.2007: GdS) nur auf § 30 Abs 1 BVG Bezug genommen, nicht jedoch auf § 30 Abs 2 BVG. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung kann deshalb nur zu dem Ergebnis gelangen, dass im Rahmen des AntiDHG die Regelung über die besondere berufliche Betroffenheit (§ 30 Abs 2 BVG) keine Anwendung findet.
3. Die vorgenannte Auslegung kann sich zudem auf die Entstehungsgeschichte des AntiDHG stützen.
4. Diese Auslegung entspricht außerdem dem Zweck des AntiDHG, einem begrenzten Personenkreis, nämlich Frauen, die im Beitrittsgebiet anlässlich der Durchführung einer dort gesetzlich vorgeschriebenen Anti-D-Immunprophylaxe in den Jahren 1978 und 1979 durch bestimmte Chargen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden (vgl § 1 Abs 1 S 1 AntiDHG), durch ein spezielles Hilfegesetz aus "humanitären und sozialen Gründen" Leistungen, insbesondere finanzielle Hilfen (monatliche Renten nach § 3 Abs 2 AntiDHG und Einmalzahlungen nach § 3 Abs 3 AntiDHG), zu gewähren (vgl dazu BT-Drucks 14/2958 S 1, 7 f), deren Höhe sich nur hinsichtlich der Bestimmung der MdE (des GdS) nach der entsprechenden Regelung des BVG (§ 30 Abs 1) richtet; die vom Gesetzgeber festgelegten Geldbeträge sind bei entsprechender MdE (GdS) höher als bei der Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG.
Normenkette
AntiDHG §§ 1, 3; BVG §§ 30-31; SGG §§ 160, § 160a
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 16.12.2010; Aktenzeichen L 10 VM 1/06) |
SG Hannover (Entscheidung vom 31.03.2006; Aktenzeichen S 18 VM 1/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die 1957 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache die rückwirkende Gewährung einer höheren monatlichen Rente nach dem am 1.1.2000 in Kraft getretenen Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz - AntiDHG) vom 2.8.2000 (BGBl I 1270) unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 15.9.2000 stellte das Amt für Familie und Soziales C. Versorgungsamt - fest, dass die Klägerin infolge einer in den Jahren 1978/1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe und den dabei verwandten infizierten Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesens des Bezirks Halle mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden ist. Weiter erkannte das Amt bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH infolge der HCV-Infektion an. Es gewährte der Klägerin eine Einmalzahlung von 12 000 DM sowie ab 1.1.2000 eine monatliche Rente nach einer MdE um 30 vH.
Der Antrag der Klägerin vom 4.4.2002, bei ihr ab 1.1.2000 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine höhere MdE festzustellen, wurde mit der Begründung abgelehnt, das AntiDHG sehe dies nicht vor (Bescheid des Amtes für Familie und Soziales C. Versorgungsamt - vom 9.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides des Sächsischen Landesamts für Familie und Soziales vom 25.6.2003).
Die auf Rücknahme des Bescheides vom 15.9.2000 sowie auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 40 vH ab 1.1.2000 zunächst gegen den Freistaat Sachsen und nach einem Zuständigkeitswechsel gegen den Kommunalen Sozialverband Sachsen gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg (Urteil des SG Hannover vom 31.3.2006; Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.12.2010).
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Beschwerde eingelegt, die sie mit grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) begründet.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Soweit die Klägerin das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) rügt, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Zur formgerechten Rüge einer Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29).
Diese Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt; insbesondere hat sie nicht herausgearbeitet, inwiefern das LSG mit einem abstrakten Rechtssatz von einem abstrakten Rechtssatz in dem Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 5.11.1964 - 10 RV 99/64 - (BSGE 22, 82 = SozR Nr 15 zu § 35 BVG) abgewichen sein soll. Vielmehr hat sie lediglich geltend gemacht, dass das LSG bei seiner Entscheidung die in dem vorgenannten Urteil aufgestellten Grundsätze nicht beachtet habe. Mit ihrem Vorbringen rügt sie demnach im Kern eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Soweit die Klägerin als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht, genügt die Beschwerdebegründung zwar den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde hat jedoch insoweit ebenfalls keinen Erfolg, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist in diesem Sinne nicht klärungsbedürftig.
Die Klägerin hat die Rechtsfrage bezeichnet, ob bei der Bewertung der MdE (seit 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen - GdS) im Rahmen des AntiDHG neben § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) auch § 30 Abs 2 BVG Anwendung findet.
Zwar ist es richtig, dass diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Das BSG hat sich in seinem Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 VJ 7/07 B - lediglich mit der Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" im Anwendungsbereich des AntiDHG auseinandergesetzt. Im Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VJ 2/02 R - hat das BSG die Entstehungsgeschichte des AntiDHG aufgezeigt (vgl BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, RdNr 11). Zu weiteren die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des AntiDHG betreffenden Fragen hat sich das BSG (ebenso wenig wie die anderen obersten Bundesgerichte) noch nicht geäußert.
Die Antwort auf die aufgeworfene Frage steht jedoch von vornherein außer Zweifel, denn sie ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzestext (vgl hierzu etwa BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Das AntiDHG ordnet nicht wie andere Gesetze - etwa das Opferentschädigungsgesetz in § 1 Abs 1 Satz 1 oder das Infektionsschutzgesetz in § 60 Abs 1 Satz 1 - umfassend eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des BVG an, sondern verweist nur in einigen Bestimmungen auf dort im einzelnen genannte Regelungen des BVG, so auch in § 3 Abs 4 Satz 1 AntiDHG. Dort wird hinsichtlich der Bestimmung der MdE (seit 21.12.2007: GdS) nur auf § 30 Abs 1 BVG Bezug genommen, nicht jedoch auf § 30 Abs 2 BVG. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung kann deshalb nur zu dem Ergebnis gelangen, dass im Rahmen des AntiDHG die Regelung über die besondere berufliche Betroffenheit (§ 30 Abs 2 BVG) keine Anwendung findet.
Diese Auslegung kann sich zudem auf die Entstehungsgeschichte des AntiDHG stützen. In den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 14/2958 S 10 zu § 3) heißt es ausdrücklich: "Basis der Bewertung ist allein der tatsächlich bestehende Gesundheitsschaden. Eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG ist nicht vorgesehen; diese wird pauschal in der Höhe der Rente berücksichtigt." Daraus ergibt sich zugleich, dass diese Frage vom Gesetzgeber nicht versehentlich offengelassen wurde, so dass mangels unbeabsichtigter Regelungslücke auch eine analoge Anwendung des § 30 Abs 2 BVG ausscheidet.
Diese Auslegung entspricht außerdem dem Zweck des AntiDHG, einem begrenzten Personenkreis, nämlich Frauen, die im Beitrittsgebiet anlässlich der Durchführung einer dort gesetzlich vorgeschriebenen Anti-D-Immunprophylaxe in den Jahren 1978 und 1979 durch bestimmte Chargen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden (vgl § 1 Abs 1 Satz 1 AntiDHG), durch ein spezielles Hilfegesetz aus "humanitären und sozialen Gründen" Leistungen, insbesondere finanzielle Hilfen (monatliche Renten nach § 3 Abs 2 AntiDHG und Einmalzahlungen nach § 3 Abs 3 AntiDHG), zu gewähren (vgl dazu BT-Drucks 14/2958 S 1, 7 f), deren Höhe sich nur hinsichtlich der Bestimmung der MdE (des GdS) nach der entsprechenden Regelung des BVG (§ 30 Abs 1) richtet; die vom Gesetzgeber festgelegten Geldbeträge sind bei entsprechender MdE (GdS) höher als bei der Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG.
Soweit die Klägerin meint, eine isolierte Anwendung des § 30 Abs 1 BVG entspreche nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG Urteil vom 5.11.1964 - 10 RV 99/64 - BSGE 22, 82 = SozR Nr 15 zu § 35 BVG), verkennt sie, dass es in dem entschiedenen Fall um die Auslegung des Begriffes "erwerbsunfähig" im Sinne der damals geltenden Fassungen des § 35 Abs 1 Satz 3 bzw Satz 4 BVG ging. In diesem Zusammenhang hat das BSG klargestellt, dass bei einer solchen Rechtslage die Bewertung der MdE einheitlich zu erfolgen hat, nämlich nach den dort zweifelsfrei anwendbaren Bestimmungen des § 30 Abs 1 und Abs 2 BVG. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass § 30 Abs 1 BVG nicht angewendet werden könne, ohne zugleich eine Wertung iS des § 30 Abs 2 BVG vorzunehmen. Das zeigt im Übrigen auch das Schwerbehindertenrecht, wo der Grad der Behinderung auch nur nach § 30 Abs 1 BVG - also ohne Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit - festzusetzen ist; § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX enthält ebenfalls nur eine auf § 30 Abs 1 BVG beschränkte Verweisung.
3. Nach alledem liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist deshalb unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen