Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenarztrecht. Unterlassungsanspruch. Ehrschutzklage. Meinungsfreiheit. Diffamierende Schmähkritik. Rechtsverfolgung. Rechtsverteidigung. Verwaltungsverfahren. Gerichtsverfahren: Streitwert
Orientierungssatz
1. Ein Unterlassungsanspruch gegen die in einer Meinungsäußerung enthaltene wertende Kritik ist erst dann begründet, wenn jene die Schranken der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit überschreitet und sich insbesondere als bloß diffamierende Schmähkritik erweist (vgl zB BGH vom 17.12.1991 - VI ZR 169/91 = NJW 1992, 1314, 1316 und BVerfG vom 12.12.1990 - 1 BvR 839/90 = NJW 1991, 1475, 1477).
2. Äußerungen, die in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gesetzlich geregelten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren stehen, können in aller Regel nicht mit Ehrschutzklagen abgewehrt werden (ständige Rechtsprechung des BGH vgl zB Urteil vom 23.2.1999 - VI ZR 140/98 = NJW 1999, 2736).
3. Richtet sich eine Klage hinsichtlich der Unterlassung von Äußerungen gegen mehrere Landesverbände der Krankenkassen und gegen eine Kassenzahnärztliche Vereinigung ist der Streitwert bei Nichtvorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses auf ein Mehrfaches des Regelwertes festzusetzen.
4. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 22.6.2005 - 1 BvR 1251/05).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1; SGG § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1; GKG § 63 Abs. 2 S. 1 Fassung: 2004-05-05, § 47 Abs. 1 Fassung: 2004-05-05, § 52 Abs. 2 Fassung: 2004-05-05, § 39 Abs. 1 Fassung: 2004-05-05
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 23.07.2004; Aktenzeichen L 11 KA 22/04) |
SG Münster (Entscheidung vom 12.01.2004; Aktenzeichen S 2 KA 110/02) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Unterlassung von Äußerungen, welche die Beklagten auf seine Anfrage hin gegenüber dem Zulassungsausschuss zur Frage der Genehmigungsfähigkeit einer Anstellung des Klägers bei einem Vertragszahnarzt abgegeben haben.
Dem seit 1983 zur kassen- bzw vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger war im März 1996 wegen verschiedener gröblicher Pflichtverletzungen die Zulassung entzogen worden. Die Rechtsbehelfe des Klägers gegen diese Entscheidung hatten letztlich keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2000, L 11 KA 197/99, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch Beschluss des Senats vom 27. Juni 2001, B 6 KA 7/01 B). Daraufhin beabsichtigte der Kläger, seine Praxis an den Zahnarzt S. zu übergeben und sich im Gegenzug von S. als angestellter Zahnarzt beschäftigen zu lassen. Nachdem S. auf seine mündliche Voranfrage, ob mit einer Genehmigung der Anstellung des Klägers gerechnet werden könne, eine negative Antwort erhalten hatte, wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22. März 2002 selbst an die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) und bat um Mitteilung, ob grundsätzliche Einwände dagegen bestünden, dass er eine Tätigkeit als Assistent für begrenzte Zeit oder als angestellter Zahnarzt aufnehme. Die KZÄV übergab dieses Schreiben dem Zulassungsausschuss, der seinerseits die Landesverbände bzw Landesvertretungen der Krankenkassen und die KZÄV um Stellungnahme ersuchte. In Beantwortung dieser Anfrage teilten diese in unterschiedlichen Formulierungen jeweils sinngemäß mit, dass auf Grund der Feststellungen im Urteil des LSG vom 18. Oktober 2000 und im Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Juni 2001 der Kläger auch für eine Tätigkeit als Assistent oder als angestellter Zahnarzt als ungeeignet angesehen und die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung nicht befürwortet werde.
Die im September 2002 erhobene Klage gegen die Landesverbände der Krankenkassen und die KZÄV auf Unterlassung der jeweiligen Äußerungen hatte keinen Erfolg. In dem Beschluss des LSG nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Münster, das die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen habe, Bezug genommen worden (§ 153 Abs 2 SGG). Ergänzend hat das LSG ausgeführt, das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren könne zu keiner anderen Beurteilung führen, da er im Wesentlichen lediglich seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und im Übrigen rechtlich relevante Tatsachen und/oder Rechtsansichten im Berufungsverfahren nicht vorgetragen habe. Das SG hatte seinerseits dargelegt, auf der Grundlage einer analogen Anwendung der §§ 823 und 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) komme ein Unterlassungsanspruch insbesondere bei ehrkränkenden und kreditschädigenden Tatsachenbehauptungen in Frage. Die von den Beklagten behaupteten Tatsachen in Bezug auf die Entscheidungen des BSG und des LSG seien jedoch zutreffend. Dagegen beinhalteten ihre Aussagen zur Ungeeignetheit des Klägers keine Tatsachenbehauptungen; wegen der nicht bestehenden Bindung der Zulassungsgremien an die Beurteilung der Geeignetheit durch die Beklagten stehe dem Kläger jedoch auch insoweit ein Unterlassungsanspruch nicht zu.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG macht der Kläger einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Darlegungen in der Beschwerdebegründung entsprechen nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen.
Der Kläger rügt ausschließlich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das LSG wesentliches Vorbringen von ihm in der Berufungsinstanz in seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen habe. Für den Vorhalt, ein Gericht habe ein Vorbringen unberücksichtigt gelassen, bestehen besondere Darlegungsanforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zunächst muss der Beschwerdeführer greifbare Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass das Gericht es versäumt hat, eine wesentliche Argumentation der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen seiner Entscheidungsfindung zu erwägen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und in seine Entscheidung einfließen lässt, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Urteil ergibt (vgl zuletzt Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 13/04 B und Beschluss vom 4. August 2004, B 13 RJ 167/03 B - jeweils in JURIS dokumentiert; BSGE 88, 193, 204 = SozR 3-2500 § 79a Nr 1 S 13; BVerfGE 70, 288, 293; 79, 51, 61; 87, 1, 33; 96, 205, 216 f; Bundesverfassungsgericht - BVerfG - ≪Kammer≫, NJW-RR 2002, 68, 69). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts berechtigt sein kann, den Sachvortrag eines Beteiligten nicht zu verwerten (vgl dazu zB BVerfGE 79, 51, 62; 105, 279, 311). Dies gilt insbesondere für solches Vorbringen, das erkennbar nicht entscheidungserheblich ist (vgl zB BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 mwN und BVerfGE 105, 279, 311 f). Sind in diesem Sinne greifbare Anhaltspunkte für ein Versäumnis des Gerichts vorgebracht, muss der Beschwerdeführer bei einer Gehörsrüge - wie bei jeder Verfahrensrüge - zudem aufzeigen, dass sein vermeintlich unberücksichtigt gebliebenes Vorbringen zu einem anderen Urteilsausspruch hätte führen können (vgl BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 mwN).
Die Darlegungen des Klägers werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Der Kläger rügt zwar, dass das LSG sich in dem Beschluss nicht mit seinem Vortrag in der Berufungsbegründung vom 18. März 2004 (dort Seite 3 unten) auseinandergesetzt habe, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) könne ein Unterlassungsanspruch nicht nur gegen Tatsachenbehauptungen, sondern auch gegen ehrverletzende Meinungsäußerungen erwirkt werden. Er zeigt aber keine konkreten und greifbaren Anhaltspunkte dafür auf, dass dieses Vorbringen vom Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht bedacht wurde. Dies wäre vor allem deshalb erforderlich gewesen, weil im Tatbestand des Beschlusses des LSG ausdrücklich auf den Inhalt der Streitakten "insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten" ergänzend Bezug genommen wurde und in den Entscheidungsgründen das Vorbringen des Klägers, soweit es sich nicht in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags erschöpfte, als rechtlich nicht relevante Rechtsansicht bewertet worden ist.
Außerdem fehlt es an einer hinreichenden Begründung dafür, dass der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Rechtsprechung des BGH zu Unterlassungsansprüchen auch gegen ehrverletzende Meinungsäußerungen im Falle von dessen Berücksichtigung zu einem anderen Urteilsausspruch geführt hätte. Insoweit führt der Kläger lediglich aus, vertrauensschädigende Meinungskundgaben seien justiziabel. Die Justiziabilität allein hat jedoch nicht zur Folge, dass im Falle des Klägers ein anderer Urteilsausspruch hätte erfolgen und seiner Klage hätte stattgegeben werden müssen. Denn auch nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BGH zum zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz (zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch vgl Senatsurteil vom 15. November 1995, 6 RKa 17/95 = USK 95139) ist ein Unterlassungsanspruch gegen die in einer Meinungsäußerung enthaltene wertende Kritik erst dann begründet, wenn jene die Schranken der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit überschreitet und sich insbesondere als bloß diffamierende Schmähkritik erweist (vgl BGH NJW 1982, 2246, 2247 unter Ziffer II.2 Buchstabe b) am Ende; BGH NJW 1992, 1314, 1316; s auch BVerfGE 82, 272 = NJW 1991, 95 sowie BVerfG ≪Kammer≫ NJW 1991, 1475, 1477). Dafür fehlt auch in den Ausführungen des Klägers jeglicher Anhaltspunkt. Hinzu kommt, dass nach ständiger Rechtsprechung des BGH Äußerungen, die in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gesetzlich geregelten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren stehen, in aller Regel nicht mit Ehrschutzklagen abgewehrt werden können (vgl BGH NJW 1992, 1314, 1315; NJW 1999, 2736). Die vom Kläger beanstandeten Stellungnahmen der Beklagten zu seiner Ungeeignetheit als angestellter Zahnarzt sind jedoch innerhalb des vom Kläger durch seine eigene Anfrage eingeleiteten Verwaltungsverfahrens auf Erteilung einer Auskunft durch den Zulassungsausschuss abgegeben worden (zu den verfahrensrechtlichen Aspekten der Auskunftserteilung durch eine Behörde vgl BVerwGE 31, 301 sowie Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 6. Aufl 2001, § 1 RdNr 129 ff sowie § 35 RdNr 56). Deshalb hätte der Kläger in seiner Beschwerde zur Begründung der Relevanz des von ihm behaupteten Verfahrensmangels näher darlegen müssen, welche Umstände ausnahmsweise dazu führen, dass von den Beklagten Unterlassung der von ihnen dort verlautbarten Rechtsansichten beansprucht werden kann. Dies ist nicht erfolgt. Die Beschwerde beruht vielmehr auf einer Verkennung des Inhalts der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG zum Ehrschutz gegen Meinungsäußerungen, indem sie fälschlicherweise davon ausgeht, dass jedwede vertrauens- oder kreditschädigende Bewertung untersagt sei (vgl zum Ganzen auch § 824 Abs 2 BGB sowie Sprau in Palandt, Kommentar zum BGB, 64. Aufl 2005, § 823 RdNr 102, 104, 119).
Auch hinsichtlich der weiteren Rüge, das LSG habe die von ihm vorgelegte "Erklärung an Eides Statt" des Zahnarztes S. unberücksichtigt gelassen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, enthält die Beschwerdebegründung des Klägers nicht die erforderlichen Darlegungen. Er hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür benannt, dass trotz der ausdrücklichen Bezugnahme auf den Akteninhalt hinsichtlich des Beteiligtenvorbringens im Tatbestand der Entscheidung des LSG gerade diese Erklärung vom Berufungsgericht übersehen worden wäre. Zudem ist nicht dargestellt, inwiefern der Inhalt jener Erklärung für den geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung von Äußerungen überhaupt entscheidungserheblich sein kann. Herr S. erklärt dort lediglich, auf seine Anfrage, ob mit einer Genehmigung der Anstellung des Klägers als Assistent oder angestellter Zahnarzt zu rechnen sei, habe ihm die Zulassungsabteilung mitgeteilt, "dass weder mit einer Genehmigung durch den Zulassungsausschuss noch mit dem Einverständnis der Krankenkassen zu rechnen sein wird". Auch wenn der Kläger mit dieser Erklärung den Beweis dafür geführt sieht, dass die Beklagten eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Ziel einer Vorwegnahme der Entscheidung des Zulassungsausschusses bereits im Vorfeld einer Antragstellung überführt seien (Berufungsbegründung vom 18. März 2004, S 2), so ist bei rechtskundiger Würdigung offensichtlich, dass dieser Umstand selbst dann, wenn er als wahr unterstellt würde, nicht zwangsläufig dazu führt, dass die vom Kläger in seinem Antrag bezeichneten und vom Inhalt der eidesstattlichen Erklärung verschiedenen Äußerungen der Beklagten zu untersagen wären.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3, § 52 Abs 2 sowie § 39 Abs 1 Gerichtskostengesetz (- GKG - in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I 718). Der Streitwert ist abweichend von der vorläufigen Festsetzung im Senatsbeschluss vom 22. September 2004 und abweichend von den Festsetzungen der Vorinstanzen auf den fünffachen Regelwert von 5.000 €, also insgesamt auf 25.000 € festzusetzen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Klage sich gegen fünf verschiedene Beklagte richtet mit dem Ziel, jedem Beklagten nur jeweils dessen individuelle Äußerung zu untersagen. Für diese in subjektiver Klagehäufung (§ 74 SGG iVm § 60 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) geltend gemachten unterschiedlichen Streitgegenstände sind nach der Anordnung in § 39 Abs 1 GKG deren einzelne Streitwerte - in Ermangelung von konkreten Anhaltspunkten für die Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers an den begehrten Unterlassungen jeweils der Regelwert - zusammenzurechnen (zur insoweit identischen Rechtslage vor Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vgl § 12 GKG aF iVm § 5 ZPO und hierzu Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 22. Aufl 2003, § 5 RdNr 19 mwN).
Fundstellen