Entscheidungsstichwort (Thema)
knappschaftlicher Betrieb. oberirdischer Asbestabbau in der früheren Sowjetunion. Trust "Sojus Asbest". Industrie Steine und Erden
Leitsatz (amtlich)
Ein oberirdisch Asbest abbauender Betrieb in der früheren Sowjetunion (Hier: Trust "Sojus Asbest") ist der Industrie Steine und Erden zuzuordnen und kein knappschaftlicher Betrieb.
Normenkette
SGB 6 § 134 Abs. 1; FRG § 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
Mit Urteil vom 13.2.2007 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer höheren Rente unter Berücksichtigung von bestimmten Fremdrentenzeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung verneint, weil die streitigen, in der ehemaligen UdSSR zurückgelegten Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten nach den jeweils geltenden reichs- oder bundesrechtlichen Vorschriften keine knappschaftlichen Tätigkeiten seien und somit keine Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung begründet hätten. Zwar habe der Asbest abbauende Betrieb die Grundvoraussetzung eines knappschaftlichen Betriebs iS von § 134 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), nämlich die bergmännische Gewinnung von Mineralien erfüllt. Der Abbau des Minerals Asbest in dem Trust "Sojus Asbest" begründe jedoch keine Zugehörigkeit zur Knappschaft, weil diese Tätigkeit der Industrie der Steine und Erden zuzuordnen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und führt hierzu aus: Klärungsbedürftig sei folgende Rechtsfrage: "Unterlag eine Beschäftigung gemäß § 20 Abs. 3 FRG i. V. m. § 134 Abs. 1 SGB VI, wäre sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden, nach den jeweils geltenden reichs- oder bundesrechtlichen Vorschriften der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung, wenn man den Begriff der Industrie der Steine und Erden, wie er in § 134 Abs. 1 SGB VI verwendet wird, so interpretiert, dass er der Abgrenzung von den Betrieben, die schon ihrem Gegenstand nach traditionell und allgemein dem Bergbau zuzuordnen sind, dient, oder aber begründet die Einordnung des abzubauenden Stoffes als Mineral (dieser geologische Begriff wird in § 134 Abs. 1 SGB VI verwendet) dass dieser nicht zu den Betrieben der Steinen und Erden zählt?"
Der Senat lässt dahinstehen, ob der Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung hinreichend dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zweifel hieran könnten bestehen, weil die vom Kläger formulierte Rechtsfrage aus sich heraus nur schwer verständlich ist. Es wird nicht recht deutlich, in welcher konkreten Fragestellung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gesehen wird. Grundsätzlich ist es zwar nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, selbst Fragen zu formulieren bzw umzuformulieren, um prüfen zu können, ob diesen grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Im Hinblick auf den vom Kläger geschilderten Streitgegenstand und auf die übrigen Ausführungen in der Beschwerdebegründung versteht der Senat die vom Kläger aufgeworfene Frage jedoch dahin, dass er geklärt wissen möchte, ob es sich bei dem Übertagebau von Asbest um einen knappschaftlichen Betrieb iS des § 134 Abs 1 Halbsatz 1 SGB VI handelt, weil es sich um eine bergmännische Gewinnung von Mineralien oder ähnlichen Stoffen handele, oder ob eine Anerkennung als knappschaftlicher Betrieb ausscheide, weil der Übertageabbau von Asbest als ein Betrieb der Industrie der Steine und Erden iS von § 134 Abs 1 Halbsatz 2 SGB VI anzusehen sei. Die Zuordnung der Tätigkeiten des Klägers im russischen Asbestabbau als knappschaftliche Versicherungszeiten hängt allein von der Beantwortung dieser Frage ab.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet, denn für die so verstandene Frage sieht der Senat keinen weiteren Klärungsbedarf, auch wenn sie bislang in der Rechtsprechung nicht behandelt worden ist, wie der Kläger zutreffend hervorhebt.
Nach § 134 Abs 1 SGB VI werden in knappschaftlichen Betrieben Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch gewonnen; Betriebe der Industrie der Steine und Erden sind jedoch nur dann knappschaftlich, wenn sie überwiegend unterirdisch betrieben werden. In Anbetracht des Gesetzeswortlauts geht die Argumentation des Klägers fehl, die Qualifizierung des Asbest abbauenden Betriebs als knappschaftlich sei allein deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei Asbest um ein Mineral iS von § 134 Abs 1 Satz 1 SGB VI handele. Vielmehr weist das Gesetz die bergmännische Mineraliengewinnung nur dann ohne weitere Voraussetzungen der knappschaftlichen Versicherung zu, wenn sie außerhalb der Industrie der Steine und Erden geschieht. Innerhalb der Industrie der Steine und Erden unterscheidet das Gesetz danach, ob die Mineralien unter Tage oder über Tage gewonnen werden. Da es keinem Zweifel unterliegt, dass es sich bei Asbest um ein Mineral handelt, und der Asbestabbau nach den vom LSG getroffenen und nicht angegriffenen Feststellungen in dem Trust "Sojus Asbest" oberirdisch erfolgte, hat das LSG zu Recht allein darauf abgestellt, ob die Gewinnung von Asbest der Industrie der Steine und Erden zuzuordnen ist, weil derartige Betriebe nur dann knappschaftliche Betriebe sind, wenn der Abbau unterirdisch erfolgt (BSGE 37, 245, 249 = SozR 2600 § 2 Nr 1 S 6).
Zutreffend hat der Kläger darauf hingewiesen, dass das Gesetz den Begriff der Industrie der Steine und der Erden nicht näher definiert. Es ist jedoch auch nicht ersichtlich, wie eine Zuordnung oder Abgrenzung des Asbestabbaus zur Industrie der Steine und Erden nur durch Gesetzesauslegung möglich wäre. Da ein Asbestabbau in Deutschland nie erfolgte, kann hierzu auch nicht auf Gesetzesmaterialien (so schon BSGE 37, 245, 246 = SozR 2600 § 2 Nr 1 S 2) oder historisch-rechtliche Entwicklungen in Deutschland zurückgegriffen werden. Das LSG hat hierzu unter Hinweis auf eine Auskunft des Hessischen Oberbergamtes vom 26.11.1976 und auf die Ausführungen von Gäbert (Mitteldeutsche Bodenschätze in Archiv für Lagerstättenforschung Heft 50, 1931, S 14) - vom Kläger unwidersprochen - festgehalten, dass mangels Asbestvorkommens auf eine etwaige Verbandszugehörigkeit zu einer bestimmten Industrie in Deutschland nicht abgestellt werden kann. Dies gilt ebenso für eine historisch entwickelte Verbandszugehörigkeit, aus welcher nur dann Schlüsse gezogen werden könnten, wenn es in Deutschland Asbest abbauende Betriebe gäbe oder jedenfalls in der Vergangenheit gegeben hätte.
Dementsprechend beschreitet das LSG zur Klärung der vom Kläger sinngemäß aufgeworfenen Frage den auch für den erkennenden Senat einzig möglichen Weg und nimmt eine hypothetische Zuordnung mit Rücksicht auf das Verständnis des Begriffs der Steine und Erden insbesondere im Wirtschaftsleben vor. Danach rechtfertigt nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch, sondern auch die Gruppenbildung im Warenverzeichnis des Statistischen Bundesamts wie auch die Ähnlichkeit des Asbests mit anderen Industriemineralien die Einbeziehung von Betrieben, die nicht in Deutschland vorkommende Industriemineralien wie Asbest abbauen, in die Industrie der Steine und Erden. Die dazu vom LSG angestellten rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat zu eigen. Wie bereits das LSG ausgeführt hat, kennzeichnet der Begriff Steine und Erden (mittlerweile) bestimmte Warengruppen; er ist eine "Sammelbezeichnung für natürlich vorkommende, technisch wichtige Minerale und Gesteine" (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl, Stichwort: Steine und Erden) , unter die als "Industriemineralien" oder "nichtmetallische Mineralrohstoffe" auch Asbest gehört (Gwosdz/Lorenz, Bewertungskriterien für Industrieminerale, Steine und Erden, 2005, S 5; 123) . Daraus erklärt sich die Gruppenbildung im Warenverzeichnis des Statistischen Bundesamtes, welche Salz, Schwefel, Steine und Erden, Gips, Kalk und Zement zur Gruppe 25 zusammenfasst, bei der unter den Warennummern 25241000 und 25249000 Asbeste aufgeführt sind, zumal das LSG näher belegt, dass Asbest nach seiner chemischen Zusammensetzung traditionell zu den "Erden" gerechnet wird. Auch im Rahmen von § 134 SGB VI umfasst der Begriff der Industrie der "Steine und Erden" nicht nur die Gewinnung von Natursteinen (und -erden), sondern bezieht die Industriemineralien mit ein. So werden von jeher zu der Industrie der Steine und Erden Betriebe gezählt wie Ton- und Graphitgruben sowie Betriebe auf Schwerspat, Speckstein, Flussspat und Feldspat oder die Kalk-, Gips- und Kreideindustrie (Reuß/Hense, RKG, Kommentar, 1923, § 2 Anm 6; Niesel in Kasseler Komm, § 134 SGB VI RdNr 9) . Da alle diese Rohstoffe zur Gruppe der Industriemineralien gehören (vgl Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl, Stichwort: Industrieminerale) , muss auch der Asbestabbau der Industrie der Steine und Erden zugeordnet werden.
Es ist nicht ersichtlich, auf welch anderem Weg die angestrebte Revisionsentscheidung zur Klärung der vom Kläger sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage kommen und somit auch zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte. Auch der Kläger hat diesbezüglich keine anderen Vorstellungen entwickelt und insbesondere nicht aufgezeigt, dass ein anderes Verständnis des Begriffs der Industrie der Steine und der Erden geboten sei, nachdem eine solche Industrie in Deutschland nicht existiert und nie existiert hat, gleichwohl aber eine Zuordnung vorgenommen werden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2072758 |
NZS 2009, 288 |