Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 23.11.2017; Aktenzeichen L 11 SO 9/14)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 11.06.2014; Aktenzeichen S 25 SO 107/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 23. November 2017 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für ein behindertengerechtes Wohnumfeld als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 74 876,60 Euro.

Die Klägerin, die berufstätig ist und an einer progredienten Muskelerkrankung leidet, stellte bei der Beigeladenen einen Antrag auf Übernahme der Kosten für den Einbau eines Senkrechtlifts, einer neuen Terrassentür, von Schiebetüren, elektrischen Rollläden, neuen Fenstergriffen, für diverse Baumaßnahmen im Sanitärbereich sowie einen elektrischen Antrieb für eine Brandschutztür zwischen Wohnhaus und Garagen im Rahmen eines Neubauvorhabens als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beigeladene leitete den Antrag an den Landkreis Saarlouis weiter, der seinerseits den Antrag nochmals an den Beklagten weiterleitete. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil es sich nicht um Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 Abs 8 Nr 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe - ≪SGB IX≫ alte Fassung ≪aF≫) handele, sondern um Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die Einkommensgrenzen nach §§ 85 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) jedoch überschritten seien (Bescheid vom 9.5.2011; Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011).

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland abgewiesen (Urteil vom 11.6.2014). Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat den Beklagten teilweise (in Höhe eines Betrags von 4165,79 Euro) zur Leistungsgewährung verurteilt, im Übrigen jedoch die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 23.11.2017). Der Beklagte sei (ausnahmsweise) zuständig geworden, über den Antrag der Klägerin zu entscheiden. Der Landkreis Saarlouis sei zwar eigentlich als zweitangegangener Träger zuständig geworden. Allerdings könnten die Reha-Träger eine erneute Weiterleitung des Antrags untereinander mit dem Einverständnis des Antragstellers vereinbaren, was hier erfolgt sei. Ein Anspruch auf Kostenübernahme gemäß § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 33 SGB IX aF bestehe nur für den elektrischen Antrieb für die zwischen dem Wohnhaus und der Garage vorhandene Brandschutztür in Höhe der aufgewendeten 4165,79 Euro. Die übrigen Maßnahmen stünden dagegen in keinem Zusammenhang mit der Teilhabe der Klägerin am Arbeitsleben. Die Klägerin habe durch die Planung des Neubauvorhabens eine nichtbehindertengerechte Lage selbst geschaffen. Im Übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, dass der Einbau eines Personenaufzugs in ein Wohnhaus eine nur einkommensabhängig zu erbringende Maßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei (unter Verweis auf BSG Urteil vom 20.9.2012 - B 8 SO 15/11 R), die die Klägerin gerade nicht geltend mache.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin Verfahrensfehler, eine grundsätzliche Bedeutung sowie eine Divergenz geltend. Verfahrensfehlerhaft habe das LSG das Kreissozialamt Saarlouis als "unzuständigen zweitangegangenen Rehabilitationsträger" nicht beigeladen. Überdies liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Das LSG habe nicht berücksichtigt, dass sich ihr Anspruch nach § 15 SGB IX richte, weil sie sich die erforderliche Leistung mittlerweile selbst beschafft habe. Auch habe das LSG ihren Vortrag übergangen, dass eine andere Bauart nicht möglich gewesen sei. Dies verletze auch den Amtsermittlungsgrundsatz (unter Verweis auf § 128 Abs 1 Satz 1 iVm § 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Hätte das LSG § 15 SGB IX geprüft, hätte sich folgende grundsätzliche Frage gestellt: "Besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 15 SGB IX auch dann, wenn die Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs ein Rechtsanspruch nicht besteht, der Versicherte jedoch die Leistung für erforderlich halten darf." Eine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG liege vor, weil das LSG hätte überprüfen müssen, inwieweit Selbsthilfe in Form einer Kostenmitbeteiligung durch sie selbst in Frage gekommen wäre.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es werden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).

Diesen Anforderungen genügt der Beschwerdevortrag nicht. Soweit die Klägerin einen Verfahrensmangel wegen der unterbliebenen notwendigen Beiladung des Landkreises Saarlouis behauptet, ist die Notwendigkeit der Beiladung nicht schlüssig dargelegt. Allein dass der Landkreis Saarlouis "auch mit der Angelegenheit befasst" gewesen sei, genügt insoweit nicht. Eine echte notwendige Beiladung setzt nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG voraus, dass die von der Klägerin begehrte Entscheidung nur einheitlich auch gegenüber dem Beizuladenden möglich ist. Die Klägerin selbst trägt jedoch vor, dass die Weiterleitung an den Landkreis nicht innerhalb der "Zwei-Wochen-Frist" des § 14 Abs 1 SGB IX erfolgt sei; nach ihrem Vortrag konnte der Landkreis daher nicht als zweitangegangener Reha-Träger zuständig werden (vgl aber zum Unterschied zwischen Prüfung der Zuständigkeit und unverzüglicher Weiterleitung BSGE 109, 199 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37, RdNr 11). Dass dennoch eine einheitliche Entscheidung auch gegenüber dem Landkreis ergehen müsse, legt die Klägerin nicht dar. Im Übrigen zeigt sie nicht auf, dass die ergangene Entscheidung auf dem Mangel der fehlenden Beiladung beruhen könne. Sie wendet gerade nicht ein, dass der unzuständige Träger verurteilt worden sei, sondern dass die Verurteilung zu weiteren Leistungen fehlerhaft unterblieben sei.

Auch eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) bezeichnet die Klägerin nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend; sie macht nicht geltend, dass ein (konkret bezeichneter) Beweisantrag übergangen worden sei. Eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art 103 Grundgesetz ≪GG≫; § 62 SGG) zeigt die Klägerin ebenfalls nicht schlüssig auf. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Die Klägerin macht geltend, dass sie mehrfach auf die mittlerweile erfolgte Fertigstellung ihres Bauvorhabens hingewiesen habe und sich ihr Anspruch richtigerweise nach § 15 Abs 1 SGB IX beurteile. Sie trägt aber nicht schlüssig vor, dass dieser Vortrag nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Wie sie an anderer Stelle selbst vorträgt, hat das LSG die durchgeführten Baumaßnahmen gutachterlich bewerten lassen, also auch zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 7). Dass das LSG die richtige Anspruchsgrundlage übersehen haben dürfte, betrifft allein die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Klägerin die Bezeichnung eines Verfahrensmangels von vornherein nicht stützen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz ist ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst - widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Die Klägerin formuliert weder einen abstrakten Rechtssatz des LSG noch des BSG. Insbesondere der Hinweis, dass das BSG "eine Selbsthilfe des Versicherten in Betracht zieh(e)", macht nicht deutlich, welcher abstrakte Rechtssatz der zitierten Entscheidung zu entnehmen sei und welche Relevanz sich daraus für die vorliegende Entscheidung ergeben soll.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache legt die Klägerin ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise dar. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit. Die Klägerin wirft die Frage auf, ob ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 15 SGB IX nicht auch dann bestehe, wenn die selbst beschafften Leistungen "nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs" lägen. Soweit die Klägerin hierzu die zu § 13 Abs 3a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergangene Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25 f mwN) heranzieht, legt sie nicht dar, weshalb die dort entwickelten Auslegungsmaßstäbe auch für § 15 SGB IX Geltung beanspruchen sollen, der eine dem § 13 Abs 3a SGB V entsprechende Genehmigungsfiktion gerade nicht kennt (vgl jetzt anders § 18 Abs 3 SGB IX in der seit 1.1.2018 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - Bundesteilhabegesetz ≪BTHG≫ vom 23.12.2016, BGBl I 3234). Allein der Verweis darauf, dass beide Vorschriften von einer "erforderlichen Leistung" sprechen, zeigt nicht das Erfordernis einheitlicher Maßstäbe für im Übrigen an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpfte Erstattungsanspruchsgrundlagen auf. Sie setzt sich auch nicht damit auseinander, dass § 13 Abs 3a SGB V erst durch Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 (BGBl I 277) mWv 26.2.2013 eingefügt worden ist, zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung also selbst im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung noch gar keine Anwendung fand. Mit ihrem Vortrag, die durchgeführten Baumaßnahmen lägen "außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs" (was aber nicht offensichtlich gewesen sei) entzieht sie zudem die Grundlage für die von ihr behaupteten Verfahrensmängel und die Divergenz. Im Übrigen legt sie nicht dar, weshalb sich diese Rechtsfrage in ihrem Fall überhaupt stellt. Dass die von ihr durchgeführten Baumaßnahmen nicht offensichtlich außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs liegen und sie diese für erforderlich halten durfte, legt sie nicht dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11799800

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