Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. verfassungskonforme Auslegung des Leistungsrechts der GKV bei schwersten Krankheiten. Zulässigkeit der Revision
Orientierungssatz
1. Eine verfassungskonforme Auslegung des Leistungsrechts der GKV ist nach der Rechtsprechung des BVerfG auch bei schwersten Krankheiten nur geboten, wenn es für sie - bezogen auf das angestrebte Behandlungsziel - keine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung gibt (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
2. Mit einer Grundsatzrüge können nur "Rechtsfragen", nicht aber Fragen tatsächlicher Art zur Überprüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden.
Normenkette
SGB 5 § 27 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1 S. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1; GG
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Der 1960 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger, der an einer fortgeschrittenen HIV-Infektion im Vollbild AIDS leidet, begehrt die Kostenübernahme für eine Immunglobulin-Therapie mit dem Fertigarzneimittel Flebogamma (Antrag von Dezember 2003); ihm wurden diese Leistungen bis 28.2.2007 aufgrund einer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Entscheidung zuteil. Im Hauptsacheverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) die erstinstanzliche Klageabweisung bestätigt: Flebogamma fehle - wie näher ausgeführt wird - die generelle Zulassung zur Substitutionstherapie bei sekundärem Immunmangelsyndrom, insbesondere sei es nicht zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter zugelassen. Die Voraussetzungen für einen Off-label-use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seien nicht erfüllt, weil hinreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Behandlung fehlten; der Senat stütze sich insoweit auf ein Gutachten von Prof. Dr. G. vom 14.3.2007. Es seien nach den im Klageverfahren eingeholten Gutachten der Dres. H. und B. vom 12.6.2004 (übereinstimmend mit Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung) keine Ergebnisse veröffentlicht worden, die über Qualität und Wirksamkeit der intravenösen Immunglobulingabe bei Erwachsenen mit fortgeschrittener AIDS-Erkrankung ausreichend zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Weder gebe es eine Phase-III-Studie noch bestünden dem gleichwertige Erkenntnisse mit begründeter Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Zwar gebe es aufgrund von Studien von 1990 - 1996 ernsthafte Hinweise auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Der Kläger könne aber nach wie vor schulmedizinische Behandlungsmethoden in Anspruch nehmen, die die Vermehrung des HIV-Virus derzeit weitgehend unterdrückten (Stellungnahme Prof. Dr. G. vom 16.5.2007) und zu deren Kostenübernahme sich die Beklagte bereit erklärt habe; der Kläger sei daher nicht auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der GKV angewiesen und die Forderung nach möglichen adjuvanten Behandlungen gehe über die Forderungen des Grundgesetzes hinaus, zumal eine intravenöse Immunglobulintherapie nicht ohne Nebenwirkungen sei. Solange die GKV eine lebensverlängernd wirkende Therapie zur Verfügung stelle, sei die Beklagte auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht gezwungen, sämtliche weiteren Therapieoptionen ungesicherter Art zu finanzieren (Urteil vom 31.7.2007).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.
Für den nach dem Beschwerdevorbringen allein in Betracht kommenden Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt werden, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). An diesen Voraussetzungen richtet sich die Beschwerdebegründung vom 8.10.2007 nicht aus; sie geht schon auf die abschließend in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG geregelten gesetzlichen Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht ein und formuliert insbesondere weder ausdrückliche noch sonst sinngemäß hinreichend klar erkennbare und klärungsbedürftige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Sie geht nicht darauf ein, dass eine verfassungskonforme Auslegung des Leistungsrechts der GKV nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch bei schwersten Krankheiten nur geboten ist, wenn es für sie - bezogen auf das angestrebte Behandlungsziel - keine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung gibt ( Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33 ff ); das LSG hat ausführlich begründet, dass Derartiges hier nicht vorliege.
Die Beschwerde führt demgegenüber im Wesentlichen in Bezug auf das Leiden des Klägers und seine Behandlungsmöglichkeiten ua aus, dass gegen die Auffassung des LSG "erhebliche Bedenken" bestünden, dass es die begehrte Leistung nicht als "weitere Therapieoption ungesicherter Art" habe qualifizieren dürfen und dass es die Wirkweise der Medikationen verkannt habe; es habe nicht nur auf eine bestehende "vage Therapieoption" abstellen dürfen, weil "mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden (könne), dass der Beschwerdeführer mit antiretroviralen Medikamenten allein ausreichend versorgt" werde. Dieser Vortrag verkennt, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dazu dient, die von einem Beschwerdeführer angezweifelte inhaltliche Richtigkeit des LSG-Urteils nochmals allgemein überprüfen zu lassen ( vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 ); darauf, ob das LSG den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat, kommt es nicht an. Unbeschadet dessen könnten mit einer Grundsatzrüge nur "Rechtsfragen", nicht aber Fragen tatsächlicher Art zur Überprüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden ( so zB: Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 6, 7; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kap IX RdNr 57 mwN ). Schließlich könnte die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und dem darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch eines Versicherten angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Krankheitsbilder und ihrer Behandlungsoptionen ohnehin nicht in den Rang einer Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung gehoben werden ( stRspr des Senats, vgl zB Beschlüsse vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 9 Leitsatz 2, und vom 21.11.2006 - B 1 KR 132/06 B ).
Das im Raum stehende Begehren nach Überprüfung der Richtigkeit der vom LSG getroffenen Feststellungen hätte mit Blick auf § 163 SGG nur über die Rüge eines Verfahrensmangels unter den besonderen Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG den Zugang zum Revisionsverfahren eröffnen können; dies gilt auch in Bezug auf die Klärung allgemeiner (genereller) Tatsachen ohne normative Qualität ( Beschluss vom 7.10.2005, aaO, Leitsatz 1) . Zum Vorliegen solcher Zulassungsgründe macht die Beschwerde indessen keine Ausführungen, obwohl dies erforderlich gewesen wäre; denn nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann die Verfahrensrüge auf eine Verletzung des § 128 SGG (= Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gar nicht gestützt werden und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) nur dann, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auch dafür ist nichts ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog § 160a Abs 4 Satz 3 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen