Verfahrensgang
SG Trier (Entscheidung vom 03.08.2022; Aktenzeichen S 2 BA 31/19) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen L 6 BA 34/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das ihr, der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. am 23. Januar 2023 elektronisch zugestellte "Urteil" des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 2023 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit für die Klägerin vom 1.9.2017 bis zum 31.12.2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die Beklagte stellte im Statusfeststellungsverfahren fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. bei der Wartung von Pelletöfen, Errichtung von Schornsteinen und Aufstellen von Öfen im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses versicherungspflichtig ausgeübt worden sei(Bescheid vom 3.6.2019; Widerspruchsbescheid vom 14.11.2019) . Das SG hat die Klage abgewiesen(Gerichtsbescheid vom 3.8.2022) , das LSG hat die Berufung zurückgewiesen(Urteil vom 18.1.2023) .
Das vom LSG aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18.1.2023 verfasste und unterschriebene Originalurteil ist am 23.1.2023 zur Geschäftsstelle gelangt. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. ist jeweils am 23.1.2023 eine mit "beglaubigte Abschrift des Urteils vom 18.1.2013" bezeichnete Urteilsfassung elektronisch zugestellt worden. Diese enthält ua in Klammerzusätzen fett oder kursiv gedruckte Fragenkataloge und Anmerkungen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, die nicht der Originalfassung entsprechen. Eine beglaubigte Abschrift des (Original-)Urteils vom 18.1.2023 ist der Klägerin am 7.8.2023 zugestellt worden. Das LSG teilte mit, dass eine irrtümliche Speicherung im EDV-System vorgelegen habe; der Beigeladene zu 1. habe bereits im Januar 2023 eine korrekte schriftliche Fassung erhalten.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in der ihr am 23.1.2023 zugestellten Urteilsfassung.
II
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das der Klägerin, der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. am 23.1.2023 elektronisch zugestellte "Urteil" ist als unwirksames Scheinurteil aufzuheben.
1. Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG . Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Verfahrensmangel(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) ergibt, das LSG habe die in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben des Beigeladenen zu 1. in der ihr am 23.1.2023 zugestellten Urteilsfassung nicht berücksichtigt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 103 Abs 1 GG ,§ 62 SGG ) verletzt.
2. Die der Klägerin, der Beklagten und der Beigeladenen zu 2. am 23.1.2023 zugestellte Urteilsfassung stellt bei Durchsicht der Prozessakten erkennbar einen Entwurf zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dar, der in weiten Teilen nicht dem unterschriebenen (Original-)Urteil gleicht. Damit liegt ein sogenanntes Scheinurteil vor, das lediglich den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung erweckt. Ein solches unwirksames Scheinurteil ist rechtsmittelfähig und mit dem gegen ein wirksames Urteil gegebenen Rechtsmittel angreifbar, um die Scheinwirkung zu beseitigen(vglBAG Urteil vom 9.5.2023 - 3 AZR 280/22 - juris RdNr 6 , 10; BGH Beschluss vom 24.6.2019 - AnwZ (Brfg) 18/19 - juris RdNr 4 f;BVerfG Beschluss vom 17.1.1985 - 2 BvR 498/84 - juris RdNr 4 ) . Allein der formlose Hinweis auf eine irrtümliche Speicherung reicht zur Beseitigung des Rechtsscheins noch nicht aus(vgl BGH Beschluss vom 24.6.2019 - AnwZ (Brfg) 18/19 - juris RdNr 5) . Zu der gebotenen Aufhebung eines Scheinurteils(vgl BAG Urteil vom 9.5.2023 - aaO - juris RdNr 8;BVerwG Urteil vom 3.12.1992 - 5 C 9/89 - BVerwGE 91, 242 , juris RdNr 3) ist der Senat hier ausnahmsweise im Beschwerdeverfahren selbst befugt, da eine Entscheidung in der Sache offenkundig ausscheidet(vgl§ 160a Abs 5 SGG ; vgl Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 19e;BSG Beschluss vom 16.3.2006 - B 4 RA 24/05 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 13 RdNr 23) .
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 155 Abs 1 VwGO und die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm§ 63 Abs 2 Satz 1 ,§ 52 Abs 2 GKG . Für dieses Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nach § 21 Abs 1 Satz 1 GKG nicht erhoben. Das Rechtsmittel hat allein wegen der unrichtigen Sachbehandlung des LSG Erfolg gehabt.
Fundstellen
Dokument-Index HI16444051 |