Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss an das BVerfG. Anwendung eines zwischenstaatlichen Rentenabkommens aufgrund Völkergewohnheitsrechts
Leitsatz (redaktionell)
- Durch das Bundesverfassungsgericht ist zu klären, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, wonach zweiseitige Staatsverträge (hier: das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen von 1968) bei Staatennachfolge (hier: Jugoslawien) im Verhältnis zu den Folgestaaten (hier: Bosnien und Herzegowina) zunächst fortgelten.
- Wenn in einem Rechtsstreit Zweifel bestehen, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, ist die Entscheidung hierüber dem BVerfG vorbehalten (Art 100 Abs. 2 GG).
Normenkette
GG Art. 100 Abs. 2, Art. 25 S. 1, Art. 59 Abs. 2 S. 1; SGB VI §§ 110, 113 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art 100 Abs 2 Grundgesetz folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts, wonach zweiseitige Verträge bei Staatennachfolge (hier: Jugoslawien) im Verhältnis zu den Folgestaaten zunächst fortgelten?
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die persönlichen Entgeltpunkte (pEP) des Klägers aus der deutschen Rentenversicherung bei Auszahlung der ihm bis 1999 gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) und der daran anschließenden Altersrente (AlR) an dessen Wohnsitz in Bosnien und Herzegowina voll oder gekürzt auf 70 vH zu berücksichtigen sind.
Der 1939 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina mit dortigem Wohnsitz. Er hat zwischen 1961 und 1992 im vormaligen Jugoslawien insgesamt 375 Monate Versicherungszeiten zurückgelegt, aus denen er eine kroatische Rente bezieht. In Deutschland hat der Kläger zwischen Juni 1992 und Januar 1996 44 Monate Pflichtbeitragszeiten sowie anschließend bis Februar 1997 13 Monate Zurechnungszeiten, insgesamt also 57 Monate versicherungsrechtliche Zeiten zurückgelegt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger antragsgemäß Rente wegen BU ab Juli 1996, die sie ab Januar 1997 wegen Verlegung seines Wohnsitzes nach Bosnien und Herzegowina nur unter Berücksichtigung von 70 vH der aus den vorgenannten versicherungsrechtlichen Zeiten ermittelten pEP auszahlte (Bescheid vom 26. November 1997; Widerspruchsbescheid vom 2. April 1998). Seit Mai 1999 zahlt die Beklagte dem Kläger antragsgemäß AlR für Berufsunfähige, auch insoweit berücksichtigt sie die pEP lediglich zu 70 vH (Bescheid vom 11. Mai 1999, der gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ Gegenstand des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht ≪SG≫ geworden ist). Mit Gerichtsbescheid vom 20. August 2001 hat das SG darauf abgestellt, dass der Kläger in Anwendung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über Soziale Sicherheit vom 24. November 1997 (Abk Kroatien SozSich) nicht einem deutschen Versicherten gleichgestellt werden könne, weil er nicht Staatsangehöriger des Vertragsstaats – der Republik Kroatien – sei; die Vorschriften des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (Abk Jugoslawien SozSich) in der Fassung der Bekanntmachung über die Fortgeltung der deutsch-jugoslawischen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina vom 16. November 1992 könnten dem Kläger nicht weiterhelfen, weil er in Bosnien-Herzegowina keine Versicherungszeiten zurückgelegt habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers den Gerichtsbescheid sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und die Beklagte zur ungekürzten Zahlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 30. April 1999 verurteilt; für den anschließenden Altersrentenbezug des Klägers hat es die Klageabweisung durch das SG bestätigt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die vom Kläger in Deutschland zwischen 1992 und 1996 erworbenen pEP seien in Anwendung des Abk Jugoslawien SozSich idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bosnien und Herzegowina für den streitigen Zeitraum der Rente wegen BU weiterhin anzuwenden sei (Notenwechsel der beiden Staaten vom 13. November 1992 – Bekanntmachung vom 16. November 1992, BGBl II, 1196), ungekürzt zu berücksichtigen. Auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Kroatien sei dieses Abkommen für den streitigen Zeitraum anzuwenden, was beide Staaten durch Notenwechsel vom 31. Juli/5. Oktober 1992 vereinbart hätten (Bekanntmachung vom 26. Oktober 1992, BGBl II, 1146). Beide bilateralen Sozialversicherungsabkommen bestimmten in Art 4 Abs 1 die sog Gebietsgleichstellung sowie in Art 3 Abs 1 die sog Personengleichstellung. Drittstaatsangehörige seien allerdings nur dann von den Abkommen erfasst, wenn sie durch die bilateralen Abkommen ausdrücklich einbezogen seien oder sich deren Einbeziehung auf andere Weise ergebe.
Der Kläger verfüge über Versicherungszeiten zu Lasten des kroatischen Sozialversicherungsträgers (aus dem vormaligen Jugoslawien), wohne aber in Bosnien und Herzegowina. Die 35-jährige Wartezeit werde aber dann erfüllt, wenn in Bezug auf das Gebiet der zurückgelegten Versicherungszeiten das (alte) “deutsch-kroatische Sozialversicherungsabkommen”, in Bezug auf den Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina aber das “deutsch-bosnisch/herzegowinische Sozialversicherungsabkommen” Anwendung finde. Eine solche multilaterale Zusammenrechnung rechtfertige sich aus der Rechtsprechung des Großen Senats (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) im Beschluss vom 29. Mai 1984 (BSGE 57, 23 = SozR 2200 § 1250 Nr 20), der sich zwar nur auf die Erfüllung der Wartezeit beziehe, jedoch den Schutz der Wanderarbeitnehmer betone. Der gleiche Schutzzweck rechtfertige es auch für den vorliegenden Fall, beide Abkommen nicht nur bilateral, sondern multilateral anzuwenden. Im Ergebnis sei die nach Bosnien und Herzegowina gezahlte Rente wegen BU daher nicht Auslandsrente, sondern – durch mehrfache Anwendung von Sozialversicherungsabkommen – eine einer Inlandsrente gleichgestellte Leistung.
Etwas anderes gelte für die ab Mai 1999 gewährte AlR. Hierbei handele es sich um eine eigene Rentenart mit eigenen tatbestandlichen Voraussetzungen, auf die in Bezug auf Kroatien nicht mehr das weiter geltende frühere Abk Jugoslawien SozSich anzuwenden sei, sondern das Abk Kroatien SozSich vom 24. November 1997, welches am 1. Dezember 1998 in Kraft getreten sei (Bekanntmachung BGBl II 1999, 25). Dieses schließe in Art 2 Abs 2 Satz 1 die multilaterale Anwendung mehrerer Sozialversicherungsabkommen aus, so dass bei dessen Anwendung Abkommen mit Drittstaaten unberücksichtigt zu bleiben hätten. Die sog “Abwehrklausel” verbiete es, bei einer Rentenzahlung in einen Drittstaat (hier: Bosnien und Herzegowina) eine Personen- sowie Gebietsgleichstellung vorzunehmen. Bei der ab Mai 1999 gewährten AlR handele es sich um eine Rente, die nicht in den Vertragsstaat Kroatien gezahlt werde, sondern in einen Drittstaat. Sie sei deshalb Auslandsrente, bei welcher gemäß § 113 Abs 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) die in Deutschland erworbenen pEP des Klägers nur zu 70 vH zu berücksichtigen seien.
Die Beklagte und der Kläger haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts (§ 110 Abs 2, § 113 Abs 3 SGB VI; Art 2 Abs 2 und Art 4 Abs 1 Satz 1 Abk Jugoslawien SozSich im Verhältnis zu Kroatien sowie zu Bosnien und Herzegowina) und führt zur Begründung aus: Anders als in der Entscheidung des GS des BSG vom 29. Mai 1984 (BSGE 57, 23 = SozR 2200 § 1250 Nr 20) seien beim Kläger Versicherungszeiten, die er in der Bundesrepublik Deutschland und in Kroatien zurückgelegt habe, entsprechend Art 25 Abs 1 Abk Jugoslawien SozSich zusammengerechnet und die nach nationalen Vorschriften berechneten Renten (Teilrenten) gewährt worden; sämtliche Versicherungszeiten seien somit berücksichtigt. Nach Mitteilung des kroatischen Versicherungsträgers gewähre dieser dem Kläger ab Mai 2000 ebenfalls Rente. Erst in einem zweiten Schritt seien entsprechend den Auslandsrentenvorschriften bei Berechnung der Rente die pEP auf 70 vH gemäß § 110 Abs 2, § 113 Abs 3 SGB VI gekürzt worden. Dies sei dem Kläger zumutbar; diesbezüglich bestehe kein besonderes Schutzbedürfnis. Wanderarbeitnehmer könnten nicht in jedem Fall darauf vertrauen, dass sämtliche Versicherungszeiten – unabhängig vom Staat, in dem sie erworben worden seien, und unabhängig vom Staat, in dem sie endgültig ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründeten – jeweils in vollem Umfang zugrunde gelegt würden bzw dass die Rentenzahlung aus einem Drittstaat jeweils in Höhe von 100 vH erfolge. Eine Personen- bzw Gebietsgleichstellung ergebe sich weder im Verhältnis Deutschland-Kroatien (Art 2 Abs 2 des zwischen Deutschland und Kroatien weiterhin anzuwendenden Abk Jugoslawien SozSich) noch im Verhältnis Deutschland-Bosnien und Herzegowina (Art 2 Abs 2 iVm Art 4 Abs 1 Satz 1 des zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina weiterhin anzuwendenden Abk Jugoslawien SozSich); die vom LSG vorgenommene multilaterale Berücksichtigung der Abkommen verstoße gegen die vorgenannten Vorschriften.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Dezember 2004 zu ändern und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Dezember 2004, voller Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Landshut vom 20. August 2001 sowie unter Änderung des Bescheids vom 11. Mai 1999 zu verurteilen, auch die ab Mai 1999 gewährte AlR in ungekürzter Höhe nach Bosnien-Herzegowina auszuzahlen sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Er müsse so gestellt werden, als ob das Abk Jugoslawien SozSich vom 12. Oktober 1968 weiter auf ihn anwendbar wäre. Nach Art 25 dieses Abkommens hätte er Anspruch auf Personen- und Gebietsgleichstellung; seine subjektive Rechtsposition sei gegenüber den nachfolgenden Abkommen umfangreicher gewesen, weil nach altem Abkommensrecht alle erworbenen Versicherungszeiten für die Wartezeit anrechenbar gewesen seien und sich die Personen- und Gebietsgleichstellung auf das gesamte frühere Jugoslawien erstreckt habe. Durch neue bilaterale Verträge sei zu seinen Lasten in das Vertragsrecht eingegriffen worden, das ihn geschützt und auf das er vertraut habe.
Entscheidungsgründe
II
Das Verfahren ist gemäß Art 100 Abs 2 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen.
Der Senat sieht sich an einer Entscheidung der Revisionen beider Beteiligter gehindert, weil zweifelhaft ist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, derzufolge im Verhältnis Deutschlands zu Bosnien und Herzegowina das Abk Jugoslawien SozSich vom 12. Oktober 1968 idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 fortgilt.
1. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es darum, ob das im Jahre 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abk Jugoslawien SozSich; BGBl II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29. Juli 1969, BGBl II, 1437) auch nach dem Zerfall Jugoslawiens auf den Fall des Klägers anzuwenden ist. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierungen der Republiken Kroatien sowie Bosnien und Herzegowina haben – wie vom LSG ausgeführt – jeweils noch im Jahre 1992 vereinbart, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen SFRJ geschlossenen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und jeder der beiden neuen Republiken vorläufig weiter anzuwenden; diese Vereinbarungen sind jedoch nicht im Verfahren nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden. Kraft Zustimmungsgesetz vom 25. August 1998 (BGBl II, 2032) gilt im Verhältnis zu Kroatien seit dem 1. Dezember 1998 das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über Soziale Sicherheit vom 24. November 1997 (BGBl II 1998, 2034).
2. Von der Beantwortung der vorgelegten Frage hängt der Ausgang des Verfahrens ab:
Streitgegenstand ist die Höhe des Zahlbetrags der dem Kläger gewährten Rente wegen BU nach dessen Wohnsitzverlegung nach Bosnien und Herzegowina ab 1. Januar 1997 (Bescheid der Beklagten vom 26. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 1998) und der daran anschließenden AlR (Bewilligungsbescheid vom 11. Mai 1999). § 113 Abs 3 SGB VI sieht bei Zahlung einer Rente ins Ausland an Staatsangehörige eines Staates, in dem die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 nicht anzuwenden ist, lediglich die Berücksichtigung der pEP des Versicherten zu 70 vH vor, also im Ergebnis die Kürzung der (Inlands-)Rente um 30 vH. Da der Kläger Angehöriger des Staates Bosnien und Herzegowina ist, mithin eines Staates, in dem die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 nicht gilt, wird er von der Zahlungsbeschränkung betroffen, es sei denn, über- oder zwischenstaatliches Recht bestimmte etwas anderes (§ 110 Abs 3 SGB VI).
Der Rechtsstreit ist zugunsten des Klägers zu entscheiden, wenn im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland sowie Bosnien und Herzegowina das Abk Jugoslawien SozSich weiterhin anzuwenden wäre. Ist dies hingegen nicht der Fall, würde der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt.
Streitig sind die zwei Zeitabschnitte des Bezugs der Rente wegen BU in Bosnien und Herzegowina (Januar 1997 bis April 1999) und des Bezugs der AlR (ab Mai 1999). Insoweit kommt es jeweils auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Wartezeit) für die Rentengewährung und auf die Höhe des Zahlbetrags ins Nicht-EU-Ausland an.
a) Der Senat geht – entgegen der Rechtsansicht des LSG – davon aus, dass die Abkommenslage im Verhältnis zur Republik Kroatien nicht entscheidungserheblich ist. Die Beklagte hat bereits die vom Kläger zurückgelegten kroatischen Versicherungszeiten zur Erfüllung der jeweils einschlägigen Wartezeiten (60 Monate für die Rente wegen BU – § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI; 35 Jahre für die AlR für Berufsunfähige gemäß § 37 Nr 3 SGB VI – § 50 Abs 5 Nr 2 SGB VI, jeweils idF bis zum 31. Dezember 2000) berücksichtigt. Nur in dieser Hinsicht aber kann es auf die Abkommenslage zwischen Deutschland und Kroatien ankommen. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide jedoch nicht im Streit.
b) Die Frage der (ungekürzten) Rentenzahlung an den Kläger hängt von der weiteren Anwendbarkeit des Abk Jugoslawien SozSich im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina ab. Nach Art 4 Abs 1 Satz 1 iVm Art 3 Abs 1 und Art 1 Nr 1 und 2 des Abkommens gelten die deutschen Rechtsvorschriften, nach denen die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen der SFRJ, die sich im Gebiet der SFRJ aufhalten.
aa) Sind diese Bestimmungen weiterhin im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina anwendbar, sind dem Kläger sowohl die bis April 1999 gewährte Rente wegen BU als auch die Altersrente ab Mai 1999 nach Bosnien und Herzegowina voll auszuzahlen, als würde er (weiterhin) in Deutschland wohnen. Dann wäre die Revision des Klägers begründet und die der Beklagten zurückzuweisen.
Insoweit ist unerheblich, ob im Fall einer Fortgeltung des Abk Jugoslawien SozSich im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina das Abkommen voll – mit unverändertem Wortlaut – anzuwenden bliebe; dies würde bedeuten, dass zB die Personengleichstellung in Art 3 des Abkommens nicht nur zugunsten der Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina gälte, sondern zugunsten aller Staatsbürger der (früheren) SFRJ. Denkbar wäre jedoch auch, das Abk Jugoslawien SozSich im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina so zu lesen, als bezöge es sich lediglich auf Hoheitsgebiet, Staatsbürger usw von Bosnien und Herzegowina (Schötz, DAngVers 1998, 83, 84).
Auch bei dieser Lesart aber ist dem Abkommen keine Sperre zu entnehmen, wonach die og Gleichstellungsvorschriften dann nicht angewandt werden dürften, wenn der Rentenanspruch selbst auf der Zusammenrechnung von Zeiten nach einem anderen Abkommen beruht. Die sog Abwehrklausel des Art 2 Abs 2 Abk Jugoslawien SozSich besagt lediglich:
“Rechtsvorschriften im Sinne des Absatzes 1
≪in Abs 1 Nr 1 Buchst c sind als Rechtsvorschriften, auf die sich das Abkommen bezieht, genannt ua die deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Rentenversicherung≫
sind nicht diejenigen, die sich für einen Vertragsstaat aus zwischenstaatlichen Verträgen oder überstaatlichem Recht ergeben oder zu deren Ausführung dienen, soweit sie nicht Versicherungslastregelungen enthalten”.
Die einzigen im vorliegenden Zusammenhang anzuwendenden Rechtsvorschriften des deutschen Rentenrechts sind jedoch die über die Rentenhöhe (§§ 64 ff für Rentenzahlungen in Deutschland, § 110 Abs 2, § 113 SGB VI für Rentenzahlungen ins Ausland). Diese aber ergeben sich weder aus zwischenstaatlichen Verträgen oder überstaatlichem Recht noch dienen sie deren Ausführung.
bb) Sind hingegen die genannten Bestimmungen des Abk Jugoslawien SozSich im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina nicht anwendbar, stünde dem Kläger für den gesamten streitigen Zeitraum (also sowohl für die Rente wegen BU als auch für die AlR) nur Rente in Auslandshöhe zu. Dann wäre die Revision der Beklagten begründet und die des Klägers zurückzuweisen.
3. Das sich in der geschilderten Art zugunsten des Klägers auswirkende Abk Jugoslawien SozSich könnte im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland sowie Bosnien und Herzegowina allenfalls kraft Völkergewohnheitsrechts fortgelten.
a) Vom Senat anzuwendendes Völkervertragsrecht besteht insoweit nicht.
Zwar haben die Regierungen beider Staaten durch einen Notenwechsel vom 13. November 1992 vereinbart, “die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen SFRJ geschlossenen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina solange weiter anzuwenden, bis beide Seiten etwas Abweichendes vereinbaren” (s die entsprechende Bekanntmachung im BGBl II 1992, 1196). Hierin kann jedoch kein in Deutschland innerstaatlich anzuwendender völkerrechtlicher Vertrag gesehen werden – etwa ein “deutsch-bosnisch/herzegowinisches Sozialversicherungsabkommen von 1968”, das nunmehr mit Wirkung für die deutschen Behörden und Gerichte insoweit das Abk Jugoslawien SozSich abgelöst hätte (so jedoch Schötz, DAngVers 1998, 83, 84). Denn die Vereinbarung vom 13. November 1992 ist nicht in dem Verfahren nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden. Damit haben die deutschen Behörden und Gerichte jedenfalls diejenigen “zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen SFRJ geschlossenen Verträge” nicht bereits kraft der Vereinbarung im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina – seit 1995: “Bosnien und Herzegowina” – (einstweilen) weiter anzuwenden, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen (Art 59 Abs 2 Satz 1 GG). Hierzu aber gehört das Gebiet der Sozialversicherung, hierin eingeschlossen das der gesetzlichen Rentenversicherung (Art 74 Abs 1 Nr 12 GG iVm den entsprechenden Bundesgesetzen).
b) Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bosnien und Herzegowina gilt (anders als inzwischen im Verhältnis zu Slowenien, Kroatien und Mazedonien) auch kein – anderes, neues – Sozialversicherungsabkommen, das der Senat anzuwenden hätte.
c) Auch in anderer Hinsicht besteht kein auf den Kläger anwendbares Völkervertragsrecht, aus dem die Fortgeltung des Abk Jugoslawien SozSich nach dem Zerfall Jugoslawiens im Verhältnis Deutschlands zu Bosnien und Herzegowina hergeleitet werden könnte. Einschlägig wäre zwar Art 34 Abs 1 der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge (WKSV) vom 23. August 1978. Diese Bestimmung lautet (englischer Wortlaut abgedruckt bei zB Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S 884 f; deutsche Übersetzung abgedruckt zB bei Wittkowski, Die Staatensukzession in völkerrechtliche Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, 1992, S 401 f):
Artikel 34 Staatennachfolge in Fällen der Separation von Teilen eines Staates
(1) Wenn sich ein Teil oder Teile des Territoriums eines Staates separieren, um einen oder mehrere Staaten zu bilden, so bleibt, ganz gleich, ob der Vorgängerstaat weiterhin besteht oder nicht:
(a) jeder Vertrag, der zum Zeitpunkt der Staatennachfolge in Bezug auf das gesamte Territorium des Vorgängerstaates in Kraft war, für jeden auf diese Weise gebildeten Nachfolgestaat in Kraft;
(b) jeder Vertrag, der zum Zeitpunkt der Staatennachfolge lediglich für den Teil des Territoriums des Vorgängerstaates in Kraft war, der ein Nachfolgestaat geworden ist, nur für diesen Nachfolgestaat in Kraft.
(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn:
(a) die betroffenen Staaten etwas anderes vereinbaren oder
(b) aus dem Vertrag hervorgeht oder anderweitig festgelegt wurde, dass die Anwendung des Vertrages in Bezug auf den Nachfolgestaat mit Gegenstand und Ziel des Vertrages unvereinbar wäre oder die Bedingungen für seine Durchführung grundlegend verändern würde.
Für den Rechtsstreit des Klägers würde daraus folgen, dass das Abk Jugoslawien SozSich von 1968 im Verhältnis Deutschlands zu Bosnien und Herzegowina fortgälte (Art 34 Abs 1 Buchst a WKSV) und der Kläger somit Rente in Inlandshöhe beanspruchen könnte. Art 34 Abs 1 WKSV ist aber schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil die Konvention zwar am 6. November 1996 in Kraft getreten, die Bundesrepublik Deutschland ihr jedoch nicht beigetreten ist (vgl Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S 221 f).
d) Einer Transformation der “Vereinbarung” über die Weitergeltung des Abk Jugoslawien SozSich bedurfte es weiterhin nicht, wenn dieses Abkommen bereits nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts zwischen Deutschland und Bosnien und Herzegowina fortgalt. Die Vereinbarung vom 13. November 1992 hätte dann nur deklaratorischen Charakter. In diesem Fall bestünde nach Art 25 Satz 1 GG Bundesrecht über die fragliche Fortgeltung.
Eine Transformation im Verfahren nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG wäre dann nicht erforderlich; die Zustimmungsgesetze zum Abk Jugoslawien SozSich von 1968 (BGBl II 1969, 1438) und zum Änderungsabkommen vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390; Änderungen hier nicht einschlägig) wären innerstaatlich weiter maßgebend.
4. Es besteht insoweit jedoch keine allgemeine Regel des Völkerrechts iS des Art 25 Satz 1 GG, die der Senat ohne einen iS des Art 100 Abs 2 GG erheblichen Zweifel anwenden könnte. Mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind jedenfalls die Regeln des universellen (dh nicht lediglich regionalen) Völkergewohnheitsrechts gemeint (BVerfGE 23, 288, 305 und 317; 94, 315, 328).
a) Insbesondere ist zweifelhaft, ob Art 34 WKSV bereits zuvor bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert hat (hiergegen zB Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl 1984, § 978, S 611) oder ob in der Folgezeit entsprechendes Völkergewohnheitsrecht entstanden ist und seine Regelungen damit als solches anzuwenden sind (in diesem Sinne zB Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 2. Aufl 1989, Bd I/1, S 165 für nicht politische Abkommen; ablehnend zB Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl 2004, § 12 RdNr 13 f). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat für die Nachfolge in die Völkermordkonvention offen gelassen, ob sich im Falle des ehemaligen Jugoslawien eine von Rechtsüberzeugung getragene einheitliche Praxis nachweisen lasse, die Art 34 WKSV entspreche (Kammerbeschluss vom 12. Dezember 2000 – 2 BvR 1290/99 – NJW 2001, 1848, 1849). Ebenso hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 18. November 2003 – C-216/01 – EuGHE I 2003, 13617 RdNr 152 ff) dahinstehen lassen, ob im Zeitpunkt der Teilung der Tschechoslowakei Völkergewohnheitsrecht bestand, nach dem – jedenfalls bei vollständiger Teilung eines Staats – bilaterale Abkommen für die Nachfolgestaaten grundsätzlich in Kraft bleiben.
Zimmermann (Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000) gibt nach eingehender Untersuchung eine differenzierende Antwort (aaO S 825): Art 34 WKSV habe “im Hinblick auf Dismembrationen eine Bestätigung einer sich zum fraglichen Zeitpunkt bereits entwickelnden Norm des Völkergewohnheitsrechts (dargestellt), die aber noch nicht hinreichend normativ verankert (gewesen sei). Im Hinblick auf Separationen (habe) Art 34 aber eine deutliche Abkehr von bestehenden gewohnheitsrechtlichen Regeln und damit eindeutig eine reine Fortentwicklung des Rechts der Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge de lege ferenda” dargestellt (in diesem Sinne bereits zB Zemanek in: Festschrift Verdross, 1980, S 719, 734 f). Damit wird auf den Unterschied zwischen solchen Nachfolgestaaten abgestellt, die aus der Abspaltung (Separation, Sezession) von einem fortbestehenden Ursprungsstaat (Altstaat) entstanden sind, und solchen, die auf dem Zerfall eines Staates in mehrere neue Staaten beruhen, die sämtlich nicht mit dem Ursprungsstaat identisch sind (Dismembration; hierzu im Einzelnen zB Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S 20 ff).
Diese Unterscheidung macht der “Rapport final sur la succession en matière des traités” des Committee on Aspects of the Law of State Succession der International Law Association, New Delhi Conference 2002 (im Internet – zuletzt aufgerufen am 22. Mai 2006 – unter www.ila-hq.org/pdf/Aspects%20of%20State%20Succession/Aspects%20of%20 State%20Succession%202002.pdf) ≪im Folgenden: Rapport≫ nicht mehr. Nach den Umwälzungen, die Anfang der 90er-Jahre stattgefunden hätten, hätten bei allen Nachfolgestaaten (Etats successeurs) in der Staatenpraxis Verhandlungen über die Nachfolge in zweiseitige Verträge vorgeherrscht; dies dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zugrunde gelegte Regel – dh die Rechtsüberzeugung – das Kontinuitätsprinzip gewesen sei (Rapport S 22).
b) Der Senat sieht davon ab, bereits aus der letztgenannten Quelle, mag sie auch bedeutsam sein, das Bestehen einer allgemeinen Regel des Völkerrechts herzuleiten. Es verbleiben iS des Art 100 Abs 2 GG erhebliche Zweifel. Der Senat berücksichtigt dabei die auch vom BVerfG übermittelte Erkenntnis, dass das Recht der Staatennachfolge einen der umstrittensten und unsichersten Teile des gesamten Völkerrechts darstellt (BVerfGE 96, 68, 79). Selbst wenn im Übrigen inzwischen entsprechendes Völkergewohnheitsrecht bestünde, bliebe fraglich, ob dies bereits in dem im Fall des Klägers erheblichen Zeitpunkt galt; insoweit liegt nahe, auf den Zeitpunkt der Abspaltung der Republik Bosnien und Herzegowina von Jugoslawien (1992) abzustellen.
c) Aber auch der vorsichtigere Ansatz (s. o.), jedenfalls dann die Fortgeltung der zweiseitigen Verträge auch im Verhältnis zu einem Nachfolgestaat anzunehmen, wenn dieser aus einer Dismembration entstanden sei, kann der Entscheidung des Senats nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Denn bereits die Tragweite dieser – unterstellten – Regel des Völkergewohnheitsrechts ist in entscheidungserheblichem Umfang zweifelhaft. Dies betrifft den Begriff der “Dismembration”.
aa) Soweit ersichtlich, ist die deutsche Rechtsprechung, soweit sie sich mit der Frage befasst hat, im Falle Jugoslawiens von einer Dismembration ausgegangen (OLG Zweibrücken NJW 1995, 537, 538 = IPRax 1996, 28 m Anm Schweisfurth/Blöcker IPRax 1996, 9; BayObLG NJW 1998, 392, 393; ebenso, jedoch jeweils ohne nähere Begründung: BFH vom 7. März 1996, BFHE 179, 518, 521 sowie OVG Lüneburg vom 28. September 1995 – 12 L 2034/95; für eine Dismembration ferner österreichischer Oberster Gerichtshof vom 17. Dezember 1996 – 4 Ob 2304/96, RIW 1997, 1044, 1045 und vom 28. Januar 1997 – 1 Ob 2313/96, IPRax 1999, 178, 180 m Anm Schweisfurth/Blöcker IPRax 1999, 187; in der Literatur haben sich für die Annahme einer Dismembration Jugoslawiens zB ausgesprochen: Rapport, S 22; Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S 98 ff, 111 f).
bb) Nach herkömmlicher Bestimmung dieses Begriffs spricht jedoch einiges dafür, den Zerfall Jugoslawiens nicht als Dismembration (aus der sämtliche auf dem früheren Staatsgebiet bestehenden Staaten als Nachfolgestaaten hervorgegangen wären), sondern als Sezession (Separation) zu begreifen (so in der Literatur zB Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge, 1996, S 72 f; Schweisfurth/Blöcker, IPRax 1996, 9, 11 und IPRax 1999, 187 ff; Hummer/Mayr-Singer, AVR 38, 298 ff ≪2000≫).
Gegen die Annahme einer Dismembration könnte insbesondere der geschichtliche Verlauf des “Zerfalls” Jugoslawiens sprechen. Denn dieser Zerfall war insoweit in der Präambel und in Art 1 der Verfassung der SFRJ aus dem Jahre 1974 “angelegt”, als den Teilrepubliken der SFRJ dort das Recht eingeräumt war, aufgrund mehrheitlicher Entscheidung in einer Volksabstimmung aus dem Staatenbund auszutreten. Von diesem Recht hat als erster Teilstaat Slowenien Gebrauch gemacht. Drei andere Teilrepubliken folgten mit ihren Unabhängigkeitserklärungen nach, in denen entsprechend dem verfassungsmäßig verbrieften Recht jeweils von einer “Loslösung” von der SFRJ die Rede war. Erst nachdem die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ), das spätere Serbien und Montenegro, am 27. April 1992 ua in der neu verabschiedeten Verfassung ihren Identitätsanspruch bekräftigt hatte, vertraten die übrigen vier Republiken die These, aufgrund einer Dismembration sei hinsichtlich des Altstaats Jugoslawien von einer Diskontinuität auszugehen (vgl im Einzelnen zB Hummer/Mayr-Singer, AVR 38, 298, 302 ff, 315). Als letzte Teilrepublik hat Montenegro gemäß Volksabstimmung vom 21. Mai 2006 den alten Staatenverbund verlassen.
Mithin mögen sogar mehr Argumente – langer Zeitraum des Zerfallsprozesses der SFRJ, Stellungnahmen in den Unabhängigkeitserklärungen, Anspruch der ehemaligen BRJ auf “Kontinuität” bzw “Identität”, Bewahrung aller Staatselemente der SFRJ durch die BRJ – für einen Prozess “fortgesetzter Sezession” als für Dismembration sprechen.
In der Staatenpraxis ist die Annahme fortgesetzter Sezession – von einigen Ungereimtheiten auch bei internationalen Organisationen einmal abgesehen – praktisch allein von der BRJ vertreten worden. Auch dieser Staat hat jedoch, anders als dieser Rechtsansicht entsprechend, im Herbst 2000 formgerecht seine (Neu-)Aufnahme in die Vereinten Nationen unter Bezug auf die Entschließung 777 (1992) vom 19. September 1992 des Sicherheitsrats beantragt, in der dieser davon ausgegangen war, dass der früher als SFRJ bekannte Staat aufgehört habe zu bestehen.
cc) Es könnte schließlich diskutiert werden, ob nicht im Falle Jugoslawiens gerade durch die Staatenpraxis ein (neues) Völkergewohnheitsrecht entstanden ist, das für die Annahme einer Sezession bzw Separation – im Gegensatz zur früheren Anschauung – fordert, dass der mit dem Ursprungsstaat identisch bleibende Reststaat einen größeren Anteil des Ursprungsstaats ausmachen muss als dies bei Jugoslawien der Fall war (jeweils rund 40 %; hierzu Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl 2004, § 5 RdNr 18) und/oder dass auch Drittstaaten oder die weiteren Nachfolgestaaten seinen Identitätsanspruch anerkennen müssen (Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S 112; Kondring, IPRax 1996, 161, 165); hieraus wären dann auch Folgerungen für den spiegelbildlichen Begriff der Dismembration in der oben unterstellten Regel des Völkergewohnheitsrechts zu ziehen.
Diese Interpretation der Staatenpraxis erscheint jedoch ebenfalls nicht als von vornherein iS des Art 100 Abs 2 GG zweifelsfrei. Denn ihr lagen möglicherweise eher Sanktionsüberlegungen (vgl Hummer/Mayr-Singer, AVR 38, 298, 316, 327) zugrunde, nicht jedoch eine Rechtsüberzeugung, wie sie für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht gefordert wird. Im Übrigen stellt sich auch hier (wie oben unter b)) die Frage, ob ein möglicherweise inzwischen entstandenes Völkergewohnheitsrecht bereits im Falle des Klägers anwendbar war.
Fundstellen
Haufe-Index 1541121 |
SGb 2007, 161 |
SGb 2007, 227 |