Beteiligte
Landesversorgungsamt Baden-Württemberg, Rosenbergstraße 122, 70193 Stuttgart |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Mai 2000 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der 1926 geborene Kläger lebt in der Ukraine und besitzt die ukrainische Staatsangehörigkeit. Im April 1996 beantragte er beim Beklagten Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen angeblich in der Zeit vom Herbst 1944 bis Mai 1945 als Soldat in einer deutschen Einheit („Kampfgruppe”) erlittener Kriegsverwundungen. Laut der von ihm vorgelegten Archivauskunft einer russischen Behörde in (Ostsibirien) war er 1946 – wegen Ableistung von Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht von Oktober 1944 bis März 1945 – für sechs Jahre nach verbannt worden. Ermittlungen des Beklagten beim Krankenbuchlager Berlin und der deutschen Dienststelle (WaSt) Berlin sowie beim Bundesarchiv blieben ergebnislos. Nachdem der Beklagte vom Kläger übersandte Farbfotos des rechten Knies und Unterschenkels, Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke und einen Untersuchungsbefund des Ministeriums für Gesundheitswesen der Ukraine vom März 1997 durch seinen ärztlichen Dienst hatte auswerten lassen, lehnte er den Antrag mit Bescheid vom 4. Juni 1997 mit der Begründung ab, eine Schädigung iS des § 1 BVG sei nicht nachgewiesen und die als Schädigungsfolge in Betracht kommenden Gesundheitsstörungen verursachten keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 vH. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. August 1997). Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) ließ ein Aktenlagegutachten von Dr. W. erstellen und wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. März 1999 ab. Es sei weder eine Wehrdienstleistung in einer deutschen Einheit noch eine Verwundung nachgewiesen. Deshalb könnten auch die beim Kläger vorhandenen Narben nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden.
In der Berufungsinstanz fragte das Landessozialgericht (LSG) beim Kläger an, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Mit am 10. März 2000 beim LSG eingegangenen Schriftsatz verweigerte der Kläger sein Einverständnis, worauf Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2000 anberaumt wurde. Nachdem der Kläger auf seine Ladung mit am 10. Mai 2000 eingegangenem Schriftsatz mitgeteilt hatte, er könne wegen seiner wirtschaftlichen Notlage zur Verhandlung weder selbst erscheinen noch einen Vertreter entsenden, außerdem sei er alt und krank, und es bleibe ihm „hoffen an Eure Verständigkeit, Gute Wille”, hob der Senatsvorsitzende mit Beschluß vom selben Tage den anberaumten Termin auf. Der Beschluß wurde dem Kläger zugeleitet. Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 26. Mai 2000 wies das LSG die Berufung des Klägers zurück.
Mit seiner Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler, das LSG habe § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, weil es ohne sein Einverständnis ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Das LSG hätte ihn außerdem auf die Möglichkeit hinweisen müssen, Prozeßkostenhilfe zu beantragen. Diese Unterlassung verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG und Art 103 Grundgesetz ≪GG≫). Es sei nicht auszuschließen, daß das LSG bei seiner persönlichen Anhörung unter Beiziehung eines Dolmetschers zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Das Rechtsmittel des Klägers ist insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Denn das Urteil des LSG beruht möglicherweise auf einem vom Kläger mit der Revision gerügten Verfahrensfehler. Da der Rechtsstreit wegen der Möglichkeit weiteren vom LSG zu berücksichtigenden Vorbringens oder weiterer Anträge der Beteiligten nicht entscheidungsreif ist, liegen die Voraussetzungen des § 170 Abs 2 Satz 2 SGG für eine Zurückverweisung vor.
Zu Recht hat die Revision eine Verletzung des § 124 SGG gerügt. Gemäß § 124 Abs 1 SGG entscheidet das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Gemäß Abs 2 dieser Vorschrift kann das Gericht unter der Voraussetzung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, daß die Beteiligten – hier Kläger und Beklagter – ihr Einverständnis mit dieser (nur ausnahmsweise vorgesehenen) Verfahrensweise erteilt haben. Diese Voraussetzung war hier nicht erfüllt, denn der Kläger hat sein erforderliches Einverständnis nicht erteilt. Dies gilt zunächst für seinen am 10. März 2000 beim LSG eingegangenen Schriftsatz, worin er, wenn auch sprachlich unbeholfen, eine entsprechende Erklärung unmißverständlich verweigert hat. Das LSG hat diesen Schriftsatz auch so aufgefaßt, da es Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2000 anberaumt hat. Auch in seinem zweiten, beim LSG am 10. Mai 2000 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger nicht einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt, sondern nur darauf hingewiesen, daß er aus wirtschaftlichen Gründen den Termin nicht wahrnehmen könne, ferner darauf, daß er „auch alt und krank” sei. Diese Erklärung enthielt ebensowenig wie der folgende Halbsatz, ihm bleibe nur auf die Verständigkeit und den guten Willen des Gerichts zu hoffen, ein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung; das galt insbesondere im Hinblick darauf, daß der Kläger zuvor dies Einverständnis ausdrücklich verweigert hatte.
In der vom Kläger formgerecht gerügten (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) Verletzung des § 124 SGG ist ein wesentlicher Verfahrensmangel zu sehen. Zwar stellt es keinen absoluten Revisionsgrund dar, wenn ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ohne daß das dafür erforderliche Einverständnis aller Beteiligten vorliegt (vgl BSGE 53, 83 = SozR 1500 § 124 Nr 7 mwN). Gleichwohl liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Es läßt sich nämlich nicht ausschließen, daß das angefochtene Urteil auf dem gerügten Vorgehen des LSG beruht (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 23 zu § 160 und RdNr 31 zu § 144). Wie das Bundessozialgericht (BSG) aaO entschieden hat, läßt sich wegen des besonderen Rechtswerts der mündlichen Verhandlung das Beruhenkönnen der Entscheidung auf der fehlenden Mündlichkeit in der Regel nicht verneinen (vgl auch Beschluß des Senats vom 14. Februar 2001 – B 9 V 81/00 B). So liegt der Fall hier. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß der Kläger trotz der von ihm mitgeteilten Erschwerungen seines Erscheinens dennoch selbst oder durch einen Vertreter den Termin zur mündlichen Verhandlung wahrgenommen hätte. Selbst wenn nur eine einseitig streitige mündliche Verhandlung stattgefunden hätte, ist nicht auszuschließen, daß der dann möglicherweise allein erschienene Vertreter des Beklagten Ausführungen zugunsten des Klägers gemacht hätte und deswegen eine andere Entscheidung ergangen wäre. Das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung ist auf den Inhalt der Entscheidung des LSG insbesondere deswegen möglicherweise von Einfluß gewesen, weil der Kläger gegebenenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers hätte Angaben machen können, die das LSG nach Erhebung weiterer Beweise oder – unter Beachtung des auch vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anwendbaren § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (vgl BSGE 65, 123 = SozR 1500 § 128 Nr 39) – unmittelbar veranlaßt hätten, zumindest vom Vorliegen einer Schädigung des Klägers in den Jahren 1944 bis 1945 auszugehen. In diesem Fall hätte sich das LSG zu Ermittlungen in medizinischer Hinsicht, etwa durch Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch einen Sachverständigen, veranlaßt sehen können. Bei einem derartigen Verfahrensverlauf hätte es zu einer Verurteilung des Beklagten zur Anerkennung von Schädigungsfolgen kommen können, auch wenn diese keine MdE von 25 vH oder mehr verursacht hätten.
Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob auch die sonstigen Verfahrensrügen des Klägers durchgreifen. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob das LSG den Hinweis des Klägers auf seine bedrängte wirtschaftliche Lage hätte als Antrag auf Prozeßkostenhilfe deuten, zumindest aber den Kläger nach § 106 Abs 1 SGG hätte auf die Möglichkeit hinweisen müssen, Prozeßkostenhilfe zu beantragen. Ebenso erübrigen sich Untersuchungen, inwiefern in dem Absehen des LSG von dieser Vorgehensweise ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu sehen sein und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf einem derartigen Verfahrensfehler beruhen könnte.
Die Kostenentscheidung ist erst mit Abschluß des Verfahrens zu treffen.
Fundstellen