Entscheidungsstichwort (Thema)
Sterbegeld. Tod im Ausland. Ruhen. Leistungen iS des Krankenversicherungsrechts. Ruhensregelung. Entstehungsgeschichte. Zweck. restriktive Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Das Sterbegeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch beim Tode des Versicherten im Ausland zu zahlen.
Orientierungssatz
1. Zum Begriff der Leistungen iS des Krankenversicherungsrechts.
2. Zur Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Ruhensvorschrift des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB 5.
Normenkette
SGB V § 58 S. 1 Fassung: 1988-12-20, S. 2 Fassung: 1988-12-20, § 11 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1988-12-20; RVO §§ 209a, 313 Abs. 4, § 216; SGB V § 16 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.02.1992; Aktenzeichen S 4 Kr 185/89) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger wegen des Todes seines Bruders H. S. ein Sterbegeld zu zahlen hat.
Der Bruder des Klägers war jordanischer Staatsangehöriger und seit Oktober 1976 bei der Beklagten versichert. Er starb am 12. August 1989 auf einer Reise in Bulgarien. Für die Kosten der in Jordanien erfolgten Bestattung kam der Kläger auf. Seinen Antrag, ihm ein Sterbegeld zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 11. September 1989 und Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1989).
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Februar 1992). In den Entscheidungsgründen wird ua ausgeführt: Wenn der Tod des Versicherten im Ausland eintrete, führe dies nach § 16 Abs 1 Nr 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zum Ruhen des Anspruchs auf Leistungen. Unter diesen Begriff falle auch der Anspruch auf Sterbegeld. Dafür sprächen der Wortlaut, die Systematik und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, daß beim Auslandsaufenthalt nur der Anspruch auf das Mutterschaftsgeld vom Ruhen ausgenommen sei.
Mit der - vom SG zugelassenen - Revision macht der Kläger ua geltend: Im 3. Kapitel des SGB V, insbesondere in seinem 1. Abschnitt, werde der Begriff "Leistungen" in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Der Wortlaut des § 11 Abs 1 SGB V zeige, daß der Anspruch auf Sterbegeld in Satz 2 völlig selbständig und andersartig neben den in Satz 1 geregelten "Ansprüchen auf Leistungen" stehe. Da § 16 Abs 1 SGB V nur eine Ruhensregelung für den "Anspruch auf Leistungen" enthalte, sei die Vorschrift nicht auf das Sterbegeld anwendbar. Diese Annahme werde noch durch folgende Erwägungen gestützt: Ansprüche auf Leistungen ständen nur Versicherten und mitversicherten Familienmitgliedern zu. Das Sterbegeld sei demgegenüber dem Bestatter zu gewähren. Außerdem zeigten die Formulierungen in § 11 SGB V sowie die ergänzenden Erläuterungen in § 16 SGB V, daß die Ruhensregelungen sich lediglich auf Leistungen aufgrund von Erkrankungen bezögen. Das seien aber nur die Leistungen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB V. Schließlich erfasse § 16 SGB V auch deshalb nicht den Sterbegeldanspruch, weil ein Ruhen von Ansprüchen nur im Rahmen eines noch nicht beendeten Anspruchsverhältnisses in Betracht komme. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Denn der Anspruch auf Sterbegeld entstehe erst mit dem Tode des Versicherten, also zu einem Zeitpunkt, in dem das Krankenversicherungsverhältnis bereits beendet sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 1992 und den Bescheid der Beklagten vom 11. September 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger das Sterbegeld aus der Versicherung des verstorbenen H. S. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Dem Kläger steht das verlangte Sterbegeld zu.
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Jordanien keine vertragliche Sonderregelung über die Zahlung von Sterbegeld getroffen. Der Rechtsstreit ist daher allein nach den hier bereits anwendbaren, ab 1. Januar 1989 geltenden Vorschriften des SGB V zu entscheiden. Nach § 58 Satz 1 SGB V wird beim Tod eines Versicherten ein Zuschuß zu den Bestattungskosten (Sterbegeld) gezahlt, wenn der Verstorbene am 1. Januar 1989 versichert war. Das Sterbegeld wird an denjenigen gezahlt, der die Bestattungskosten trägt (§ 58 Satz 2 SGB V).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des SG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, gehörte der verstorbene Bruder des Klägers der beklagten Krankenkasse seit 1976 als Versicherter an. Der Kläger ist auch für die Kosten der Bestattung seines Bruders aufgekommen.
Entgegen der Auffassung des SG scheitert der geltend gemachte Anspruch nicht daran, daß H. S. in Bulgarien, und damit im Ausland, gestorben ist. Denn die Ruhensvorschrift des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V findet - entgegen der Annahme des SG und der Beklagten - auf den Sterbegeldanspruch keine Anwendung. Hierfür sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Sinn und Zweck dieser Ruhensvorschrift.
Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Selbst wenn man davon ausgeht, daß das Sterbegeld unter dem Begriff Leistungen iS des Krankenversicherungsrechts fällt (vgl dazu § 11 Abs 1 Satz 2 SGB V und die Überschrift des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB V - "Leistungsarten" -), so läßt sich doch aus dem Wortlaut des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V schließen, daß die Ruhensvorschrift nur den Anspruch auf diejenigen Leistungen erfassen soll, die während des Aufenthalts des Versicherten im Ausland anfallen und mit einer Erkrankung im Zusammenhang stehen ("solange" - "erkranken"), also insbesondere die Ansprüche auf Krankenbehandlung und Krankengeld. Der Anspruch auf Sterbegeld beruht indessen nicht auf der Verwirklichung des Risikos der Krankheit, sondern Versicherungsfall ist der Eintritt des Todes des Versicherten.
Daß der Gesetzgeber den Anspruch auf Sterbegeld nicht in die Ruhensregelung des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V mit einbeziehen wollte, ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm (vgl dazu Gunder, Ersatzkasse 1989, 330 ff). Die Vorschrift lehnt sich, wie es in den Gesetzesmaterialien (BR-Drucks 200/88, S 164 und BT-Drucks 11/2237, S 164 jeweils zu § 16) heißt, an die Ruhensregelungen des geltenden Rechts an (zB §§ 209a, 313, 216 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Nach der Gesetzesbegründung war für die Regelung maßgebend, daß Sachleistungen nur im Inland erbracht werden können und daß der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist. Deshalb soll § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V die Kostenerstattung bei Erkrankung während des Auslandsurlaubs und die Gewährung von Krankengeld grundsätzlich ausschließen. Dagegen ist Mutterschaftsgeld auch bei Aufenthalt im Ausland zu zahlen, "da die erwähnten Gesichtspunkte auf diese Leistung nicht zutreffen" (BR-Drucks 200/88, S 165 und BT-Drucks 11/2237, S 165 jeweils zu § 16). Für den Ausschluß bestimmter Versicherungsleistungen während des Auslandsaufenthalts, zB des Krankengeldes, spielten also praktische Erwägungen eine entscheidende Rolle.
Der Anspruch auf das Sterbegeld wird in der Gesetzesbegründung zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl enthalten die Materialien dazu indirekt eine Aussage. Denn die Begründung nimmt im Zusammenhang mit den Sachleistungen auf § 313 Abs 4 RVO aF Bezug und hebt hervor, daß § 16 Abs 1 SGB V "insoweit" den Gedanken der genannten RVO-Vorschrift übernehme. § 314 Abs 4 RVO aF enthielt zwar auch eine Ausschlußregelung für das Sterbegeld beim Tode des Berechtigten im Ausland (zum alten Recht s BSG in USK 82184 und LSG Niedersachsen in KVR S 2700/1). Diese Regelung sollte aber - dafür spricht das Wort "insoweit" in der Gesetzesbegründung - nicht in das neue Recht übernommen werden. Der Gesetzgeber wollte sich auf die Leistungen beschränken, deren Gewährung beim Auslandsaufenthalt des Versicherten Probleme bereiten (im Ergebnis wie hier Mengert in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 16 RdNr 16: "Für das Sterbegeld ist das Ruhen unpassend"; Igl in Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - GK-SGV, § 16 RdNr 10; aA Zipperer in Maaßen/ Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, § 16 RdNr 3).
Nach dem Inhalt der Gesetzesmaterialien hatte der Gesetzgeber also nicht die Absicht, beim Auslandsaufenthalt des Versicherten alle Leistungsansprüche aus der Krankenversicherung zum Ruhen zu bringen. Die Vorschrift des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V bezweckt nur, diejenigen Leistungen auszuschließen, die entweder im Ausland nicht erbracht werden können (Sachleistungen) oder bei denen sich die Anspruchsvoraussetzungen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen (Krankengeld). Diese Gesichtspunkte treffen für den Anspruch auf das Sterbegeld nicht zu. Der Tod und die Bestattung des Versicherten lassen sich in der Regel durch öffentliche Urkunden - sei es ausländischer, sei es deutscher Behörden - nachweisen. Deshalb ist die Ruhensregelung des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V, selbst wenn sie - entgegen der Auffassung des Senats - ihrem Wortlaut nach auch den Sterbegeldanspruch erfassen sollte, im Hinblick auf den Zweck der Rechtsvorschrift restriktiv auszulegen (vgl dazu BSGE 21, 133, 135; 30, 135, 137).
Auf die Revision war daher der Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518158 |
BSGE, 268 |
Breith. 1994, 181 |