Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch. Leistungserbringung durch unzuständige Krankenkasse. spätere Entscheidung über Leistungsgewährung durch zuständige Krankenkasse. kein Hinausschieben der Ausschlussfrist. Entscheidung über herangetragenen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB 10. keine Entscheidung iS von § 111 S 2 SGB 10. keine notwendige Beiladung der Versicherten
Leitsatz (amtlich)
- Hat eine unzuständige Krankenkasse in der Vergangenheit Sachleistungen an einen vermeintlich bei ihr Versicherten erbracht, kann keine spätere Entscheidung der zuständigen Krankenkasse über die Gewährung dieser Leistung gegenüber dem Versicherten mehr ergehen, die für den Erstattungsanspruch zwischen den Kassen den Lauf der Ausschlussfrist des § 111 SGB 10 hinausschiebt.
- Befindet eine Krankenkasse über den von einer anderen Krankenkasse an sie herangetragenen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB 10, liegt darin keine Entscheidung des leistungspflichtigen Leistungsträgers iS von § 111 S 2 SGB 10.
Normenkette
SGB X § 102 Abs. 1, § 105 Abs. 1 S. 1, § 111 S. 1 Fassung: 1982-11-04, S. 2 Fassung: 1982-11-04, S. 2 Fassung: 2000-12-21; SGG § 75 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten auch des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege eines Erstattungsanspruchs nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Erstattung von insgesamt 2.579,05 Euro für Arzneimittel- und Behandlungskosten.
Die Klägerin, eine Ersatzkasse, wandte im Mai 2000 für Frau S… Arzneimittelkosten in Höhe von 2.375,71 € und in den Quartalen II bis IV/2000 für Frau W… 203,34 € für kieferorthopädische Behandlung in der Annahme auf, die beiden Frauen seien bei ihr krankenversichert. Tatsächlich waren die Frauen jedoch bei der Beklagten, einer Allgemeinen Ortskrankenkasse, krankenversichert. Die Klägerin machte ihre Erstattungsansprüche bei der Beklagten bezüglich Frau S… am 1. Juni 2001 und bezüglich Frau W… am 11. Januar 2002 geltend. Die Beklagte bestritt nicht, dass die Voraussetzungen des § 105 SGB X für einen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen sie erfüllt waren, jedoch lehnte sie die beantragte Kostenerstattung in beiden Fällen unter Hinweis auf die einjährige Ausschlussfrist des § 111 SGB X ab. Zwischen dem Zeitpunkt, in dem die Leistungen vollständig erbracht worden seien (Mai 2000 bei Frau S… und Dezember 2000 bei Frau W…) und dem Zeitpunkt des Zugangs der Erstattungsbegehren (1. Juni 2001 bezüglich Frau S… und 11. Januar 2002 bezüglich Frau W…) liege jeweils mehr als ein Jahr (Schreiben vom 18. Oktober 2001 in der Sache S… und Scheiben vom 19. März 2002 in der Sache W…). Das Sozialgericht (SG) hat die Zahlungsklage der Klägerin abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14. April 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der Beginn der Ausschlussfrist sei nicht durch § 111 Satz 2 SGB X nF hinausgeschoben. Eine Entscheidung der Beklagten sei weder bezüglich eines Leistungsanspruchs noch eines Erstattungsanspruchs erforderlich. Die Vorschrift bezwecke, das Ablaufen der Ausschlussfrist für den Erstattungsberechtigten zu vermeiden, wenn die Entscheidung des Erstattungsverpflichteten über das Bestehen des Anspruchs noch ausstehe (Urteil vom 16. Juni 2004).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 111 Satz 2 SGB X. Sie macht geltend, die Anmeldung der Erstattungsansprüche sei fristgerecht erfolgt. Die erstattungspflichtige Krankenkasse müsse im Rahmen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs zunächst feststellen, ob sie zuständig sei und in welchem Umfang Leistungsansprüche bestünden. Die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 2 SGB X beginne erst zu laufen, wenn der erstattungsberechtigte Leistungsträger von einer solchen Entscheidung Kenntnis erlangt habe.
Die Klägerin beantragt
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 2004 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2.579,05 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Im Revisionsverfahren fortwirkende Umstände, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen könnten, liegen nicht vor. Die Berufung war vom SG zugelassen worden. Einer notwendigen Beiladung der beiden Versicherten nach § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedurfte es nicht, weil die Versicherten Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung von der Klägerin bereits erhalten haben und sie diese Leistungen – unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits – weder nochmals von der Beklagten beanspruchen können noch in Betracht kommt, dass sie der Klägerin wegen § 107 SGB X deren Wert erstatten müssen (vgl auch BSGE 57, 146, 149 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 5; BSG SozR 3-2200 § 1237a Nr 2 S 2 f).
2. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, denn das SG hat die Zahlungsklage der Klägerin zutreffend abgewiesen. Zwar standen der Klägerin gegen die Beklagte zunächst zwei Erstattungsansprüche nach § 105 Abs 1 SGB X in Höhe von zusammen 2.579,05 € zu (dazu 3.), jedoch ist dieser Anspruch nach § 111 Satz 1 SGB X wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen (dazu 4.). Ein Fall, indem der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 111 Satz 2 SGB X hinausgeschoben wird, liegt nicht vor (dazu 5.). Die “Entscheidung” einer Krankenkasse über einen behaupteten Erstattungsanspruch einer anderen Krankenkasse hinsichtlich in der Vergangenheit erbrachter Sachleistungen ist keine Entscheidung des leistungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht iS von § 111 Satz 2 SGB X (dazu 6.).
3. Die Beklagte war der Klägerin zunächst auf Grund § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung von insgesamt 2.579,05 € verpflichtet. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Diese Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X waren vorliegend erfüllt: Die Klägerin erbrachte an die Versicherten S… und W… Sozialleistungen (Arzneimittel und ärztliche Behandlung), obwohl diese im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht bei ihr, sondern bei der Beklagten krankenversichert waren. Die Beklagte erbrachte diese Leistungen auch nicht auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung zur Vorleistung als bewusst vorläufige Leistungen (vgl zB § 43 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫), weil etwa unklar gewesen wäre, bei welcher Krankenkasse eine Krankenversicherung bestand; Erstattungsansprüche nach § 102 Abs 1 SGB X kamen daher nicht in Betracht. Vielmehr leistete die Klägerin in der irrigen Annahme, beide Frauen seien bei ihr versichert und damit in der Annahme einer eigenen Leistungspflicht. Die Klägerin war für diese Sozialleistungen ein “unzuständiger Leistungsträger” iS von § 105 Abs 1 SGB X, dem der “zuständige Leistungsträger”, hier also die Beklagte, erstattungspflichtig ist (zu Erstattungsansprüchen nach § 105 SGB X von Krankenkassen untereinander in solchen Fällen vgl Urteile des erkennenden Senats vom 20. November 2001, SozR 3-2500 § 19 Nr 3 und 4).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsteht der Erstattungsanspruch des berechtigten Leistungsträgers, sobald dieser seine Leistungen tatsächlich erbracht hat und ihm die tatsächlichen Kosten entstanden sind (BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 1, 3, 4, 6, 8 und 9; s ferner die Zusammenfassung bei von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 111 RdNr 3). Hieran hat auch die Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X nichts geändert (dazu unter 5.). Dies war hier nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG bezüglich Frau S… im Mai 2000, bezüglich Frau W… im Dezember 2000 der Fall.
4. Beide Erstattungsansprüche der Klägerin, die sich auf insgesamt 2.579,05 € summieren, sind ausgeschlossen, weil die Klägerin sie nicht rechtzeitig geltend gemacht hat.
Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) erfolgten die Leistungen an Frau S… im Mai 2000, den Erstattungsanspruch machte die Klägerin aber erst am 1. Juni 2001, also nicht innerhalb von zwölf Monaten geltend (zur Fristberechnung vgl § 26 SGB X iVm §§ 187 ff Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫). Die Leistungen an Frau W… gewährte die Klägerin zuletzt im Dezember 2000, ihren Erstattungsanspruch meldete sie bei der Beklagten insoweit aber erst am 11. Januar 2002 an, also ebenfalls erst mehr als zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages der Leistungserbringung.
5. Der Lauf der Zwölf-Monats-Frist des § 111 Satz 1 SGB X begann vorliegend bereits nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistungen erbracht wurden. Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht gemäß § 111 Satz 2 SGB X auf einen späteren Zeitpunkt als den nach § 111 Satz 1 SGB X maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung hinausgeschoben. Eine Kenntnisnahme von der “Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht” iS von § 111 Satz 2 SGB X nF für einen späteren Beginn des Laufs der Frist scheidet aus, wenn der Erstattungsverpflichtete eine Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf. Letzteres ist bei Sachleistungen, die ein Versicherter bereits erhalten hat, der Fall. Weder Versicherte noch ein anderer betroffener Leistungsträger können über die Gewährung von Sachleistungen für einen bereits befriedigten Bedarf nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung einer vermeintlich für die Leistungserbringung endgültig zuständigen anderen Krankenkasse herbeiführen.
a) § 111 SGB X ist mit dem Dritten Kapitel des SGB X durch das Sozialgesetzbuch – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihrer Beziehungen zu Dritten – vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) in das SGB X eingefügt worden und am 1. Juli 1983 in Kraft getreten. Während Satz 1 des § 111 SGB X seit seinem Inkrafttreten nicht geändert worden ist, hat Satz 2 mit Wirkung vom 1. Januar 2001 eine neue Fassung erhalten. In seiner ursprünglichen Fassung hatte § 111 Satz 2 SGB X (aF) folgenden Wortlaut: “Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit Entstehung des Erstattungsanspruchs”. In der Rechtsprechung wurde § 111 Satz 2 SGB X aF dahin ausgelegt, dass die Erstattungsansprüche entstehen, sobald ihre gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (BSG SozR 1300 § 104 Nr 6 S 13 f; BSGE 65, 31, 38 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 24). Entstand der Leistungsanspruch des Versicherten kraft Gesetzes, kam es auch für den Beginn des Laufs der Frist des § 111 Satz 2 SGB X aF nicht auf die Erteilung eines entsprechenden Bescheides durch den erstattungspflichtigen Träger an, da diese Entscheidung materiell-rechtlich nur deklaratorische Bedeutung hatte (vgl BSG, Urteil vom 9. Februar 1989 – 3 RK 25/87, USK 89145; BSG, Urteil vom 19. März 1996 – 2 RU 22/95, SozR 3-1300 § 111 Nr 4 S 10 mwN). Ebenso wenig kam es für den Lauf der Ausschlussfrist darauf an, ob der erstattungsberechtigte Träger von seinem Erstattungsanspruch Kenntnis hatte (vgl BSGE 65, 31, 39 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 25; SozR 1300 § 111 Nr 3 S 11 f; zum Ganzen von Wulffen, aaO, § 111 RdNr 3 mwN). Diese Grundsätze hat der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom 19. März 1996 (2 RU 22/95, SozR 3-1300 § 111 Nr 4 S 10 f mwN) gegen Einwände verteidigt und zur Begründung vor allem auf den Wortlaut des Gesetzes, die Entstehungsgeschichte sowie den Zweck der Vorschrift hingewiesen: § 111 SGB X bezwecke, dass der Erstattungsberechtigte kurze Zeit nach der Leistungserbringung wisse, welche Ansprüche auf ihn zukommen und er gegebenenfalls für die zu erwartenden Belastungen entsprechende Rückstellungen bilden könne. Zum anderen diene die kurze Frist der raschen Abwicklung des Erstattungsverfahrens und damit der Rechtssicherheit, weshalb der Gesetzgeber den Beginn der Frist auch von leicht feststellbaren, objektiven Umständen (Leistungserbringung, Ablauf des Zeitraums für den sie erfolgen) abhängig gemacht habe. Bereits in der Gesetzesbegründung zu § 111 SGB X war darauf hingewiesen worden, zur Erreichung des Beschleunigungseffekts müsse letztlich in Kauf genommen werden, dass Erstattungsgläubiger in Fällen, in denen die Ermittlung des Erstattungsanspruchs schwierig sei, keinen Finanzausgleich erhielten.
Diese Auslegung des § 111 SGB X führte ua dazu, dass zB ein Erstattungsanspruch der Bundesanstalt für Arbeit (BA) gegen den Träger der Unfallversicherung in einem Fall verneint wurde, in welchem einer ehemaligen Arbeitslosenhilfe(Alhi)-Empfängerin, nachdem deren Alhi-Bezug schon über ein Jahr abgeschlossen war, nunmehr durch einen Träger der Unfallversicherung rückwirkend Versichertenrente für die Zeit des Alhi-Bezugs bewilligt wurde. Das BSG hat den Erstattungsanspruch auf Grund der Jahresfrist des § 111 Satz 1 SGB X als ausgeschlossen angesehen, obwohl dem Arbeitsamt der Anspruch auf Versichertenrente erst auf Grund der übersandten Durchschrift des Bewilligungsbescheides bekannt geworden war (vgl BSG, Urteil vom 19. März 1996 – 2 RU 22/95, SozR 3-1300 § 111 Nr 4). Entsprechend hat das BSG bei Erstattungsansprüchen in Verhältnis anderer Sozialleistungsträger zueinander entschieden (vgl BSGE 86, 78, 81 f = SozR 3-1300 § 111 Nr 8 S 28 f; BSGE 81, 103, 105 f = SozR 3-1300 § 105 Nr 4 S 6 f jeweils zu Erstattungsansprüchen einer Krankenkasse gegen eine Berufsgenossenschaft; BSGE 65, 31, 39 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 25 zu einem Erstattungsanspruch eines Versorgungsträgers gegen eine Krankenkasse; BSG SozR 1300 § 111 Nr 3 S 12 Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers gegen eine Krankenkasse; BSG Urteil vom 28. November 1990 – 5 RJ 50/89, USK 90174 Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers gegen einen Träger der Rentenversicherung).
b) Diese Auslegung des § 111 SGB X durch das BSG stieß in der Folgezeit auf Kritik. Dem Gesetzgeber ist von Trägern der Sozialversicherung eine Klarstellung, notfalls die Streichung des § 111 SGB X vorgeschlagen worden (vgl Heimrich, DRV 1999, 130 bis 149; kritisch auch Meyer, DOK 1989, 326; Ricke/Morus, BG 1995, 209 ff; Ricke, SGb 2001, 152 f). Der Gesetzgeber ist zwar nicht der Forderung gefolgt, den Erstattungsanspruch generell erst mit einer auch lediglich deklaratorischen Entscheidung des leistungsverpflichteten Leistungsträgers über einen Anspruch des Versicherten entstehen zu lassen (so zB die Forderung von Heimrich, DRV 1999, 130, 149). Er hat die Kritik allerdings aufgegriffen und durch Art 10 Nr 8 des 4. Euro-Einführungs-Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1983) Satz 2 des § 111 SGB X neu gefasst, der in seiner seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung nunmehr folgenden Wortlaut hat: “Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.” In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insbesondere auf die der Entscheidung des 2. Senats des BSG vom 19. März 1996 (vgl BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 4) zu Grunde liegende Situation hingewiesen, die Rechtsprechung des BSG im Ergebnis als unbefriedigend dargestellt und ausgeführt, durch die Neufassung des Satzes 2 werde klargestellt, welcher Zeitpunkt für den Beginn der Frist zum Ausschluss des Erstattungsanspruchs des erstattungsberechtigten gegenüber dem zur Erstattung verpflichteten Sozialleistungsträger maßgebend sei. Damit könnten Erstattungsansprüche auch Leistungen des Erstattungsberechtigten und -verpflichteten Zeiträume erfassen, deren Ende länger als zwölf Monate zurückliege. Es sei nicht sachgerecht, in solchen Fällen auf die möglicherweise mehrere Jahre zurückliegende Entstehung des Erstattungsanspruchs abzustellen, weil der erstattungsberechtigte Träger in solchen Fällen keine Möglichkeit gehabt habe, seinen Erstattungsanspruch fristgerecht geltend zu machen (vgl BT-Drucks 14/4375, S 60 zu § 111 SGB X).
c) Es ist fraglich, ob der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X – wie in der Gesetzesbegründung behauptet wird (vgl BT-Drucks 14/4375, S 60 zu § 111) – “der ursprünglichen Intention” des Gesetzes Rechnung getragen hat oder ob nicht an Stelle des bisher vorrangigen Ziels rascher Rechtssicherheit (vgl BT-Drucks 9/95, S 26 zu § 117 des Entwurfs: “schnelle Klarstellung der Verhältnisse” sowie S 40 zu Art I § 117 Satz 2 des Entwurfs) nunmehr dem Ziel materieller (Ausgleichs-)Gerechtigkeit ein grundsätzlicher Vorrang eingeräumt worden ist. Weder dem Wortlaut des § 111 Satz 2 SGB X nF noch der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, “dass Erstattungsansprüche auch Leistungsansprüche des Erstattungsberechtigten und -verpflichteten für Zeiträume erfassen können, deren Ende länger als zwölf Monate zurückliegt” (kritisch zur Gesetzesbegründung des 4. Euro-Einführungs-Gesetzes daher zu Recht von Wulffen, aaO, § 111 RdNr 3). Mit hinreichender Deutlichkeit dürfte jedoch sowohl dem Wortlaut des § 111 Satz 2 SGB X nF als auch der Gesetzesbegründung zum 4. Euro-Einführungs-Gesetzes zu entnehmen sein, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs vor allem in jenen Fällen ermöglichen wollte, in denen der unzuständige Träger bereits in der Vergangenheit kraft Gesetzes entstandene Ansprüche des Versicherten mit lediglich deklaratorischer Bedeutung anerkennt und zB die Höhe einer (ohne die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X bestehenden) Nachzahlung feststellt. Erhält der unzuständige Leistungsträger, der Leistungen erbracht hat (zB eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit), erst durch einen nach Entstehung des Anspruchs erlassenen Verwaltungsakt des zuständigen Trägers (zB Berufsgenossenschaft) gegenüber dem Versicherten Kenntnis davon, dass nicht er (der Rentenversicherungsträger), sondern der andere Träger (zB die Berufsgenossenschaft) für die Leistung zuständig ist, soll die Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erst ab dieser Kenntniserlangung zu laufen beginnen.
d) § 111 Satz 2 SGB X ist in dieser am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Fassung gemäß § 120 Abs 2 SGB X zwar auf Erstattungsansprüche anzuwenden, wenn die Ausschlussfrist – wie hier – nicht bereits unter Geltung des § 111 SGB X aF am 1. Juni 2000 abgelaufen war (vgl Urteil des 2. Senats des BSG vom 11. November 2003 – B 2 U 15/03 R, SozR 4-1300 § 111 Nr 1 RdNr 10); am 1. Juni 2000 war die Zwölf-Monats-Frist bzgl der im Mai 2000 und Dezember 2000 erbrachten Leistungen damit noch nicht abgelaufen. Die Voraussetzungen des § 111 Satz 2 SGB X nF für einen späteren Beginn der Frist liegen hier jedoch nicht vor. § 111 Satz 2 SGB X aF verlangt für einen hinausgeschobenen Beginn des Laufs der Frist, dass “der erstattungsberechtigte Leistungsträger” von der “Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers” über seine (richtig: dessen) Leistungspflicht Kenntnis erlangt. § 111 Satz 2 SGB X nF setzt voraus, dass eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten in der Sache bereits vorliegt oder zumindest in Betracht kommt.
Eine derartige materiell-rechtliche Entscheidung ist indessen in aller Regel ausgeschlossen, wenn es um Erstattungsansprüche von Krankenkassen untereinander, also Trägern desselben Versicherungszweiges wegen erbrachter Sachleistungen geht und der Versicherte die Sachleistung bereits von einer Krankenkasse erhalten hat. Der Bedarf des Versicherten ist insoweit – wenn auch durch einen unzuständigen Träger – bereits gedeckt worden. Der zuständige Leistungsträger hat keine Befugnis mehr, gegenüber dem Versicherten nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistung zu bewilligen. Für einen entsprechenden Antrag des Versicherten würde es von vornherein an der dafür erforderlichen rechtlichen Betroffenheit fehlen. Denn sein Anspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ist sowohl faktisch also als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X erfüllt. Eine sachliche Entscheidung des unzuständigen Trägers über dessen Leistungspflicht im Verhältnis zum Versicherten ist damit ausgeschlossen. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats müssen Leistungserbringer oder Kostenträger, die dem Krankenversicherten zu einer von ihm beanspruchten Sachleistung verholfen haben, bei Zweifeln über die Leistungspflicht der Krankenkasse regelmäßig selbst gegen die betroffene Krankenkasse vorgehen; eine rechtliche Handhabe dafür, dass der Versicherte, der die begehrte Leistung erhalten hat, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht anschließend losgelöst von seiner tatsächlichen Kostenbelastung abstrakt klären lässt, gibt es demgegenüber nicht (vgl zB BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 121; zuletzt Senats-Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 18/03 R – zur Veröffentlichung bestimmt).
Da dementsprechend auch vorliegend eine (materielle) Entscheidung der beklagten Krankenkasse gegenüber ihren Versicherten (= Gewährung eines Arzneimittels an Frau S… bzw Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung an Frau W…), von vornherein ausscheidet, kann es auch keine Entscheidung der Beklagten geben, die gegenüber der Klägerin den Lauf der Frist des § 111 SGB X hätte beginnen lassen können.
6. Die “Entscheidung” der beklagten Krankenkasse über einen behaupteten Erstattungsanspruch der klagenden Ersatzkasse hinsichtlich in der Vergangenheit erbrachter Sachleistungen ist im Übrigen keine Entscheidung des leistungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht iS von § 111 Satz 2 SGB X nF.
Macht eine Krankenkasse gegenüber einer anderen Krankenkasse wegen der an einen Versicherten erbrachten Sachleistungen einen Erstattungsanspruch geltend, muss der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar in aller Regel konkludent prüfen, ob er seinem Versicherten gegenüber hätte Leistungen erbringen müssen und er ohne die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X noch zu erbringen hätte, wenn nicht der andere (unzuständige) Leistungsträger bereits früher geleistet hätte. Bei solchen, einer Ablehnung oder einem Anerkenntnis des Erstattungsanspruchs vorausgehenden Erwägungen handelt es sich indessen weder um einen Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X noch um eine “Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht” iS von § 111 Satz 2 SGB X nF. Eine derartige Entscheidung ist in § 111 Satz 2 SGG X nF offensichtlich nicht gemeint. Anderenfalls verlöre die gesetzliche Ausschlussfrist ihren Sinn, weil ein möglicherweise erstattungspflichtiger Leistungsträger regelmäßig erst dann in derartige Erwägung eintritt, nachdem der Erstattungsanspruch an ihn bereits herangetragen worden ist. Ist der Erstattungsanspruch aber bereits geltend gemacht worden und wird der in Anspruch genommene Leistungsträger erstmals hierdurch zu Erwägungen über seine Leistungspflicht veranlasst, räumt § 111 Satz 2 SGB X dem erstattungsberechtigten Leistungsträger vor dem Hintergrund der dargestellten Gesetzesmotive nunmehr ab Verlautbarung des Ergebnisses dieser Erwägungen nicht nochmals generell ein Jahr ein, seinen (bereits geltend gemachten) Erstattungsanspruch weiter zu verfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Fundstellen
KrV 2005, 225 |
SozR 4-1300 § 111, Nr. 3 |
GesR 2005, 521 |