Keine Kostenerstattung für gesetzeswidrige künstliche Befruchtung im EU-Ausland
Das SG München hatte über die Erstattungspflicht einer Krankenkasse für die Kosten einer im EU-Ausland (Österreich) vorgenommenen künstlichen Befruchtung zu entscheiden. Die künstliche Befruchtung wurde nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend der österreichischen Gesetzeslage vorgenommen, entsprach aber nicht der Regelung des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG).
Behandlungsplan von Krankenkasse genehmigt
Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens hatte aus medizinischen Gründen wegen einer festgestellten andrologischen Sterilität die Absicht, eine künstliche Befruchtung im Wege einer intracytoplasmatischen Spermieniinjektion (ICSI) durchführen zu lassen. Auf ihren Antrag hin genehmigte die Krankenkasse den zu diesem Zweck erstellten Behandlungsplan für drei Zyklen.
Befruchtung von sieben Eizellen
Daraufhin wurden der Klägerin acht Eizellen entnommen. Nach einer Stimulation waren sieben Eizellen reif für die Behandlung mittels ICSI. Diese sieben Eizellen wurden befruchtet, ein Embryo wurde transferiert, drei Blastozysten wurden kryokonserviert, die restlichen Zellen hatten sich nicht entwickelt.
Krankenkasse lehnt Kostenerstattung ab
Den Antrag der Klägerin gegenüber ihrer Krankenkasse auf Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt knapp 9.000 EUR lehnte die Krankenkasse ab. Die Krankenkasse vertrat den Standpunkt, eine Kostenerstattung setze voraus, dass der behandelnde Arzt in einem Attest bestätigt, dass die Bestimmungen des ESchG eingehalten worden seien. Der österreichische Arzt lehnte die Erstellung einer solchen Bescheinigung mit der Begründung ab, die Behandlung sei nach dem in Österreich geltenden Fortpflanzungsmedizingesetz erfolgt, das mit den deutschen Bestimmungen nicht identisch sei.
Klage vor dem SG
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies auf den vor der Behandlung erteilten Kostenübernahmebescheid der Krankenversicherung. Der Krankenversicherung sei bekannt gewesen, dass die Behandlung in Österreich durchgeführt werden sollte. Sie sei daher davon ausgegangen, dass der Kostenübernahmebescheid für die in Österreich durchgeführte Behandlung nach dem dort geltenden Recht gültig sei. Nach Ablehnung ihres Widerspruchs machte die Klägerin ihren Anspruch auf Kostenerstattung vor dem SG geltend.
Versicherte können sich in gesamter EU behandeln lassen
Das SG stellte bei seiner Entscheidung maßgeblich auf die Vorschrift der §§ 13, 27a SGB V ab. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte berechtigt, Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder der Schweiz in Anspruch zu nehmen. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 2 SGB V dürfen allerdings nur Leistungserbringer mit bestimmten Qualifikationen in Anspruch genommen werden. Diese Anspruchsvoraussetzungen lagen nach der Bewertung des SG im konkreten Fall vor.
Erstattungsanspruch entfällt bei Gesetzesverstoß
Ein Erstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V besteht nach Auffassung des SG allerdings nicht, wenn bei der Behandlung nach deutschem Recht geltende gesetzliche Verbote missachtet werden (LSG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid v. 19.7.2013, 4 KR 4624/12).
ESchG begrenzt die Zahl zulässiger Befruchtungen
Das deutsche Recht sieht in § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG vor, dass keine größere Zahl an Eizellen einer Frau befruchtet werden dürfen, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Üblicherweise gilt dies für ein oder zwei Eizellen, die sich nach der Befruchtung entwickelt haben. Im konkreten Fall war nach der medizinisch zutreffend errechneten Prognose des behandelnden Arztes die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von mindestens drei Embryonen aus sieben befruchteten Eizellen gegeben. Damit war die nach dem deutschen ESchG gegebene Grenze überschritten.
Leistungsanspruch nur bei gesetzeskonformer Behandlung
In der Folge setzt nach Auffassung des SG auch der Leistungsanspruch auf künstliche Befruchtung gemäß § 27 a Abs. 1 SGB V voraus, dass die Behandlung nicht gegen das ESchG verstößt. § 1 ESchG stelle bestimmte Fortpflanzungstechniken aufgrund einer bewussten Wertentscheidung des Gesetzgebers unter Strafe. Eine Behandlung, die hiernach verboten sei, könne nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung daher grundsätzlich nicht Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung sein (SG Dresden, Gerichtsbescheid v. 31.8.2016, S 25 KR 236/14).
Gesetz bezweckt Verhinderung des Missbrauchs verwaister Embryonen
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG könne der Arzt, der mehr Eizellen einer Frau befruchtet, als innerhalb eines Zyklus übertragen werden können, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt werden. Ziel des Gesetzes sei es, die Erzeugung sogenannter überzähliger oder verwaister Embryonen zu verhindern. Hierdurch solle einer missbräuchlichen Verwendung von Embryonen vorgebeugt werden, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr auf die Frau, von der die Eizellen stammen, übertragen werden können.
In vitro erzeugte Embryonen genießen Verfassungsschutz
Diese gesetzlichen Vorgaben waren im konkreten Fall missachtet worden. Die Tatsache, dass die überzähligen Embryonen kryokonserviert worden sind, ändert nach Auffassung des Gerichts an dem Gesetzesverstoß nichts. Selbst wenn ein späterer Transfer überzähliger Embryonen beabsichtigt gewesen sei, entspreche dies nicht dem Willen des Gesetzgebers, der Entstehung überzähliger Embryonen von vornherein entgegenzuwirken und das unter dem Schutz des Grundgesetzes stehende Leben in vitro erzeugter Embryonen zu schützen.
Versicherter trägt bei Behandlung im Ausland das Risiko der Gesetzeskonformität
Im Ergebnis besteht nach der Entscheidung des SG damit kein primärer Leistungsanspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 4 SGB V. Bei Inanspruchnahme einer Leistung im Ausland trage der Versicherte das Risiko, dass die Leistung den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung und den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Der sachliche Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse verändere sich nicht durch die Inanspruchnahme einer Leistung im Ausland.
Klage auf Kostenerstattung abgewiesen
Im Ergebnis hat daher das SG die Klage auf Erstattung der Kosten für die vorgenommene künstliche Befruchtung durch die Krankenkasse abgewiesen.
(SG München, Gerichtsbescheid v. 26.1.2022, S 7 KR 242/21)
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