Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung bzw Verrechnung mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen aus der Zeit vor dem 1.1.1976
Leitsatz (redaktionell)
Eine Beitragsforderung, die als vollstreckbar in der Konkurstabelle festgestellt ist, verjährt entsprechend § 218 BGB in 30 Jahren.
Orientierungssatz
Nach den §§ 51 und 52 SGB 1 kann auch mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Vorschriften (1.1. 1976) aufgerechnet bzw verrechnet werden.
Normenkette
KO § 145; SGB I § 52 Fassung 1975-12-21; SGB IV § 25 Fassung 1976-12-23; RVO § 29 Abs. 1 Fassung 1924-12-15; BGB § 218 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18; SGB I § 51 Abs. 2 Fassung 1975-12-21
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 07.05.1980; Aktenzeichen L 10 V 278/78) |
SG Würzburg (Entscheidung vom 05.06.1978; Aktenzeichen S 9 V 132/77) |
Tatbestand
Der Beigeladene W bezieht vom Beklagten Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er schuldet der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) 393,84 DM an Sozialversicherungsbeiträgen, die er als Arbeitgeber bis zur Konkurseröffnung im Jahre 1967 abzuführen hatte. Ein Betrag von 409,20 DM, auf den 45,46 DM ausgezahlt wurden, ist als vollstreckbar in der Konkurstabelle eingetragen worden. Das Konkursverfahren ist inzwischen aufgehoben. Die Klägerin ermächtigte im Mai 1976 den beklagten Versorgungsträger, ihre Beitragsforderung nach § 52 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - (SGB 1) zu verrechnen. Dem folgte das Versorgungsamt (Bescheid vom 16. August 1976). Diese Entscheidung hob es aber auf den Widerspruch des Versorgungsberechtigten wieder auf (Abhilfebescheid vom 25. Februar 1977). Gegenüber der beigeladenen AOK lehnte es eine Verrechnung ab. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete hingegen den Beklagten, hinsichtlich der der Klägerin gegenüber dem Beigeladenen W zustehenden Forderungen (Beitragsschuld und Säumniszuschläge) eine Verrechnung gemäß § 52 SGB 1 mit den Versorgungsleistungen, die dem Beigeladenen gegen den Beklagten zustehen, vorzunehmen; es ließ die Berufung zu (Urteil vom 5. Juli 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beigeladenen W zurückgewiesen (Urteil vom 7. Mai 1980): Die Verrechnung mit einer vor dem 1. Januar 1976, dh vor dem Inkrafttreten des SGB 1, fällig gewordenen Beitragsforderung sei gegen die laufenden pfändbaren Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach § 52 iVm §§ 51 und 54 Abs 2 und 3 SGB 1 zulässig. Für Aufrechnung und Verrechnung mit Altforderungen gemäß den seit dem 1. Januar 1976 geltenden Vorschriften des SGB 1 habe es keiner Übergangsbestimmungen bedurft; denn die Aufrechnung sei schon vorher nach § 47 Abs 5 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) möglich gewesen, sei nur nach neuem Recht eingeschränkt.
Der Beigeladene W macht mit der - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, es sei nicht festgestellt, wann die verrechneten Beitragsansprüche entstanden und wann sie verjährt seien. Sie verjährten nach § 25 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch (SGB 4) in vier Jahren nach dem Kalenderjahr ihrer Fälligkeit, was auch für Altforderungen gelte (Art 2 § 15 SGB 4). Ob die in diesem Fall verrechneten Beitragsforderungen gegen den Beigeladenen erst nach 30 Jahren verjährten, weil er sie vorsätzlich vorenthalten habe, sei nicht geprüft worden. Der Beigeladene habe aber den Konkurs nicht vorsätzlich herbeigeführt. Außerdem habe das LSG eine Hemmung und Unterbrechung der Verjährung nach § 25 Abs 2 SGB 4 nicht erörtert. Schließlich sei es fraglich, ob die Grundrente aus der Kriegsopferversorgung gepfändet werden dürfe.
Der Beigeladene beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, der Beklagte und die beigeladene AOK M beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie haben sich schon gegen die Berufung des Beigeladenen W gewandt und beziehen sich zur Begründung auf die angefochtenen Urteile.
Der Vertreter der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland vertritt die Auffassung, die Verrechnung sei nicht vorzunehmen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch sozialhilfebedürftig werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beigeladenen W ist zwar zulässig, aber in der Sache erfolglos.
Der Beigeladene W ist zur Einlegung der Revision berechtigt, obwohl der Beklagte dem Berufungsurteil zugestimmt und die Zurückweisung dieses Rechtsmittels - wie schon der Berufung des beigeladenen - beantragt hat. Der Beigeladene ist Beitragsschuldner. Mit seinen Forderungen aus der Kriegsopferversorgung (KOV) soll der Beklagte für die klagende AOK als Beitragseinzugsstelle nach § 52 SGB 1 verrechnen. Die Entscheidung über die Verrechnung kann auch dem Beigeladenen gegenüber nur einheitlich ergehen. Deshalb mußte die Beiladung (nach § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) vorgenommen werden. Als notwendiger Beigeladener darf er nach § 75 Abs 4 Satz 2 SGG einen Sachantrag stellen, der von den Anträgen der klagenden AOK und des beklagten Versorgungsträgers abweicht (BSGE 11, 262, 264 f = SozR Nr 17 zu § 75 SGG). Der Beigeladene W muß auch entgegen dem Prozeßbegehren dieser beiden Beteiligten, die mit den Urteilen der Vorinstanzen einverstanden sind, selbständig Revision einlegen können, um seine Rechte in diesem Verfahren zu verteidigen (BSGE 2, 289, 290 f; vgl auch 8, 291, 292); denn falls die angefochtenen Urteile rechtskräftig werden, binden sie nach § 141 Abs 1 SGG auch den Beigeladenen (§ 69 Nr 3 SGG), soweit über die gegen ihn gerichtete Verrechnung entschieden worden ist.
Der Fortführung des Rechtsstreits steht nicht allgemein entgegen, daß die Klägerin und der Beklagte nicht mehr gegeneinander streiten. Falls diese Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt hätten, möchte das Verfahren auch gegen den Widerspruch des notwendig Beigeladenen einzustellen sein (BVerwGE 30, 27, 28 f; zustimmend: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 75, Rz 17; ablehnend Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl 1980, § 161, Rz 8). So war es hier aber nicht. Wohl ist dieser Prozeß gegenüber der ersten Instanz inzwischen in eine andere Interessenlage hineingewachsen; das wirkt sich verfahrensrechtlich aus. Jedoch wird dadurch die prozessuale Rechtsstellung des Beigeladenen W gerade nicht beeinträchtigt. Die Klägerin hat inzwischen ihr Prozeßziel erreicht. Der Versorgungsträger hat schon die Zurückweisung der Berufung des Beigeladenen beantragt, will also seit der zweiten Instanz dem Begehren der Klägerin entsprechend dem erstinstanzlichen Urteil, das ihn zur Verrechnung verpflichtet hat, nachkommen. Der Beigeladene muß indes als Revisionskläger den Rechtsstreit in veränderter Konstellation fortführen können, um sich gegen die Verrechnung zu wehren; das ist gerade der Sinn und Zweck seiner Beiladung.
Im vorausgegangenen Prozeßstadium, als der Beklagte sich noch grundsätzlich weigerte, im Interesse der Klägerin gegen den Beigeladenen zu verrechnen, bestanden allerdings rechtliche Bedenken gegen einen unmittelbar nach § 54 Abs 5 SGG einklagbaren Rechtsanspruch der Klägerin auf Vornahme der Verrechnung (vgl BSGE 18, 273 = SozR Nr 4 zu § 1299 RVO; Winchenbach, Mitt der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1978, 285, 294; Grüner, Sozialgesetzbuch, SGB I/3 § 52, Anm V; vgl auch Rupp, Juristenzeitung - JZ - 1958, 756 f; 1960, 66 f). Wie bei einem Ersuchen um Amtshilfe müßte zuvörderst der Dienstaufsichtsweg eröffnet und beschritten werden (Dreher, Die Amtshilfe, 1959, S 127; Hanow, Reichsversicherungsordnung 1. Buch, 5. Aufl 1926, § 115 Anm 5; Gurgel in: RVO-Gesamtkommentar, § 115, Anm 2; Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl 1970, § 77 VI e 2; § 5 Abs 5 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976 - BGBl I 1253 -, § 4 Abs 5 Satz 2 SGB 10 vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -). Ob der Beigeladene W sich darauf hätte berufen können, kann jetzt dahingestellt bleiben. Diese Problematik ist nunmehr gegenstandslos.
Nachdem die Versorgungsverwaltung dem Verlangen der klagenden Beitragseinzugsstelle zugestimmt hat, sind die Gerichte allein noch mit der Abwehr des Beigeladenen W befaßt. Er greift die nunmehr vorgesehene Verrechnung in zweifacher Richtung an: einmal als Versorgungsberechtigter unmittelbar gegenüber der Versorgungsverwaltung, weil nach seiner Ansicht diese Zwangsbefriedigung aus verschiedenen Gründen nicht zulässig sei, und zum anderen als beitragsschuldender Arbeitgeber gegenüber der AOK, weil die zu verrechnende Beitragsforderung verjährt sei.
Die Vorinstanzen haben zutreffend die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verrechnung angenommen.
Nach § 52 SGB 1 "kann" der Beklagte, der als Leistungsträger für eine Geldleistung - hier: Renten nach dem BVG - an den Beigeladenen zuständig ist, mit Ermächtigung eines anderen Trägers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten - hier: Beitragsansprüche der klagenden AOK - mit den Rentenleistungen verrechnen, soweit nach § 51 SGB 1 die Aufrechnung zulässig ist. Dieses Können ist als ein Dürfen zu verstehen. Ob und in welchem Umfang der Beklagte von diesem Ermessen Gebrauch machen darf, ist noch nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits (vgl dazu § 52 iVm §§ 51 und 54 Abs 2 und 3 SGB 1, ab 19. August 1980 § 51 Abs 2 idF des Art II § 28 Nr 4 SGB 10 - § 37 Abs 1, § 40 Abs 5 SGB 10 -, wodurch das Urteil in BSGE 45, 271 = SozR 1200 § 51 Nr 3 überholt ist, weshalb der Vorlagebeschluß des 8. Senats vom 31. Januar 1980 - 8a RU 12/78 - zurückgenommen worden ist; vgl auch BSG SozR 1200 § 51 Nr 5). Da insbesondere noch nicht feststeht, ob der Beklagte die Grundrente des Klägers zur Verrechnung heranziehen wird, ist nicht darüber zu befinden, ob dies zulässig wäre (vgl dazu BSGE 48, 217 = SozR 1200 § 54 Nr 3). Nachdem die Versorgungsverwaltung ihren Verrechnungsbescheid aufgehoben hat, hat sie noch nicht erneut entschieden, in welcher Weise sie die Verrechnung vornehmen wird. Streitig ist in diesem Verfahren allein, ob die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, daß der Beklagte überhaupt verrechnen darf. Dies haben die Gerichte vollauf nachzuprüfen. Die Entscheidung über diesen Streitstoff läßt eventuelle Angriffe gegen den Umfang einer noch vorzunehmenden Verrechnung unberührt.
Im Unterschied zur Aufrechnung (§ 51 SGB 1) brauchen die miteinander zu verrechnenden Forderungen nicht gegenseitig zu sein (BSGE 15, 36, 37 f = SozR Nr 1 zu § 1299 RVO). Aber alle sonstigen allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung müssen vorliegen; die beiden Forderungen müssen insbesondere fällig sein (BSG SozR 1200 § 51 Nr 5; BSGE 49, 154, 157 f = SozR 5870 § 17 Nr 1).
Für den Versorgungsanspruch, gegen den verrechnet wird, ist die Fälligkeit (§§ 41, 40 SGB 1) nach dem 1. Januar 1976, dem Tag des Inkrafttretens des SGB 1 (Art II § 23 Satz 1; vgl dazu BSG SozR 2200 § 1299 Nr 1), nicht problematisch.
Daß nach § 51 SGB 1 auch mit Beitragsforderungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1976 aufgerechnet werden darf, hat das Bundessozialgericht in den in BSGE 45, 271 und in SozR 1200 § 51 Nr 5 veröffentlichten Urteilen stillschweigens vorausgesetzt. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend. Die Übergangs- und Schlußvorschriften des SGB 1 (Art II) enthalten keine Einschränkung dahingehend, daß mit Forderungen, die vor dem 1. Januar 1976 entstanden sind, nicht aufgerechnet werden dürfe. Hingegen sind Besonderheiten des Übergangsrechts für die Verjährung, Übertragung, Verpfändung und Pfändung (§§ 45, 53, 54) vorgeschrieben (Art II §§ 17 und 18). Die Aufrechnung ist schließlich kein neuartiges Rechtsinstitut des Sozialrechts, das sich wegen seiner Neuheit zum Schutz der Betroffenen auf beiderseitige Forderungen, die erst nach dem 1. Januar 1976 entstanden sind, beschränken müßte. Vielmehr war schon nach früherem Sozialrecht die Aufrechnung zulässig (vgl die von Grüner, SGB I/3 § 51, Anm I zitierten Vorschriften).
Die Beitragsforderung könnte indessen ungeachtet ihrer Fälligkeit nach früherem Recht und ihrer Durchsetzbarkeit nach Aufhebung des Konkursverfahrens (§§ 163, 164 Konkursordnung -KO-) nicht aufgerechnet und damit nicht verrechnet werden, wenn sie verjährt wäre. Diese Verjährung ist von Amts wegen zu beachten (BSGE 22, 173, 176 ff = SozR Nr 8 zu § 1399 RVO; BSGE 28, 61, 62 = SozR Nr 15 zu § 29 RVO) und wird zudem ausdrücklich vom Beigeladenen W mit seiner Revision eingewendet. Eine Verjährung wäre nur dann unschädlich, wenn der Beitragsanspruch vor seiner Verjährung derjenigen Forderung, gegen die er verrechnet werden soll, gegenübergestanden hätte (Grüner, SGB I/3 § 51, Anm II, 2). Das kommt hier nicht in Betracht.
Die Beitragsforderung der Klägerin ist nicht verjährt; deshalb kann der Beklagte mit ihr verrechnen.
Nach der am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Vorschrift des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB 4 (Art II § 21 Abs 1) verjährten Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit. Diese Bestimmung gilt nach Art II § 15 SGB 4 auch für die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes fällig gewordenen Beitragsansprüche, soweit sie noch nicht verjährt sind. Nach den einschlägigen Vorschriften, die vor dem SGB 4 galten, verjährten Beitragsansprüche, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen worden sind (vgl BSGE 28, 61, 63 f; BSG SozR 2200 § 29 Nrn 1 und 9), in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit (§ 29 Abs 1 RVO aF, § 205 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- aF, § 179 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- aF).
Abweichend davon verjährt aber der Beitragsanspruch der Klägerin entsprechend § 218 Abs 1 Satz 2 iVm Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erst in 30 Jahren, denn er ist durch die Feststellung in der Konkurstabelle vollstreckbar geworden. Diese Regelung gilt nach Satz 1 auch dann, wenn die Forderung an sich einer kürzeren Verjährungsfrist unterliegt. § 218 BGB war in der Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB 4 auch auf Beitragsforderungen der Versicherungsträger, die derart vorschriftsmäßig festgestellt waren, entsprechend anwendbar. Wenn sozial- und damit öffentlich-rechtliche Forderungen ebenso wie privatrechtliche im Konkursverfahren angemeldet und festgestellt werden können, so müssen sie um der Einheit der Rechtsordnung willen konsequenterweise aufgrund der unanfechtbaren Aufnahme in die Konkurstabelle in gleicher Weise wie privatrechtliche Ansprüche verjähren. Da nach § 220 Abs 1 BGB auf Forderungen, die vor einem Verwaltungsgericht oder einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen sind, ua § 218 BGB entsprechend anzuwenden ist, ist damit klargestellt, daß diese Verjährungsvorschrift überhaupt auch für öffentlich-rechtliche Forderungen gelten kann. Gleiches trifft auf sozialrechtliche zu, über die im Streitfall die Sozialgerichte als besondere Verwaltungsgerichte (§ 1 SGG) entscheiden. Mit der Vollstreckbarkeit eines solchen Anspruches - hier kraft der unwidersprochenen Feststellung in der Konkurstabelle - sind die Gründe für eine kürzere Verjährungsfrist entfallen. Die Schutzfunktion einer kurzen Verjährung, die Rechtsunsicherheit zu beseitigen und Rechtsverhältnisse alsbald endgültig zu ordnen sowie eine Verdunklung der Sachverhaltensaufklärung zu verhindern, ist überflüssig geworden, sobald eine Forderung als vollstreckbar festgestellt und insoweit der Rechtsfrieden hergestellt ist (von Feldmann in: Münchner Kommentar zum BGB, Allgemeiner Teil, § 218, Rz 1; Wölfel, Beiträge 1965, 354, 361). Besonderheiten des Sozialrechts gebieten keinen Ausschluß des § 218 BGB in Fällen dieser Art. Auch im Privatrecht werden die Gesichtspunkte, die kürzere Verjährungsfristen zum Schutz des Schuldners rechtfertigen, mit der vollstreckbaren Feststellung gegenstandslos, wie § 218 Abs 1 Satz 1 BGB ausdrücklich klarstellt (vgl dazu Staudinger/Dilcher, Kommentar zum BGB, 12. Aufl 1980, § 218, Rz 7 unter Hinweis auf RGZ 10, 234). Damit ist § 29 RVO aF (§ 25 SGB 4) keine vorrangige Sondervorschrift gegenüber § 218 BGB. Wenn die neue Regelung des § 25 Abs 2 Satz 1 SGB 4, die allerdings für die primäre Verjährung der gegen den Beigeladenen W zu verrechnenden Beitragsforderung noch nicht gilt, ausdrücklich nur bürgerlich-rechtliche Vorschriften über Hemmung, Unterbrechung und Wirkung der Verjährung für entsprechend anwendbar erklärt, so ist damit die Geltung der übergreifend bedeutsamen Bestimmung des § 218 Abs 1 BGB im Sozialrecht nicht ausgeschlossen. § 52 Abs 2 SGB 10, der mit § 53 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz übereinstimmt, stellt für die Zukunft ausdrücklich klar, daß § 218 BGB für unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte entsprechend gilt. Damit wird ein allgemeiner Rechtsgedanke bestätigt, für dessen Geltung in der Vergangenheit die hier aufgeführten Gründe sprechen. Schließlich entfällt in Fällen wie dem gegenwärtigen nicht etwa deshalb ein Bedürfnis des Gläubigers für eine dreißigjährige Verjährungsfrist, weil ihm genügend Mittel zur Unterbrechung offen ständen (anderer Ansicht Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I/1, S 202a). Die Unterbrechung entsprechend den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (BSGE 39, 223, 230 = SozR 2200 § 172 Nr 2; jetzt: § 25 Abs 2 Satz 1 SGB 4), zB durch einen Beitragsbescheid (BSG SozR Nr 22 zu § 29 RVO; 2200 § 29 Nr 13; jetzt: § 25 Abs 2 Satz 2 SGB 4), wirkt nur bis zum Ende eines sich anschließenden Verfahrens (§§ 211 und 214 BGB). In dem umfangreichen Schrifttum, in dem § 218 BGB für das Sozialrecht als unanwendbar angesehen wird (vgl zB Hinweise bei Grüner, SGB IV.1/3 § 25, Anm II, 1, S 5 f, und in BSGE 28, 63) ebenso wie in der entsprechenden Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (zitiert in BSGE 28, 63) fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit den für den erkennenden Senat maßgebenden Gründen. Auch die Entscheidung des 3. Senates des Bundessozialgerichts in BSGE 28, 61 geht auf diese Gesichtspunkte nicht ein. Der erkennende Senat weicht indes von ihr nicht mit der Folge ab, daß er den Großen Senat anrufen müßte (§ 42 SGG); denn der 3. Senat hat § 218 Abs 1 BGB allein bei Forderungen, die die Verwaltung zur Vollstreckung in ein Ausstandsverzeichnis eingetragen hat, für unanwendbar erklärt (BSGE 28, 63). Dies mag damit zu rechtfertigen sein, daß die dreißigjährige Verjährung nach § 218 BGB nicht eintritt, falls ein Titel einseitig vom Gläubiger hergestellt werden kann (vgl auch von Feldmann, aaO, Rz 2; Staudinger/Dilcher, aaO Rz 5). Die zur Konkurstabelle angemeldete Forderungen werden aber auf einen Widerspruch hin von einem unabhängigen Gericht überprüft (§ 144 KO) und nur dann vollstreckbar, wenn sie nicht bestritten sind (§ 164 Abs 2 KO).
Da mithin die Forderung der Klägerin gegen den Beigeladenen W verrechenbar ist, muß seine Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60437 |
RegNr, 8898 |
USK 80274 (ST1, LT1) |
ZfSH 1981, 344-345 (LT1) |
EzS, 50/61 |
SozR 2200 § 29, Nr 14 (LT1) |