Entscheidungsstichwort (Thema)

Spanier. Arbeitsloser. Arbeitsuche im Heimatland. Sozialversicherungsansprüche bei Auslandsaufenthalt. Bezug von Arbeitslosengeld. Drei-Monats-Frist-Bezug von Arbeitslosengeld. Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Verlegung des dauernden Aufenthalts ins Ausland. Fehlen des Rückkehrwillens. Verlängerung der Drei-Monats-Frist. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Krankengeld

 

Leitsatz (amtlich)

  • Arbeitslose Arbeitnehmer, die auf unbestimmte Dauer in ihr Heimatland zurückkehren, um sich dort eine Arbeit zu suchen, verlieren nach Ablauf von drei Monaten den Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland.
  • Eine Verlängerung der Drei-Monats-Frist ist in derartigen Fällen ausgeschlossen.
 

Normenkette

SGB I § 30 Abs. 1-2, § 37; SGB V § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 44; EWGV 1408/71 Art. 69, 25 Abs. 4, Art. 22 Nr. 1b; AFG §§ 103, 155; EWGVtr Art. 177

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.11.1993; Aktenzeichen L 16 Kr 44/93)

SG Duisburg (Urteil vom 08.02.1993; Aktenzeichen S 21 Kr 41/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse (KK) dem Kläger für die Zeit ab 21. Oktober 1990 Krankengeld gewähren muß.

Der Kläger ist spanischer Staatsbürger. Er bezog bis zum 20. Oktober 1990 Arbeitslosengeld (Alg). Als Bezieher dieser Leistung war er Mitglied der Beklagten. Nach seinen eigenen Angaben befindet er sich seit dem 21. Juli 1990 “für immer” wieder in seinem Heimatland. Am 9. September 1990 erkrankte er in Spanien und war seitdem arbeitsunfähig. Am 31. Januar 1991 beantragte er bei der Beklagten die Zahlung von Krankengeld unter Übersendung ärztlicher Bescheinigungen des spanischen Versicherungsträgers, aus denen sich seine Arbeitsunfähigkeit seit dem 9. September 1990 ergibt. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens wurden weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 31. Januar 1992 eingereicht. Die Beklagte lehnte die Krankengeldzahlung mit der Begründung ab, bei Auslandsaufenthalt ruhe der Leistungsanspruch (Bescheid vom 2. Dezember 1991 und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 1992).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Februar 1993). Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1993). In den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts wird ua ausgeführt: Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit ab 21. Oktober 1990 zu. Nach Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Satz 1 Buchst c der Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 erhalte ein Arbeitsloser bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen Leistungen aus der deutschen Arbeitslosenversicherung für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten. Diese Leistungen habe der Kläger bis zum 20. Oktober 1990 bezogen. Zwar könne nach Art 25 Abs 4 1. Halbs EWGV Nr 1408/71 die Beklagte als der zuständige Träger den in Abs 1 genannten Zeitraum in Fällen höherer Gewalt bis zur Höchstdauer (beim Krankengeld bis zu 78 Wochen) verlängern. Die Beklagte sei jedoch daran gehindert. Ihr Ermessen sei nämlich auf Null reduziert mit der Folge, daß nur eine ermessensfehlerfreie und damit rechtmäßige Entscheidung von ihr getroffen werden könne, nämlich die Ablehnung der Verlängerung. Denn der Kläger habe nicht die Absicht gehabt, innerhalb der Frist von drei Monaten bei eventuell erfolgloser Arbeitsuche in Spanien überhaupt nach Deutschland zurückzukehren. Unabhängig von dem unbestimmten Erfolg seiner Arbeitsuche habe er Deutschland am 21. Juli 1990 endgültig verlassen. In einem solchen Falle sei eine Verlängerung der in Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV Nr 1408/71 festgelegten Drei-Monats-Frist für das Aufrechterhalten und die Mitnahme von in Deutschland erworbenen Leistungsansprüchen in das Ausland ausgeschlossen, weil nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift die Frist lediglich für eine Übergangszeit verlängert werden dürfe. Eine solche Übergangszeit und damit überhaupt erst die Möglichkeit für eine Ermessensausübung durch die Beklagte komme von vornherein in den Fällen nicht in Betracht, in denen von Anfang an eine endgültige Rückkehr in die Heimat beabsichtigt und auch tatsächlich erfolgt sei. Art 25 Abs 4 2. Halbs EWGV Nr 1408/71, wonach innerstaatliche Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates, die die Gewährung von Leistungen bei Krankheit während eines längeren Zeitraumes erlaubten, unberührt blieben, führe ebenfalls nicht zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis. Entgegen seiner Auffassung könne diese Vorschrift nicht so ausgelegt werden, daß der Kläger, obwohl er sich seit dem 21. Juli 1990 auf Dauer in Spanien aufhalte, Leistungen zu erhalten habe, als hätte er sich noch in Deutschland aufgehalten. Für eine solche Auslegung gäben sowohl der Wortlaut wie auch der Sinn und Zweck der genannten Vorschrift nichts her. Die innerstaatlichen deutschen Rechtsvorschriften erlaubten im übrigen für den Kläger keinen Anspruch auf Krankengeld ab 21. Oktober 1990. Denn aufgrund seines Auslandsaufenthalts ruhe sein Anspruch auf Krankengeld gemäß § 16 Abs 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Auch die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 16 Abs 4 SGB V seien nicht gegeben. Denn die beklagte KK habe dem Auslandsaufenthalt des Klägers nicht zugestimmt. Der Kläger könne die Erteilung einer solchen Zustimmung auch nicht beanspruchen. Denn es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund und mit welchen Erwägungen die Beklagte gerade in diesem Fall dem tatsächlichen und von Anfang an geplanten, endgültigen und dauerhaften Auslandsaufenthalt zustimmen sollte.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 und macht ua geltend: Nach Auffassung der Vorinstanzen sei diese Vorschrift nur anzuwenden, wenn das jeweilige Nationalrecht die Gewährung von Leistungen auch bei Auslandsaufenthalt vorsehe. Das sei aber bei Anwendung von § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht der Fall. Bei dieser Auslegung käme Art 25 EWGV Nr 1408/71 nicht zum Zuge, denn entweder sehe das Nationalrecht die Gewährung von Leistungen bei Auslandsaufenthalt vor, so daß auch ohne Art 25 EWGV Nr 1408/71 das Krankengeld zu gewähren wäre, oder die Leistung werde nur bei Inlandsaufenthalt gewährt, so daß Art 25 EWGV auch dann nichts nütze. Dies wolle die Vorschrift jedoch verhindern. Sinn und Zweck der Norm sei es, die bei Inlandsaufenthalt zu gewährenden Leistungen auch bei Aufenthalt in einem anderem Mitgliedstaat zu garantieren. Eine andere Auslegung des Art 25 EWGV Nr 1408/71 würde gegen den in Art 48 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGVtr; nunmehr “Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft” ≪EGVtr≫; vgl Gesetz zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union ≪BGBl II, 1251≫) aufgestellten Grundsatz der Freizügigkeit verstoßen. Der Wanderarbeitnehmer habe das Recht, eine Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat zu suchen, ohne daß dadurch seine Rechte auf soziale Sicherheit beeinträchtigt würden. Wäre der Revisionskläger in Deutschland geblieben, so hätte er unstreitig Anspruch auf Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gehabt. Nur weil er sich im Rahmen der im EGVtr garantierten Freizügigkeit in einen anderen Mitgliedstaat begeben habe, um dort eine Arbeit zu suchen, würden die ihm sonst zustehenden Leistungen versagt. Mit dem Grundsatz der Freizügigkeit sei das nicht zu vereinbaren. Dem stehe nicht entgegen, daß Art 69 EWGV Nr 1408/71 für das Alg eine Bezugsdauer von drei Monaten vorsehe. Bei Arbeitsunfähigkeit gelte dagegen der Grundsatz der unbeschränkten Freizügigkeit, wie sich dies ua aus Art 22 Abs 1 Buchst b sowie Abs 2 EWGV Nr 1408/71 ergebe. Im übrigen habe die Revisionsbeklagte von ihrem Ermessen nach § 16 Abs 4 SGB V keinen Gebrauch gemacht. Sie wäre auch verpflichtet gewesen, bei beabsichtigter Ablehnung der Leistungen wegen Auslandsaufenthalt über die Folgen des § 16 SGB V aufzuklären. Dementsprechend stehe ihm zumindest im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Krankengeld zu.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Februar 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger das Krankengeld ab 21. Oktober 1990 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanz ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger für die Zeit ab 21. Oktober 1990 Krankengeld nicht zusteht.

1. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht schon an der Vorschrift des § 30 Abs 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I). Danach gelten die Vorschriften des SGB für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der Kläger hat zwar nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, seinen Wohnsitz schon vor dem hier streitigen Zeitraum nach Spanien verlegt. Denn nach seinen eigenen Angaben will er seit dem 21. Juli 1990 “für immer” wieder in seinem Heimatland leben. Ein dauernder Aufenthalt im Ausland schließt aber Leistungen aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Sozialversicherungsansprüche nicht generell aus. So können Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts etwas anderes vorsehen (§ 30 Abs 2 SGB I; vgl dazu Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch – SGB I – Allgemeiner Teil, Komm, K § 30 RdNrn 12 ff; Seewald in KassKomm § 30 RdNrn 2 und 3; von Maydell in Schulin HS-KV § 64 RdNrn 78 ff). Auch aus den besonderen Teilen des SGB kann sich Abweichendes ergeben (§ 37 SGB V). Auf das SGB V kann der Kläger jedoch seinen Anspruch nicht stützten.

Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit im SGB nichts Abweichendes bestimmt ist. Für den Anspruch auf Krankengeld enthält § 16 SGB V in seinem Abs 4 zwar eine Ausnahmeregelung. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der KK im Ausland aufhalten.

Der Senat konnte die Frage, ob die genannten Regelungen des § 16 SGB V auch für den dauernden Aufenthalt gelten (vgl dazu Peters in KassKomm, § 16 SGB V RdNr 6; Mengert in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V § 16 RdNr 25; Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Komm, § 16 SGB V RdNr 17) und – wenn ja – ob der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung der Beklagten zu seinem dauernden Aufenthalt in Spanien hat, offenlassen. Denn im vorliegenden Fall gelten die Vorschriften der EWGV Nr 1408/71, die hinsichtlich der Krankengeldgewährung in das EG-Ausland einschlägige Sondervorschriften enthalten und insoweit – kraft Vorrangs des EG-Rechts – die innerstaatlichen Rechtsvorschriften verdrängen. Der Kläger hat sich mit Zustimmung der Bundesanstalt für Arbeit in sein Heimatland auf Arbeitsuche begeben. Insoweit greift mit Art 69 EWGV Nr 1408/71 eine eigenständige überstaatliche Anspruchsnorm ein, die die innerstaatlich erworbenen Ansprüche auf Alg fortbestehen läßt, allerdings nach Ablauf der in dieser Regelung vorgesehenen Drei-Monats-Frist endgültig wegfallen läßt (vgl Art 69 Abs 2 EWGV Nr 1408/71). Soweit in dem Wegfall des Anspruchs zugleich ein Eingriff in das innerstaatliche Recht liegt, ist dieser damit zu rechtfertigen, daß es dem arbeitslosen Arbeitnehmer freisteht, ob er von seinem Mitnahmerecht Gebrauch macht oder darauf verzichtet (vgl dazu auch EuGH SozR 6050 Art 69 Nr 6). Macht der Versicherte von der Möglichkeit des Art 69 EWGV Nr 1408/71 nicht Gebrauch und begibt er sich ohne Zustimmung der Arbeitsverwaltung des bisherigen Beschäftigungsstaates in einen anderen Mitgliedstaat, hätte dies beim Anspruch auf Alg die Folge, daß er den Leistungsanspruch wegen fehlender Verfügbarkeit (vgl § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫) sogleich verlöre, der Anspruch allerdings bei Rückkehr ohne weiteres wieder aufleben würde, ohne daß der Arbeitslose insoweit an die Drei-Monats-Frist gebunden wäre (Wiegand, Das europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, Art 69 RdNr 6). Da im vorliegenden Fall der Kläger von seinem Mitnahmerecht nach Art 69 EWGV Nr 1408/71 Gebrauch gemacht hat, kommt auch ein Anspruch auf Krankengeld nur in Betracht, wenn er die Voraussetzungen der im EG-Recht getroffenen Sonderregelungen für arbeitslose Arbeitnehmer erfüllt, die während der Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat erkranken und arbeitsunfähig werden (vgl Art 25 EWGV Nr 1408/71). Ein Anspruch auf Krankengeld kann in diesem Fall auch nicht allein aus dem nationalen Recht begründet sein. Denn die §§ 16 ff SGB V setzen für einen Leistungsbezug im Ausland eine inländische Versicherung voraus. Für arbeitslose Arbeitnehmer wäre dies nicht der Fall, wenn Art 69 EWGV Nr 1408/71 nicht – abweichend vom nationalen Recht – die Weiterzahlung von Alg für drei Monate vorsähe, obwohl der Arbeitslose in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung seines bisherigen Beschäftigungsstaats nicht zur Verfügung steht.

2. Dem Kläger steht aber auch nach Art 25 EWGV Nr 1408/71 für die streitige Zeit Krankengeld nicht zu. Nach Abs 1 der genannten Vorschrift erhält ua ein arbeitsloser Arbeitnehmer, auf den Art 69 Abs 1 EWGV Nr 1408/71 Anwendung findet und der die nach den Vorschriften des zuständigen Staates erforderlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Sach- und Geldleistungen erfüllt, während des in Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV Nr 1408/71 vorgesehenen Zeitraums Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit darüber, daß der Kläger während der ersten drei Monate seines Aufenthalts in Spanien die Voraussetzungen des Art 25 Abs 1 EWGV Nr 1408/71 erfüllte und bei Erkrankung Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung gehabt hat. Denn er gehörte zu dem in Art 69 Abs 1 EWGV Nr 1408/71 aufgeführten Personenkreis. Deshalb hat ihm auch die Bundesanstalt für Arbeit für die ersten drei Monate seines Spanienaufenthaltes Alg gewährt.

Für die Zeit ab 21. Oktober 1990 könnte der Kläger aufgrund der bei ihm am 9. September 1990 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit die Zahlung von Krankengeld nur verlangen, wenn die beklagte KK verpflichtet wäre, den Drei-Monats-Zeitraum gemäß Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 zu verlängern. Das ist jedoch nicht der Fall. Zu Recht hat das LSG darauf abgestellt, daß eine Verlängerung nach Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Kläger die Bundesrepublik Deutschland am 21. Juli 1990 endgültig verlassen hat und nicht beabsichtigt, in den bisherigen Beschäftigungsstaat zurückzukehren. Die Verlängerung der Drei-Monats-Frist ist nach Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 nur möglich “in Fällen höherer Gewalt”, dh wenn der Arbeitslose durch “höhere Gewalt” an der Rückkehr in den bisherigen Beschäftigungsstaat gehindert ist. Hat sich der Arbeitslose – wie hier – auf Dauer in einen anderen Mitgliedstaat begeben und fehlt damit der Rückkehrwille, so ist die Grundvoraussetzung für eine Verlängerung nicht gegeben und die Anwendung des Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 kommt schon deshalb nicht in Betracht.

Auch auf Art 25 Abs 4 2. Halbsatz EWGV Nr 1408/71 kann die Klage nicht mit Erfolg gestützt werden. Danach bleiben innerstaatliche Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die die Gewährung von Leistungen bei Krankheit während eines längeren Zeitraums vorsehen, unberührt. Mit diesen Vorschriften sind aber – wie sich aus Art 69 Abs 2 EWGV Nr 1408/71 ergibt – nicht die Normen des bisherigen Beschäftigungsstaats gemeint, sondern die anderer EG-Mitgliedstaaten (vgl dazu schon den Vorlagebeschluß des Senats vom 15. Juli 1993 – 1 RK 20/92 – SGb 1994, 25, 29).

Zwar hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bisher zur Auslegung der Vorschrift des Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 keine Entscheidung getroffen. Der erkennende Senat sieht sich gleichwohl nicht verpflichtet, gemäß Art 177 EGVtr den EuGH zur Vorabentscheidung der hier zu entscheidenden Frage anzurufen. Denn zu der Vorschrift des Art 69 Abs 2 Satz 2 EWGV Nr 1408/71, die der zuständigen Arbeitsverwaltung oder dem zuständigen Träger die Befugnis einräumt, in Ausnahmefällen die Drei-Monats-Frist zu verlängern, liegen schon mehrere Entscheidungen des EuGH vor. In ihnen (vgl EuGHE 1979, 991, 998 = SozR 6050 Art 69 Nr 3; EuGHE 1980, 1979, 1997 f = SozR 6050 Art 69 Nr 6) wird die Möglichkeit der Verlängerung davon abhängig gemacht, daß bestimmte Gründe für die nicht fristgerechte Rückkehr maßgeblich sind. Auch der EuGH geht somit davon aus, daß der Arbeitslose zur Rückkehr in den früheren Beschäftigungsstaat an sich bereit sein muß und daß die Drei-Monats-Frist nur verlängert werden kann, wenn der Arbeitslose durch von ihm nicht zu beeinflussende Umstände an der Rückkehr gehindert ist (vgl dazu auch den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 15. Juli 1993, aaO, S 28 f). Dafür, daß bezüglich des Rückkehrwillens zwischen Art 69 Abs 2 Satz 2 und Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 Unterschiede zu machen wären, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Im übrigen hat die Verlängerung einer bestimmten Frist, in der eine bestimmte Handlung – hier: die Rückkehr in den bisherigen Beschäftigungsstaat – vorgenommen werden soll, nur Sinn, wenn auch die Bereitschaft zur Vornahme dieser Handlung besteht. Will der Arbeitslose – wie im vorliegenden Fall – ohne Rücksicht auf den Erfolg seiner Arbeitsuche nicht in den bisherigen Beschäftigungsstaat zurückkehren, dann besteht nach dem Sinn und Zweck der Verlängerungsvorschriften des Art 69 Abs 2 Satz 2 und Art 25 Abs 4 EWGV Nr 1408/71 auch kein Grund, die Frist zu verlängern. Schließlich hat der EuGH Bedenken gegen die begrenzte Dauer des Leistungsexports in Art 69 EWGV, die sich aus den Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ergeben könnten, in ständiger Rechtsprechung verworfen (SozR 6050 Art 69 Nr 6 sowie SozR 3-6050 Art 69 Nr 4 und Art 67 Nr 1). Da dies auch Bedeutung für die Auslegung des Art 25 EWGV hat, sieht der Senat auch insoweit keine Veranlassung, den EuGH zur Vorabentscheidung anzurufen.

Auch soweit der Kläger sich auf Art 22 Abs 1b EWGV Nr 1408/71 beruft, kann die Revision keinen Erfolg haben. Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Art 22 Abs 1b EWGV Nr 1408/71 erhält einem Arbeitnehmer den Leistungsanspruch nämlich nur, wenn er mit Genehmigung des zuständigen Trägers einen Wohnortwechsel in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats vornimmt, nachdem er zu Lasten des zuständigen Trägers leistungsberechtigt geworden ist. Der Kläger war aber erst nach seiner Rückkehr nach Spanien arbeitsunfähig und damit leistungsberechtigt geworden. Im übrigen hatte die Beklagte ihm auch nicht vor seiner Rückkehr eine entsprechende Genehmigung erteilt.

Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 921713

AusR 1995, 10

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