Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der im Jahr 1940 geborene H… A… T… (Versicherter) heiratete im Jahr 1969 die Klägerin. Die Ehe wurde im Jahr 1970 aus dem Verschulden des Mannes geschieden. Im Jahr 1971 heiratete der Versicherte die Beigeladene. Er ist am 20. Juni 1978 gestorben. Die Beklagte zahlte der Beigeladenen Witwenrente.
Im August 1978 beantragte die Klägerin Rente nach § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Februar 1980 den Antrag ab, weil die Voraussetzungen des Satzes 1 des § 1265 RVO nicht vorlägen und Satz 2 wegen der Zahlung einer Witwenrente nicht anzuwenden sei.
Mit der im März 1980 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, den Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente nach § 1265 RVO zu gewähren.
Die Beigeladene heiratete im Oktober 1980 erneut, worauf die Beklagte die Zahlung der Witwenrente einstellte und ihr nach § 1302 Abs. 1 RVO a.F. eine Witwenrentenabfindung in Höhe des Fünffachen des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente zahlte.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) nur noch beantragt, ihr Rente für die Zeit vom 1. November 1980 an zu zahlen. Das SG hat mit Urteil vom 22. September 1982 diesem Antrag entsprochen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 RVO seien erfüllt. Die Beigeladene habe wegen ihrer Wiederheirat keinen Anspruch auf Witwenrente über Oktober 1980 hinaus. Die der Beigeladenen gewährte Abfindung sei kein Ersatz für die weggefallene Witwenrente; sie könne deshalb hier nicht berücksichtigt werden. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. April 1982 - 1 RJ 84/80 - werde verwiesen.
Mit der Revision, der die Zustimmungserklärung der Klägerin beigelegen hat, trägt die Beklagte vor: Einer der drei Leitgedanken des Gesetzgebers bei der Einführung des Satzes 2 zu § 1265 RVO sei gewesen, daß der Versicherungsträger nach dem Tode eines Versicherten, der wiederholt verheiratet war, insgesamt nur durch eine einzige Witwenrente an hinterbliebene ehemalige Ehefrauen belastet werden solle. Gegen diesen Gedanken verstoße das angefochtene Urteil; es weiche auch von mehreren früheren Urteilen des BSG ab. Das Urteil des BSG vom 27. April 1982 betreffe eine andere Rechtsfrage. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Auf den Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 22. Dezember 1982 wird Bezug genommen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Auf Anfrage des erkennenden Senats hat der 1. Senat des BSG erklärt, er halte an der im Urteil vom 28. November 1969 - 1 RA 53/69 - vertretenen Auffassung nicht fest, daß der Anspruch der früheren Ehefrau auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 RVO nicht vor Ablauf von fünf Jahren seit Wegfall der Witwenrente entstehen kann, wenn die wiederverheiratete Witwe eine Witwenrentenabfindung erhalten hat.
Entscheidungsgründe
II.
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden, die Klägerin hat für die Zeit vom 1. November 1980 an einen Anspruch auf die Rente nach § 1265 Satz 2 RVO.
Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Rente unter anderem dann, wenn "eine Witwenrente nicht zu gewähren" ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
Nach der mit Wirkung vom 1. Juli 1965 erfolgten Anfügung des Satzes 2 an § 1265 RVO durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) hat zunächst der 11. Senat im Jahr 1968 offengelassen, ob im Sinn der neuen Vorschrift eine Witwenrente auch dann nicht zu gewähren sei, wenn die Witwe sich wieder verheirate und ihre Witwenrente deshalb wegfalle - gegebenenfalls abgefunden werde und später wieder auflebe - (BSGE 28, 88, 92 = SozR Nr. 43 zu § 1265 RVO). Dann hat im Jahr 1969 der 12. Senat entschieden, daß der Anspruch der früheren Ehefrau erst nach Ablauf von fünf Jahren seit der Wiederheirat der Witwe entstehe. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Gesetzgeber des RVÄndG habe sich von der dreifachen Absicht leiten lassen, einmal die Rechtsstellung der früheren Ehefrau des Versicherten zu verbessern, zum anderen diese Verbesserung aber nicht auf Kosten der Witwe des Versicherten gehen zu lassen und schließlich an dem Grundsatz festzuhalten, daß der Versicherungsträger und damit die Versichertengemeinschaft nach dem Tode eines Versicherten, der wiederholt verheiratet war, insgesamt nur durch eine einzige Witwenrente an hinterbliebene ehemalige Ehegatten belastet werden soll. Der letzte Leitgedanke würde nicht beachtet, wenn der Versicherungsträger bei Wiederheirat der Witwe sowohl das Fünffache des Jahresbetrages der Witwenrente als auch - sofort beginnend - die ungekürzte Rente nach § 1265 RVO zahlen müßte. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, der früheren Ehefrau des Versicherten vor Ablauf von fünf Jahren seit der Wiederheirat, der Witwe Hinterbliebenenrente zu gewähren (BSGE 29, 296, 299 = SozR aaO Nr. 50). Eine Änderung der Rechtsprechung ist eingetreten durch das Urteil des 1. Senats des BSG vom 27. April 1982 - 1 RJ 84/80 - (BSGE 53, 235, 239 = SozR 2200 § 1268 Nr. 20). Dieses betrifft zwar eine andere Vorschrift, nämlich § 1268 RVO, und einen anderen Lebenssachverhalt, aber letztlich doch die gleiche Grundfrage: Nach dem Tode des Versicherten war sowohl der Witwe die Witwenrente als auch der früheren Ehefrau, die Rente nach § 1265 RVO gewährt worden; nach der Wiederheirat der Witwe und der Zahlung einer Abfindung begehrte die frühere Ehefrau, ihr nunmehr - sofort - die Rente nach § 1265 RVO in voller Höhe, also nicht mehr anteilig gekürzt, zu gewähren. Der 1. Senat hat dem entsprochen. Er hat die Begründung auf die Vorschrift des § 1268 Abs. 4 RVO abgestellt, der die jeweils anteilige Gewährung von Witwen- und Geschiedenen-Witwenrente behandelt.
Der erkennende Senat führt diese Rechtsprechung des 1. Senats fort und wendet sie auch auf § 1265 Satz 2 RVO an. Danach kann die Anspruchsvoraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO, daß "eine Witwenrente nicht zu gewähren" sei, auch in der Zeit von fünf (jetzt zwei) Jahren nach der Wiederheirat der Witwe und der Zahlung einer Witwenrentenabfindung erfüllt werden.
Die Abfindung nach § 1302 RVO ist keine Kapitalabfindung oder Rentenvorauszahlung, sondern eine einmalige Leistung besonderer Art. Der Anspruch auf Witwenrente geht durch die Wiederheirat unter. Damit fällt eine "Berechtigte" i.S. des § 1268 Abs. 4 RVO weg mit der Folge, daß an die noch übrigbleibende Berechtigte die volle Witwenrente zu zahlen ist. Dieser Grundsatz muß auch für § 1265 Satz 2 RVO gelten: Wenn ein Anspruch auf Witwenrente wegfällt, dann ist "eine Witwenrente nicht zu gewähren". Eine unterschiedliche Behandlung der Abfindung im Rahmen des § 1268 Abs. 4 RVO und des § 1265 Satz 2 RVO erscheint um so weniger gerechtfertigt, als die geschiedene Ehefrau keine Abfindung erhalten hat, der Witwe dagegen für den Wegfall der Rente im Wege der Abfindung ein wirtschaftlicher Gegenwert zugeflossen ist. Weiter ist aber zu beachten, daß nach § 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO eine bei Wiederverheiratung weggefallene Witwenrente - bei rechtzeitiger Antragstellung - sofort wiederauflebt, wenn die neue Ehe der Witwe aufgelöst wird. Das gilt auch dann, wenn die neue Ehe innerhalb des Abfindungszeitraumes aufgelöst wird und die Witwe die Witwenrentenabfindung erhalten hatte. Steht aber bei der Witwe die Abfindung dem Wiederaufleben des Rentenanspruchs nicht entgegen, kann diese Kapitalzahlung der früheren Ehefrau erst recht nicht entgegengehalten werden.
Die frühere Rechtsprechung des BSG steht dieser Entscheidung nicht mehr entgegen. Der 1. Senat hat die im Urteil vom 28. November 1969 vertretene Auffassung aufgegeben. Die Beantwortung der hier interessierenden Rechtsfrage im Urteil des 11. Senats (BSGE 30, 208) hat die Entscheidung nicht - im Sinn des Beschlusses des Großen Senats (GrS) BSGE 51, 23, 25 - getragen. Die Zuständigkeit des 12. Senats für das Leistungsrecht der Rentenversicherung ist auf andere Senate übertragen worden, so daß auch insoweit eine Anrufung des GrS nicht erforderlich ist (BSGE 42, 49, 53 f.).
Die Revision der Beklagten war sonach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen