Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenzahlung nach dem Tod des Leistungsberechtigten. Überweisungen eines gesetzlichen Betreuers vom Konto des verstorbenen Betreuten in Unkenntnis von dessen Tod
Leitsatz (amtlich)
Ein gerichtlich bestellter Betreuer, der in Unkenntnis des Todes des Betreuten über die zu Unrecht gezahlte Rente zugunsten Dritter verfügt, kann vom Rentenversicherungsträger nicht auf Erstattung in Anspruch genommen werden.
Orientierungssatz
Durch die Fiktion des Fortbestehens der Vertretungsbefugnis eines Betreuers im Fall seiner Unkenntnis von der Beendigung der Betreuung wird für den Betreuer nach § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB keine neue gesetzliche Vertretungsmacht für die Erben begründet. Vielmehr wird ausschließlich seine Vertretungsmacht als Betreuer als fortbestehend fingiert. Daher sind die von dem Betreuer nach dem Tod des Betreuten getätigten Kontoverfügungen zwar auch gegenüber den Erben des Betreuten wirksam, ihnen aber nicht wie eigene Verfügungen iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB 6 zuzurechnen.
Normenkette
SGB VI § 118 Abs. 4 S. 1; BGB §§ 179, 1698a Abs. 1 S. 1, § 1893 Abs. 1, § 1908i Abs. 1 S. 1, § 1960
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 844,66 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Rentenleistung.
Der Versicherte (V) bezog seit Dezember 1993 von der Beklagten Altersrente, die zuletzt auf sein Konto bei der B. Landesbank (LB) überwiesen wurde. Die Klägerin war seit Juni 2010 gerichtlich bestellte Betreuerin des V mit dem Aufgabenkreis ua der Vermögenssorge. Am 28.10.2010 verstarb V. Am 29.10.2010 ging die Rente iHv 895,68 Euro für den Monat November 2010 auf dem Konto des V ein, das sich zuvor mit 2943,40 Euro im Soll befunden hatte. Noch am selben Tag überwies die Klägerin von diesem Konto Beträge von 144,47 Euro und 712,81 Euro an Dritte. Die Klägerin erfuhr am 1.11.2010 vom Tod des V und teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom selben Tag mit.
Auf das Rückforderungsersuchen der Beklagten teilte die LB mit Schreiben vom 23.11.2010 mit, nur einen Betrag von 39,48 Euro rückerstatten zu können, weil das Konto des V keine ausreichende Deckung aufweise.
Nach Anhörung forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 3.3.2011 nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI einen Betrag von 844,66 Euro. Die Klägerin sei Verfügende iS dieser Bestimmung. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.6.2011 zurück.
Das SG hat der Klage durch Urteil vom 26.2.2013 stattgegeben und die Bescheide aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 26.2.2016 zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht als Verfügende iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI gehandelt, als sie am 29.10.2010 die beiden Überweisungen vom Konto des V getätigt habe. Denn im Fall einer rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertretung sei grundsätzlich nicht der Vertreter, sondern der Vertretene Verfügender im Sinne dieser Vorschrift (Hinweis auf BSG Beschluss vom 12.12.2002 - B 4 RA 44/02 R - Juris). Vorliegend müssten die Erben des V die beiden Überweisungen gegen sich gelten lassen. Sie seien daher Verfügende iS von § 118 Abs 4 S 1 SGB VI. Mit dem Tod des Betreuten werde kraft Gesetzes ein neues Vertretungsverhältnis - zwischen Betreuer und Erben - begründet, das solange fortbestehe, bis der Betreuer vom Tod des Betreuten Kenntnis habe oder sie hätte haben müssen. Die Klägerin wäre nur dann Verfügende iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI, wenn sie trotz Kenntnis bzw Kennenmüssens vom Tod des V die Überweisung vorgenommen hätte, sie also bösgläubig gewesen wäre. Da die Erben des V als Erstattungspflichtige nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in Betracht kämen, seien die Rechte der Beklagten hinreichend gewahrt.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI. Die Klägerin könne als Verfügende iS dieser Bestimmung in Anspruch genommen werden. Die zur Nachlasspflegschaft ergangene Rechtsprechung des BSG sei auf den Fall der Betreuung nicht übertragbar. Im Gegensatz zum Nachlasspfleger sei der Betreuer nicht gesetzlicher Vertreter der Erben. Vielmehr ende die Betreuung automatisch mit dem Tod des Betreuten. Der Betreuer werde lediglich - zivilrechtlich - von der Haftung gegenüber gutgläubigen Dritten und den Erben freigestellt, solange er im Rahmen seiner Amtsausübung in Unkenntnis des Todes die Geschäfte ordnungsgemäß fortführe. Ihn als gesetzlichen Vertreter der Erben zu verstehen, ginge über die Fiktion des Fortbestehens seiner Befugnisse hinaus. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI werde von der Haftungsfreistellung des Betreuers nicht erfasst. Zudem seien im Rahmen des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI Gesichtspunkte der Gut- bzw Bösgläubigkeit unerheblich.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Kassel vom 26. Februar 2013 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2016 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht den Rückforderungsbescheid der Beklagten aufgehoben.
1. Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG), mit der die Klägerin die Aufhebung des Rückforderungsbescheids über den Betrag von 844,66 Euro begehrt, ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.6.2011 hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Klägerin hat nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI für die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Rentenleistung (dazu unter 2a) weder als Empfängerin (dazu unter 2b) noch als Verfügende (dazu unter 2c) zu haften.
2. Wird ein belastender Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angegriffen, ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich der Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblich (stRspr, vgl Senatsurteile vom 10.7.2012 - SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 17 und vom 24.10.2013 - SozR 4-2600 § 118 Nr 12 RdNr 20). Bei der im Zeitpunkt der Erteilung des Widerspruchsbescheids vom 14.6.2011 maßgeblichen Sach- und Rechtslage war vorliegend auf § 118 Abs 4 SGB VI in der ab 1.1.2008 gültigen Fassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007 (BGBl I 554) abzustellen.
Nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in der hiernach maßgeblichen Fassung sind - soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind - sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem RV-Träger zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet.
a) Die von der Beklagten gezahlte Altersrente für den Monat November 2010 ist eine Geldleistung iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI, die für diesen Monat zu Unrecht erbracht worden ist, weil nach § 102 Abs 5 SGB VI ein Anspruch auf Zahlung der Rente nur bis zum Ende des Kalendermonats bestanden hat, in dem V verstorben war, vorliegend also bis zum 31.10.2010. Dem steht die Bindungswirkung der Rentenbewilligung nicht entgegen. Denn der diesbezügliche Verwaltungsakt hat sich mit dem Tod des V als Rentenberechtigtem auch ohne Aufhebungsbescheid nach § 39 Abs 2 SGB X "auf andere Weise" erledigt (vgl Senatsurteil vom 24.2.2016 - B 13 R 22/15 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 14 RdNr 14 mwN).
b) Die Klägerin kann von der Beklagten nicht als Empfängerin der zu Unrecht gezahlten Rentenleistung iS des § 118 Abs 4 S 1 Halbs 1 SGB VI in Anspruch genommen werden.
Empfänger von Geldleistungen sind zum einen die Personen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben (§ 118 Abs 4 S 1 Halbs 1 Alt 1 SGB VI), also jene, die die zu Unrecht erbrachte Rentenleistung vom RV-Träger ohne Einschaltung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs erhalten haben (vgl Senatsurteil vom 10.7.2012 - SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 26 mwN). Daneben zählen zu den Geldleistungsempfängern (§ 118 Abs 4 S 1 Halbs 1 Alt 2 SGB VI) auch Personen, an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde. Derartige Fallgestaltungen liegen hier in Bezug auf die Klägerin nicht vor, weil sie die Überweisungen zugunsten von Dritten getätigt hat.
c) Die Klägerin kann von der Beklagten aber auch nicht als Verfügende über die zu Unrecht gezahlte Rentenleistung iS des § 118 Abs 4 S 1 Halbs 2 SGB VI in Anspruch genommen werden.
Zwar hat die Klägerin mit der Vornahme der Überweisungen gegenüber dem Geldinstitut als Verfügungsberechtigte zivilrechtlich wirksam über das Konto des V verfügt. Die Klägerin durfte trotz des Todes von V in ihrer Eigenschaft als Betreuerin aufgrund ihrer Gutgläubigkeit hinsichtlich des Fortbestehens der Betreuungsbefugnis gemäß § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB gesetzlich erlaubt tätig werden (dazu unter aa). Die durch die Überweisungen vorgenommenen Verfügungen sind ihr aber nicht persönlich zurechenbar, weil sie aufgrund ihrer Unkenntnis von der Beendigung der Betreuung des V noch gesetzlich geschützt die Überweisungen vornehmen durfte (dazu unter bb). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG hat die Klägerin mit den Überweisungen auch nicht als gesetzliche Vertreterin der Erben des V gehandelt. Daher kann sie auch als solche nicht haftbar gemacht werden (dazu unter cc).
aa) Verfügende sind die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den der zu Unrecht erbrachten Rentenleistung entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (§ 118 Abs 4 S 1 Halbs 2 SGB VI). Dies setzt mehr als nur die Verfügungsberechtigung über das Konto voraus. Denn der Verfügende muss dem Geldinstitut gegenüber wirksam zu Lasten des Kontos verfügt haben. In Betracht kommt insofern jeder berechtigte Dritte, jedoch auch der Rentner vor seinem Ableben und der Kontoinhaber, der den Kontostand unter einen der überzahlten Rentenleistung entsprechenden Betrag gesenkt hat, so dass im Zeitpunkt der Rückforderung des RV-Trägers kein ausreichendes Guthaben vorhanden war (vgl stRspr, zB Senatsurteil vom 10.7.2012 - SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 29 mwN).
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin als Verfügungsberechtigte am 29.10.2010 mit den beiden Überweisungen gegenüber der LB wirksam zu Lasten des Kontos des V über den der zu Unrecht geleisteten Rente entsprechenden Betrag verfügt. Denn gemäß § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB darf ein Betreuer im Fall der Beendigung der Betreuung durch den Tod des Betreuten die mit der Betreuung verbundenen (Zahlungs-)Geschäfte fortführen, bis er von der Beendigung Kenntnis erlangt hat oder sie kennen muss.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) verstarb V am 28.10.2010. Mit dem Tod des V endete die Betreuung der Klägerin, ohne dass es einer diesbezüglichen gerichtlichen Entscheidung bedurfte (vgl Peterek in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl 2011, RdNr 6.678; Zimmermann, ZEV 2004, 453; vgl auch BGH Beschluss vom 14.12.2011 - XII ZB 489/10 - FamRZ 2012, 295). Da die Klägerin aber erst am 1.11.2010 vom Tod des V Kenntnis erlangt hatte, war sie trotz der Beendigung der Betreuung aufgrund ihrer Gutgläubigkeit hinsichtlich des Fortbestehens ihrer Betreuungsbefugnis am 29.10.2010 über das Konto des V noch verfügungsberechtigt und hat mit den beiden Überweisungen gegenüber der LB wirksam Zahlungsgeschäfte über den der Rentenzahlung "entsprechenden Betrag" zu Lasten des Kontos des V vorgenommen. Denn solange der Betreuer die Beendigung der Betreuung oder seines Amtes nicht kennt und auch nicht kennen muss, er also insoweit gutgläubig ist, wird gemäß § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB zu seinem Schutz das Fortbestehen seiner Befugnis ua zur Vermögenssorge für den Betreuten fingiert (Poncelet in Juris PK-BGB, Bd 4, 7. Aufl 2014, § 1698a RdNr 7; Coester in Staudingers Komm zum BGB, Stand: 2014, § 1698a RdNr 1; Olzen in Münchener Komm zum BGB, 6. Aufl 2012, § 1698a RdNr 5). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei Vornahme der Überweisungen nicht im Rahmen ihrer Amtsausübung als Betreuerin gehandelt hat, bestehen nach den Feststellungen des LSG nicht.
bb) Die mit den Überweisungen vorgenommenen Verfügungen der Klägerin über das Konto des V sind ihr nicht persönlich zurechenbar. Denn sie durfte gemäß § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB über den Tod des V hinaus gesetzlich berechtigt tätig werden mit der Folge einer "Haftungsfreistellung".
Diese spezielle "Haftungsfreistellung" für gutgläubig handelnde Betreuer ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 1698a Abs 1 S 1 BGB, jedoch bezweckt die Vorschrift eine solche. Sie soll sicherstellen, dass der Betreuer die Geschäfte bei unverschuldeter Unkenntnis über die Beendigung der Betreuung fortführen darf. Der Betreuer wird als gesetzlicher Vertreter des Betreuten bis zum Zeitpunkt der Kenntnis oder des Kennenmüssens der Beendigung der Betreuung geschützt. Er soll keine Nachteile erleiden und insbesondere keine Haftung befürchten müssen, weil er von der Beendigung der Betreuung ohne Verschulden keine Kenntnis erlangt hat (vgl zB Götz in Palandt, BGB, 75. Aufl 2016, § 1698a RdNr 1; Coester in Staudingers Komm zum BGB, Stand: 2014, § 1698a RdNr 1; Olzen in Münchener Komm zum BGB, 6. Aufl 2012, § 1698a RdNr 1; Bauer/Deinert in HK-BUR, § 1698a RdNr 2 und 7, Stand: Einzelkommentierung August 2013, und § 1893 BGB RdNr 5, Stand: Einzelkommentierung Juli 2010). Ohne diese Bestimmung würde der Betreuer - weil er objektiv betrachtet nicht mehr im Amt ist - gemäß § 179 BGB als sogenannter Vertreter ohne Vertretungsmacht für die noch getätigten Rechtsgeschäfte persönlich einstehen und haften müssen (vgl Deinert/Lütgens in HK-BUR, § 1833 BGB RdNr 206, Stand: Einzelkommentierung Juni 2016). Sachgründe, diese vom Gesetzgeber gewollte besondere "Haftungsfreistellung" des gutgläubig und damit gesetzlich geschützt über das Konto des verstorbenen Betreuten verfügenden Betreuers nicht auch auf den Erstattungsanspruch des RV-Trägers nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI zu übertragen, bestehen nicht. Im Gegenteil: Es entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn ein Betreuer, der in Unkenntnis vom Tod des Betreuten im Rahmen seiner gemäß § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB fingierten Vertretungsmacht noch gesetzlich erlaubt Verfügungen über dessen Konto vornehmen darf, aber trotz dieser zu seinem Schutz bestehenden speziellen gesetzlichen Ermächtigung dennoch über § 118 Abs 4 S 1 SGB VI persönlich zur Erstattung der überzahlten Rentenleistung heranzuziehen wäre.
cc) Mit den Überweisungen hat die Klägerin aber auch keine den Erben des V über § 118 Abs 4 S 1 SGB VI zuzurechnenden Verfügungen vorgenommen, für die sie als deren gesetzliche Vertreterin oder persönlich zurechenbar haftbar gemacht werden könnte. Insoweit ist die zur Nachlasspflegschaft (§ 1960 BGB) ergangene Entscheidung des BSG vom 12.12.2002 (B 4 RA 44/02 R - Juris) auf den vorliegenden Fall einer Betreuung nicht übertragbar.
Das BSG hat in dem vorgenannten Beschluss ausgeführt, dass Verfügungen iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI, die eine Person in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes oder eines ihr hoheitlich übertragenen privatrechtlichen Amtes getätigt habe, durch das sie zum gesetzlichen Vertreter eines anderen bestellt worden sei, nicht ihr, sondern dem "Vertretenen" als eigene zuzurechnen seien. Daher seien entsprechende Verfügungen eines Nachlasspflegers, falls er in Ausübung dieses Amtes handele, nicht ihm, sondern allein den Erben zuzurechnen, die er vertrete (aaO RdNr 17). Gleichwohl sei die Forderung ihm gegenüber als gesetzlichem Vertreter der Erben geltend zu machen.
Der Tätigkeitsbereich eines Betreuers ist jedoch von dem eines Nachlasspflegers zu unterscheiden. Der Wirkungskreis des Nachlasspflegers umfasst allgemein die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der unbekannten Erben. Seine hoheitliche Bestellung durch das Nachlassgericht begründet gleichzeitig die privatrechtliche gesetzliche Vertretungsmacht für die unbekannten Erben bezüglich aller Nachlassangelegenheiten. Infolgedessen vertritt er die unbekannten Erben gerichtlich in allen den Nachlass betreffenden Rechtsstreitigkeiten, dh er ist insoweit aktiv und passiv zur Prozessführung befugt. Tritt ein Nachlasspfleger in Ausübung seines Amtes auf, geschieht dies ausschließlich in Wahrnehmung seiner Aufgaben als gesetzlicher Vertreter der Erben. Auch bei einer gegen ihn als Nachlasspfleger gerichteten Klage ist er Beklagter nur als gesetzlicher Vertreter der (unbekannten) Erben. Etwas anderes gilt nach der benannten Entscheidung des BSG nur dann, wenn er nicht in Ausübung seines Amtes handele, sondern - eventuell gelegentlich der Amtsausübung - ein Eigengeschäft tätige, das nicht den Erben, sondern ihm selbst zuzurechnen sei. Nur in diesem Fall könne er persönlich (und mit seinem Privatvermögen) in Anspruch genommen werden, im Übrigen nur aufgrund eigener unerlaubter Handlung oder einer Verletzung seiner Auskunftspflicht (aaO Juris RdNr 15).
Im Gegensatz zum Nachlasspfleger handelt der Betreuer - auch nach dem Tod des Betreuten - jedoch nicht als gesetzlicher Vertreter der Erben. Vielmehr endet die Betreuung bzw das Amt des Betreuers - wie unter aa) bereits ausgeführt - (automatisch) auch ohne Wissen des Betreuers, wenn der Betreute verstirbt. Durch die Fiktion des Fortbestehens seiner Vertretungsbefugnis für den Betreuten im Fall seiner Unkenntnis von der Beendigung der Betreuung wird für den Betreuer nach § 1908i Abs 1 S 1, § 1893 Abs 1 iVm § 1698a Abs 1 S 1 BGB aber keine neue gesetzliche Vertretungsmacht für die Erben begründet. Vielmehr wird ausschließlich seine Vertretungsmacht als Betreuer als fortbestehend fingiert. Daher sind die von der Klägerin getätigten Kontoverfügungen zwar auch gegenüber den Erben des V wirksam, ihnen aber nicht wie eigene Verfügungen iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI zuzurechnen. Denn die Klägerin ist am 29.10.2010 bei Vornahme der beiden Überweisungen zu Lasten des Kontos des V aufgrund ihrer Gutgläubigkeit hinsichtlich des Fortbestehens der Betreuungsbefugnis gesetzlich geschützt ausschließlich (noch) als dessen Betreuerin tätig geworden, so dass diese Kontoverfügungen - wie unter bb) ausgeführt - auch nicht ihr persönlich zuzurechnen sind.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 S 1 sowie § 47 Abs 1 S 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 10233673 |
BSGE 2018, 192 |
DStR 2017, 14 |