Beteiligte

… Klägerin und Revisionsbeklagte

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 31, Ruhrstraße 2, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Streitig ist, ob nach § 18f Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG; = § 1241f Abs 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO) in die Anrechnung eines Arbeitsentgeltes auf das Übergangsgeld auch Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit einzubeziehen sind.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte der 1944 geborenen Klägerin im Februar 1983 als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation eine 24monatige Umschulung vom Krankenschwestern- zum Hebammenberuf in der Ausbildungsstätte "R. L. " des Landschaftsverbandes Rheinland. Das Übergangsgeld wurde zunächst mit Bescheid vom 17. März 1983 auf der Bemessungsgrundlage des zuletzt als Krankenschwester bezogenen monatlichen Arbeitsentgeltes unter dem Vorbehalt ermittelt, daß etwaige Praktikantenvergütungen anzurechnen seien.

Nach Beginn der Ausbildung (12. April 1983) erhielt die Klägerin zunächst nur Taschengeld von 200,-- DM monatlich. Im Februar 1984 wurden ihr rückwirkend Ausbildungsbezüge von monatlich über 800,-- DM zuerkannt. Die Beklagte rechnete durch Änderungsmitteilungen ohne Rechtsbehelfsbelehrungen vom 31. August 1984, 12. November 1984, 29. November 1984 und 14. Januar 1985 die Nettoarbeitsentgelte einschließlich der Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die den Abrechnungsblättern des Landschaftsverbandes Rheinland zufolge lohnsteuerfrei waren, sowie einmalig gezahlte Arbeitsentgelte (Weihnachts- und Urlaubsgeld) auf das Übergangsgeld an.

Mit Schreiben vom 13. Februar 1985 wandte sich die Klägerin gegen die Anrechnung der lohnsteuerfreien Zuschläge sowie einmalig gezahlten Arbeitsentgelts und bat um Auszahlung der entsprechenden Beträge. Mit dem streitigen Bescheid vom 21. März 1985 korrigierte zwar die Beklagte ihre Verfahrensweise insoweit, als sie die einmalig gewährten Leistungen nicht (mehr) in den Anrechnungsbetrag einbezog. Den Antrag der Klägerin auf Nichtanrechnung der Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit lehnte sie jedoch ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. September 1985).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 17. Oktober 1986 abgewiesen, weil ein Versicherter seine tatsächlich erzielten Einnahmen uneingeschränkt und gegenüber den Leistungen der Solidargemeinschaft vorrangig zur eigenen Unterhaltsbestreitung während der Rehabilitationsmaßnahme einzusetzen habe und zur Wahrung dieser Belange der Sozialversicherung im Rahmen des § 18f AVG der Arbeitsentgeltbegriff nach der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgeltes in der Sozialversicherung vom 6. Juli 1977 (Arbeitsentgeltverordnung - ArEV) nicht maßgebend sei. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 1935 und des Widerspruchsbescheides vom 18. September 1985 verpflichtet, das der Klägerin bereits gewährte Übergangsgeld ohne Anrechnung der ihr gezahlten lohnsteuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit neu zu berechnen. In der angefochtenen Entscheidung vom 30. Oktober 1987 ist im wesentlichen ausgeführt: Bei der Definition des nach § 18f Abs 1 Halbsatz 1 AVG auf das Übergangsgeld anzurechnenden Arbeitsentgeltes sei von § 14 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 4) auszugeben und die Ermächtigungsnorm des § 17 SGB 4 einzubeziehen, wonach durch Rechtsverordnung bestimmt werden könne, daß ua Zuschläge zu Löhnen oder, Gehältern ganz oder teilweise nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen seien. Nach § 1 der daraufhin erlassenen ArEV gehörten die hier streitigen lohnsteuerfreien Zuschläge nicht zum Arbeitsentgelt. Entgegen der Auffassung der Beklagten gebe es im Bereich der Sozialversicherung einen einheitlichen Begriff des Arbeitsentgelts. Dieser müsse auch bei der Anrechnungsvorschrift des § 18f Abs 1 Halbsatz 1 AVG zugrunde gelegt werden. Es gehe nicht an, eine unterschiedliche Auslegung dieses Begriffes vorzunehmen, je nachdem, ob er in einer Berechnungs- oder in einer Anrechnungsvorschrift enthalten sei. Auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift lasse sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Lohnsteuerfreie Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit dienten primär dem Ausgleich besonderer Belastungen, nicht einer Verbesserung der Einkommensverhältnisse (Hinweis auf BSG in SozR 2200 § 182 Nr 49). Deshalb müßten diese Zuschläge dem Versicherten belassen und könne das Übergangsgeld nicht entsprechend gekürzt werden.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Arbeitsentgelt, das den Übergangsgeldanspruch begründet habe, sei nicht dasjenige, dessen Berücksichtigung nach § 13f Abs 1 AVG hier strittig sei. Der Grundsatz der Wechselwirkung von beitragspflichtigem Entgelt und Leistungshöhe verliere bei Anwendung der Kürzungsbestimmung daher seine Gültigkeit. Der durch die Verordnung zu § 17 SGB 4 modifizierte Arbeitsentgeltbegriff bezwecke hauptsächlich die Einheitlichkeit in bezug auf die Berechnung von Steuern und Beiträgen. Durch das Übergangsgeld werde der Verlust des früheren Arbeitsentgeltes ausgeglichen, so daß die gemeinsam zur Deckung des Lebensunterhalts dienenden streitigen Zuschläge insofern die Übergangsgeldgewährung erübrigten. Außerdem müsse der Entgeltbegriff im Sinne der Arbeitsentgeltverordnung nicht mit demjenigen in den Anrechnungsvorschriften des Leistungsrechts identisch sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 1987 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17. Oktober 1986 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus, der durch die ArEV modifizierte Arbeitsentgeltbegriff müsse einheitlich ausgelegt werden. Die hier streitigen lohnsteuerfreien Zuschläge seien kein Arbeitsentgelt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, das der Klägerin gewährte Übergangsgeld ohne Anrechnung der gezahlten Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit neu zu berechnen. Dem von der Klägerin für den gesamten Bezugszeitraum erhobenen Anspruch stehen die Änderungsmitteilungen vor dem streitigen Bescheid vom 21. März 1985 schon deshalb nicht entgegen, weil die Beklagte mit letzteren nicht nur in bezug auf einmaliges Arbeitsentgelt, sondern auch hinsichtlich der streitigen Zuschläge in eine (neue) Sachprüfung eingetreten ist und insoweit einen sich auf den gesamten Bezugszeitraum erstreckenden (Zweit-) Bescheid erlassen hat.

Die hier streitige Anrechenbarkeit der Zuschläge auf das Übergangsgeld richtet sich nach § 18f Abs 1 AVG. Danach ist, wenn der Betreute während des Bezugs von Übergangsgeld Arbeitsentgelt erhält, das Übergangsgeld um das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt zu kürzen; außer Ansatz bleiben einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 385 Abs 1a) - vor dem 1. Januar 1984: einmalige Zuwendungen - sowie Leistungen des Arbeitgebers zum Übergangsgeld, soweit sie zusammen mit dem Übergangsgeld, das vor der Arbeitsunfähigkeit oder der Maßnahme erzielte, um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt nicht übersteigen. Für den Begriff "Arbeitsentgelt" gilt zunächst auch hier die Legaldefinition des § 14 SGB 4 (vgl hierzu BSG in SozR 2200 § 1241f Nr 2 S 3 mwN); diese umschreibt als Arbeitsentgelt sinngemäß das - für die Sozialversicherung relevante - Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit, nämlich als "die laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden" (§ 14 Abs 1 SGB 4). Dieser umfassende Arbeitsentgeltbegriff wird aber durch den ihn ergänzenden § 17 Abs 1 Nr 1 SGB 4 eingegrenzt, wonach die Bundesregierung ermächtigt ist, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung ua zu bestimmen, "daß einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, ganz oder teilweise nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind". Von dieser Ermächtigung, die den Anforderungen des Art 80 Abs 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) - Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß - entspricht (vgl hierzu im einzelnen BSG, Urteil vom 24. Juni 1987 - 12 RK 6/84 = BSGE 62, 54, 57 ff = SozR 2100 § 17 Nr 5), hat die Bundesregierung Gebrauch gemacht und die bereits erwähnte ArEV vom 6. Juli 1977 (BGBl I 1208) erlassen, die inzwischen mehrfach geändert worden ist und jetzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1984 (BGBl I 1642), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. Dezember 1988 (BGBl I 2208), gilt. Nach § 1 ArEV, dessen Fassung unverändert geblieben ist, sind ua Zulagen, Zuschläge und Zuschüsse sowie ähnliche zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährte Einnahmen nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus den §§ 2 und 3 nichts Abweichendes ergibt. Für die Lohnsteuerfreiheit der genannten Zuschläge ist § 3b Abs 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der zum jeweiligen Bezug der Zuschläge geltenden Fassung maßgebend. Während des Bezugs des bis März 1985 gewährten Übergangsgeldes hat die Vorschrift gleichermaßen bestimmt (vgl zuletzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juni 1985 - BGBl I 977 - für einen Lohnzahlungszeitraum nach Dezember 1934, vgl § 52 Abs 1 aaO), daß gesetzliche oder tarifliche Zuschläge steuerfrei sind, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden. Dementsprechend sind auch im vorliegenden Fall die der Klägerin zu ihrer Ausbildungsvergütung deshalb gewährten Zuschläge lohnsteuerfrei gewesen, wie das LSG ohne Rüge durch die Beklagte und daher für den Senat bindend festgestellt hat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Aus den §§ 2, 3 der ArEV ergibt sich auch nichts Abweichendes. Im Gegenteil unterstreicht § 3 aaO das oben Gesagte; nach dessen Satz 1 sind - hier ist gedanklich einzufügen: lediglich - in der gesetzlichen Unfallversicherung Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, auch soweit sie steuerfrei sind.

Nach dieser eindeutigen Regelung dürfen also, wie das Berufungsgericht bereits in allen wesentlichen Punkten erörtert hat, die streitigen Zuschläge nicht auf das gewährte Übergangsgeld angerechnet werden. Dem vermag die Beklagte auch nicht erfolgreich mit dem Hinweis auf den Normzweck des § 18f Abs 1 AVG zu begegnen. Zwar trifft zu, daß das zur Kürzung des Übergangsgeldes heranzuziehende, einem Ausbildungsverhältnis entstammende Arbeitsentgelt nicht mit dem beitragsrelevanten Entgelt übereinstimmt, das nach § 18 Abs 1 AVG der Berechnung des Übergangsgeldes zugrundelag, so daß aus dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung von Beitrag und Leistung für die vorliegende Fallgestaltung nichts gewonnen werden kann. Dies berechtigt aber nicht dazu, den Begriff "Arbeitsentgelt" - wie es das LSG formuliert hat - unterschiedlich auszulegen, je nachdem, ob er in einer Berechnungs- oder in einer Anrechnungsvorschrift enthalten ist. Deshalb hat nicht nur das BSG in dem genannten Urteil (SozR 2200 § 1241f Nr 2 S 3) ausgeführt, bezüglich des Begriffes "Arbeitsentgelt" sei nach dem gegenwärtigen Rechtszustand auf die Legaldefinition des § 14 SGB 4 zurückzugreifen (dort handelte es sich allerdings noch um einen Bezugszeitraum vor Inkrafttreten des SGB 4); auch in der Literatur wird - soweit ersichtlich - hierzu keine Gegenmeinung vertreten (vgl BSG aaO; ferner für die Unfallversicherung BSGE 53, 117 und 53, 133; für das Gebiet der Arbeitsförderung: Urteil vom 3. September 1988 - 11/7 RAr 73/87). Die Begründung dafür, daß Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit lohnsteuerfrei und anknüpfend daran in der Sozialversicherung (Ausnahme: Unfallversicherung) beim Arbeitsentgelt unberücksichtigt bleiben, nämlich daß sie primär den Ausgleich von Erschwernissen sowie von besonderen Belastungen und nicht die Verbesserung der Einkommensverhältnisse bezwecken sollen (vgl BSG in SozR 2200 § 182 Nr 49 S 97), gilt im übrigen nicht minder dann, wenn es - wie hier - um die Anrechnung solcher Zuschläge auf eine Sozialleistung geht.

Allerdings mag der Beklagten zuzugeben sein, daß es dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt, abweichend von §§ 14, 17 Abs 1 SGB 4 und § 1 ArEV für einzelne Sozialleistungsbereiche die Anrechnung auch von lohnsteuerfreien Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zu bestimmen. Dies ist aber zu § 18f Abs 1 AVG, der mehrfach den Begriff "Arbeitsentgelt" enthält, nicht geschehen. Im Gegenteil, nach § 18f Abs 1 Halbsatz 2 AVG bleibt sogar ua einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 385 Abs 1a RVO) bei der Anrechnung auf das Übergangsgeld stets außer Ansatz, also - über § 1 der ArEV hinaus - auch dann, wenn es lohnsteuerpflichtig ist. Dies läßt den Schluß zu, daß der Gesetzgeber, hätte er - umgekehrt - lohnsteuerfreie Zuschläge angerechnet wissen wollen, eine entsprechende Regelung ausdrücklich getroffen haben würde. Anhaltspunkte für eine "planwidrige Lücke" im Gesetz finden sich mithin nicht, so daß auch von daher die von der Beklagten erstrebte Auslegung des § 1241f Abs 1 AVG ausscheiden muß.

Die Revision der Beklagten konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517966

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