Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld (ARG) unter Zugrundelegung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz. Vorrangig zu klären ist die Zulässigkeit der Berufung.
Mit Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf (SG) vom 17. August 1999 wurde die Klage der Klägerin, ihr unter Aufhebung des Bescheides der Beklagen vom 12. September 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1995 ARG zu gewähren, abgewiesen. Dieses Urteil ist den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, den Rechtsanwälten Dr. F. R. und S. R., am 24. August 1999 zugestellt worden. Am 1. September 1999 ist – per Fax – beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) Berufung eingelegt worden. Die Berufungsschrift vom 30. August 1999 enthält den Briefkopf der genannten Bevollmächtigten und die Unterschrift von Rechtsanwalt Sch mit dem Zusatz „i.V. RA Sch.”. Mit Schreiben vom 29. November 1999 hat sich erstmals Rechtsanwalt Dr. F. R. beim LSG gemeldet. Rechtsanwältin S. R., die die Anwaltspraxis nunmehr alleine führt, hat am 13. Dezember 1999 die Berufungsbegründung vorgelegt. Auf den Hinweis des LSG, es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung, hat Rechtsanwältin R. mit Schreiben vom 3. Mai 2000 gegenüber dem LSG erklärt, sie genehmige ausdrücklich die Berufungseinlegung durch Rechtsanwalt Sch .
Mit Urteil vom 29. Mai 2000 hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen und seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Die Berufung sei unzulässig, weil dem Berufungsgericht nicht innerhalb der Einlegungsfrist eine eigenhändig unterschriebene Berufungsschrift der Klägerin bzw ihrer Bevollmächtigten vorgelegt worden sei. Auf dem Berufungsschreiben vom 30. August 1999, das allein innerhalb der Berufungsfrist am 1. September 1999 eingegangen sei, fehle die Unterschrift der Klägerin oder ihrer Bevollmächtigten. Die eigenhändige Unterschrift des Berufungsführers bzw seines Bevollmächtigten sei gemäß § 126 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Schriftlichkeit der Berufung unabdingbar erforderlich. Rechtsanwalt Sch., der die Berufungsschrift unterschrieben habe, sei von der Klägerin nicht bevollmächtigt gewesen. Er habe sich im übrigen auch nicht als Bevollmächtigter geriert, sondern sich ausdrücklich nur als Vertreter der tatsächlich bevollmächtigten Rechtsanwälte bezeichnet. Die Unterschrift einer in dieser Weise beauftragten Person reiche nicht aus. Auf die weitere Frage, ob dieses lediglich per Fax eingereichte Schreiben formgerecht sei, obwohl das Original des Schriftsatzes nicht nachgereicht worden sei, brauche deshalb nicht mehr eingegangen zu werden. Die weiteren von den damaligen Bevollmächtigten unterzeichneten Schriftsätze seien nicht mehr innerhalb der Berufungsfrist eingegangen.
Die von der Klägerbevollmächtigten nach Ablauf der Berufungsfrist mit Schreiben vom 3. Mai 2000 erteilte Genehmigung des durch Rechtsanwalt Sch. eingereichten Berufungsschreibens reiche nicht aus, eine wirksame Berufungseinlegung anzunehmen. Eine nachträgliche Zustimmung iS von § 184 BGB vermöge nicht die Vollmacht zu ersetzen, die vor der entsprechenden Prozeßhandlung vorgelegen haben müsse. Lediglich die Vollmachtsurkunde könne nachgereicht werden. Das sei aber nicht erfolgt.
Hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist könne der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, denn es handele sich bei der fehlenden Unterschriftsleistung um ein typisches Anwaltsverschulden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen Rechts, insbesondere der §§ 151 Abs 1, 73 Abs 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 184 BGB sowie des § 130 Nr 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 SGG. Die per Telefax eingereichte Berufungsschrift weise die erforderliche persönliche und handschriftliche Unterschriftsleistung durch Rechtsanwalt Sch auf. Dieser habe rechtswirksam für die Bevollmächtigten auftreten können, so daß das Formerfordernis der Schriftlichkeit erfüllt sei. Im Anwaltsprozeß sei die Unterzeichnung der Berufungsschrift mit dem Zusatz „i.V.” durch einen beim Prozeßgericht zugelassenen Anwalt oder dessen Vertreter zulässig. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe nur eine Unterzeichnung mit dem Zusatz „i.A.” als unzulässig angesehen, weil der Unterzeichnende damit zu erkennen gebe, daß er für den Inhalt der Rechtsmittelschrift eine Verantwortung nicht übernehmen wolle (BGH, Urteil vom 5. November 1987, NJW 1988, 210 f). Diesen Ausführungen könne im Umkehrschluß entnommen werden, daß bei Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift mit dem Zusatz „i.V.” ein Rechtsmittel wirksam eingelegt worden sei, da der Vertreter auch für den Inhalt der Rechtsmittelschrift einstehe. Diese Grundsätze des Zivilprozeßrechts müßten auch im Sozialgerichtsprozeß gelten.
Selbst wenn man sich dieser Auffassung nicht anschließe, sei von einer wirksamen Berufungseinlegung auszugehen, denn die Berufungseinlegung durch Rechtsanwalt Sch. sei durch ihre Prozeßbevollmächtigte, Rechtsanwältin R., wirksam genehmigt worden. Auch die von einem Vertreter ohne Vollmacht vorgenommenen Prozeßhandlungen könnten nachträglich genehmigt werden. Die Genehmigung wirke auf den Zeitpunkt der Vornahme der Prozeßhandlung, hier die Rechtsmitteleinlegung, zurück.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 2000 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich in der Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, weil das Berufungsverfahren an einem von der Klägerin ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel leidet, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (vgl §§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das Berufungsgericht hat die §§ 151, 158 SGG verletzt, indem es die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen hat, statt eine Sachentscheidung zu treffen.
Nach § 158 Satz 1 iVm § 151 Abs 1 SGG ist eine nicht schriftlich oder nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegte Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung nach diesen Vorschriften sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts vorliegend nicht erfüllt.
Das Urteil des SG wurde den Rechtsanwälten R. laut Eingangsstempel auf deren Empfangsbekenntnis gemäß § 63 Abs 2 SGG iVm § 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes am 24. August 1999 zugestellt. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung begann somit gemäß § 64 Abs 1 SGG mit dem Tage nach der Urteilszustellung (also dem 25. August 1999) und endete nach § 64 Abs 2 SGG am 24. September 1999. Der von Rechtsanwalt Sch mit dem Zusatz „i.V.” unterzeichnete Berufungsschriftsatz vom 30. August 1999 ist am 1. September 1999 – folglich innerhalb der Berufungsfrist – beim LSG eingegangen.
Dieser Berufungsschriftsatz entsprach dem Erfordernis der Schriftform iS des § 151 Abs 1 SGG. Was unter „schriftlich” iS dieser Bestimmung zu verstehen ist, ist im SGG nicht geregelt. Die Vorschrift des § 126 BGB, die für das bürgerliche Recht gilt, kann im Gegensatz zur Auffassung des LSG wegen der Eigenständigkeit des Prozeßrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozeßhandlungen angewendet werden (vgl Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ≪GmSOGB≫ vom 30. April 1979 – 1/78 – BGHZ 75, 340, 352 = SozR 1500 § 164 Nr 14 mwN; BSG, Urteil des erkennenden Senats vom 16. November 2000 – B 13 RJ 3/99 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; aM wohl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 151 RdNr 3).
Für die Schriftlichkeit der Berufung wird grundsätzlich verlangt, daß die Berufungserklärung handschriftlich unterschrieben sein muß, soweit nicht bestimmte Ausnahmefälle, zB Einlegung per Telegramm oder Computerfax, vorliegen (vgl zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 16. November 2000, aaO). Diese Schriftform für die Einlegung der Berufung ist vom Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit vorgesehen worden (vgl bereits BSG vom 8. März 1966 – 10 RV 438/65 – BVBl 1967, 6) und soll gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (GmSOGB BGHZ 144, 160 ff = SozR 3-1750 § 130 Nr 1).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien besteht vorliegend kein Zweifel an der ordnungsgemäßen Schriftform der eingelegten Berufung, da der entsprechende Schriftsatz eigenhändig von Rechtsanwalt Sch. unterschrieben ist. Daß die Unterschrift in der Berufungsschrift vom Kläger selbst oder einer von ihm bevollmächtigten Person stammen müßte, ist in den §§ 151, 158 SGG nicht vorgeschrieben (so bereits Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 8. März 1966 – 10 RV 438/65 – BVBl 1967, 6).
Soweit das Berufungsgericht Bedenken gegen die Berufungseinlegung per Telefax hat anklingen lassen, ist darauf hinzuweisen, daß eine Übermittlung fristwahrender Schriftsätze durch Telefax in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig ist, ohne daß das Original nachgereicht werden müßte (vgl GmSOGB BGHZ 144, 160 ff = SozR 3-1750 § 130 Nr 1).
Ist demnach die Schriftform des § 151 Abs 1 SGG durch das von Rechtsanwalt Sch unterzeichnete Berufungsschreiben vom 30. August 1999 gewahrt, so war die Berufungseinlegung gleichwohl zunächst schwebend unwirksam, weil bis dahin für Rechtsanwalt Sch keine schriftlich erteilte Vollmacht zu den Akten gereicht worden war (vgl BSG SozR Nr 2 zu § 73 SGG; GmSOGB BGHZ 91, 111 ff = SozR 1500 § 73 Nr 4) und eine Berufungsschrift der Klägerin oder ihrer Bevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist nicht beim LSG einging. Dies gilt unabhängig davon, ob Rechtsanwalt Sch seinerzeit bereits von der Klägerin oder deren Bevollmächtigten intern zur Einlegung der Berufung bevollmächtigt worden war oder gänzlich als Vertreter ohne Vertretungsvollmacht handelte (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 73 RdNr 18). Dieser Mangel ist indes durch die von der Bevollmächtigten der Klägerin nachträglich erklärte Genehmigung rückwirkend geheilt worden.
Die Genehmigung einer vollmachtlosen Berufungseinlegung ist grundsätzlich möglich, und zwar auch noch nach Ablauf der Berufungsfrist (vgl § 73 Abs 3 Satz 2 SGG). Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur können derart fehlerhafte Prozeßhandlungen durch spätere Genehmigung rückwirkend geheilt werden (BSGE 32, 253 = SozR Nr 17 zu § 73 SGG; BGHZ 128, 280; BVerwG Buchholz § 67 Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ Nr 52; Zöller, aaO, § 89 RdNr 12). Eine nachträgliche Genehmigungsmöglichkeit schwebend unwirksamer Prozeßhandlungen ist erforderlich, um Verhinderungsgründen eines Beteiligten (wie Krankheit, Urlaub usw) Rechnung zu tragen; sonst könnten häufig Fristen nicht eingehalten werden, ohne daß ein Wiedereinsetzungsgrund vorläge. Andererseits bietet der Genehmigungsvorbehalt dem Betroffenen (oder seinem Bevollmächtigten) ausreichenden Schutz vor „aufgedrängten” Prozeßhandlungen, denen er durch Verweigerung der Genehmigung die Grundlage entziehen kann.
Zu Unrecht bezieht sich das LSG für seine Ansicht, eine Genehmigung der vollmachtlosen Berufungseinlegung sei nachträglich nicht möglich, auf eine bestimmte Kommentarstelle bei Meyer-Ladewig (aaO, § 73 RdNr 18 und 18a). Soweit dort die Auffassung wiedergegeben wird, eine Heilung durch Vollmachterteilung in der Rechtsmittelinstanz sei nicht mehr möglich, bezieht sich dies offensichtlich auf die Fallgestaltung, daß eine Vollmachtsurkunde bereits im vorinstanzlichen Verfahren fehlte und trotz Fristsetzung nicht bis zur vorinstanzlichen Entscheidung nachgereicht wurde, was sich insbesondere aus dem dort in Bezug genommenen Zitat ergibt (vgl BFHE 142, 3). In einem solchen Fall kann der entsprechende Mangel in einem nachfolgenden Revisionsverfahren nicht durch eine nachträglich erteilte Prozeßvollmacht geheilt werden (vgl GmSOGB BGHZ 91, 111 ff = SozR 1500 § 73 Nr 4; s auch BSG SozR 1500 § 73 Nr 5). Eine solche Sachverhaltskonstellation ist hier nicht gegeben. Vielmehr hat die Prozeßbevollmächtigte S. R. von der innerhalb des Berufungsverfahrens grundsätzlich verbliebenen Möglichkeit der Genehmigung der vollmachtlosen Berufungseinlegung durch Rechtsanwalt Sch. mit Schriftsatz vom 3. Mai 2000 Gebrauch gemacht.
Diese nachträglich erteilte Zustimmung war wirksam, obwohl sie nicht von der Klägerin selbst, sondern von ihrer Bevollmächtigten erteilt worden ist. Die Genehmigung einer vollmachtlosen Berufungseinlegung kann nicht nur der Beteiligte selbst, sondern auch ein (schriftlich) Bevollmächtigter erteilen. Dies ergibt sich aus § 81 ZPO iVm § 73 Abs 4 Satz 1 SGG, wonach die Prozeßvollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen ermächtigt (Meyer-Ladewig, aaO, § 73 RdNr 15; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 10. Aufl, § 67 RdNr 19). Der Bevollmächtigte kann somit aufgrund seiner Vollmacht einen Vertreter bestellen oder auch Prozeßhandlungen eines vollmachtlosen Vertreters genehmigen. So ist auch die Klageerhebung durch einen nicht durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen Bevollmächtigten rechtswirksam, wenn ein durch schriftliche Vollmacht des Beteiligten ausgewiesener Bevollmächtigter die Vertretung bis zum Abschluß des Klageverfahrens genehmigt (vgl BSG vom 25. Juni 1963 – 10 RV 651/61 – BVBl 1964, 14). Für die Einlegung der Berufung kann nichts anderes gelten. Besonderheiten des Zivilprozeß- und Revisionsverfahrensrechts – wonach eine Heilung ausgeschlossen ist, wenn ein dem Anwaltszwang unterliegender Rechtsbehelf durch einen nicht postulationsfähigen Beteiligten selbst eingelegt wurde und später durch einen Anwalt genehmigt wird (vgl Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl, § 67 RdNr 28) – greifen nicht ein.
Nach alledem hätte das LSG die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von ARG entscheiden müssen. Dies kann das BSG mangels ausreichender berufungsgerichtlicher Tatsachenfeststellungen (vgl § 163 SGG) nicht nachholen. Das angefochtene Urteil war deshalb gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen