Entscheidungsstichwort (Thema)
Schließung der Höherversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Schließung der Höherversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht verfassungswidrig.
Normenkette
RVO § 1234; AVG § 11; SGB VI § 234 Fassung: 1989-12-18, § 280 Fassung: 1989-12-18; RRG 1999 Art. 1 Nr. 72 Fassung: 1997-12-16; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist das Recht der Höherversicherung.
Der 1953 geborene Kläger ist als Rentenberater beschäftigt und versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im November 1991 zahlte er einen Beitrag zur Höherversicherung. Im März 1998 beantragte er bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, ihn trotz Schließung der Höherversicherung zum 1. Januar 1998 weiterhin zur Zahlung von Höherversicherungsbeiträgen zuzulassen. Mit Bescheid vom 6. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1999 gestattete die Beklagte die Zahlung für das Jahr 1997; hiervon machte der Kläger keinen Gebrauch. Den Antrag für die Zeit ab 1. Januar 1998 lehnte die Beklagte ab. Für Zeiten ab Januar 1998 sei die Zahlung von Höherversicherungsbeiträgen nicht mehr zulässig. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. September 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 9. Mai 2000). Die Schließung der Höherversicherung sei mit dem Grundgesetz vereinbar.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes. Mit Höherversicherungsbeiträgen habe er Rentenminderungen infolge einer nur noch geringen Berücksichtigung von Ausfallzeiten ausgleichen wollen, wobei er sich für eine spätere Beitragszahlung entschieden habe. Darauf habe er seine bisherigen finanziellen Dispositionen (Kauf einer Eigentumswohnung) gegründet, die nun entwertet seien. Die von ihm inzwischen eingegangene ergänzende private Berufsunfähigkeitsversicherung habe wegen seiner seit Mitte der 90er Jahre bestehenden gesundheitlichen Beschwerden nur mit einer Ausschlußklausel abgeschlossen werden können. Gerade durch die Einschränkung der Höherversicherung im Rentenreformgesetz (RRG) 1992 habe der Gesetzgeber denjenigen Vertrauensschutz gewährt, die vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) schon Beiträge zur Höherversicherung geleistet hätten. An dieser einmal getroffenen Entscheidung müsse sich der Gesetzgeber festhalten lassen, da seither keine unvorhersehbaren Entwicklungen im Bereich der Höherversicherung - speziell in Bezug auf deren Rendite - vorlägen. Die Höherversicherung trage sich nach wie vor selbst, wenn für den Beginn der Leistungen hieraus eine feste Altersgrenze von 65 Jahren eingeführt werde; insoweit habe dem Gesetzgeber ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden als die generelle Streichung des Höherversicherungsrechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 9. Mai 2000 und das Urteil des SG vom 22. September 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn zur Zahlung von Beiträgen zur Höherversicherung für die Zeit ab 1. Januar 1998 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG mit Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig.
1. Das Verfahren betrifft die Schließung der Höherversicherung. Zu ihrer Entwicklung und ihrem Rechtscharakter ist festzustellen:
a) Das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht der Höherversicherung war zunächst im Gesetz über die Höherversicherung in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten vom 14. März 1951 (BGBl I 188; HöVG) geregelt und wurde durch das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88) und das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom selben Tage (BGBl I 45) weitgehend unverändert in das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und die Reichsversicherungsordnung (RVO) übernommen (vgl zum HöVG BSG SozR 2200 § 381 Nr 11; Köhler, Die Sozialversicherung 1951, 61). Danach konnte ein Versicherter neben Beiträgen, die aufgrund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung zu entrichten waren, zusätzlich Beiträge zum Zwecke der Höherversicherung entrichten (§ 11 Abs 1 AVG, § 1234 Abs 1 RVO, beide zuletzt geändert durch das RRG 1972 vom 16. Oktober 1972 ≪BGBl I 1965≫). Die Höherversicherungsbeiträge waren nur wirksam, wenn sie mit einem für denselben Monat wirksamen Grundbeitrag (Pflicht- oder freiwilliger Beitrag) zusammentrafen (§ 130 Abs 3 AVG, § 1408 Abs 2 RVO). Als Beitrag konnte jeder Betrag zwischen dem Mindestbeitrag und dem Höchstbeitrag für freiwillig Versicherte gezahlt werden.
b) Die Höherversicherungsbeiträge blieben ohne Auswirkung auf die Bemessungsgrundlage für die dynamische Rente aus den Pflicht- und freiwilligen Beiträgen. Für sie wurden jährliche Steigerungsbeträge gewährt, die in einem festen Prozentsatz des Nennwertes der Beiträge bestanden, der je nach dem Alter der Versicherten im Zeitpunkt der Beitragsentrichtung zwischen 20 vH und 10 vH der Beiträge lag (§ 38 AVG, § 1261 RVO). Diese Steigerungsbeträge waren bei Erlaß des HöVG nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet und so bemessen, daß sich die Höherversicherung selbst finanzierte (vgl Abgeordneter Dr. Degener, Protokoll der 111. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 17. Januar 1951 S 4191; Anweisung des Bundesministers für Arbeit, BABl 1951, 86; BSG SozR 2200 § 1262 Nr 8 S 14). Sie waren von der Anpassung der Renten an die Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse ausgeschlossen (§ 49 Abs 3 AVG, § 1272 Abs 3 RVO). Für die Leistung aus den Höherversicherungsbeiträgen war die Erfüllung einer Wartezeit nicht erforderlich (vgl § 23 Abs 4, § 24 Abs 4, § 25 Abs 7 AVG, § 1246 Abs 4, § 1247 Abs 4, § 1248 Abs 7 RVO). Seit 1973 war die Leistung der Höherversicherung jedoch nur zusammen mit einer Rente aus den Grundbeiträgen zu zahlen; andernfalls konnte sie lediglich in Form einer Kapitalabfindung gewährt werden (§ 72 AVG, § 1295 RVO, beide idF des RRG 1972).
c) Bei der Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung durch das RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) entschloß sich der Gesetzgeber, die Höherversicherung auslaufen zu lassen (vgl Begründung zum Entwurf eines RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 198 zu § 229). Er hat deshalb in dem ab 1. Januar 1992 geltenden Recht des SGB VI die Höherversicherung als Versicherungstatbestand grundsätzlich nicht mehr vorgesehen; sie ist in das Erste Kapitel des SGB VI "Versicherter Personenkreis" nicht übernommen worden. Vielmehr wurde lediglich in die Sonderregelungen für Sachverhalte, die nur noch übergangsweise eintreten können (§ 228 SGB VI idF des Gesetzes vom 25. Juli 1991 ≪BGBl I 1606≫), die Vorschrift des § 234 SGB VI eingefügt. Danach konnten Personen, die vor dem 1. Januar 1992 von dem Recht der Höherversicherung Gebrauch gemacht hatten, weiterhin neben Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen Beiträge zur Höherversicherung zahlen (§ 234 Satz 1 SGB VI). Das gleiche galt für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind, unabhängig von einer vorangegangenen Beitragsleistung zur Höherversicherung (§ 234 Satz 2 SGB VI). Für die Beiträge zur Höherversicherung galten die Regelungen für freiwillige Beiträge entsprechend (§ 280 Abs 1 SGB VI idF des RRG 1992). Sie konnten daher wie schon nach früherem Recht stufenlos in jeder Höhe zwischen dem Mindestbeitrag (für 1997: 123,83 DM) und dem Höchstbeitrag (1997: 1.664,60 DM) monatlich gezahlt werden.
Das Leistungsrecht der Höherversicherung wurde dagegen weitgehend unverändert in das SGB VI übernommen. Es ist nunmehr in § 269 SGB VI geregelt. Danach werden für die Beiträge zur Höherversicherung zusätzlich zu dem Betrag der dynamischen Rente Steigerungsbeträge nach festen Prozentsätzen geleistet. Die Höhe dieser Beträge entspricht dem früheren Recht, jedoch umgestellt auf Monatsbeträge. Die in § 269 Abs 1 Satz 1 SGB VI genannten Vomhundertsätze von 1,6667 bis 0,8333 entsprechen auf den Monat bezogen den jährlichen Steigerungsbeträgen von 20 vH bis 10 vH des § 38 AVG (§ 1261 RVO).
d) In einem zweiten Schritt hat der Gesetzgeber über das Versperren eines Neuzugangs zur Höherversicherung im ersten Schritt (oben c) hinaus jede Weiterführung der Höherversicherung ausgeschlossen. Durch das RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) sind die Vorschriften über die Zulässigkeit der Höherversicherung (§ 234 SGB VI aF) und die Beitragszahlung (§ 280 Abs 1 SGB VI aF) mit Wirkung zum 1. Januar 1998 gestrichen worden (Art 1 Nrn 72, 106 iVm Art 33 Abs 11 RRG 1999). Seit Inkrafttreten dieser Regelungen des RRG 1999 fehlt eine Rechtsgrundlage sowohl für die erstmalige Zahlung von Höherversicherungsbeiträgen als auch die Fortsetzung einer zuvor begonnenen Höherversicherung, wie sie vom Kläger angestrebt wird. Lediglich die bereits entrichteten Beiträge bleiben mit den entsprechenden Leistungsansprüchen bestehen.
2. Der Kläger hat noch nach den Vorschriften des AVG für den Monat November 1991 einen Beitrag zur Höherversicherung in Höhe des damaligen Mindestbeitrags von 99 DM gezahlt. Die Beklagte hat ihm außerdem nach den Vorschriften des SGB VI die Zahlung von Höherversicherungsbeiträgen für das Jahr 1997 gestattet. Sie hat dies für die Zeit ab 1998 jedoch zu Recht abgelehnt, weil das SGB VI eine Weiterführung der Höherversicherung nicht mehr vorsieht.
Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, daß die Schließung der Höherversicherung gegen Verfassungsrecht verstößt.
3. Sie verletzt nicht die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Die Anwartschaften aus den nach altem Recht wirksam entrichteten Höherversicherungsbeiträgen werden hiervon nicht berührt. Im RRG 1999 sind § 269 SGB VI über die Berechnung und Zahlung der Steigerungsbeträge aus Höherversicherungsbeiträgen und § 280 Abs 2 SGB VI (§ 280 idF des RRG 1999), der regelt, welche Beiträge solche der Höherversicherung sind, nicht gestrichen worden. Die Schließung der Höherversicherung bewirkt lediglich eine Zugangssperre für die Zukunft. Das Recht, künftig Höherversicherungsbeiträge zu zahlen, stellte keine unter dem Eigentumsschutz stehende vermögenswerte Rechtsposition dar, weil es nicht nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Versicherten als privatnützig zugeordnet war, nicht auf erheblichen Eigenleistungen beruhte und nicht der Sicherung seiner Existenz diente (vgl BVerfGE 69, 272, 300 ff = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 125 ff mwN). Es bestand unabhängig von Vorversicherungszeiten und war nur eine Aussicht, durch zusätzliche Beiträge eine Zusatzversicherung neben der eigentlichen Rentenversicherung (Grundsicherung) zu erwerben (vgl BSG SozR 2200 § 1295 Nr 2 S 4, Nr 3 S 9; BSG SozR 2200 § 381 Nr 11 S 28). Auch die Berechtigung zur Fortführung der Höherversicherung nach § 234 Satz 1 SGB VI aF, die auf der Beitragsentrichtung vor dem 1. Januar 1992 beruhte, war eine Aussicht und keine eigentumsgeschützte sozialversicherungsrechtliche Position.
4. Die Schließung der Höherversicherung verletzt auch nicht Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 GG).
a) Eine nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung kommt ihr nicht zu, weil sie nicht nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl BVerfGE 101, 239, 263). Die Rechte aus den in der Vergangenheit gezahlten Beiträgen bleiben unangetastet.
Eine unechte Rückwirkung ist dagegen grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar (vgl BVerfGE 30, 392, 402; stRspr). Es besteht die unabdingbare Notwendigkeit, die Rechtsordnung ändern zu können, um den Staat handlungsfähig und die Rechtsordnung anpassungsfähig zu erhalten (BVerfGE 69, 272, 309 = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132). Der Gesetzgeber muß aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können, die den jeweiligen Erfordernissen gerecht zu werden geeignet sind. Ein voller Schutz zugunsten des Fortbestands der bisherigen Gesetzeslage würde den dem Gesamtwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen gegenüber den Einzelinteressen lähmen, das Gesamtwohl schwerwiegend gefährden und eine Versteinerung der Gesetzgebung bedeuten. Daher muß der Gesetzgeber gerade bei notwendig langfristig angelegten Alterssicherungssystemen wie im Bereich der Rentenversicherung die Möglichkeit haben, aus Gründen des Allgemeinwohls an früheren Entscheidungen nicht mehr festzuhalten und Neuregelungen zu treffen, die den gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie den damit verbundenen wechselnden Interessenlagen Rechnung tragen (vgl BVerfGE 76, 256, 348/349). Einschränkungen können sich allerdings aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit ergeben (vgl BVerfGE 76, 256, 347 mwN). Welche der in Widerstreit befindlichen Interessen den Vorzug verdienen, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Es bedarf der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfGE 69, 272, 310 = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132/133 mwN). Bei der hier erforderlichen Abwägung ergibt sich, daß der Gesetzgeber mit der schrittweisen Schließung der Höherversicherung die verfassungsrechtlichen Grenzen, die seiner Gestaltungsfreiheit durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes gezogen sind, nicht überschritten hat.
b) Der erste Schritt in Richtung auf eine Schließung der Höherversicherung im RRG 1992 (oben 1 c) beschwerte nur die Versicherten, die bisher kein Interesse an einer Höherversicherung gezeigt, insbesondere in der Zeit zwischen der Verkündung des Gesetzes am 28. Dezember 1989 und dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1992 keinen Beitrag gezahlt hatten, um zugangsberechtigt zu bleiben. Der Gesetzgeber hielt sich im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, wenn er für diese Versicherten, zu denen der Kläger nicht gehörte, eine Höherversicherung nicht mehr vorsah. Sein Ziel war es, die versicherungsmathematisch angelegte, einer privaten Lebensversicherung entsprechende Höherversicherung für die Zukunft zu beenden, da sie den Prinzipien des Rentenversicherungsrechts nicht entsprach. Er konnte zur Erreichung dieses sachgerechten Zieles diesen ersten Schritt für geeignet und erforderlich und für die betroffenen Versicherten zumutbar halten.
c) Erst der zweite Schritt zur Schließung der Höherversicherung mit der Streichung des § 234 SGB VI zum 1. Januar 1998 (oben 1 d) versperrte den Zugang zur Höherversicherung auch den Versicherten, bei denen grundsätzlich von einem besonderen Interesse an deren Fortbestand ausgegangen werden konnte, nämlich den älteren und denjenigen Versicherten, die von der Höherversicherung Gebrauch gemacht hatten. Sie hätten ohne die Streichung des § 234 SGB VI aF noch eine erhebliche Zeit die Höherversicherung nutzen können, da Höherversicherungsbeiträge nach bisherigem Recht wie freiwillige Beiträge bis zur bindenden Bewilligung einer Vollrente wegen Alters gezahlt werden konnten (§ 7 Abs 3 SGB VI iVm § 280 Abs 1 SGB VI aF). Für die vor dem 1. Januar 1942 geborenen, im Januar 1998 also mindestens 56jährigen Versicherten wirkte sich die Schließung der Höherversicherung daher auf einen Zeitraum von bis zu etwa neun Jahren aus, für die jüngeren Versicherten auf einen solchen von etwa 29 Jahren (ab 1998), ausgehend von einem Vorbeitrag im Jahre 1991 (§ 234 Satz 1 SGB VI aF), der im Alter von 30 Jahren gezahlt wurde. Das Ausmaß des erlittenen Vertrauensschadens kann allerdings nicht allein nach dem Zeitraum bewertet werden, der noch mit Höherversicherungsbeiträgen hätte belegt werden können. Der Vertrauensschaden war vielmehr tatsächlich bei den einzelnen Versicherten unterschiedlich groß und daher unterschiedlich schutzwürdig (vgl BVerfGE 76, 256, 353 ff). Die Versicherten, die langjährig Beiträge gezahlt, insbesondere die Zeit zwischen Verkündung und Inkrafttreten des RRG 1992 noch genutzt hatten, um eine Höherversicherung aufzubauen, und sich auf deren Fortsetzung eingerichtet hatten, wurden durch die Streichung besonders betroffen. Dagegen galt dies nur in geringem Maße für Versicherte wie den Kläger, die sich zwar durch einen Beitrag in die Höherversicherung "eingekauft", von dem dadurch erhalten gebliebenen Recht in der Folgezeit aber keinen Gebrauch gemacht hatten. Bei der Gewichtung des Vertrauensschadens ist darüber hinaus bei allen Versicherten zu berücksichtigen, daß die Zugangssperre zur Höherversicherung nicht die soziale Grundsicherung in der Rentenversicherung betraf. Für die Höherversicherung als Zusatzversicherung bot die private Versicherungswirtschaft ausreichende Möglichkeiten eines Ersatzes. Daß im Einzelfall, wie der Kläger für sich geltend macht, wegen zwischenzeitlich eingetretener gesundheitlicher Beeinträchtigungen die private Versicherung bestimmter Risiken ausgeschlossen sein konnte, ändert an der generellen Beurteilung nichts. Insoweit wie auch für den weiteren Einwand der Revision, die Höherversicherung sei zum Ausgleich von Versorgungslücken durch die Begrenzung der Ausbildungs-Anrechnungszeiten (vgl § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes ≪WFG≫ vom 25. September 1996 ≪BGBl I 1461≫) erforderlich, gilt außerdem, daß diese Interessen ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der Höherversicherung nicht begründen. Die Absicherung bestimmter Risiken wie einer Erwerbsminderung oder des Ausgleichs von Versorgungslücken war nicht Aufgabe und Zweck der Höherversicherung. Sie war als Zusatzversicherung gedacht und ausgestaltet, nicht als Grundsicherung. So hat der Gesetzgeber zum Ausgleich der genannten Versorgungslücken die Versicherten nicht auf die Höherversicherung verwiesen, sondern systemgerecht die Nachzahlung freiwilliger Beiträge (§ 207 SGB VI) zugelassen.
d) Dieses insgesamt nur eingeschränkt schutzwürdige Vertrauen der Versicherten wog nicht schwerer als das Anliegen des Gesetzgebers, im Interesse der Rentenversicherung den Zugang zur Höherversicherung endgültig zu versperren.
Die Höherversicherung hatte sich seit Verabschiedung des RRG 1992 im Jahre 1989 zunehmend als Fremdkörper in der Rentenversicherung erwiesen. Die Höherversicherungsbeiträge führten im Verhältnis zu den Beiträgen für die dynamischen Renten zu einer erheblich höheren Rendite (vgl Störmann, Kompaß 1995, 508, 511/512; Zülch, DRV 1996, 78 ff; Diel, BABl 2/1998, 40, 41; Gessner, DAngVers 1998, 48, 49). Vereinfacht ergab der Höchstbeitrag zur freiwilligen Versicherung im Jahr 1997 für die Regelaltersrente (West) einen Ertrag von 88,30 DM/Monat (Beitragsbemessungsgrundlage 98.400 DM, Beitragssatz 20,3 vH, Durchschnittsentgelt 52.925 DM und aktueller Rentenwert ab 1. Juli 1997 47,44 DM). Bei Entrichtung des gleichen Beitrags zur Höherversicherung errechnete sich bei einem Alter des Versicherten zum Zeitpunkt der Einzahlung von über 55 Jahren gemäß § 269 Abs 1 Satz 2 SGB VI ein Steigerungsbetrag von rund 166,67 DM/Monat. Diese Berechnung gilt zwar nur für das erste Jahr des Rentenbezugs bei einem 65jährigen. Der weitere Ertrag aus den freiwilligen Beiträgen läßt sich für die Zukunft nicht sicher vorhersagen. Er hängt von der jährlichen Anpassung der dynamischen Renten (§ 65 SGB VI) ab. Allgemein wurde aber die Rendite aus den Höherversicherungsbeiträgen auch langfristig als sehr günstig eingeschätzt.
Die Problematik der ungleichen Rendite stellte sich bei der Schaffung des RRG 1999 in besonderem Maße, weil dieses Gesetz Regelungen vorsah, die die vorhandenen Unterschiede noch verstärkten. So wurde durch das RRG 1999 für alle dynamischen Renten ein demographischer Faktor eingeführt (vgl § 63 Abs 7 SGB VI idF des Art 1 Nr 30 RRG 1999). Ferner wurde der Zugangsfaktor gemäß § 77 SGB VI (Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten) geregelt. Von diesen Maßnahmen waren die unabhängig vom Zeitpunkt des Rentenbeginns gleichmäßig zu zahlenden Leistungen aus der Höherversicherung nicht betroffen. Die schon durch das WFG vorgezogene Erhöhung der Altersgrenze bei Renten für Frauen und langjährig Versicherte sowie die mit dem RRG 1999 beschlossene Anhebung der Altersgrenze bei Renten für Schwerbehinderte und künftige Abschaffung der vorzeitigen Altersrenten für Frauen, Arbeitslose, Berufs- und Erwerbsunfähige (§§ 37 - 39 SGB VI) hätte sich zwar mittelbar auch auf die Höherversicherung ausgewirkt, da Leistungen hieraus nur neben einer auf anderen Beiträgen beruhenden Rente gezahlt werden. Die zur Kompensation der Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters geschaffene Möglichkeit der Zahlung von zusätzlichen Beiträgen (§ 187a SGB VI, mit Wirkung zum 1. August 1996 eingefügt durch Art 2 des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23. Juli 1996 ≪BGBl I 1078≫) drohte jedoch leerzulaufen, weil sie eine im Vergleich zur Höherversicherung geringere Rendite bot. Die Höherversicherung wurde seinerzeit aufgrund ihrer verhältnismäßig hohen Rendite empfohlen (vgl Gessner, DAngVers 1998, 48, 49). Auch wurden Höherversicherungsbeiträge deswegen neben der Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen zum Ausgleich der Versorgungslücken durch die Begrenzung der Ausbildungs-Anrechnungszeiten (§ 207 SGB VI) angeraten (vgl Störmann, Kompaß 1995, 508, 510). Anstelle freiwilliger Beiträge mit geringer Rendite konnten neben freiwilligen Mindestbeiträgen Höherversicherungsbeiträge zwischen dem Mindest- und dem Höchstbeitrag (oben 1 c) mit wesentlich höherer Rendite gezahlt werden.
Die Entwicklung der Höherversicherung zur "billigen Möglichkeit des Rentenabschlagsausgleichs" veranlaßte den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, die Streichung des § 234 SGB VI aF durch das RRG 1999 zu empfehlen (vgl Kurzprotokoll der 110. Sitzung des Ausschusses am 17. September 1997 S 11 ff). Er ging davon aus, daß die Höherversicherung infolge der Flexibilisierung der Altersgrenzen, die es bei Einführung der Höherversicherung im Jahre 1952 noch nicht gab, und der längeren Rentenbezugszeiten aufgrund der höheren Lebenserwartung sich auf Dauer nicht mehr selbst finanzieren werde, sondern auch aus den Grundbeiträgen bezahlt werden müsse. Um weiterhin eine Selbstfinanzierung der Höherversicherung zu gewährleisten, sei eine versicherungsmathematische Neuberechnung des ganzen Leistungssystems erforderlich. Das sei aber schon bei der Rentenreform 1992 abgelehnt worden; man habe sich für die grundsätzliche Schließung der Höherversicherung entschlossen mit den in § 234 SGB VI aF geregelten Ausnahmen.
Der Gesetzgeber ist dem Vorschlag des Ausschusses unter Berufung auf die schon mit dem RRG 1992 eingeleitete Schließung der Höherversicherung und die zwischenzeitlich deutlich gewordene Verschiebung des Renditeverhältnisses zwischen den Beiträgen der Höherversicherung und denen zur dynamischen Rentenversicherung zugunsten der Höherversicherung gefolgt (vgl BT-Drucks 13/8671 S 118 zu Nr 66a). Im Gesetzgebungsverfahren nicht zur Sprache gekommen sind europarechtliche Bedenken gegen die Höherversicherung als Teil der Rentenversicherung. Auch sie sprechen aber für die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens. Ein wesentliches Kennzeichen der Systeme der sozialen Sicherheit iS des Europarechts und damit der Sozialversicherung iS des innerstaatlichen Rechts ist, daß sie Elemente des sozialen Ausgleichs mitberücksichtigen. Nur Einrichtungen, die Systeme der sozialen Sicherheit in diesem Sinne verwalten, sind keine Unternehmen und unterfallen nicht den Wettbewerbsvorschriften der Art 86, 81 ff des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) vom 25. März 1957 idF des Art 2 des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997 (BGBl II 1998, 387; vgl EuGHE 1993 I 637, 670 RdNr 20 und EuGHE 1995 I 4013, 4030 RdNr 22; BSGE 81, 276, 283 = SozR 3-2600 § 158 Nr 1; BSG SozR 3-2600 § 2 Nr 5). Die am Versicherungsprinzip ausgerichtete Höherversicherung ohne Elemente des sozialen Ausgleichs könnte das innerstaatliche Sozialversicherungsmonopol der Rentenversicherung in Frage stellen. Darüber hinaus könnten sich Bedenken gegen die Höherversicherung aus dem Verbot staatlicher Beihilfen mit einer den Wettbewerb verfälschenden Wirkung (Art 87 EGVtr) ergeben, wenn sie nicht mehr allein aus den Höherversicherungsbeiträgen finanziert sein sollte (vgl Schulz-Weidner, Deutsche Rentenversicherung 1997, 449, 470 ff).
Die Revision kann nicht mit Erfolg einwenden, die endgültige Schließung der Höherversicherung für die Zukunft sei nicht geeignet und erforderlich gewesen, weil deren Leistungsrecht hätte neu gestaltet werden können; die Finanzierung aus Beiträgen der Höherversicherung hätte langfristig, auch unter Berücksichtigung längerer Rentenlaufzeiten, dadurch sichergestellt werden können, daß für zukünftige Beiträge nur noch Leistungen ab dem 65. Lebensjahr vorgesehen worden wären. Der Gesetzgeber hat zu Recht eine Anpassung des Leistungsrechts aus Höherversicherungsbeiträgen abgelehnt, weil dies Eingriffe in gemachte Zusagen bedeuten würde, die nicht zu rechtfertigen wären (vgl Begründung zum RRG 1999, BT-Drucks 13/8671 S 118 zu Nr 66a). Bei einer privatrechtlich ausgestalteten Versicherung wie der Höherversicherung ist die Änderung des Beitrags-Leistungsverhältnisses, auch wenn dies nur die Zukunft betrifft, besonders problematisch. Außerdem werden die nach § 234 SGB VI aF bisher noch zur Höherversicherung Berechtigten für die Zukunft lediglich denjenigen Versicherten gleichgestellt, die schon nach dem ersten Schritt einer Zugangssperre zur Höherversicherung hiervon ausgeschlossen waren. Eine Weiterführung der Höherversicherung allein für die Versicherten iS des § 234 SGB VI aF unter Anpassung des Leistungsrechts hätte dagegen zu einer Besserstellung gegenüber den zuvor Ausgeschlossenen geführt. Diese Versicherten hätten dann möglicherweise geltend machen können, auch für sie müsse eine solche Anpassung unter Erhalt des Rechts zur Höherversicherung vorgesehen werden. Die Streichung des § 234 SGB VI aF war den Versicherten wie dem Kläger aus diesen Gründen auch zumutbar und verletzt nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl BVerfGE 78, 232, 245 = SozR 5850 § 14 Nr 11 S 18 mwN).
Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 Satz 1 GG kam danach nicht in Betracht. Die Revision war vielmehr zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BSGE 88, 43 |
BSGE, 43 |
NJW 2002, 1222 |
NZS 2001, 547 |
SozR 3-2600 § 234, Nr. 1 |