Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Klage gegen Veranlagungsbescheid. Keine Einbeziehung der auf Veranlagung beruhenden Beitragsbescheide nach § 96 SGG. Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung. Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Gefahrtarif 1995. Gefahrtarifstellen. Berechnung der Gefahrenklassen. Erforderlicher Umfang der Beweiserhebung
Normenkette
RVO §§ 723, 725, 730, 734; SGG § 96 Abs. 1, § 128 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. September 2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage gegen den Beitragsbescheid vom 25. April 1997 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 25. Juni 1997 und vom 10. November 1997 sowie den Beitragsbescheid vom 27. April 1998 als unzulässig abgewiesen wird.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten wegen der Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) und der Höhe ihrer Beiträge für die Jahre 1996 und 1997.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Sie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1985 in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten eingetragen (Mitgliedschein vom 12. Dezember 1985). Durch Bescheid vom 27. Oktober 1995 veranlagte die Beklagte die Klägerin zu den Gefahrtarifstellen 23 und 24 des von ihrer Vertreterversammlung am 7. Juli 1995 beschlossenen und vom Bundesversicherungsamt am 22. August 1995 genehmigten, ab 1. Januar 1995 geltenden Gefahrtarifes (im Folgenden “Gefahrtarif 1995”) mit den entsprechenden Gefahrklassen. Dieser Gefahrtarif sah für die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung folgende Gefahrtarifstellen vor:
Gefahrtarifstelle |
Unternehmensart |
Gefahrklasse |
(*)Jedes Unternehmen wird zu den zwei Gefahrtarifstellen 23 und 24 veranlagt. |
23(*) |
Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung |
1,6 |
|
– Beschäftigte, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten |
|
24(*) |
Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung |
|
|
– Beschäftigte, die nicht die in der Gefahrtarifstelle 23 genannten Voraussetzungen erfüllen |
|
|
Jahr 1995 |
12,8 |
|
Jahr 1996 |
15,8 |
|
Jahre 1997 bis 1999 |
18,8 |
Grundlage des Gefahrtarifs 1995 waren alle gezahlten Leistungen sämtlicher Versicherungsfälle sowie die beitragspflichtigen Entgelte der Jahre 1989 bis 1993.
Der von der Klägerin gegen den Veranlagungsbescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1996 zurückgewiesen. Nachdem die Klägerin hiergegen am 5. Februar 1996 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben hatte, hat die Beklagte die Klägerin ab 1. Januar 1996 neu veranlagt; hinsichtlich der Gefahrtarifstelle 24 wurde die Gefahrklasse für das Jahr 1996 (von 15,8) auf 12,64 und für die Jahre 1997 bis 1999 (von 18,8) auf 15,04 herabgesetzt (Veranlagungsbescheid vom 10. November 1997).
Weiter hat die Beklagte während des Klageverfahrens vor dem SG den Beitrag für das Jahr 1995 gegenüber der Klägerin mit Beitragsbescheid vom 24. Juni 1996 festgesetzt. Die Beteiligten haben am 22. August 1996 einen außergerichtlichen “Abschlussvergleich” geschlossen und darin vereinbart, dass damit “sämtliche Streitigkeiten und Forderungen aus der Beitragsveranlagung für das Jahr 1995 endgültig erledigt” sind. Ausdrücklich wurde dabei darauf hingewiesen, dass “die Rechtsmittel gegen den Veranlagungsbescheid für den laufenden Gefahrtarifzeitraum, soweit diese die Jahre 1996 bis 1999 betreffen”, von dem Vergleich nicht betroffen seien.
Ferner hat die Beklagte die Klägerin durch Bescheid vom 25. April 1997 zu (reinen BG-) Beiträgen für das Jahr 1996 in Höhe von 374.163,44 DM herangezogen; später hat sie den Beitrag auf 381.027,58 DM erhöht (Bescheid vom 25. Juni 1997) und sodann aufgrund des abgeänderten Veranlagungsbescheides vom 10. November 1997 auf 307.097,00 DM herabgesetzt (Bescheid vom 10. November 1997). In der Folge hat die Beklagte die Klägerin noch für das Jahr 1997 zu Beiträgen in Höhe von 389.834,83 DM herangezogen (Bescheid vom 27. April 1998).
Das SG hat den Veranlagungsbescheid vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 1996 und des Veranlagungsbescheides vom 10. November 1997 sowie die Beitragsbescheide für die Jahre 1996 und 1997 aufgehoben und die Klage im Übrigen sowie die Widerklage der Beklagten, die Klägerin hilfsweise zur Zahlung von Beiträgen für die Jahre 1996 und 1997 zu verurteilen, abgewiesen (Urteil vom 2. Juli 1998).
Mit Wirkung vom 1. Januar 1998 wurde der Gefahrtarif 1995 durch den Gefahrtarif 1998 abgelöst, bei dem die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach den Gefahrtarifstellen 48 und 49, die den Gefahrtarifstellen 23 und 24 des Gefahrtarifs 1995 hinsichtlich der Zuordnung der Beschäftigten genau entsprechen, zu veranlagen sind.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 20. September 2002). Die Beklagte sei die für die Klägerin zuständige BG. Ein Verstoß der Satzung, insbesondere des Gefahrtarifs 1995 und der gesetzlichen Normen, auf denen diese beruhe, gegen höherrangiges Recht sei nicht feststellbar. Die Einrichtung nur der zwei Gefahrtarifstellen 23 und 24 für die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Gefahrtarif 1995 der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Insbesondere sei innerhalb der Gefahrtarifstelle 24 eine weitere Differenzierung nicht geboten gewesen; deren Bildung bewege sich vielmehr im Rahmen eines ordnungsgemäß ausgeübten Ermessens. Die Gefahrklassen seien auch nachvollziehbar berechnet worden. Die Beklagte habe bei der Ermittlung des Zahlenmaterials keine derartigen Fehler gemacht, dass die auf dieser Basis berechnete Belastungsziffer nicht mehr als verwertbarer Maßstab für die Beurteilung der Unfallgefahr der unter diesen Gefahrtarifstellen zusammengefassten Unternehmen angesehen werden könne. Die Errechnung der Gefahrklassen nach dem Verhältnis der im Beobachtungszeitraum 1989 bis 1993 in den einzelnen Gewerbezweigen der Gefahrtarifstellen erzielten Entgelte zu den Entschädigungen nach dem Unfallverzeichnis sei rechtlich nicht zu beanstanden; die Entscheidung für eine Berücksichtigung der Erstentschädigungsfälle in diesem Zeitraum habe im Rahmen des der Vertreterversammlung eingeräumten Regelungsspielraums gelegen. Die vorhergehenden Gefahrtarife 1984 und 1990 knüpften zwar an andere Zuordnungsmerkmale als der Gefahrtarif 1995 an, dennoch sei die Zuordnung der Unfalllasten und Lohnsummen hier zumindest im Grundsatz begründ- und nachvollziehbar. Die hier entstandenen Ungenauigkeiten bei der Zuordnung der Lohnsummen hielten sich in einer rechtlich vernachlässigbaren Größenordnung, zumal die Beklagte eine falsche Zuordnung soweit als möglich korrigiert habe. Bei allen Unzulänglichkeiten handele es sich um unvermeidbare, weil in der Änderung der Gefahrtarifstruktur begründete Fehler, die hinzunehmen seien. Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis einer um mindestens 20 % niedrigeren Gefahrklasse bei zutreffender Lohnsummenermittlung brauche daher nicht nachgekommen zu werden. Der Beklagten sei auch nicht vorzuwerfen, dass sie es unterlassen habe, eine breit angelegte Analyse der gemeldeten Lohnsummen rückwirkend für 1989 bis 1993 durchzuführen, weil Ermittlungen nach derart langer Zeit nach ihren Erfahrungen nicht zu besser verwertbaren Erkenntnissen führten.
Die Klägerin habe auch keine detaillierten Angriffe bezüglich der Berechnungsgrundlagen vorgebracht, sondern nur sehr pauschal den Vorwurf der falschen Zuordnung von Unfalllasten und Lohnsummen erhoben; zu Unrecht beanstande sie auch auf das Verhalten der Unternehmer zurückzuführende Fehler. Auch im Übrigen sei eine fehlerhafte Verhaltensweise der Beklagten mit konkreten Auswirkungen auf die Beitragsbelastung der Klägerin nicht feststellbar. Wie die Beklagte dargestellt habe, hätten ihre Berechnungen die Gefahrklasse 18,8 ergeben. Um eine zu hohe Belastung der Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden, sei eine schrittweise Heranführung an die tatsächliche Unfallgefahr durch die stufenweise Festlegung der Gefahrklassen erfolgt. Insoweit sei selbst bei Annahme einer teilweise falschen Zuordnung der Unfalllasten oder Lohnsummen keine Auswirkung zu Lasten der Klägerin ersichtlich. Zutreffend verweise die Beklagte hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Regresseinnahmen aus Wegeunfällen darauf, dass diese Einnahmen wegen ihres zeitverzögerten Zuflusses bei der Aufstellung der Gefahrklasse – wie bei allen anderen Gefahrtarifstellen – nicht berücksichtigt werden könnten. Die Beiträge seien auch insgesamt zutreffend berechnet worden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Es mangele bereits an der Zuständigkeit der Beklagten für die Zeitarbeitsunternehmen. Die Veranlagung auf der Grundlage des Gefahrtarifs 1995 sei rechtswidrig. Die in einer nach § 157 Abs 2 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) gebildeten Tarifstelle eines Gefahrtarifs zusammengefassten Unternehmen müssten einem vergleichbaren Gefährdungsrisiko unterliegen. Die Zusammenfassung aller nicht ausschließlich kaufmännisch und verwaltend tätigen Mitarbeiter eines Zeitarbeitsunternehmens in der Gefahrtarifstelle 24 verstoße gegen diesen Grundsatz, zumal nach der Definition der Beklagten fast 92 % aller verliehenen Beschäftigten nicht in diesem Bereich tätig und die Gefährdungsrisiken zB von Elektrikern und Telefonisten, die beide als gewerbliche Arbeitnehmer in dieser Gefahrtarifstelle geführt würden, nicht vergleichbar seien.
Das Risiko der Zeitarbeit bestehe auch nicht im Verleih selbst, sondern sei von der Tätigkeit, welche die Leiharbeiter im Entleihbetrieb ausführten, abhängig. Es gebe keine gewerbetypischen Unfallgefahren in der Zeitarbeitsbranche. Der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. August 1991 – 2 RU 54/90 –, bei der es sich insoweit um ein Überraschungsurteil handele, könne schon aus diesem Grunde nicht gefolgt werden; insbesondere bestehe für diese Branche nachweislich keine erhöhte, sondern sogar eine unter der der anderen Unternehmen liegende Wegeunfallgefahr. Im Übrigen habe das BSG in dieser Entscheidung auch nur die Auffassung vertreten, die Bildung der damaligen Tarifstellen sei nur solange nicht zu beanstanden, bis die Beklagte neue Erkenntnisse gewonnen hätte; bisher seien allerdings keinerlei Untersuchungen zu der Frage angestellt worden, welche Berufsgruppen im Einzelnen in der gewerblichen Zeitarbeit vorkommen und wie sie sich in ihrer Unfallbelastung unterscheiden.
Die Gefahrklassen der Gefahrtarifstellen 23 und 24 seien falsch berechnet, weil die Unternehmen in dem der Berechnung zugrunde liegenden Beobachtungszeitraum der Jahre 1989 bis 1993 ihre Meldungen auf der Grundlage der bis dahin geltenden Gefahrtarife 1984 und 1990, die andere Zuordnungen für die hier einschlägigen Gefahrtarifstellen getroffen hätten, abgegeben hätten und die Beklagte diese Daten ohne weitere Bearbeitung der Gefahrklassenberechnung des neuen Tarifs zugrunde gelegt habe. Die geänderten Tarifstellenbeschreibungen hätten zu erheblichen Lohnsummenverschiebungen geführt; die korrekte Zuordnung der Lohnsummen zu den einzelnen Tarifstellen sei aber einer der grundlegenden Schritte zur Errechnung der Gefahrklassen. Hinsichtlich der von der Beklagten nach ihren Angaben durchgeführten Überprüfungsaktion hinsichtlich der Unfälle aus den Jahren 1994 bis 1996 sei vieles fraglich.
Die Beklagte habe in einem Parallelverfahren vor dem LSG bestätigt, dass sie von den Zeitarbeitsunternehmen wesentlich mehr Beiträge einziehe, als sie an Unfalllasten zu tragen habe; dies verstoße gegen das Übermaßverbot und bedeute einen eindeutigen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit. Die Beiträge, welche die Beklagte von ihr verlange, seien auch deswegen rechtswidrig, weil sie in ungerechtfertigter Weise mit Beitragslasten belegt werde, die eindeutig anderen Bereichen zufielen. So habe die Beklagte bei den Profi-Fußballvereinen schließlich einen ungerechtfertigten Beitragsverzicht geleistet. Hinsichtlich der Altlasten-Ost habe das LSG das Urteil des BSG vom 18. April 2000 – B 2 U 13/99 R – (SozR 3-8110 Kap VIII I III Nr 1 Nr 2) nicht richtig gewertet. Eine solche Umlage belaste sie als Mitgliedsunternehmen mit einer hohen Gefahrklasse unter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes überproportional.
Als Verfahrensfehler werde gerügt, dass das LSG unter Verstoß gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht gefolgt sei, bestimmte Personen als Zeugen zu vernehmen bzw Sachverständigengutachten zu den Behauptungen einzuholen, dass es keine gewerbetypische Unfallgefahr in der Zeitarbeitsbranche gebe und dass die zur Berechnung der Gefahrklassen herangezogenen Lohnsummen nicht den Tarifstellenbeschreibungen entsprochen hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. September 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 2. Juli 1998 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Veranlagung der Klägerin für die Jahre 1996 bis 1997 durch die Beklagte ist rechtmäßig. Hinsichtlich der Beitragsbescheide für diesen Zeitraum ist die Klage als unzulässig abzuweisen.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein der Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 1996 und des neuen Veranlagungsbescheides vom 10. November 1997. Dabei ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit im Streit nur noch die Veranlagung für die Jahre 1996 und 1997 steht, weil die Beteiligten den Streit für das Jahr 1995 durch Abschluss des außergerichtlichen Vergleichs vom 22. August 1996 beendet haben und die an die Stelle der Veranlagung nach dem Gefahrentarif 1995 für die Jahre 1998 und 1999 getretene Veranlagung der Klägerin nach dem Gefahrentarif 1998 nicht Verfahrensgegenstand ist. Über deren Rechtmäßigkeit hat der Senat bereits durch das rechtskräftige Urteil vom 24. Februar 2004 – B 2 U 4/03 R – entschieden.
Allerdings hat das LSG auch den Beitragsbescheid für das Jahr 1996 vom 25. April 1997, die Änderungsbescheide vom 25. Juni 1997 und vom 10. November 1997 sowie den Beitragsbescheid für das Jahr 1997 vom 27. April 1998 als Verfahrensgegenstand angesehen. Diese Bescheide sind indes nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG ohne gesonderte Anfechtung kraft Gesetzes Gegenstand des gegen die Veranlagungsbescheide anhängigen Klageverfahrens geworden. Durch die auf der Veranlagung beruhenden Beitragsbescheide werden die Veranlagungsbescheide selbst weder geändert noch ersetzt. Wie der Senat entschieden hat, kann die Einbeziehung der Beitragsbescheide auch nicht auf eine analoge oder entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen (vgl Urteile vom 24. Juni 2003 – BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 8 und vom 24. Februar 2004 – B 2 U 4/03 R –).
Die fehlerhafte Einbeziehung der Beitragsbescheide ist auch nicht durch rügelose Einlassung der Beteiligten “geheilt” worden. Ob neben dem Ausgangsbescheid weitere, nach Klageerhebung ergangene Verwaltungsakte gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind und das Berufungsgericht über sie entscheiden durfte, ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Denn es geht dabei um die Zulässigkeit der gegen die Folgebescheide gerichteten Klage und damit um das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein müssen und nicht zur Disposition der Beteiligten stehen (Urteil des Senats vom 9. Dezember 2003 – B 2 U 54/02 R – mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 160 Nr 1 vorgesehen). Die Beitragsbescheide sind auch nicht aufgrund einer Klageänderung gemäß § 99 SGG einer materiellen Überprüfung zugänglich, weil es an einer Nachprüfung im Rahmen eines Vorverfahrens (§ 78 Abs 1 SGG) fehlt.
Die Beklagte ist aufgrund ihres bindenden Bescheides vom 12. Dezember 1985 (Mitgliedschein) über die Eintragung der Klägerin in ihrem Unternehmerverzeichnis der zuständige Unfallversicherungsträger für die Klägerin.
Maßgebliche Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebungen in der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum 31. Dezember 1996 ist die Reichsversicherungsordnung (RVO) und für die anschließende Zeit das SGB VII, weil nach § 219 Abs 1 Satz 1 SGB VII, der am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, die Vorschriften des SGB VII erstmals für das Haushaltsjahr 1997 anzuwenden sind. Die Veranlagung der Klägerin im Jahre 1995 und die geänderte Veranlagung im Jahre 1996 sind mithin noch nach den Vorschriften der RVO zu beurteilen. Da sich die Veranlagung auch auf das Jahr 1997 bezieht – die ursprünglich von der Veranlagung nach dem Gefahrtarif 1995 mitumfasste Zeit von 1998 bis 1999 ist durch die Veranlagung nach dem Gefahrtarif 1998 aufgehoben worden – muss sie für dieses Jahr an den Vorschriften des SGB VII gemessen werden.
Allerdings führt dies nicht dazu, dass für diesen Zeitraum andere rechtliche Kriterien anzulegen wären. Der Senat hat bereits in seinen Entscheidungen vom 6. Mai 2003 – B 2 U 7/02 R – (SozR 4-2700 § 162 Nr 1 RdNr 5) und – B 2 U 17/02 R – klargestellt, dass durch das SGB VII keine grundlegende Neuregelung des Beitragsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt ist, sondern dass es im Wesentlichen das zuvor geltende Recht der RVO übernommen hat (vgl Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2204, S 73, 110, 112). Die von den Unternehmen allein zu zahlenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der jeweiligen BG, den Arbeitsentgelten der Versicherten in dem jeweiligen Unternehmen und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (vgl §§ 723 Abs 1, 725 Abs 1, 730 RVO; §§ 150 Abs 1, 153 Abs 1, 157 Abs 3 SGB VII). Grundlage für die Beitragserhebung ist der Gefahrtarif, in dem entsprechend den Unfallgefahren bzw den Gefährdungsrisiken Gefahrtarifstellen zu bilden sind und den die jeweilige BG als autonomes Recht erlässt (§§ 730, 734 Abs 1 RVO; § 157 Abs 1 bis 3 SGB VII). Dieser Gefahrtarif war nach § 731 Abs 1 RVO alle fünf Jahre nachzuprüfen und darf – insoweit eine Neuregelung – nach § 157 Abs 5 SGB VII höchstens sechs Jahre gelten. Nach dem als Satzung anzusehenden Gefahrtarif der jeweiligen BG sind die Unternehmen für die Tarifzeit zu den Gefahrklassen zu veranlagen (§ 734 Abs 1 RVO, § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die zu der Bildung von Gefahrtarifen und der Veranlagung von Unternehmen in der Rechtsprechung und Literatur zur RVO herausgearbeiteten Grundsätze können mithin regelmäßig auch zur Auslegung der entsprechenden Vorschriften des SGB VII herangezogen werden und umgekehrt. Dementsprechend ist auch das Revisionsvorbringen der Klägerin, die ausdrücklich eine Verletzung allein der einschlägigen Vorschriften des SGB VII geltend macht, nicht bereits aus diesem Grunde (teilweise) unzulässig.
Mit den auch im vorliegenden Verfahren relevanten Fragen der Aufstellung und Struktur eines Gefahrtarifs der Beklagten in Bezug auf die Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung hat sich der Senat bereits in verschiedenen Entscheidungen ausführlich befasst (BSG Urteile vom 24. Juni 2003 – B 2 U 21/02 R = BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1 und vom 24. Februar 2004 – B 2 U 3/03 R –, – B 2 U 4/03 R – und – B 2 U 31/03 R –). Zwar betreffen diese Entscheidungen sämtlich den Gefahrtarif 1998 der Beklagten und behandeln demgemäß die Rechtslage nach dem SGB VII. Unter Hinweis auf die praktisch unveränderte Rechtslage, insbesondere auch den Umstand, dass die Gesetzesmaterialien zum SGB VII auch zur – hier auch ausdrücklich gerügten – Berechnung der Gefahrklassen einer Gefahrtarifstelle auf die bisherige (also an der RVO ausgerichtete) Praxis der Unfallversicherungsträger verweisen (BT-Drucks 13/2204, S 111 zu § 157 Abs 3), hat der Senat indes bereits in seinem Beschluss vom 19. August 2003 – B 2 U 368/02 B – entschieden, dass die in den genannten Entscheidungen dargelegten Grundsätze bei der Beurteilung des Gefahrtarifs 1995 ohne weiteres entsprechend anzuwenden sind.
Danach erweist sich der Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 1996 und des Veranlagungsbescheides vom 10. November 1997 als rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 734 Abs 1 RVO (jetzt: § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII), nach dem die BG die Unternehmen für die Tarifzeit nach der Satzung (jetzt ausdrücklich: Gefahrtarif) zu Gefahrklassen veranlagt. Der von der Beklagten der Veranlagung der Klägerin zugrunde gelegte, ab 1. Januar 1995 geltende Gefahrtarif der Beklagten ist hinsichtlich der zwischen den Beteiligten umstrittenen Gefahrtarifstellen 23 und 24 rechtlich nicht zu beanstanden; die zu dem hinsichtlich der Zuordnung der Beschäftigten zu den Gefahrtarifstellen völlig identischen Gefahrtarif 1998 angestellten Erwägungen (s Urteil des Senats vom 24. Juni 2003 – BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1 mwN und ausführlicher Begründung sowie die weiteren oben aufgeführten Urteile vom 24. Februar 2004) gelten entsprechend.
Aus der Größe einer Gefahrtarifstelle, die wie vorliegend nur einen Gewerbezweig umfasst, folgt ebenso wenig wie aus den unterschiedlichen Tätigkeiten und Gefährdungsrisiken innerhalb dieses Gewerbezweiges ein Zwang für die Selbstverwaltung der Beklagten, diese zu unterteilen (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 19 f). Denn als autonom gesetztes objektives Recht (vgl § 730 RVO, jetzt: § 157 SGB VII; §§ 33 ff SGB IV) ist der Gefahrtarif der Beklagten durch die Sozialgerichte nur daraufhin überprüfbar, ob er mit der RVO bzw jetzt dem SGB VII und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens war der Beklagten bei der Aufstellung des Gefahrtarifs ein nicht zu eng bemessener Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, ist nicht Aufgabe der Gerichte (BSG aaO, jeweils RdNr 12 mwN). Auf den in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 20. September 2002 gestellten Antrag der Klägerin, zu der Behauptung, es gebe keine gewerbetypischen Unfallgefahren in den Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben, kommt es unabhängig von der Geeignetheit des genannten Beweismittels nicht an. Denn die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung sind ein eigener Gewerbezweig und in zwei eigenen Gefahrtarifstellen zusammengefasst. Bei einer solchen Regelung kommt es – im Unterschied zur Zusammenfassung mehrerer Gewerbezweige zu einer Gefahrengemeinschaft in einer Gefahrtarifstelle – im Rahmen der Gefahrtarifbildung nicht auf die speziellen Unfallgefahren oder Gefährdungsrisiken des jeweiligen Gewerbezweiges an (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 20).
Auch die Berechnung der Gefahrklassen der Gefahrtarifstellen 23 und 24 im Gefahrtarif 1995 der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die nach bisheriger Auffassung und Praxis (vgl Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Juni 1996, § 730 RVO RdNr 5 mwN) anzustellende und nunmehr vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnete (§ 157 Abs 3 SGB VII) “Berechnung” der Gefahrklassen aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten ist kein reiner Rechenakt, sondern ein Zusammenfluss rechnerischer und wertender bzw gewichtender Faktoren (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 26 f). Von daher greifen die Rügen der Klägerin, die geänderten Tarifstellenbeschreibungen im Laufe des Beobachtungszeitraums (1989 bis 1993) hätten zu erheblichen Lohnsummenverschiebungen geführt, es sei zu einer falschen Zuordnung von Lohnsummen und damit einer falschen Basis für die Berechnung der Gefahrklassen gekommen und das LSG habe entgegen ihrem Antrag unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht weitere Beweiserhebungen unterlassen, nicht durch. Das LSG musste sich aufgrund seiner ausführlichen Würdigung der Zahlenbasis des Gefahrtarifs, der geänderten Definition der Gefahrtarifstellen und der Würdigung der Nacherhebung der Beklagten nicht zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt sehen. Denn es hat in Übereinstimmung mit der aufgeführten Rechtsprechung des BSG die vorliegenden Beweise nachvollziehbar im Rahmen des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass gravierende Fehler (s dazu BSG Urteil vom 18. Oktober 1994 – 2 RU 6/94 = SGb 1995, 253) nicht vorgelegen hätten, sich im Übrigen wegen der weit unter der errechneten Gefahrenklasse erfolgten Veranlagung auch nicht ausgewirkt hätten. Dies ist nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen (§ 163 SGG) angegriffen worden. Der Vortrag der Klägerin, die Beklagte habe zwar im nachhinein versucht festzustellen, ob die Unfalllasten dem jeweiligen Gefahrtarif korrekt zugeordnet gewesen seien, jedoch habe es eine konkrete Untersuchung nie gegeben und daher seien “die Feststellungen des Urteils auf Seite 20 nicht korrekt”, ist zu unbestimmt und stellt lediglich eine eigene – im Revisionsverfahren als Rüge unzulässige – Beweiswürdigung dar. Im Übrigen würde eine Verschiebung zwischen den Gefahrtarifstellen 23 und 24 aufgrund insoweit ungeeigneten Zahlenmaterials im Ergebnis auch nicht zu einer höheren Belastung der Unternehmen führen, weil jedes Unternehmen zwingend nach beiden Gefahrtarifstellen zu veranlagen ist und so die Gesamtbelastung sich nicht ändern würde. Hinsichtlich des Beweisantrages, durch Sachverständigengutachten zu überprüfen, “ob bei zutreffender Lohnsummenermittlung die gewerbliche Gefahrklasse um mindestens 20 % niedriger gelegen hätte”, ist darauf hinzuweisen, dass er keine Tatsachenfeststellungen, sondern die “zutreffende Ermittlung” der Lohnsummen zum Gegenstand hat und damit auf eine rechtliche Wertung abzielt. Bedenken bestehen auch in Bezug auf das Beweismittel Sachverständigenbeweis, da unklar ist, welche Art von Sachverständigen hierüber aufgrund welcher Sachkompetenz und welcher tatsächlicher Feststellungen eine Aussage treffen könnte.
Zu der von der Klägerin behaupteten Differenz zwischen dem jährlichen Beitragsaufkommen der Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung und den Entschädigungsleistungen in deren Gewerbezweig ist darauf hinzuweisen, dass – nach wie vor – zwischen den Beiträgen an eine Versicherung und deren tatsächlich gezahlten Leistungen kein Zusammenhang bestehen muss (Urteil des Senats vom 24. Juni 2003 – BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 28, mwN und ausführlicher Begründung).
Auf die hinsichtlich der konkreten Beitragshöhe aufgeworfenen Fragen zur Berücksichtung des Beitragsnachlasses für die Profi-Fußballvereine und der Verteilung der Altlasten-Ost kommt es für die vorliegende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Fundstellen