Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsbeklagte, Prozeßbevollmächtigte: …, …, Klägerin und Revisionsbeklagte |
…, Beklagte und Revisionsklägerin. Beklagte und Revisionsklägerin, ergeht gemäß § 138 des Sozialgerichtsgesetzes folgender Berichtigungsbeschluß: Auf Seite 10, Zeile 43 der Urschrift des Urteils vom 23... |
Tatbestand
I.
Die Klägerin beansprucht Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung ihres am 9. Mai 1982 verstorbenen früheren Ehemannes.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig vom 7. Oktober 1958 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Vor dem OLG haben die Parteien des Scheidungsverfahrens einen Vergleich geschlossen, in dem sie ua gegenseitig auf Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft sowie für den Fall veränderter Umstände iS des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verzichtet haben. Der Versicherte verpflichtete sich, für die drei gemeinsamen Kinder, für die der Klägerin das Sorgerecht zustehen sollte, insgesamt monatlich 225,-- DM an Unterhalt zu zahlen. Der Versicherte ist nach der Scheidung eine neue Ehe nicht eingegangen.
Den Rentenantrag der Klägerin vom 14. Mai 1982 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 1982 ab, weil die Klägerin umfassend auf Unterhalt verzichtet habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage der Klägerin abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1983). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) in seinem ersten Urteil in diesem Rechtsstreit vom 25. November 1983 die Beklagte verurteilt, "der Klägerin ab 1. Juni 1982 Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO zu gewähren". Dieses Urteil hat der erkennende Senat - damals als 5b Senat - in dem Revisionsverfahren 5b RJ 68/84 am 14. März 1985 aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen (vgl SozR 2200 § 1265 Nr 74). Der Senat hat damals ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe ein umfassender Unterhaltsverzicht zur Folge, daß ein Anspruch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO nicht bestehe. Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, hat der Senat unentschieden gelassen, jedoch die Gründe, aus denen das LSG davon abgewichen ist, für erwägenswert gehalten. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte sich das LSG jedenfalls gedrängt fühlen müssen, Feststellungen darüber zu treffen, ob aus Gründen, die nicht im Zusammenhang mit den Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen des Versicherten gestanden hätten, der Unterhaltsverzicht erklärt worden sei.
Das LSG hat nun erneut die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Juni 1982 Hinterbliebenenrente zu gewähren (Urteil vom 26. August 1986): Zwar habe sich die Klägerin bei ihrer Unterhaltsverzichtserklärung von mehreren Beweggründen leiten lassen. Das entscheidende Motiv der Klägerin für den 1958 vereinbarten Unterhaltsverzicht habe aber in den zumindest in jener Zeit sehr schlechten Vermögens- und Erwerbsverhältnissen ihres früheren Ehemannes gelegen. Im übrigen stünden die anderen "Motivbestandteile" in einer ganz engen Wechselbeziehung zu den damaligen Vermögens- und Erwerbsverhältnissen des Versicherten, so daß insoweit eine gesonderte Betrachtung nicht angezeigt sei. Aber selbst wenn man eine solche für möglich halte, führe diese dazu, den auf die Tatbestände des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO sich beziehenden Beweggrund als gleichwertig und gleichgewichtig im Verhältnis zu den sonstigen Beweggründen anzusehen.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die unrichtige Anwendung materiellen Rechts, und zwar die Auslegung des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO unter Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht die begehrte Hinterbliebenenrente trotz ihres - anläßlich der Scheidung von dem Versicherten erklärten - umfassenden Unterhaltsverzichts gemäß § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO zu.
Davon auszugehen ist, daß der Klägerin kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO zusteht. Aus Satz 2 der genannten Vorschrift, der hier geprüft werden muß, weil eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, sind jedenfalls die Voraussetzungen der Nrn 2 und 3 erfüllt. Zur Zeit der Scheidung am 7. Oktober 1958 hatte die Klägerin offenbar drei, mindestens aber zwei, waisenrentenberechtigte Kinder zu erziehen. Beim Tode des Versicherten am 9. Mai 1982 hatte sie das 60. Lebensjahr vollendet. Der Rentenanspruch hängt folglich davon ab, ob eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen seiner Vermögens- und Erwerbsverhältnisse oder wegen der Erträgnisse der Klägerin aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat (§ 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO). Diese Voraussetzung ist bei einem umfassenden Unterhaltsverzicht der geschiedenen Ehefrau eines Versicherten von der bisherigen Rechtsprechung des BSG übereinstimmend verneint worden (vgl BSG in SozR 2200 § 1265 Nrn 3, 6, 12, 40; Urteil des 1. Senats vom 7. Dezember 1976 - 1 RA 45/76 -; Urteil des 5. Senats vom 20. Januar 1976 - 5 RIJ 91/75 -).
Wie der Senat bereits im Urteil vom 14. März 1985 (SozR 2200 § 1265 Nr 74) ausgeführt hat, ist diese Rechtsprechung des BSG zu den Auswirkungen eines Unterhaltsverzichts auf den Rentenanspruch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl Peters, "Schließt ein Unterhaltsverzicht der geschiedenen Frau auch einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 RVO aus?" in ZfS 1975, 173; Bürkle, "Geschiedenenrente trotz Unterhaltsverzicht?" in SGb 1980, 533). Die Argumente der genannten Autoren sieht der Senat als überzeugend an. Nur der umfassende Unterhaltsverzicht schadet nach der bisherigen Rechtsprechung dem Rentenanspruch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO. Wurde dagegen der Notbedarf vom Verzicht ausgenommen (SozR aaO Nrn 50, 53) oder bestand eine Unterhaltsverpflichtung nur für den Fall der - nicht eingetretenen - Berufsunfähigkeit (SozR aaO Nr 55), so ist die genannte Vorschrift anwendbar. Auch nicht realisierbare Unterhaltsansprüche, zB beim Ausschluß der Klagbarkeit (so Urteil vom 26. Juni 1980 - 5 RJ 70/79 -) oder beim Aufenthalt des Versicherten in der DDR (SozR aaO Nr 46) können zum Anspruch der geschiedenen Frau auf Hinterbliebenenrente führen. In all diesen Fällen bestand zu Lebzeiten des Versicherten keine Aussicht für seine geschiedene Ehefrau, zu Unterhaltsleistungen zu kommen. Wird den Realitäten hingegen durch einen umfassenden Unterhaltsverzicht Rechnung getragen, so sollen die tatsächlichen Verhältnisse keine Bedeutung im Rahmen des Satzes 2 von § 1265 Abs 1 RVO mehr erlangen können. Schon diese Differenzierung hält der erkennende Senat nicht für begründet, zumal bei einer mangelnden Leistungsfähigkeit des Versicherten bzw einer - unter Berücksichtigung eigener Erwerbseinkünfte - mangelnden Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach den §§ 58 Abs 1, 59 Abs 1 Satz 1 des Ehegesetzes (EheG) in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung (= aF) ohnehin nicht bestanden hat. Die geschiedene Ehefrau hat in diesen Fällen also auf etwas "verzichtet", worauf sie realiter gar keinen Anspruch hatte. Es handelt sich demnach in diesen Fällen in der Regel um einen deklaratorischen Verzicht unter Berücksichtigung von Verhältnissen, die nach § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO den Hinterbliebenenrentenanspruch gerade nicht ausschließen. Es würde daher den Intentionen des Gesetzgebers widersprechen, diesen deklaratorischen Verzicht gleichwohl als "rechtsvernichtend" gegenüber dem Rentenanspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO zu beurteilen.
Der Senat hat bereits im Urteil vom 14. März 1985 (SozR aaO) auf den sich hier anbietenden Vergleich zur Rechtsprechung zu § 1291 Abs 2 RVO hingewiesen. Bei dem dort geregelten Wiederaufleben einer Witwenrente ist ein infolge Auflösung der Ehe erworbener Versorgungs- oder Unterhaltsanspruch anzurechnen. Bei der Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente hängt die Berücksichtigung einer Unterhaltsvereinbarung einschließlich des Verzichts davon ab, daß sie auf einem verständigen Grund beruht (zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vgl BSGE 54, 270, 271 f mwN). Die unterschiedliche Rechtsprechung zum Unterhaltsverzicht im Rahmen der §§ 1265 Satz 2 und 1291 Abs 2 RVO bedarf nach Auffassung des erkennenden Senats der Harmonisierung. Dort, wo der Verzicht sich zum Nachteil der Versichertengemeinschaft, also zu Lasten des Versicherungsträgers bei der wiederaufgelebten Witwenrente auswirkt, ist er prinzipiell im Rentenrecht unbeachtlich. Wirkt er sich hingegen bei der Hinterbliebenenrente der geschiedenen Ehefrau zu deren Nachteil aus, dann wird er zum selbständigen Grund für die Rentenablehnung auch dann, wenn aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse der Versicherungsträger ohne den Verzicht hätte leisten müssen. Eine derartige Unterscheidung ist nach Auffassung des 5. Senats nicht gerechtfertigt. Sie entbehrt einer hinreichend sachlichen Begründung. Es ist nicht einzusehen, weshalb ein verständiger Grund für den Unterhaltsverzicht die Gewährung der Hinterbliebenenrente im Rahmen des § 1291 Abs 2 RVO bewirkt, im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO indes verhindert.
Schließlich sieht es der Senat in hohem Maße als bedenklich an, daß zum Verlust des Anspruchs aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO ein Verzicht führen soll, der erklärt worden ist, als die rentenrechtlichen Auswirkungen des Verzichts überhaupt noch nicht zu überblicken waren. Satz 2 ist in § 1265 RVO erst mit Wirkung vom 1. Juli 1965 durch Art 1 Nr 27 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) angefügt und durch Art 1 § 1 Nr 14 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) mit Wirkung vom Januar 1973 neugefaßt und erweitert worden. Hier hat die Klägerin den Verzicht bereits im Jahre 1958 erklärt. Damals hätte ihr als geschiedener Ehefrau Hinterbliebenenrente nicht zugestanden, wenn der frühere Ehemann zur Zeit seines Todes nicht in der Lage war, Unterhalt zu leisten. 1958 war nicht abzusehen und nicht damit zu rechnen, daß der Gesetzgeber die Anforderungen für den Bezug der sog Geschiedenen-Witwenrente unter bestimmten Voraussetzungen lockern würde, wie er es sodann bei einer mangelnden Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen dessen Vermögens- und Erwerbsverhältnisse (ab 1. Juli 1965) bzw wegen der Erträgnisse der frühe,-en Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit (ab 1. Januar 1973) getan hat. Zwar hat der 11. Senat des BSG im Urteil vom 18. September 1975 (SozR aaO Nr 6) insoweit einen Einfluß auf die Rechtslage verneint, da die Gesetzesänderung die Lage der von einem Versicherten geschiedenen Frau jedenfalls nicht verschlechtert habe. Das aber sieht der erkennende Senat anders. Der Gesetzgeber wollte unter den übrigen Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 RVO in dessen Nr 1 den Rentenanspruch nicht mehr von der mangelnden Leistungsfähigkeit des Versicherten und - ab 1973 - auch nicht mehr von der von dem Nichterzielen eigener Einkünfte der früheren Ehefrau aus Erwerbstätigkeit abhängig machen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß von dieser Rechtswohltat geschiedene Frauen im zeitlichen Geltungsbereich des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO allein deshalb ausgeschlossen werden sollten, weil sie vor den Rechtsänderungen von 1965 und 1973 und ohne Kenntnis von diesen bei objektiv nicht vorhandener Fähigkeit des Versicherten zur Unterhaltsleistung - und damit aus verständigem Grund - auf Unterhalt verzichtet hatten. Zumindest für diese Fälle muß die bisherige Rechtsprechung zu den §§ 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO, 42 Abs 1 Satz 2 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - wie dies im Rahmen des § 1291 Abs 2 RVO geschehen ist (vgl BSGE 54, 270, 271 mwN) - modifiziert werden.
Wie der Senat bereits im Urteil vom 14. März 1985 (aaO) dargelegt hat, soll deshalb der Verzicht unschädlich sein, der den in Nr 1 des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO genannten Tatbestandsmerkmalen Rechnung trägt (zustimmend Oliver Frey, Der Verzicht auf nachehelichen Unterhalt, Bielefeld 1988, S 45 f). Da das LSG diese Voraussetzungen - von der Revision insoweit unangegriffen - festgestellt hat, ist der streitige Rentenanspruch in angefochtenen Urteil zu Recht bejaht worden.
Der erkennende Senat konnte diesen Rechtsstreit ohne Anrufung des Großen Senats (GS) des BSG entscheiden. Im Hinblick auf das Urteil des 12. Senats vom 18. Dezember 1974 (SozR 2200 § 1265 Nr 3) und auf das Urteil sowie den Beschluß des 11. Senats vom 22. August 1975 (aaO Nr 6) und 16. Dezember 1975 (aaO Nr 12) bedurfte es keiner Anfrage bei diesen Senaten, weil sie nicht mehr über Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu entscheiden haben. Seine eigene Rechtsprechung zum Unterhaltsverzicht im Urteil vom 20. Januar 1976 - 5 RJ 91/75 - hat der erkennende Senat aus den aufgezeigten Gründen aufgegeben.
Auf die Anfrage des erkennenden Senats vom 3. Februar 1988 haben der 1. Senat (Beschluß vom 6. Oktober 1988 - 1 S 8/88 -) und der 4. Senat (Beschluß vom 15. November 1988 - 4 S 7/88 -) die ihren Urteilen vom 7. Dezember 1976 - 1 RA 45/76 - und vom 28. März 1979 - 4 RJ 3/78 - (= SozR aaO Nr 40) zugrundeliegenden gegenteiligen Rechtsauffassungen insoweit ebenfalls aufgegeben, der 4. Senat allerdings mit der Einschränkung, daß der Verzicht "ausschließlich" wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten bzw wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit erklärt worden ist. Diese Einschränkung versteht der erkennende Senat dahin, daß nur die in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO genannten Rechtsgründe kausal für den Unterhaltsverzicht waren.
Sollte indes die Einschränkung des 4. Senats dahin aufzufassen sein, daß neben diesen Gründen andere nicht bestehen dürfen, so ist der erkennende Senat daran nicht gebunden. Das ergibt sich schon daraus, daß der erkennende Senat wegen seiner insoweit dann vom 4. Senat abweichenden Auffassung nicht die Möglichkeit hätte, gemäß § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den GS des BSG anzurufen. Wie dieser mit Beschluß vom 18. November 1980 (BSGE 51, 23 = SozR 1500 § 42 Nr 7) entschieden hat, genügt es für eine Divergenzanrufung nach § 42 SGG nicht, daß die Rechtsfrage in der Entscheidung lediglich beantwortet ist; sie muß vielmehr entschieden worden sein. Das ist nur dann der Fall, wenn die Beantwortung dieser Rechtsfrage die Entscheidung trägt, wenn sie also ein unabdingbares Glied in der Gedankenkette des früher entscheidenden Senats ist. In der Gedankenkette des Urteils des 4. Senats vom 28. März 1979 aaO taucht indes die Frage, ob der Unterhaltsverzicht "ausschließlich" auf den in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO genannten oder daneben auch noch auf anderen Gründen beruht hat, überhaupt nicht auf. Für das damalige Urteil des 4. Senats war vielmehr allein rechtserheblich, daß ein Unterhaltsverzicht aufgrund seiner Rechtsqualität als Erlaßvertrag a priori - also unabhängig von den für die Verzichtserklärung maßgebenden Gründen - einen Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO nicht entstehen läßt. Über die Einschränkung einer "ausschließlich" wegen der Gründe des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO abgegebenen Verzichtserklärung ist dort also nicht entschieden worden. Diese Einschränkung findet sich vielmehr erstmals in der Anfragebeantwortung des 4. Senats vom 15. November 1988. Dieser liegt indes kein vom 4. Senat zu entscheidender Streitfall zugrunde; er stellt deshalb auch keine Entscheidung iS des § 42 SGG dar, die den erkennenden Senat veranlassen müßte, wegen seiner vom 4. Senat insoweit abweichenden Rechtsauffassung den GS des BSG anzurufen.
Inwieweit der Unterhaltsverzicht ein unmittelbares, endgültiges Erlöschen des Unterhaltsanspruchs iS des Abstraktionsprinzips bewirkt, bedarf hier keiner Entscheidung (zum Stand der diesbezüglichen Meinungen vgl Frey, aaO S 14 f). Dieses Prinzip hindert nicht die Prüfung, ob die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder die Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit für das Fehlen einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten und dem darauf beruhenden Unterhaltsverzicht kausal waren. In gleicher Weise hat die Rechtsprechung des BSG zu § 1291 Abs 2 RVO auf die Gründe für den Verzicht zurückgegriffen. Bei der insoweit gerade vom 4. Senat ausgehenden Rechtsprechung über die "Unschädlichkeit" eines aus verständigen Grund erklärten Unterhaltsverzichts für die Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente (vgl Urteil des 4. Senats vom 24. Mai 1978 in BSGE 46, 193 SozR 2200 § 11291 Nr 16), an welche der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen auch für den Fall eines Verzichts aus den in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO angeführten Gründen anknüpft, ist anerkannt, daß eine Unterhaltsverzichtserklärung in der Regel auf einer Reihe von Gründen beruht und bei einer solchen Bündelung von Gründen es für die "Unschädlichkeit" des Unterhaltsverzichts genügt, wenn darunter verständige Gründe "mitbestimmend" gewesen sind (so ausdrücklich Urteil des 11. Senats vom 15. November 1979 in SozR 2200 § 1291 Nr 19 im Anschluß an das Urteil des 4. Senats vom 24. Mai 1978 aaO). Eine davon abweichende Ausschließlichkeitsforderung im Falle der den Tatbestandsmerkmalen des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO Rechnung tragenden Verzichtserklärung würde auch dem in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden rechtlichen Kausalitätsbegriff widersprechen. Danach ist - ebenso wie im Bereich der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung - Ursache im Rechtssinne diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (vgl Urteil des 1. Senats des BSG vom 25. Oktober 1918 in BSGE 47, 113, 116 mwN). Daraus folgt, daß der erklärte Unterhaltsverzicht dem Anspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO in der Regel dann nicht entgegensteht, wenn er ohne einen der dort aufgeführten Gründe überhaupt nicht erklärt worden wäre. Der erkennende Senat bleibt nach alledem bei seiner bereits im Urteil vom 14. März 1985 aaO - dort noch als obiter dictum - vertretenen Rechtsauffassung, daß der Hinterbliebenenrentenanspruch gemäß § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO zu bejahen ist, wenn die in Nr 1 der Vorschrift genannten Hinderungsgründe einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten im dargelegten Rechtssinn die wesentliche Ursache für die Verzichtserklärung gewesen sind, wenn ihnen also neben etwaigen sonstigen Gründen (zB einer Erleichterung oder Beschleunigung der Scheidung) eine - wie hier von LSG unangegriffen festgestellt - gleichwertige Bedeutung beizumessen ist. Dabei wird man davon ausgehen können, daß objektiv vorhandene schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Versicherten bzw eigenes Erwerbseinkommen der geschiedenen Ehefrau, die einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch ausschlossen, auch Grundlage für den - verständigen - Verzicht waren.
Die aufgezeigte Gleichwertigkeit der Gründe für die Verzichtserklärung muß allerdings in dem in der Anfragebeantwortung des 4. Senats vom 15. November 1988 besonders aufgeführten Fall der sog Konventionalscheidung dann verneint werden, wenn der "deklaratorische" Unterhaltsverzicht im dargelegten Sinn eine Umkehr der Verschuldenslast iS der §§ 58 Abs 1, 59 Abs 1 Satz 1 EheG aF bezweckte, also die Ehefrau ohne Erklärung desselben eine Scheidung aus dem Verschulden des Ehemannes oder aus beiderseitigem Verschulden iS des § 60 EheG aF nicht hätte erreichen können und ihr deshalb bei einer Scheidung aus eigenem alleinigen oder überwiegendem Verschulden ein Unterhaltsanspruch nach dem bis zum 30. Juni 1977 geltenden Recht ohnehin nicht zugestanden hätte. Ein derartiger Sachverhalt liegt hier indes nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor. Er dürfte auch für die vom erkennenden Senat allein für die Fälle des deklaratorischen Unterhaltsverzichts entschiedene Änderung der bisherigen Rechtsprechung nur ausnahmsweise gegeben sein. Die Fälle der sog Konventionalscheidung sind in der Regel nämlich dadurch gekennzeichnet, daß der Ehemann für die von ihm übernommene Schuld an der Scheidung von einer "echten", dh ohne Unterhaltsverzicht tatsächlich bestehenden, Unterhaltsverpflichtung freigestellt wird, der Unterhaltsverzicht also gerade nicht eine bloß deklaratorische Bedeutung hatte. Ließen aber die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemannes eine Unterhaltsleistung an die Ehefrau nach der Scheidung zu oder war deren Unterhaltsbedürftigkeit infolge der Erträgnisse aus einer eigenen Erwerbstätigkeit zu verneinen, so ist ein Anspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO ohnedies nicht zu begründen. Es kommt dann nur Satz 1 der Vorschrift in Betracht, nach dem aber - auch nach Auffassung des erkennenden Senats - wegen des Unterhaltsverzichts kein Hinterbliebenenrentenanspruch besteht. "Konventionalscheidungen" können im Rahmen von Satz 2 des § 1265 Abs 1 RVO somit nur dann problematisch werden, wenn der Versicherte wegen fehlender eigener Leistungsfähigkeit oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet war, gleichwohl aber entgegen der Sach- und Rechtslage der Schuldausspruch bei der Scheidung "manipuliert" worden ist. Dazu bedurfte es dann aber keines - deklaratorischen - Unterhaltsverzichts.
Der Revision der Beklagten mußte nach alledem der Erfolg versagt bleiben und war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Bundessozialgericht
Kassel, den 10. Januar 1989
Der Vorsitzende des 5. Senats
- 5/5b RJ 100/86 -
Fundstellen
Haufe-Index 518008 |
BSGE, 167 |