Leitsatz (amtlich)
Verrichtet ein hauptberuflich in einem Gewerbebetrieb beschäftigter Landwirtssohn während seiner Freizeit Arbeiten in der elterlichen Landwirtschaft, so ist er - wenn dies nicht nur vorübergehend, sondern regelmäßig, obschon nur nebenher und in geringem Umfang geschieht - als mitarbeitender familienangehöriger iS des RVO § 780 Abs 2 anzusehen, dessen Jahresarbeitsverdienst sich nach Durchschnittssätzen bestimmt.
Normenkette
RVO § 780 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 787
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Januar 1967 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 1939 geborene Kläger war als Maurer in einem Unternehmen beschäftigt, das die 5-Tagewoche eingeführt hatte. Er lebte mit 2 - ebenfalls im Baugewerbe beschäftigten - Brüdern im elterlichen Haushalt. Der an Asthma leidende Vater des Klägers betrieb eine 2,5 ha große Landwirtschaft (1 ha leichter Acker, 1 ha Weide, 0,5 ha Wiesen, 3 Kühe, 12 Schweine, 50 Stück Federvieh), in der die 3 Söhne während ihrer arbeitsfreien Zeit mithalfen. Am Sonnabend, dem 28. März 1964, verunglückte der Kläger beim Düngerstreuen und erlitt einen Schienbeinkopfbruch. Wegen der Verletzungsfolgen, die eine Umschulung des Klägers auf eine nicht dauernd im Stehen zu verrichtende Tätigkeit erforderlich machten, gewährte ihm die Beklagte eine vorläufige Rente von 40 vH und anschließend eine Dauerrente von 30 vH der Vollrente. Der Rentenberechnung legte die Beklagte in den Bescheiden vom 27. Januar und 25. November 1965 den nach §§ 780 bis 782 der Reichsversicherungsordnung (RVO) festgesetzten Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 4.380,- DM zugrunde.
Gegen die Heranziehung dieses JAV wendet sich der Kläger. Er meint, der Rentenberechnung müsse sein tatsächliches Arbeitseinkommen in Höhe von 8.802,60 DM, das er im Jahre vor dem Unfall in seinem Beruf als Maurer erzielte, zugrundegelegt werden. Da er vor dem Unfall nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert gewesen sei, kämen die Durchschnittssätze für ihn nicht in Betracht (§ 780 Abs. 2 RVO), auch sei er jeweils nur vorübergehend in der Landwirtschaft tätig gewesen (§§ 787, 788 RVO).
Das Sozialgericht (SG) Stade hat die Bau-Berufsgenossenschaft (Bau-BG) H beigeladen und die Klage abgewiesen.
Die vom SG zugelassene Berufung des Klägers ist vom Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 17. Januar 1967 (Breithaupt 1968, 30) zurückgewiesen worden: Der Nebensatz des § 780 Abs. 2 RVO beziehe sich nur auf die im landwirtschaftlichen Unternehmen gem. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Familienangehörigen. Auf Umfang, jeweilige Dauer und Häufigkeit der Mitarbeit in der Landwirtschaft komme es bei § 780 Abs. 2 RVO nicht an. Auch nach den Vorschriften der §§ 787, 788 RVO sei der Klaganspruch nicht begründet. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 15. Februar 1967 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Februar 1967 Revision eingelegt und sie am 22. März 1967 folgendermaßen begründet: Nach den Umständen des hier gegebenen Falles sei der Kläger nur als vorübergehend unentgeltlich in der Landwirtschaft seines Vaters tätiges Familienmitglied anzusehen. Dafür spreche, daß von den jährlich in der Landwirtschaft zu leistenden 95 Arbeitstagen auf jeden der 3 Söhne nur etwa 12 - 14 Arbeitstage entfielen; hierbei könne von einer ständigen Mitarbeit des Klägers, wozu eine gewisse Eingliederung in den Arbeitsrhythmus und eine ständige Arbeitsbereitschaft gehörten, keine Rede sein, vielmehr sei der Kläger nur fallweise unterstützend, also vorübergehend in der Landwirtschaft tätig gewesen, wenn die jeweilige Situation es erforderte. Die Berechnung des JAV solle nach dem Sinn des Gesetzes vom Hauptberuf (§ 787 RVO) abhängen, das sei für den Kläger der Maurerberuf gewesen. Auch die Rechtsprechung habe die hier streitige Frage im Sinne des Klägers entschieden (SozR Nr. 3 zu § 564 RVO a.F.).
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen, die Rente nach dem Arbeitseinkommen des Klägers im Jahre vor dem Unfall zu berechnen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
Die Beigeladene, die gleichfalls Zurückweisung der Revision beantragt, führt aus, die vom Kläger begehrte JAV-Berechnung nach § 571 Abs. 1 RVO käme nur in Betracht, wenn er ständig hauptberuflich in der elterlichen Landwirtschaft beschäftigt gewesen wäre oder aus besonderem Anlaß kurzzeitig ausgeholfen hätte.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
In der Revisionsverhandlung hat der Kläger vortragen lassen, die Beklagte sei durch den Klaganspruch nicht "beschwert", da sie ja bei einer Erfüllung des Anspruchs von der Beigeladenen gem. § 788 RVO Erstattung des Mehraufwands verlangen könne. Dieses Vorbringen, mit dem offenbar die Passivlegitimation der Beklagten angezweifelt werden soll, trifft nicht zu. Von der in § 788 RVO getroffenen Regelung bleibt die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen BG zur Erteilung des Rentenbescheids unberührt (Vollmar Sozialversicherung 1969, 24); hieraus folgt zweifelsfrei, daß sie die richtige Beklagte ist (vgl. BSG 6, 47, 51; 11, 141, 142). Auch im übrigen sind Bedenken gegen das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat den für die Rentenberechnung maßgebenden JAV nach dem - in seiner Höhe an sich unbestrittenen - Durchschnittssatz festgestellt, der z. Zt. des Unfalls für landwirtschaftliche Unternehmer, ihre Ehegatten und die mitarbeitenden Familienangehörigen gem. §§ 780 ff RVO in Betracht kam. Der Kläger, der selbst kein landwirtschaftlicher Unternehmer ist, kann diesem Personenkreis nur zugerechnet werden, wenn er als mitarbeitender Familienangehöriger seines Vaters im Sinne des § 780 Absätze 2 und 3 RVO anzusehen ist. Während die Begriffsbestimmung des Abs. 3 (Nr. 1) ohne weiteres auf den Kläger zutrifft, ist es umstritten, ob auch die Merkmale des § 780 Abs. 2 gegeben sind.
Nach dieser Vorschrift gelten die als JAV festgesetzten Durchschnittssätze auch für die im Unternehmen mitarbeitenden Familienangehörigen, "soweit sie nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert sind". Mit Recht hat das LSG dargelegt, daß sich der Nebensatz auf ein Beschäftigungsverhältnis in dem betreffenden landwirtschaftlichen Unternehmen bezieht, also diejenigen Familienangehörigen anspricht, die ihre Arbeitskraft - unter Hintansetzung der familiären Bindungen - wie ein familienfremder Beschäftigter auf dem Hof ihrer Eltern oder sonstigen Verwandten einsetzen. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut und Sinn der Vorschrift (ebenso Linthe, BG-Sonderheft 27. Mai 1963 S. 35; Schieckel/Göbelsmann, RVO Gesamtkommentar Anm. 3 zu § 780; Lauterbach, Gesetzliche UV, 3. Aufl. Anm. 4 zu § 780; Vollmar aaO). Der Auffassung des Klägers, im Hinblick auf sein Beschäftigungsverhältnis als Maurer sei er von der Geltung des § 780 Abs. 2 RVO ausgenommen, ist also nicht beizupflichten.
Um ein "Mitarbeiten" im Sinne des § 780 Abs. 2 RVO handelt es sich nicht, wenn der Familienangehörige, der sonst das ganze Jahr über mit der Landwirtschaft nichts zu tun hat, nur aus einem besonderen Anlaß kurzfristig in diesem Unternehmen tätig wird, etwa um beim Einbringen der Ernte zu helfen, während er gerade auf dem Hof seinen Urlaub verbringt. Daß solche vorübergehende Betätigungen nicht von § 780 Abs. 2 RVO erfaßt werden, folgt bereits aus dem Sinn dieser Vorschrift, die eine engere Verbundenheit mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen voraussetzt. Die in § 787 RVO getroffene Regelung, deren Bedeutung vom LSG und von den Beteiligten offenbar nicht ganz zutreffend erkannt worden ist, geht von dieser Beurteilung vorübergehender Arbeitsleistungen aus und bestimmt lediglich, daß für einen vorübergehend Beschäftigten, sofern er im Hauptberuf selbst Landwirt ist, sein JAV nach diesem Hauptberuf festgesetzt wird (vgl. BT-Drucks. IV/120 S. 71 zu § 785; Linthe aaO). Die Frage, ob § 787 RVO auf den Kläger "analog" Anwendung finden könne, ist also falsch gestellt. Wäre er nur vorübergehend in der Landwirtschaft tätig geworden, so müßte sein JAV ohne weiteres unter Berücksichtigung seines Arbeitseinkommens als Maurer (§ 571 Abs. 1 Satz 1 RVO) festgestellt werden (ebenso Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche UV, Anm. 3 c zu § 787, Lauterbach aaO, Anm. 6 a zu § 787).
Der Kläger ist jedoch nicht - wie die Revision meint - nur vorübergehend in dem landwirtschaftlichen Unternehmen seines Vaters tätig gewesen. Den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist vielmehr zu entnehmen, daß der Kläger - wie seine beiden Brüder - in der Landwirtschaft regelmäßig mitgearbeitet hat. Zwar war diese Mitarbeit auf die Zeiten beschränkt, die ihm seine Hauptbeschäftigung als Maurer übrig ließ, also die Samstage sowie an den übrigen Werktagen die Stunden nach Schichtschluß; es handelte sich mithin um eine nur nebenher geleistete Mitarbeit - der Kläger selbst hat ihren Umfang mit jährlich etwa 12 bis 14 Vollarbeitstagen angegeben -, mit deren Verrichtung der Unternehmer aber andererseits ständig rechnen konnte. Durch diese Regelmäßigkeit unterscheidet sich der hier gegebene Sachverhalt von dem oben angeführten Fall des aus besonderem Anlaß - z. B. als Erntehelfer - einspringenden Familienangehörigen. Hierin drückt sich eine noch recht enge Verbindung mit dem landwirtschaftlichen Betrieb aus, welche für den von der Revision vertretenen Standpunkt keinen Raum läßt, der Kläger sei nur fallweise unterstützend in der Landwirtschaft tätig gewesen. Der Auffassung des LSG, auf den an sich nur geringen Umfang der jeweils an den einzelnen Tagen stundenweise geleisteten Mithilfe in der Landwirtschaft komme es nicht entscheidend an, pflichtet der erkennende Senat bei (ebenso Schieckel/Göbelsmann aaO, Anm. 1 zu § 787; Lauterbach aaO, Anm. 2 zu § 787; Noell/Breitbach aaO, Anm. 2 a zu § 787). Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Abgrenzung des Begriffs "vorübergehende Tätigkeit" (im Sinne des § 788 RVO) in der Übereinkunft zwischen den berufsgenossenschaftlichen Verbänden (vgl. Rundschr. des Hauptverbandes der gewerblichen BGen, VB 61/68 vom 4. April 1968; Rundschr. des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen BGen V 11/68 vom 24. April 1968). Ohne daß der hierin festgelegten Richtzahl von 21 Tagen (im Jahr vor dem Arbeitsunfall, ohne Rücksicht auf die tägliche Arbeitsdauer) eine absolut verbindliche Bedeutung beizumessen wäre, stellt sie nach Ansicht des Senats doch einen brauchbaren Maßstab dar. Daß der Kläger an weit mehr als 21 Tagen im Jahr vor dem Unfall in der elterlichen Landwirtschaft mitgearbeitet hat, wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Demgemäß hat die Beklagte mit Recht den JAV für die ihm zu gewährende Rente nach § 780 RVO bestimmt.
Da das angefochtene Urteil hiernach im Ergebnis zutrifft, muß die Revision zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen