Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Waisenrente der Klägerin erst mit Ablauf des "Prüfungsmonats" Februar 1977 weggefallen ist.
Die 1958 geborene Klägerin befand sich entsprechend einem Vertrag mit der Firma B… & Co. in B… bis zum 31. Januar 1977 in einem Ausbildungsverhältnis zum Bürokaufmann. Sie bestand die am 1. Februar 1977 vor der Industrie- und Handelskammer Bremerhaven abgehaltene (wiederholte) Abschlußprüfung nicht. Mit Bescheid vom 21. April 1977 lehnte die Beklagte die Zahlung der Waisenrente über Januar 1977 hinaus ab, weil das Ausbildungsverhältnis gemäß § 14 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) nur bis zum Ende der Ausbildungszeit bestanden habe.
Das Sozialgericht Bremen (SG) hat die Beklagte verpflichtet, die Waisenrente (auch) für Februar 1977 zu gewähren (Urteil vom 26. Januar 1978). Das Landessozialgericht Bremen (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und im Urteil vom 26. Juni 1978 ausgeführt: § 1267 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verwende den Begriff der "Berufsausbildung", nicht den des Berufsausbildungsverhältnisses. Mit der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ende nicht auch automatisch die Berufsausbildung; hierfür sei erst die vorgesehene Abschlußprüfung jedenfalls dann maßgebend, wenn diese in zeitlichem und organisatorischem Zusammenhang mit dem Ausbildungsgang stehe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 14 BBiG; das durch Nachtrag verlängerte Berufsausbildungsverhältnis habe bis zum Ablauf des Tages der Abschlußprüfung (1. Februar 1977) bestanden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, nach der maßgebenden arbeitsrechtlichen Betrachtungsweise ende die Berufsausbildung nicht erst mit der Prüfung, wenn diese der Ausbildungszeit folge. Es sei vorliegend auch weder ausdrücklich noch "stillschweigend" die Verlängerung der Ausbildungszeit bis zur Prüfung vereinbart gewesen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren durch keinen Prozeßbevollmächtigten i.S. des § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht entschieden, daß der Klägerin auch noch für den Monat Februar 1977 die Waisenrente zusteht.
Nach § 1267 Satz 2 RVO - hier in der Fassung vor Anfügung des Abs. 2 durch das 20. Rentenanpassungsgesetz vom 27. Juni 1977 (20. RAG) - wird Waisenrente bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres u.a. für ein Kind gewährt, "das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet". Die Berufsausbildung der Klägerin zum Bürokaufmann endete nicht schon, wie die Beklagte meint, mit dem 31. Januar 1977, sondern erst mit der am 1. Februar 1977 durchgeführten Abschlußprüfung.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist "Berufsausbildung" die einem zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf dienende Ausbildung, sofern sie Zeit und Arbeitskraft des Kindes zumindest überwiegend beansprucht (z.B. SozR Nr. 27, 14 zu § 1267 RVO m.w.N.). Zu berücksichtigen ist hierbei auch der Zweck des § 1267 Satz 2 RVO, nämlich Waisen während der Ausbildungszeit finanzielle Erleichterungen zu schaffen und so Nachteile ausgleichen zu helfen, wie sie bei diesem Personenkreis generell im Stadium der Vorbereitung auf den späteren Beruf auftreten können. Mit der Waisenrente soll der Waise ermöglicht werden, ohne Gefährdung des Lebensunterhalts eine Schul- oder Berufsausbildung abzuschließen und sich damit eine qualifizierte Existenzgrundlage zu schaffen (so SozR 2200 § 1267 Nr. 3 Seite 11). Es besteht keine Veranlassung, die erwähnten Auslegungsgrundsätze auf diesen Rechtsstreit nicht anzuwenden und stattdessen einer einengenden Interpretation zu folgen.
Hiernach befand sich die Klägerin bis zum 1. Februar 1977 in Berufsausbildung, mag auch das Ausbildungsverhältnis entsprechend dem (Nachtrag zum) Vertrag mit der Firma B… & Co nur bis zum 31. Januar 1977 angedauert haben; die Berufsausbildung, die sich - wie vom LSG zutreffend hervorgehoben worden ist - zeitlich nicht mit dem Berufsausbildungsverhältnis zu decken braucht, war erst mit der am 1. Februar 1977 durchgeführten Prüfung beendet. Eine Abschlußprüfung ist für alle anerkannten Ausbildungsberufe, zu denen der des Bürokaufmanns gehört, vorgesehen (vgl. § 34 Abs. 1 BBiG). Schon daraus folgt, daß diese Prüfung zur Berufsausbildung gehört; denn das angestrebte Berufsziel kann ohne die Prüfung nicht erreicht werden. Allerdings blieb im vorliegenden Fall der erwartete Erfolg wegen des negativen Prüfungsergebnisses aus. Dem kann jedoch für die Entscheidung, ob die Prüfung noch als Teil der Berufsausbildung i.S. von § 1267 Satz 2 RVO anzusehen ist, keine Bedeutung beigemessen werden. Es kommt nicht auf den nur rückschauend zu beurteilenden Erfolg an, sondern darauf, daß die Prüfung dazu bestimmt war, die Eignung zum Beruf des Bürokaufmanns festzustellen. Daß die Prüfung hier der Aufnahme des beabsichtigten späteren Berufs dienen sollte, ist ebensowenig zu bezweifeln wie das Vorliegen des weiteren von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Erfordernisses, die Ausbildung (hier: Prüfung) müsse Zeit und Arbeitskraft der Waise zumindest überwiegend beanspruchen; es liegt auf der Hand, daß dies am Prüfungstag der Fall war. Dabei kann offenbleiben, welche Regeln zu gelten haben, wenn zwischen dem Ende des Ausbildungsverhältnisses und dem Prüfungstermin ein längerer, möglicherweise mehrmonatiger Zeitraum liegt, insbesondere, ob in solchen Fällen die Grundgedanken der Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, die sich mit Zeiten zwischen zwei an sich selbständigen Ausbildungsabschnitten befaßt hat (vgl. z.B. zu der Zeit zwischen Reifeprüfung und nächstmöglicher Immatrikulation SozR Nr. 38 zu § 1267 RVO, Ausführungen hierzu in SozR a.a.O. Nr. 42). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Prüfung dem letzten Monat des in einem Betrieb zurückgelegten Ausbildungsverhältnisses unmittelbar folgt, rechnet die Prüfungszeit noch zur Berufsausbildung nach § 1267 Satz 2 RVO mit der sich aus § 1292 RVO ergebenden Konsequenz, daß die Waisenrente erst mit Ablauf des "Prüfungsmonats" wegfällt.
Dieses Ergebnis befriedigt insbesondere bei einer vergleichenden Betrachtung anderer Fallgruppen, über die bereits höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind. So ist eine die Gewährung der Waisenrente auslösende Berufsausbildung auch angenommen worden, wenn die Waise nach abgeschlossener Berufsausbildung für einen weiteren Beruf ausgebildet wurde (SozR Nr. 17 zu § 1267 RVO, ferner a.a.O. Nr. 14 und Nr. 47 - insoweit im Leitsatz nicht wiedergegeben - sowie Nr. 11 zu § 45 BVG). Schließt man sich - wie der Senat - dieser am Sinn und Zweck der Waisenrente orientierten Gesetzesauslegung an, dann wird man erst recht die für die erste berufliche Ausbildung vorgesehene Abschlußprüfung in die Berufsausbildung einbeziehen müssen.
Nicht folgen kann der Senat der Beklagten, die unter Hinweis auf das BBiG meint, auch im Rahmen des § 1267 Satz 2 RVO gehöre zur Ausbildung nicht die Prüfung. Abgesehen davon, daß - worauf bereits hingewiesen wurde - § 14 BBiG und der ganze Zweite Teil des BBiG das Berufsausbildungsverhältnis betrifft, während § 1267 RVO den weiteren Begriff der Berufsausbildung enthält, verbietet sich eine entsprechende Anwendung und Übertragung der Regelung des BBiG auf § 1267 RVO auch deshalb, weil jenes Gesetz einer anderen Zielsetzung dient. Es hat die bundeseinheitliche Grundlage der Berufsbildung (berufliche Ausbildung, Fortbildung und Umschulung) geschaffen, regelt das materielle Recht der Berufsbildung in vertraglicher (arbeitsrechtlicher) Hinsicht und enthält außerdem Vorschriften öffentlich-rechtlichen Charakters; daneben hilft es, den Berufsbildungsgang zu planen und zu ordnen sowie die Voraussetzungen für ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Arbeitgebern und Ausbildenden einerseits und Arbeitnehmern und Auszubildenden auf der anderen Seite zu erbringen. Im einzelnen enthalten die §§ 3 bis 19 BBiG arbeitsrechtliche Vorschriften, die sich mit dem Vertragsabschluß und -inhalt sowie mit dem Beginn und der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses befassen (vgl. Fredebeul, Das Berufsbildungsgesetz, BArBl. 1969, Seite 568, 569). Auch die Beklagte verkennt dies im Grunde nicht; die von ihr vertretene arbeitsrechtliche Betrachtungsweise, derzufolge das Ausbildungsverhältnis grundsätzlich durch die spätere Prüfung nicht verlängert werde, kann indessen für den Begriff der Berufsausbildung i.S. von § 1267 Satz 2 RVO nicht maßgebend sein. Diese setzt kein - arbeitsrechtlich gestaltetes - Verhältnis Ausbilder/Auszubildender voraus; demgemäß sind u.a. auch der Besuch einer Fachschule oder kaufmännischen Privatschule (SozR 2200 § 1267 Nr. 13; SozR Nr. 14 zu § 1267), eine Tätigkeit als Heimerzieherpraktikant (SozR Nr. 38 zu § 1267 RVO) und das Noviziat als die vom Kirchenrecht geforderte Probe- und Einführungszeit zu Beginn des Ordenslebens (SozR Nr. 20 zu § 1267 RVO) von der Rechtsprechung als Berufsausbildung gewertet worden.
Die besondere sozialrechtliche Wertung des Begriffs der Berufsausbildung schließt freilich eine Berücksichtigung einzelner Vorschriften des BBiG nicht schlechthin aus. Wenn nach dessen § 14 Abs. 2 das Berufsausbildungsverhältnis bereits mit der bestandenen Abschlußprüfung endet, sofern diese vor Ablauf der Ausbildungszeit stattfindet, so dürfte damit, unbeschadet eines folgenden weiteren selbständigen Ausbildungsabschnittes, auch die Berufsausbildung beendet sein (vgl. hierzu Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1978, 170). Dagegen ist es zweifelhaft, kann aber für die Entscheidung offenbleiben, ob - wie das LSG meint - hier nach den Vorschriften des BBiG auch das Berufsausbildungsverhältnis bis zur Wiederholungsprüfung vom 1. Februar 1977 gedauert habe. Der Anspruch der Klägerin auf Waisenrente für Februar 1977 besteht schon aus den oben genannten Gründen.
Die in § 1267 Abs. 2 RVO i.d.F. des 20. RAG enthaltenen Einkommensgrenzen brauchten im vorliegenden Fall nicht beachtet zu werden. Diese Vorschrift ist erst mit Wirkung vom 1. Juli 1977 angefügt worden (Art 2 § 1 Nr. 16 20. RAG) und erfaßt zudem nur Rentenbezugszeiten nach dem 31. Dezember 1977 (vgl. Art 2 § 20 Abs. 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz).
Nach alledem konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518659 |
Breith. 1980, 391 |