Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchsuchung der Wohnung und des Arbeitsplatzes eines Vorstandsvorsitzenden einer AG in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Da der Schutz der Privatsphäre nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung einer Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben darf, muss der richterliche Beschluss, Wohnung und Arbeitsplatz des Vorstandsvorsitzenden einer AG im Rahmen steuerstrafrechtlicher Ermittlungen bei Verdacht auf Teilnahme an Umsatzsteuerkarussellen zu durchsuchen, die aufzuklärende Tat so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Richter muss auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Die Verdachtsannahme kann dabei mit Rücksicht auf den Umfang der Geschäftstätigkeit einer AG nicht allein an die Funktion des Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens geknüpft werden (hier: Verletzung von Art. 13 GG).
2. Ein Durchsuchungsbeschluss muss im Fall von Umsatzsteuerkarussellen ggf. erläutern, unter welchem Gesichtspunkt und bezogen auf welche Geschäftsverbindungen die Berechtigung zur Berufung des Beschuldigten auf die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchstabe b i. V. mit § 6a UStG zweifelhaft ist oder ob bezogen auf die Geschäftskontakte mit ausländischen Kunden auch davon ausgegangen wird, diese seien bei ihren anschließend im Ausland vorgenommenen Steuerhinterziehungen durch „Karussellgeschäfte” unterstützt worden.
Normenkette
GG Art. 13 Abs. 1-2; StPO §§ 102, 105; UStG § 4 Nr. 1 Buchst.b, § 6a
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Beschluss vom 19.09.2005; Aktenzeichen 2 Qs 404/04) |
AG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 02.02.2004; Aktenzeichen 28 Gs 172/04) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 19. September 2005 – 2 Qs 404/04 – sowie der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 2. Februar 2004 – 28 Gs 172/04 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Durchsuchung seiner Wohnung und seines Arbeitsplatzes in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
I.
1. Der Beschwerdeführer war Vorstandsvorsitzender der N. AG, die in großem Umfang europaweit mit Mobilfunkgeräten handelt. Im Rahmen einer bundesweit koordinierten Umsatzsteuerprüfung fiel die N. AG im Zeitraum 2001 bis 2003 wiederholt durch Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen auf, die der Beteiligung an so genannten „Umsatzsteuerkarussellen” verdächtig waren; dabei geht es darum, dass ein Handelsgegenstand tatsächlich oder scheinbar in einer Handelskette immer weiter veräußert wird und einer der Beteiligten, der so genannte „missing trader”, die von ihm in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer vorsätzlich nicht entrichtet oder sich vorsätzlich oder leichtfertig außer Stande gesetzt hat, diese Steuer zu entrichten. Ziel ist es, durch rechtswidrige Verkürzung der Umsatzsteuer zur Verbilligung der im Karussell weiter gelieferten Waren zu verwenden (vgl. BGH, NJW 2002, S. 3036 ≪3039≫; NStZ 2003, S. 268).
In den Ermittlungen bezog sich der Verdacht auf drei konkrete Geschäftszusammenhänge: Im Juli 2003 sei die N. AG Teil einer mehrgliedrigen Lieferantenkette für 2500 Mobilfunkgeräte gewesen, in deren Verlauf möglicherweise gefälschte Lieferscheine und Rechnungen ausgestellt wurden. Im Januar und Februar 2002 habe die N. AG Mobilfunkgeräte teilweise erheblich unter Preis veräußert. Schließlich habe die AG mit zahlreichen Firmen in Italien Geschäftskontakte unterhalten, die teils als Scheinfirmen bekannt waren und gegen die teilweise der Verdacht der Steuerhinterziehung vorlag.
2. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Februar 2004 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung des Beschwerdeführers, seiner Wohnung, Fahrzeuge und „der ihm sonst zugänglichen Räume” zur Sicherstellung „sämtlicher Unterlagen” und Datenträger an,
„aus denen die Entstehung und Verwendung von Einkünften oder Vermögenswerten sowie die Anknüpfung, Durchführung und der Abschluss von Geschäften ersichtlich ist, die auf die Gestaltung der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Umsatzsteuer und der richtigen Wiedergabe der Verhältnisse der N. AG in den Jahresabschlüssen Rückschlüsse zulassen.”
Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, in strafbarer Weise die Umsatzsteuer verkürzt zu haben, indem er sich in den Jahren 2001, 2002 und 2003 wissentlich an so genannten Karussellgeschäften beteiligte habe, in deren Rahmen er
- „Umsatzsteuer nicht ablieferte, indem er belegmäßig innergemeinschaftliche Lieferungen von Waren darstellte, obwohl den Abnehmern im EU-Ausland die erforderliche Verfügungsmacht über die Ware tatsächlich nicht verschafft worden ist,
- Vorsteuern aus Einkaufsrechnungen von Waren geltend machte, denen wirtschaftlich relevante Lieferungen nicht zugrunde gelegen haben, weil die beteiligten Unternehmen als Bestandteile eines wirtschaftlich unsinnigen Warenkreislaufs anzusehen sind.”
Der Durchsuchungsbeschluss war Teil weiterer, umfangreicher Ermittlungsmaßnahmen gegen zehn Mitbeschuldigte und zahlreiche Dritte.
3. Im Rahmen der am 3. Februar 2004 durchgeführten Durchsuchung wurden zahlreiche Unterlagen sowie zwei vom Beschwerdeführer genutzte Mobiltelefone sichergestellt, deren Inhalt von Ermittlungsbeamten manuell überprüft wurde.
4. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. September 2005.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 und 2 GG durch die Beschlagnahme und Auswertung der von ihm genutzten Mobiltelefone sowie aus Art. 13 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die Anordnung der Durchsuchung. Die von den Ermittlungsbehörden angeführten geschäftlichen Vorgänge begründeten keinen Tatverdacht, sondern seien jeweils rechtmäßig gewesen. Die Gesellschaft beliefere mit über 10.000 Produkten 120 Hersteller und Netzbetreiber sowie mehr als 12.000 aktive Fachhandelspartner im gesamten Bundesgebiet. Im Rahmen von Umsatzsteuerkarussellen käme typischerweise eine Vielzahl so genannter „Buffer” vor, welche gerade nichts von ihrer Rolle und einem etwaigen Umsatzsteuerbetrug wüssten. Die angegriffenen Beschlüsse seien verfassungswidrig, weil sie die Verstrickung des Beschwerdeführers nicht ansatzweise darlegten, die vorgeworfenen Tathandlungen nicht angäben und die zu suchenden Beweismittel nicht eingrenzten. Die Durchsuchung sei im Übrigen unverhältnismäßig gewesen, weil weniger einschneidende Mittel zu Gebote gestanden hätten, etwa die exakte Überprüfung der bereits vorhandenen Belege oder die Einholung von Auskünften bei den jeweiligen Wohnsitzfinanzämtern der Lieferanten und Kunden.
2. Dem Niedersächsischen Justizministerium wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Es hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet; denn die angegriffenen Beschlüsse seien hinreichend konkret formuliert, Anzeichen dafür, dass das Amtsgericht keine eigenständige Prüfung vorgenommen habe, gebe es nicht. Ein lückenloser Nachweis der dem Verdacht zugrunde liegenden Lieferkarusselle sei anhand der zum Zeitpunkt des Beschlusses vorhandenen Unterlagen gerade noch nicht möglich, die Durchsuchung daher erforderlich gewesen. Auch die Verhältnismäßigkeit sei wegen der Höhe der Umsatzsteuerverkürzungen gegeben.
3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 190 Js 1852/04 (Band 1 bis 4) der Staatsanwaltschaft Oldenburg vorgelegen.
III.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung der Durchsuchung wendet, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist in einem die Zuständigkeit der Kammer nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Sinne offensichtlich begründet.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Art und Weise der Durchsuchung richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen; die Verfassungsbeschwerde hat insoweit keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, soweit sie die Durchsuchung anordnen und die dagegen gerichtete Beschwerde verwerfen.
a) Eine Durchsuchung greift schwerwiegend in die von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Lebenssphäre ein (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪219 f.≫; 59, 95 ≪97≫; 96, 27 ≪40≫; 103, 142 ≪150 f.≫). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪223≫; 57, 346 ≪355 f.≫; 76, 83 ≪91≫; 103, 142 ≪150 f.≫). Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Bei Maßnahmen wie der Durchsuchung, die regelmäßig ohne vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet werden, soll die Einschaltung des Richters auch dafür sorgen, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪151≫). Dies setzt eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist keine bloße Formsache (vgl. BVerfGE 57, 346 ≪355≫).
b) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫; 42, 212 ≪220≫; 103, 142 ≪151≫). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪221≫; 103, 142 ≪151 f.≫). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Tat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Der Schutz der Privatsphäre darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 20, 162 ≪224≫; 42, 212 ≪220≫). Es enthebt den Ermittlungsrichter nicht der eigenen Mitteilung und Bewertung des aus seiner Sicht maßgeblichen Verdachts, dass sich aus dem im Beschluss nicht mitgeteilten Akteninhalt möglicherweise Verdachtshinweise ergeben können (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00 –, NJW 2002, S. 1941 ≪1942≫ und vom 9. Februar 2005 – 2 BvR 984/04 u.a. –, NStZ-RR 2005, S. 203 ≪205≫); denn das Gericht kann sich nicht darauf verlassen, dass der Akteninhalt auch den mit der Durchsuchung befassten Beamten vertraut ist und sie die Zielrichtung der Maßnahme entsprechend begrenzen können. Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫; 44, 353 ≪371≫; 45, 82; 50, 48 ≪49≫; 71, 64 ≪65≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2005 – 2 BvR 984/04 u.a. –, NStZ-RR 2005, S. 203 ≪204≫).
2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend Rechnung.
a) Die Schilderung der aufzuklärenden Straftaten im angegriffenen Beschluss beschränkt sich auf eine knappe und lediglich abstrakte Beschreibung des angenommenen Modells der Steuerhinterziehung, ohne den konkreten Lebenssachverhalt näher zu bezeichnen. Es bleibt gänzlich offen, auf welchen Handlungen der Tatverdacht beruht. Das Amtsgericht untersucht nicht, wie die einzelnen im Ermittlungsbericht aufgeführten Geschäftsabschlüsse, Warenlieferungen, geleisteten Zahlungen oder sonstigen Geschäftsvorfälle einzelnen Straftatbeständen zuzuordnen sind und weshalb sie auf eine strafrechtlich relevante Beteiligung gerade der N. AG hindeuten. Der Hinweis auf die Vornahme von sog. Karussellgeschäften genügt dabei nicht; denn hierunter werden sehr unterschiedliche Verfahrensweisen zur Hinterziehung von Umsatzsteuer gefasst (vgl. dazu BFH, BB 2005, S. 702 ≪704≫; Liebau, BB 2005, S. 415 ff.; Lohse, IStR 2005, S. 300 ff.; Hillmann-Stadtfeld, DStR 2002, S. 434 ff.).
Der Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses hätte eine eingehende rechtliche Prüfung des Tatverdachts durchaus erlaubt. Der Ermittlungsbericht des Finanzamts für Steuerfahndung schildert eingehend eine ganze Reihe von verdächtigen Vorgängen und Geschäftsbeziehungen der N. AG zu Unternehmen, gegen die aus den unterschiedlichsten Gründen Verdachtsmomente vorlagen.
So nimmt der Hinweis des Amtsgerichts darauf, dass Umsatzsteuer nicht abgeliefert worden sei, indem belegmäßig innergemeinschaftliche Lieferungen von Waren dargestellt worden seien, obwohl den Abnehmern im EU-Ausland die erforderliche Verfügungsmacht über die Waren tatsächlich nicht verschafft worden sei, offenbar auf die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen gemäß § 4 Nr. 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6 a UStG Bezug. Nur vermuten lässt sich, welche Passagen des Ermittlungsberichts dem Verdacht insoweit zugrunde liegen. Dieser stellt dar, dass die N. AG im Zeitraum 2001/2002 vielfältige Geschäftsbeziehungen zu im Einzelnen aufgeführten italienischen Unternehmen unterhalten habe, die ihrerseits der Begehung von Umsatzsteuerdelikten verdächtig seien und bei denen es sich teilweise um Scheinfirmen gehandelt habe. Bezogen auf einzelne Unternehmen werden konkrete Lieferungszeiträume quartalsmäßig bestimmt und auch die Größenordnungen des Handelsvolumens in diesem Zeitraum im Einzelnen bezeichnet. Der Durchsuchungsbeschluss bleibt jedoch jede Erläuterung dazu schuldig, unter welchem Gesichtspunkt und bezogen auf welche Geschäftsverbindungen man die Berechtigung zur Berufung auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6 a UStG für zweifelhaft hält oder ob bezogen auf die Geschäftskontakte mit italienischen Kunden auch davon ausgegangen werde, diese seien bei ihren anschließend im Ausland vorgenommenen Steuerhinterziehungen durch „Karussellgeschäfte” unterstützt worden (zweite Fallgruppe im Durchsuchungsbeschluss). Da die N. AG nach dem Ermittlungsbericht ausschließlich Lieferungen an die genannten Firmen erbracht hat, kann es jedenfalls um die unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuern durch die N. AG selbst nicht gehen, weil hierzu allein der Käufer berechtigt gewesen wäre.
Soweit der Durchsuchungsbeschluss auf die Geltendmachung von Vorsteuern aus Einkaufsrechnungen von Waren abhebt, denen wirtschaftlich relevante Lieferungen nicht zugrunde gelegen hätten, weil die Unternehmen als Bestandteile eines wirtschaftlich unsinnigen Warenkreislaufs anzusehen seien, kann ebenfalls nur vermutet werden, auf welche Darstellungen im Ermittlungsbericht sie sich beziehen. Der Durchsuchungsbeschluss setzt sich auch nicht mit den schon aus dem Bericht ersichtlichen Widersprüchlichkeiten im Hinblick auf die Mengen- und Typangaben der angeblich gelieferten Mobilfunkgeräte sowie klar ersichtlichen zeitlichen Divergenzen auseinander.
Eine genaue Bezeichnung und eine – zumindest ansatzweise – rechtliche Bewertung und Zuordnung der von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Sachverhalte, die nicht sämtlich strafrechtlich relevant sein dürften, wäre danach durchaus möglich gewesen. Gerade mit Blick auf den weitgefassten Tatzeitraum (Januar 2001 bis September 2003), der im Übrigen auch nicht näher erläutert wird, hätte zu einer genaueren, die verdachtsbegründenden Einzeltaten zumindest beispielhaft benennenden Prüfung Anlass bestanden. Der spezifische richterliche Beitrag, aus den vielfältigen tatsächlichen Ermittlungsergebnissen der Steuerfahndung diejenigen zu bezeichnen, die einen Straftatverdacht begründen, oder aber von dem Erlass der beantragten Maßnahme abzusehen, wird nicht geleistet. Eine Begrenzung der angeordneten Durchsuchung auf die verdachtsbegründenden Unterlagen findet nicht statt, die Fassung des Durchsuchungsbeschlusses legt den Zugriff auf nahezu alle Liefervorgänge des Unternehmens aus den Jahren 2001 bis 2003 nahe.
b) In dem angegriffenen Durchsuchungsbeschluss wird auch nicht ansatzweise aufgezeigt, welchen Tatbeitrag der Beschwerdeführer persönlich geleistet haben soll. Die Verdachtsannahme kann mit Rücksicht auf den Umfang der Geschäftstätigkeit der N. AG nicht allein an die Funktion des Beschwerdeführers als Vorstandsvorsitzendem des Unternehmens geknüpft werden. Der Beschluss legt weder dar, dass die mutmaßlich strafrechtlich relevanten Geschäftsvorfälle eine zur Vorstandsbefassung führende Größenordnung erreicht hätten, noch, dass bereits aufgrund einer besonders schlanken Organisationsstruktur von einer Kenntniserlangung des Beschwerdeführers notwendig auszugehen gewesen wäre. Auch der Ermittlungsbericht der Steuerfahndung lässt nicht erkennen, wie gerade der Beschwerdeführer in die angenommenen Umsatzsteuerhinterziehungen eingebunden gewesen sein könnte. Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit individuellen Fehlverhaltens einzelner Mitarbeiter des Unternehmens findet nicht statt.
c) Die Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsanordnung leidet auch darunter, dass den Ermittlungsbeamten neben der Durchsuchung der Wohnung und der Büroräume des Beschwerdeführers auch die völlig konturlose Durchsuchung der dem Beschwerdeführer „sonst zugänglichen Räume” gestattet wird.
d) In dem Beschluss finden sich schließlich keine Erwägungen dazu, ob unter Umständen durch steuerrechtliche Ermittlungen, Abprüfung von Veranlagungen und Umsatzsteuerzahlungen der jeweiligen Geschäftspartner als milderes Mittel eine Durchsuchungsmaßnahme hätte vermieden werden können.
e) Die Fassung des Durchsuchungsbeschlusses lässt danach besorgen, dass eine eigenverantwortliche Prüfung zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nicht stattgefunden hat, zumal das Amtsgericht am Tag vor der Durchsuchung beim Beschwerdeführer insgesamt 70 von der Staatsanwaltschaft beantragte, weitestgehend wortgleiche Beschlüsse gegen Mitbeschuldigte und Dritte erlassen hat. Es drängt sich der Eindruck auf, das Amtsgericht könnte einer konkreten Befassung mit den tatsächlich wie rechtlich nicht gänzlich einfach gelagerten Tatvorwürfen ausgewichen sein und die Bestimmung des Umfangs der Durchsuchungsmaßnahmen weitgehend der Steuerfahndung überlassen haben, die auch den Durchsuchungsbeschluss vorgefertigt hat.
3. Der Beschwerdebeschluss des Landgerichts hat den amtsgerichtlichen Verfassungsverstoß fortgesetzt; er versagt dem Beschwerdeführer die von Verfassungs wegen gebotene Klärung der Berechtigung der Durchsuchung. Das Landgericht geht über die vom Beschwerdeführer erhobenen, ausführlichen und substantiierten Einwendungen gegen die Annahme eines Tatverdachts mit dem pauschalen und erneut auf den Akteninhalt in keiner Weise eingehenden apodiktischen Satz hinweg, entgegen dem Beschwerdevorbringen müsse nach Aktenlage vom Vorliegen eines Anfangsverdachts ausgegangen werden.
4. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der Beschluss allerdings nicht bereits deshalb zu beanstanden, weil er die manuelle Auswertung der Anruflisten in den sichergestellten Mobilfunkgeräten des Beschwerdeführers für rechtmäßig hält. Die nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten werden nicht durch Art. 10 Abs. 1 GG, sondern durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04 –, NJW 2006, S. 976 ff.).
IV.
Die angegriffenen Entscheidungen werden gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1917575 |
BFH/NV Beilage 2008, 165 |
HFR 2008, 390 |