Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft sozialgerichtliche Entscheidungen, mit denen ein Prozesskostenhilfegesuch mit der Begründung zurückgewiesen wurde, es bestehe für die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
I.
1. Der Leistungsträger hatte jeweils Rechte der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von Januar 2005 bis August 2007 festgestellt. Mit ihrem Antrag vom 12. Januar 2009 begehrten sie jeweils im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X, unter Rücknahme der diesbezüglich bindend gewordenen Verwaltungsakte, die Feststellung eines Rechts auf höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit §§ 19, 82 ff. SGB XII. Dies lehnte der Verwaltungsträger ab.
2. Das mit der Klage verbundene Prozesskostenhilfegesuch lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 16. April 2010 ab. Die Beschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2010 zurück. Beide Gerichte stützten sich auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. September 2009 (B 8 SO 16/08 R, NVwZ-RR 2010, S. 362), wonach zwar eine rückwirkende Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen im Bereich des Sozialhilferechts grundsätzlich möglich sei. Doch sei insoweit zu berücksichtigen, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage diene. Deshalb müssten derartige Leistungen für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn eine solche Situation im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch bestehe. Dies setze nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch die aktuelle Bedürftigkeit der Hilfesuchenden voraus. Bei den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern hätte die Bedürftigkeit nicht ununterbrochen fortbestanden. Über den letzten Tag des Leistungsbezugs hinaus bis zum Tag der Antragstellung auf Überprüfung der bestandskräftigen Verwaltungsakte hätte der Bedarf überwiegend durch Erwerbseinkommen, Arbeitslosengeld und Kindergeld gesichert werden können.
Die Anhörungsrüge wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 8. April 2011 als unbegründet zurück. Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer habe es zur Kenntnis genommen. Es habe in der angefochtenen Entscheidung auch zum Ausdruck gebracht, dass ihr nicht gefolgt werde.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Sie tragen im Wesentlichen vor, das Prozesskostenhilfegesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden. Denn die Entscheidung in der Hauptsache hänge von einer schwierigen, bislang höchstrichterlich zwar für das Gebiet des Sozialhilferechts, nicht aber für den Bereich des Asylbewerberleistungsrechts abschließend geklärten Rechtsfrage ab. Die zugrunde liegende Konstellation sei zudem Gegenstand eines beim Bundessozialgericht anhängigen Revisionsverfahrens. Mit der Ablehnung ihres Antrags sei die Rechtsverfolgung unter Verstoß gegen die Rechtsschutzgleichheit in das Nebenverfahren verlagert worden. Die angefochtenen Entscheidungen ließen zudem eine Auseinandersetzung mit der von ihnen vorgetragenen Rechtsauffassung vermissen und verletzten sie daher in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Gerichte hätten sich nur damit befasst, ob Bedürftigkeit nach Ende des Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ununterbrochen fortbestanden habe. Sie hätten jedoch die Frage aufgeworfen, ob Bedürftigkeit die ganze Zeit vorgelegen haben müsse oder lediglich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einer Tatsacheninstanz.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie teilweise unzulässig, teilweise unbegründet ist.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr der Beschluss des Landessozialgerichts vom 8. April 2011 angegriffen wurde.
In diesem Umfang ist sie nicht in einer den Erfordernissen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet worden. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gehen nicht näher auf diese Entscheidung ein. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit durch sie gegen spezifisches Verfassungsrecht verstoßen worden sein soll.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht begründet.
a) Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.
aa) Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪131≫; 10, 264 ≪270≫; 22, 83 ≪86≫; 51, 295 ≪302≫; 63, 380 ≪394≫; 67, 245 ≪248≫; 78, 104 ≪117 f.≫; 81, 347 ≪356≫). Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Derartige Vorkehrungen sind im Institut der Prozesskostenhilfe (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) getroffen (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪131≫). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dürfen dabei nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪358 f.≫).
bb) Als Fallgruppe, bei welcher regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung solche Sachlagen herausgearbeitet, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Danach muss Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig” erscheint. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Unbemittelten – wie den Gegenparteien – bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung ihrer eigenen Rechtsstandpunkte. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren wird nicht selten Anlass bieten, die Rechtsmeinung, die das Gericht sich zunächst bildet, zu überdenken (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪358 f.≫).
cc) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass Sozial- und Landessozialgericht – der Sache nach – das Vorliegen einer schwierigen Rechtsfrage verneint haben.
Die das Sozialverwaltungsverfahren betreffende Frage, unter welchen Voraussetzungen die Rücknahme bestandskräftiger rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 44 SGB X), mit denen die Feststellung eines Rechts von Hilfebedürftigen auf (höhere) Leistungen abgelehnt worden war, und die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit möglich ist, ist zwar nur für das Sozialhilferecht höchstrichterlich geklärt (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R –, NVwZ-RR 2010, S. 362). Die Beantwortung dieser Frage für den Bereich des Asylbewerberleistungsrechts erscheint allerdings nicht in dem erwähnten Sinne als schwierig, da diese Entscheidung des Bundessozialgerichts und die weitere Entscheidung vom 17. Juni 2008 (B 8/9b AY 1/07 R, NVwZ-RR 2009, S. 243) auch hier als Auslegungshilfen dienen.
Das Bundessozialgericht hat für den Bereich des Sozialhilferechts entschieden, dass eine Rücknahme bestandskräftiger rechtswidriger Verwaltungsakte, mit denen die Feststellung eines Rechts auf (höhere) Leistungen abgelehnt worden war, zwar grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, § 44 SGB X möglich sei (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R –, NVwZ-RR 2010, S. 362 ≪363≫ m.w.N.). Insoweit sei aber zu berücksichtigen, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage diene (sog. „Gegenwärtigkeitsprinzip”). Deshalb müssten derartige Leistungen für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn eine solche Situation im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch bestehe. Dies setze nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch die aktuelle Bedürftigkeit der Hilfesuchenden voraus (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R –, NVwZ-RR 2010, S. 362 ≪363≫). Bestünde Bedürftigkeit im Sinne des SGB XII oder zwischenzeitlich des SGB II ununterbrochen fort, seien Sozialhilfeleistungen im Wege des § 44 Abs. 4 SGB X nachträglich zu erbringen (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R –, NVwZ-RR 2010, S. 362 ≪364≫). Sei die Bedürftigkeit allerdings inzwischen temporär oder auf Dauer entfallen, etwa weil entsprechendes Einkommen erzielt oder Vermögen erworben worden sei, sei die Nachzahlung in der Regel abzulehnen (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R –, NVwZ-RR 2010, S. 362 ≪364≫). Der effektive Rechtsschutz müsse bei der Anwendung der Zugunstenregelung des § 44 SGB X gegenüber dieser Besonderheit des Sozialhilferechts zurücktreten.
In dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht für die Rücknahme bestandskräftiger rechtswidriger Verwaltungsakte gemäß § 44 SGB X maßgeblich darauf abgestellt, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage diene. Diesen Aktualitätsgrundsatz berücksichtigt das Bundessozialgericht auch im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts, jedenfalls soweit Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit §§ 19, 82 ff. SGB XII begehrt werden (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R –, NVwZ-RR 2009, S. 243 ≪248≫).
Es ist daher im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung gegebene Auslegungshilfe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass Sozial- und Landessozialgericht der Sache nach die Rechtsfrage als nicht schwierig angesehen haben. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer begehrten im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X (i.V.m. § 9 Abs. 3 AsylbLG) – unter Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakte – gemäß § 2 AsylbLG in Verbindung mit §§ 19, 82 ff. SGB XII höhere als die bereits bewilligten Leistungen.
Dem steht in der vorliegenden Konstellation nicht entgegen, dass beim Bundessozialgericht ein Verfahren anhängig ist, das die im Ausgangsverfahren noch ungeklärte Rechtsfrage zum Gegenstand hat (B 7 AY 4/11 R). Denn die Revision wurde im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (L 20 AY 139/10, juris) zugelassen. Hieran ist das Bundessozialgericht gebunden (§ 160 Abs. 1, Abs. 3 SGG). Anders wäre zu entscheiden, wenn das oberste Bundesgericht – auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin – die Revision selbst zugelassen hätte (§ 160a SGG). Damit hätte es selbst signalisiert, dass noch Klärungsbedarf besteht.
b) Weder durch die Entscheidung des Sozialgerichts noch durch den Beschluss des Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2010 wurde der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl. BVerfGE 84, 188 ≪190≫) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267 ≪274≫; 96, 205 ≪216 f.≫).
Ein etwaiger Gehörsverstoß ist jedenfalls im Anhörungsrügeverfahren geheilt worden. Das Landessozialgericht hat im Beschluss vom 8. April 2011 ausgeführt, dass es die mit der Beschwerdebegründung zentral vorgetragene Rechtsauffassung nicht teile, höchstrichterlich sei nicht geklärt, ob Bedürftigkeit für einen Anspruch aus § 44 SGB X die ganze Zeit vorgelegen haben müsse oder lediglich zum Schluss der mündlichen Verhandlung. Nach seiner Auffassung müsse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Bedürftigkeit über den Leistungsbezug hinaus ununterbrochen vorgelegen haben. Folglich hat spätestens das Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 8. April 2011 das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Schluckebier, Baer
Fundstellen