Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertraglich vereinbartes Dulden als Substanznutzung des Vermögens
Leitsatz (redaktionell)
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Aufgabe einer aus dem Eigentum fließenden nachbarschützenden Rechtsposition einkommensteuerrechtlich nicht als Aufgabe eines Vermögenswerts in seiner Substanz und damit als Veräußerung oder veräußerungsähnlicher Vorgang angesehen wird, sondern der Schwerpunkt der an der Grenzlinie zwischen nicht steuerbarer Vermögenssubstanzübertragung und steuerbarer Vermögenssubstanznutzung angesiedelten Tätigkeit in der Nutzung der Vermögenssubstanz in Form vertraglich vereinbarten Duldens erblickt wird.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 2 Abs. 1 S. 1, § 22 Nr. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht zwischen vertraglich vereinbarten Zahlungen des Grundstücksnachbarn und einer aufgrund hoheitlichen Eingriffs in das Eigentumsrecht geleisteten Entschädigung zu unterscheiden. Einkommensteuerrechtlich erheblich sind nicht Einnahmen schlechthin, sondern nur durch eine Tätigkeit erzielte Einnahmen; § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG deutet diesen einkommensteuerlichen Grundtatbestand durch das tätigkeitsbezogene Tatbestandsmerkmal „erzielt” an (vgl. Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn, EStG, Bd. 1, § 2 Rdnr. A 105). Zu Recht hob daher das Finanzgericht in seiner angegriffenen Entscheidung das Unterscheidungsmerkmal des die vertragliche Vereinbarung kennzeichnenden Tätigwerdens des Steuerpflichtigen hervor.
Soweit die Beschwerdeführer einwenden, es liege entgegen der Auffassung des Finanzgerichts eine erhebliche Nutzungswertbeeinträchtigung vor, die das Eigentum in seiner Substanz berühre, wenden sie sich gegen die Auslegung einfachen Rechts. Auslegung und Anwendung von Gesetzesvorschriften durch ein Gericht können vom Bundesverfassungsgericht jedoch nur in engen Grenzen nachgeprüft werden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Auslegung nicht verfassungsrechtlicher Gesetze und ihre Anwendung im konkreten Fall auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; 19, 166 ≪175≫). Das Bundesverfassungsgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob die Auslegung und Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften im vorliegenden Fall vom Standpunkt des Steuerrechts richtig sind. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung grenzt aus dem nach seinem Wortlaut weiten einkommensteuerlichen Einkünftetatbestand des § 22 Nr. 3 EStG – Einkünfte aus Leistungen – sachgerecht entsprechend seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Überschußeinkünfte Veräußerungen und veräußerungsähnliche Vorgänge aus, bei denen das Entgelt dafür erbracht wird, daß ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird. Eine solche Auslegung des § 22 Nr. 3 EStG nimmt damit den einkommensteuerlichen Belastungsgrund der erwerbswirtschaftlichen Marktteilnahme auf und anerkennt die materiell-rechtlich duale Einkünftekonzeption des Einkommensteuergesetzes. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Finanzgericht die Aufgabe einer aus dem Eigentum fließenden nachbarschützenden Rechtsposition nicht als Aufgabe eines Vermögenswerts in seiner Substanz und damit als Veräußerung oder veräußerungsähnlichen Vorgang angesehen hat, sondern den Schwerpunkt der an der Grenzlinie zwischen nicht steuerbarer Vermögenssubstanzübertragung und steuerbarer Vermögenssubstanznutzung angesiedelten Tätigkeit in der Nutzung der Vermögenssubstanz in Form vertraglich vereinbarten Duldens erblickte.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen