Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbung einer Steuerberatersozietät in einem Zeitungsartikel
Leitsatz (redaktionell)
1. Das in § 57 Abs. 1 StBerG geregelte Verbot berufswidriger Werbung genügt dem von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG statuierten Gesetzesvorbehalt und ist auch im übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies gilt erst recht, seitdem mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des StBerG vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1387) § 57 a neu in das StBerG aufgenommen worden ist, der die erlaubte Werbung näher beschreibt und damit zugleich die Berufswidrigkeit anderer Werbung näher bestimmen hilft.
2. Die Berufsausübungsfreiheit ist unverhältnismäßig eingeschränkt durch die Annahme des Fachgerichts, ein Steuerberater, der Sachinformationen über den geplanten Umzug in ein denkmalgeschütztes Gebäude von lokalem öffentlichen Interesse und die Größe seiner Sozietät an die Medien gibt, sei auch dann zur Kontrolle und Einflußnahme auf die Presseorgane verpflichtet, wenn er selbst weder den Zeitungsartikel initiiert noch dessen Inhalt mitgestaltet hat.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; StBerG § 57 Abs. 1, § 81 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 29.09.1994; Aktenzeichen 7a StL 13/94) |
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Rüge wegen der von einem Zeitungsartikel ausgehenden Werbung.
1. Der Beschwerdeführer ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Er betreibt gemeinsam mit fünf Kollegen eine Steuerberaterpraxis. Anläßlich des Umzuges der Sozietät in ein denkmalgeschütztes Gebäude, in dem jahrzehntelang die Kriminalpolizei ihren Sitz hatte, erschien auf der Lokalseite der örtlichen Zeitung ein Artikel, in dem über das Bauwerk, seine neue Gestaltung sowie die früheren und die jetzigen Nutzer berichtet wurde. In dem Zeitungsartikel wurde die Sozietät mit Namen genannt und als „renommiert” bezeichnet; die Zahl ihrer örtlich wie in den beiden auswärtigen Beratungsstellen beschäftigten Mitarbeiter wurde genannt. Der Beschwerdeführer hatte einen Journalisten auf dessen Nachfrage telefonisch informiert, ihn jedoch zugleich auf die Problematik berufswidriger Werbung hingewiesen.
Die Steuerberaterkammer erteilte dem Beschwerdeführer daraufhin eine Rüge, gegen die er erfolglos vorging. Das Landgericht wies seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück, da der Beschwerdeführer an der Entstehung des Artikels mitgewirkt und dadurch gegen das Verbot berufswidriger Werbung verstoßen habe. Durch die Bezeichnung der Sozietät als renommiert wie auch durch den Hinweis auf Größe und Beschäftigtenzahl am Ort sowie in den Außenstellen werde der werbende Eindruck erweckt, daß die Praxisbetreiber ihre Leistungen überdurchschnittlich gut zum Vorteil ihrer Klientel erbrächten. Diese Art der Werbung sei berufswidrig. Presseartikel seien nur zulässig, wenn sie sich auf sachliche Informationen beschränkten, wie etwa den Umzug der Sozietät und die Beschreibung des Gebäudes. Der vorliegende Artikel gehe darüber jedoch hinaus. Da die zu beanstandenden Teile des Artikels auf Informationen des Beschwerdeführers beruhten, müsse er sich die berufswidrige Werbung auch zurechnen lassen, zumal ihm die Möglichkeit einer werbenden Wirkung des Artikels bewußt gewesen sei. Bei dem bloßen Hinweis, den der Beschwerdeführer dem Journalisten in bezug auf die Problematik berufswidriger Werbung gegeben habe, hätte der Beschwerdeführer es nicht belassen dürfen. Der Beschwerdeführer hätte den Inhalt des Artikels gemeinsam mit der Presse festlegen müssen oder sich den Artikel vor dessen Erscheinen zur Genehmigung vorlegen lassen müssen.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die landgerichtliche Entscheidung und rügt die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Das Landgericht habe verkannt, daß die Mitteilung rein sachlicher Informationen, wie sie hier vorgenommen worden sei, keine Werbung im Sinne des Steuerberatungsgesetzes sein könne. Nicht nachvollziehbar sei zudem die Begründung der landgerichtlichen Entscheidung, soweit sie dem Beschwerdeführer den Inhalt und das Erscheinen des Artikels zurechne. Es liege gar nicht in der Macht des Beschwerdeführers, den Wortlaut eines Presseartikels zu bestimmen. Er werde mit der Rüge für die Unterlassung eines Verhaltens sanktioniert, zu dem er objektiv gar nicht berechtigt sei.
3. Die Steuerberaterkammer hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Artikel stelle eine dem Beschwerdeführer zuzurechnende berufswidrige Werbung dar. Der Beschwerdeführer sei daher nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an (§ 93 b BVerfGG), weil es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zur Berufsausübung gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. In den Bereich berufsbezogener Tätigkeiten fällt auch die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪256≫).
a) Das in § 57 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG – geregelte Verbot berufswidriger Werbung genügt dem von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG statuierten Gesetzesvorbehalt und ist auch im übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 1993 – 1 BvR 1313/88 –, NJW-RR 1994, S. 168 unter Bezugnahme auf die zu ähnlichen Regelungen ergangenen Entscheidungen des Senats: BVerfGE 71, 162 ≪174≫ und 85, 248 ≪257≫). Dies gilt erst recht, seitdem mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1387) § 57 a neu in das Steuerberatungsgesetz aufgenommen worden ist, der die erlaubte Werbung näher beschreibt und damit zugleich die Berufswidrigkeit anderer Werbung näher bestimmen hilft.
b) Nach den Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫) ist die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Doch läßt die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und dem Schutzbereich der Berufsfreiheit beruhen. Die ihr zugrunde liegende Annahme, daß Berufsangehörige keine Sachinformationen an die Presse geben dürften, ohne sich den Pressebericht anschließend zur Genehmigung vorlegen zu lassen oder zumindest den Inhalt des Artikels festzulegen, führt – ungeachtet der Frage, ob ein solches Verlangen im übrigen rechtmäßig wäre – im Falle des Beschwerdeführers zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung seiner Berufsausübungsfreiheit.
Das Verbot berufswidriger Werbung dient dem Zweck, eine Verfälschung des jeweiligen Berufsbildes durch Verwendung kommerzieller Werbemethoden zu verhindern (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪260≫ m.w.N.). Im Interesse einer wirksamen Steuerrechtspflege, die ein wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt, soll die Kommerzialisierung der steuerberatenden Berufe vermieden werden. Dadurch erhält das Verbot berufswidriger Werbung seine Rechtfertigung.
Die vom Landgericht angenommene Pflicht der Berufsangehörigen, auf den Inhalt von Presseberichten Einfluß zu nehmen, eventuell sogar vor dem Erscheinen eines Artikels dessen Vorlage zu verlangen, mag als geeignet und unter Umständen auch noch als erforderlich anzusehen sein, um den Zweck des Verbots berufswidriger Werbung zu erreichen und einer Umgehung vorzubeugen. Die Verhältnismäßigkeit ist jedoch nur gewahrt, wenn im Einzelfall ein zumutbares Verhalten verlangt wird. Maßgeblich ist dafür die Angemessenheit der Grenzziehung zwischen erlaubtem und verbotenem Handeln. Die dabei erforderliche Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe (vgl. BVerfGE 77, 308 ≪332≫ m.w.N.) hat im Falle des Beschwerdeführers jedoch zu einem Ergebnis geführt, das der Sicherung des Verbots berufswidriger Werbung einseitig den Vorrang gegenüber der Berufsausübungsfreiheit einräumt. Die Abwehr von Umgehungsmöglichkeiten und Mißbräuchen darf nicht so weit gehen, daß legitime Interessen der Grundrechtsberechtigten nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können. Dies hat das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung offensichtlich verkannt.
Ein Kontakt von Berufsangehörigen mit der Presse unter den vom Landgericht aufgestellten Bedingungen strikter Verantwortlichkeit ist unverhältnismäßig, sofern nicht besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß ein Presseerzeugnis über die erlaubte Information hinausgehen werde. Für die Beurteilung der Mitwirkung von Berufsangehörigen an Presseberichten kann es unter dem Gesichtspunkt des Verbots berufswidriger Werbung darauf ankommen, ob die Initiative für die Berichterstattung von dem Berufsangehörigen und in seinem eigenen Interesse ausgegangen ist oder von der Presse selbst und im Interesse ihrer Leserinnen und Leser. Der Beschwerdeführer hat lediglich einem Journalisten auf dessen Initiative hin ohne Genehmigungsvorbehalt telefonisch Sachauskünfte über den geplanten Umzug, über das denkmalgeschützte Gebäude von lokalem öffentlichen Interesse und über die Größe der Sozietät erteilt.
Eine Vorzensur durch die von der Berichterstattung betroffenen Personen wird für die Presse in aller Regel unannehmbar sein. Faßte man den Begriff der berufswidrigen Werbung so weit wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung, verlöre der Beschwerdeführer im Endeffekt die Möglichkeit, die Presse überhaupt mit den von ihr gewünschten Informationen zu versorgen. Er dürfte letztlich keinerlei Auskünfte über seine berufliche Tätigkeit oder die damit im Zusammenhang stehenden Umstände erteilen wie beispielsweise über den Umzug der Sozietät in das denkmalgeschützte Gebäude. Allerdings könnte er auch dann einen inhaltsgleichen Presseartikel nicht verhindern, weil sich Journalisten Informationen auch anderweit beschaffen können. Die von einem Informationsverbot ausgehende strikte Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit ist dem Beschwerdeführer vorliegend umso weniger zuzumuten, als das Landgericht die von dem Artikel ausgehende Werbewirkung nicht als besonders intensiv bezeichnet hat.
Bei der erneuten Entscheidung über die Sache wird das Landgericht diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben bei seiner Abwägung Rechnung tragen müssen.
3. Neben der speziellen Grundrechtsgewährleistung aus Art. 12 Abs. 1 GG bleibt kein Raum für eine wiederholte Prüfung unter denselben sachlichen Gesichtspunkten am verfassungsrechtlichen Maßstab von Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 77, 84 ≪118≫ m.w.N.; stRspr).
4. Der Beschluß war aufzuheben, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Fundstellen