Entscheidungsstichwort (Thema)
Stellenanzeige einer Steuerberatersozietät mit deren Außendarstellung keine unerlaubte Werbung
Leitsatz (redaktionell)
1. Das in § 57 Abs. 1 StBerG geregelte Verbot berufswidriger Werbung genügt dem von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG statuierten Gesetzesvorbehalt und ist auch im übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies gilt erst recht, seitdem mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des StBerG vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1387) § 57 a in das StBerG neu aufgenommen worden ist, der die erlaubte Werbung näher beschreibt und damit gleichzeitig die Berufswidrigkeit bestimmen hilft.
2. Die Pflicht, auch Stellenanzeigen so abzufassen, daß eine unzulässige Werbewirkung gegenüber künftigen Mandantinnen und Mandanten vermieden wird, ist geeignet und grundsätzlich auch erforderlich, den Zweck des Verbots berufswidriger Werbung und dessen Schutz vor Umgehung zu erreichen.
3. Stellenanzeigen müssen aber gewisse Informationen über das suchende Unternehmen oder die suchende Sozietät enthalten, um geeignete Personen zu einer Kontaktaufnahme zu veranlassen und ungeeignete Personen oder auch solche Personen, deren berufliche Vorstellungen anders gelagert sind als die mit der Stelle verbundenen Arbeitsanforderungen, von einer aussichtslosen Bewerbung abzuhalten. Eine generelle Untersagung praxisbezogener Angaben ist unzumutbar, da sie zu unzweckmäßigen Stellenanzeigen zwänge.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; StBerG § 57 Abs. 1, § 81 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 05.07.1994; Aktenzeichen StL 30/93) |
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Grenzen der den Steuerberatern erlaubten Werbung.
1. Der beschwerdeführende Steuerberater und Rechtsanwalt gehört einer Sozietät von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern an, die mit zwei Stellenanzeigen in einer überregionalen Tageszeitung einen Rechtsanwalt und einen Controller/Leiter der Administration suchte. Innerhalb der längeren Anzeigentexte wurden die von der Steuerberaterkammer beanstandeten Formulierungen verwendet:
Unsere Mandanten sind im wesentlichen mittelständische Unternehmen oder Unternehmensgruppen. Weltweit sind wir durch DFK INTERNATIONAL und EUROLEGAL vertreten. In Deutschland kooperieren wir mit Büros in Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt. Die jetzt erreichte Größe unserer Kanzlei … und … im Rahmen unseres Wachstums. …
Die Rüge wurde darauf gestützt, daß mit den Anzeigen gegen das Verbot berufswidriger Werbung aus § 57 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG – verstoßen worden sei, da die Anzeigen Hinweise enthielten, die geeignet seien, die eigene Kanzlei gegenüber anderen Kanzleien besonders werbewirksam herauszustellen. Die in den Anzeigen enthaltenen praxisbezogenen Angaben unterlägen zum Teil einer subjektiven Werteinschätzung und seien für zukünftige Bewerber nicht objektiv überprüfbar. Die beanstandeten Textteile gingen über den sachlich veranlaßten Umfang von Stellenangeboten in werbewirksamer Weise hinaus. Nachdem der Beschwerdeführer im Einspruchsverfahren erfolglos geblieben war, wies das Landgericht seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück.
2. Mit seiner gegen diese Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Mit dem Inhalt der Stellenanzeigen sei gegen das verfassungskonform auszulegende Verbot berufswidriger Werbung nicht verstoßen worden. Sie gingen über die zur Gewinnung von Mitarbeitern erforderliche Selbstdarstellung nicht hinaus. Die Entscheidungen griffen unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.
3. Die Steuerberaterkammer hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig und unbegründet. Der Anzeigeninhalt habe sich nicht auf die allein notwendigen Angaben beschränkt. Vielmehr sei das Aufgeben der Inserate zum Anlaß genommen worden, die Sozietät über die Erfordernisse von Stellenangeboten hinaus werbemäßig darzustellen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an (§ 93 b BVerfGG), weil es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Die berufsaufsichtsrechtliche Maßnahme einer Rüge wegen berufswidriger Werbung greift in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ein. Zu der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Berufsausübung gehört jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪256≫). Dazu zählt auch die Außendarstellung zur Gewinnung von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern.
a) Das in § 57 Abs. 1 StBerG geregelte Verbot berufswidriger Werbung genügt dem von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG statuierten Gesetzesvorbehalt und ist auch im übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 1993 – 1 BvR 1313/88 –, NJW-RR 1994, S. 168 sowie zu ähnlichen Regelungen: BVerfGE 71, 162 ≪174≫ und 85, 248 ≪257≫). Dies gilt erst recht, seitdem mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1387) § 57 a in das Steuerberatungsgesetz neu aufgenommen worden ist, der die erlaubte Werbung näher beschreibt und damit gleichzeitig die Berufswidrigkeit bestimmen hilft.
b) Nach den Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫) sind die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Doch lassen die angegriffenen Entscheidungen Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und dem Schutzbereich der Berufsfreiheit beruhen. Die ihnen zugrunde liegenden Annahmen, der Beschwerdeführer dürfe bei der Formulierung einer Stellenanzeige seinen Arbeitsschwerpunkt, also die Art der Mandanten, nicht bezeichnen, keine Angaben zur überörtlichen Kooperation machen oder nicht auf die Expansion der Kanzlei hinweisen, führen zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit.
Das Verbot berufswidriger Werbung dient dem Zweck, eine Verfälschung des jeweiligen Berufsbildes durch Verwendung kommerzieller Werbemethoden zu verhindern (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪260≫ m.w.N.). Im Interesse einer wirksamen Steuerrechtspflege, die ein wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt, soll die Kommerzialisierung der steuerberatenden Berufe vermieden werden. Dadurch erhält das Verbot berufswidriger Werbung seine Rechtfertigung.
Die Pflicht, auch Stellenanzeigen so abzufassen, daß eine unzulässige Werbewirkung gegenüber künftigen Mandantinnen und Mandanten vermieden wird, ist geeignet und grundsätzlich auch erforderlich, den Zweck des Verbots berufswidriger Werbung und dessen Schutz vor Umgehung zu erreichen. Ein ebenso wirksames, aber milderes Mittel ist nicht erkennbar. Im Einzelfall ist gleichwohl die Angemessenheit der Grenzziehung zwischen erlaubtem und verbotenem Handeln maßgeblich. Die dabei erforderliche Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe (vgl. BVerfGE 77, 308 ≪332≫ m.w.N.) hat im Falle des Beschwerdeführers jedoch zu einem Ergebnis geführt, das der Sicherung des Verbots berufswidriger Werbung einseitig den Vorrang gegenüber der Berufsausübungsfreiheit einräumt. Die Abwehr von Umgehungsmöglichkeiten und Mißbräuchen darf nicht so weit gehen, daß legitime Interessen der Grundrechtsberechtigten nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können. Dies haben die Steuerberaterkammer und das Landgericht in den angegriffenen Entscheidungen offensichtlich verkannt.
Stellenanzeigen müssen gewisse Informationen über das suchende Unternehmen oder die suchende Sozietät enthalten, um geeignete Personen zu einer Kontaktaufnahme zu veranlassen und ungeeignete Personen oder auch solche Personen, deren berufliche Vorstellungen anders gelagert sind als die mit der Stelle verbundenen Arbeitsanforderungen, von einer aussichtslosen Bewerbung abzuhalten. Eine generelle Untersagung praxisbezogener Angaben ist unzumutbar, da sie zu unzweckmäßigen Stellenanzeigen zwänge.
Soweit die Steuerberaterkammer Formulierungen vorschlägt, die nach ihrer Auffassung den Informationsgehalt der beanstandeten Textpassagen in zulässiger Weise zum Ausdruck brächten, überschreitet sie den ihr zustehenden Entscheidungsrahmen. Die Berufsausübungsfreiheit wird auch dann unzumutbar eingeschränkt, wenn die Wortwahl für sachbezogene Informationen nicht dem Grundrechtsträger überlassen wird. Mit welchen Worten eine Stellenanzeige den von der Sozietät gewünschten internationalen Erfahrungshorizont, die Mobilität oder die Teamfähigkeit der anzuwerbenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Ausdruck bringt, muß letztlich dem für den Anzeigentext verantwortlichen Beschwerdeführer überlassen bleiben, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte auf die Absicht schließen lassen, daß mit der Anzeige nicht nur Stellenbewerberinnen und -bewerber, sondern auch potentielle Kundinnen und Kunden in einer anpreisenden Form angesprochen werden sollten. Dazu hätte es der Feststellung bedurft, daß das Inserat nach Form, Inhalt oder Erscheinungsweise aus dem Rahmen einer normalen Stellenanzeige fällt, und deshalb objektivierbare Anhaltspunkte dafür bestehen, daß diese Abweichungen der Kundenwerbung zu dienen bestimmt sind. Im Ausgangsverfahren fehlen insoweit nicht nur Feststellungen, sondern auch jeder Anhaltspunkt für eine solche Deutung.
3. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Fundstellen