Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtervorlage wegen der Zulässigkeit von Strafbefehlsanträgen durch Beamte des gehobenen Dienstes eines Hauptzollamts
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Richtervorlage betreffend die Frage, ob die § 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1, § 400 AO 1977 insoweit mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar sind, als nähere Regelungen über die zur Stellung von Strafbefehlsanträgen befugten Funktionsträger der Finanzbehörden und die von diesen zu erfüllenden Qualifikationen fehlen, ist mangels ausreichender Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage unzulässig.
2. Eine mit der Rüge gesetzgeberischen Unterlassens begründete Verfassungsbeschwerde mag zwar in bestimmten Fällen zulässig sein. Allein hiermit läßt sich jedoch nicht schon die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlagefrage begründen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 S. 1; AO 1977 § 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1, § 400; GVG § 142 Abs. 1 Nr. 3; DRiG § 122 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Braunschweig (Vorlegungsbeschluss vom 18.11.1994; Aktenzeichen 9 Cs 403 Js 27457/94) |
Tatbestand
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die §§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1, 400 der Abgabenordnung (AO) insoweit mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes vereinbar sind, als nähere Regelungen über die zur Stellung von Strafbefehlsanträgen befugten Funktionsträger der Finanzbehörden und die von diesen zu erfüllenden Qualifikationen fehlen.
I.
In Verfahren wegen Steuerstrafsachen (§ 369 AO) ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt, § 386 Abs. 1 Satz 1 AO. Diese Behörde führt gemäß § 386 Abs. 2 AO das Ermittlungsverfahren unter den dort genannten Voraussetzungen selbständig durch. Sie nimmt in diesen Fällen gemäß § 399 Abs. 1 AO die der Staatsanwaltschaft zustehenden Rechte und Pflichten wahr. Die Finanzbehörde kann bei ausreichendem Verdacht gemäß § 400 AO Strafbefehl beantragen. § 400 AO lautet:
Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde beim Richter den Erlaß eines Strafbefehls, wenn die Strafsache zur Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der Fall, so legt die Finanzbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft vor.
II.
1. Gegen den Beschuldigten des Ausgangsverfahrens beantragte das Hauptzollamt Braunschweig beim Amtsgericht Braunschweig den Erlaß eines Strafbefehls wegen Steuerhinterziehung. Der Antrag ist von einem Angehörigen des gehobenen Dienstes unterzeichnet.
2. Das Amtsgericht Braunschweig legte daraufhin dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob die §§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1, 400 AO vom 16. März 1976, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1994, mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar seien.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts liegt ein wirksamer Strafbefehlsantrag nicht vor; es sieht sich daher nicht in der Lage, über den Strafbefehlsantrag zu entscheiden. Aus den §§ 386 Abs. 1, Abs. 2, 399 Abs. 1 AO ergebe sich, daß das Hauptzollamt die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrnehme und statt dieser zur Aufklärung des Sachverhalts, zum Abschluß der Ermittlungen und zur Klageerhebung mittels Strafbefehlsantrags verpflichtet und berechtigt sei. Die Finanzbehörde sei im Ermittlungsverfahren ihrer Aufgabenstellung nach ein der Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes Organ der Strafrechtspflege. Indessen habe der Gesetzgeber nicht näher bestimmt, welche Amtsträger für die Finanzbehörde die staatsanwaltschaftlichen Befugnisse wahrzunehmen hätten und welche Qualifikationsmerkmale sie erfüllen müßten. Während das Amt der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht nur durch einen Staats- oder Amtsanwalt ausgeübt werden könne (§ 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG), bleibe es der Finanzverwaltung überlassen, den Funktionsträger der Finanzbehörden, der mit den Aufgaben der Staatsanwaltschaft betraut sei, zu bestimmen. Während Staatsanwälte die Befähigung zum Richteramt besäßen (§ 122 Abs. 1 DRiG) und Amtsanwälte nach Abschluß der Rechtspflegerausbildung eine besondere Ausbildung erhielten, sei eine entsprechende Ausbildung für die Funktionsträger der Finanzbehörden gesetzlich nicht vorgeschrieben. Aufgrund verwaltungsinterner Dienstanweisungen würden Anträge des Hauptzollamts gegenüber dem Amtsgericht von einem Beamten des gehobenen Dienstes, der nicht die Befähigung zum Richteramt besitze, unterzeichnet. Anders sei die Praxis bei Anträgen der Finanzämter; hier besäßen die Unterzeichnenden grundsätzlich die Befähigung zum Richteramt. Diese auf dem Fehlen gesetzlicher Vorschriften beruhende unterschiedliche Handhabung der Finanzämter und Hauptzollämter sei sachlich nicht gerechtfertigt, nicht nachvollziehbar und auch nicht damit begründbar, Straftaten nach dem Abgabenrecht seien unbedeutendere Delikte (unter Hinweis auf Bilsdorfer, Die steuerliche Betriebsprüfung 1993, S. 187).
Die derzeit mögliche Einflußnahme der Verwaltung auf den Gang und den Abschluß eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens führe insbesondere unter Einbeziehung der Steuerfahndung zu einer Machtverknüpfung, die rechtsstaatlich bedenklich sei, jedoch zumindest gesetzlich geregelt werden müsse (unter Hinweis auf Streck, Die Steuerfahndung, 2. Aufl., Rn. 60; Kohlmann, Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Stand Oktober 1994, § 385 Rn. 87).
Die Rechtslage entspreche nicht dem Rechtsstaatsprinzip. Der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens obliege eine bedeutsame Aufgabe. Sie müsse öffentliche Klage erheben oder das Verfahren einstellen; sie trage die Verantwortung für die Recht- und Ordnungsmäßigkeit der Ermittlungen sowie die umfassende Aufklärung des Sachverhalts. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, daß die Verhängung einer Kriminalstrafe aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in die Rechtssphäre des Betroffenen dem Gericht vorzubehalten sei (BVerfGE 22, 49 ≪80≫). Hieraus ergebe sich, daß auch die Organe, die die Entscheidung des Gerichts vorbereiten, bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllen müßten, um der Aufgabenstellung als Staatsanwaltschaft gerecht werden zu können.
Die Staatsanwaltschaft und ihre Funktionsträger müßten sich ihrer Aufgabenstellung, Bedeutung und Verantwortung bewußt und in der Lage sein, ihre Verpflichtungen frei von sachfremden Einflüssen zu erfüllen. Sie seien zwar ein Teil der Exekutive und weisungsgebunden (§ 146 GVG), andererseits aber eine Institution „sui generis” (unter Hinweis auf Kleinknecht/Meyer- Goßner, StPO, 41. Aufl., Rn. 6 vor § 141 GVG). Die Finanzbehörden hätten jedoch, soweit sie als Staatsanwaltschaft tätig würden, keine der Staatsanwaltschaft annähernd vergleichbare gesetzliche Ausgestaltung erfahren.
Insofern liege der Gedanke nahe, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG in Verbindung mit § 122 Abs. 1 DRiG bzw. die gesetzlichen Regelungen zur Ernennung und Ausbildung von Amtsanwälten insoweit entsprechend anzuwenden (unter Hinweis auf Hellmann, wistra 1994, S. 13 ≪16≫). Jedoch enthalte das Gerichtsverfassungsgesetz keine abschließende Regelung darüber, wer staatsanwaltliche Aufgaben wahrnehmen könne. Vielmehr könne dies auch durch landesgesetzliche Bestimmungen festgelegt werden (unter Hinweis auf BVerfGE 56, 110). Entsprechende gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Funktionsträger der Finanzbehörden fehlten jedoch. Dementsprechend werde auch in der Literatur vereinzelt die Forderung erhoben, daß der Strafbefehlsantrag von einem dem Staatsanwalt tunlichst gleichrangigen Beamten unterzeichnet werden solle (unter Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand November 1984, § 386 Rn. 81).
Eine entsprechende gesetzliche Regelung sei auch nicht deswegen entbehrlich, weil letztlich der Richter über den Erlaß eines beantragten Strafbefehls zu entscheiden oder auf eine Einigung hinzuwirken habe (§ 408 Abs. 3 StPO). Denn der Richtervorbehalt rechtfertige nicht die Annahme, auch ein möglicherweise unzuständiger Funktionsträger könne Strafbefehlsanträge stellen. Komme eine Einigung mit dem Antragstellenden nicht zustande, sei das Gericht gezwungen, eine Hauptverhandlung anzuberaumen, die für den Beschuldigten mit zusätzlichen Kosten und Unannehmlichkeiten verbunden sei.
Auf eine gesetzliche Regelung könne ferner nicht deshalb verzichtet werden, weil es sich bei Steuerdelikten, die durch einen Strafbefehl erledigt werden könnten, um rechtlich und tatsächlich einfache Fälle handele, die mit keinen außergewöhnlichen Eingriffen in die Rechtssphäre des Betroffenen verbunden seien. Abgesehen davon, daß gerade im Steuer- und Abgabenstrafrecht rechtlich schwierige und nach Schadenshöhe und Tatzeitdauer umfangreichere Taten im Strafbefehlsweg erledigt würden, könnten gemäß § 407 Abs. 2 StPO auch Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr beantragt und verhängt werden. Außerdem seien Geldstrafen in beträchtlicher Höhe möglich (§§ 40 Abs. 1 Satz 2, 54 Abs. 2 Satz 2 StGB).
Der Effektivität der Strafrechtspflege werde aber nur dann vollständig genüge getan, wenn auch die an die Organe zu stellenden Mindestanforderungen gesetzlich geregelt seien.
Auch aus der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Einzelnen und der Gesetzmäßigkeit der Justiz ergebe sich die Notwendigkeit, die zu fordernden Qualifikationsmerkmale gesetzlich zu regeln. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete, daß unter Berücksichtigung der Schwere der Delikte, der zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhalts sowie der Folgen des Ermittlungs- und Strafverfahrens gesetzlich geregelt sei, wer welche Ermittlungsbefugnisse habe und letztlich für den Gang und den Verlauf des Ermittlungsverfahrens verantwortlich sei. Darüber hinaus erfordere es die staatliche Fürsorgepflicht zu gewährleisten, daß die Funktionsträger staatlicher Machtausübung mit den erforderlichen Qualifikationen ausgestattet seien, um die Gesetzmäßigkeit der mit einem Ermittlungsverfahren verbundenen Eingriffe sicherzustellen. So habe auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die örtlichen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hervorgehoben, daß Rechtspfleger aufgrund ihrer gründlichen Ausbildung (§ 2 RpflG) für die sachgerechte Ausfüllung der Verfahrensrolle als Vertreter der Staatsanwaltschaft im besonderen Maße geeignet seien (BVerfGE 56, 110 ≪127≫). Demgegenüber sei die gesetzliche Regelung für die Ausbildung von Steuerbeamten insoweit unvollkommen. In § 4 Abs. 3 des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes werde bestimmt, daß Angehörigen des gehobenen Dienstes die Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt würden, die „zur Erfüllung der Aufgaben und Kenntnisse in der Laufbahn des gehobenen Dienstes erforderlich sind”. Das Steuerbeamtenausbildungsgesetz enthalte im Gegensatz zum Rechtspflegergesetz aber keine Umschreibung der Aufgaben des gehobenen Dienstes. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamten vom 6. September 1982 (StBAPO) hingegen sehe Lehrveranstaltungen im Studienfach Abgabenrecht (Abgabenordnung, …, Steuerstrafrecht) sowie im Studienfach Strafrecht vor. Das Strafprozeßrecht sei dagegen nicht als Lehrinhalt vorgesehen. Auch eine berufspraktische Studienzeit fehle insoweit. Demgegenüber sei für den höheren Dienst, der als Eingangsvoraussetzung u.a. ein Universitätsstudium erfordere, eine praktische Einweisung in die Aufgaben der Bußgeld- und Strafsachenstelle vorgeschrieben (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1.1 StBAPO). Diese Regelung deute darauf hin, daß der Verordnunggeber den Angehörigen des gehobenen Dienstes – wie es beim Finanzamt für den Bereich der Fahndung üblich sei – lediglich die Aufgaben des Sachbearbeiters, nicht aber die Zeichnungsbefugnis und Vertretung gegenüber den Gerichten habe zubilligen wollen. Dieser gesetzesfreie Raum bedürfe der Ausfüllung. Die derzeitigen Regelungen entsprächen nicht dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG.
Das vorlegende Gericht geht davon aus, daß es im Falle der Gültigkeit der vorgelegten Normen den beantragten Strafbefehl zu erlassen hätte; andernfalls könne der Strafbefehl nicht ergehen, da es bereits an einem wirksamen Antrag fehlte.
Eine verfassungskonforme Auslegung sei nicht möglich. Würde das Gericht insoweit festlegen, welche Funktionsträger der Finanzbehörden berechtigt seien, Strafbefehlsanträge zu stellen, würde es eine ihm nicht zustehende Aufgabe wahrnehmen, da es ausschließlich Aufgabe der Legislative sei, die Organwalter und deren Qualifikationsmerkmale zu bestimmen, die staatsanwaltschaftliche Aufgaben wahrnehmen dürften.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist dann zulässig, wenn der Vorlagebeschluß mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, daß das vorlegende Gericht im Fall der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (BVerfGE 37, 328 ≪334≫ m.w.N.). Die Vorlage muß daher in einem konkreten sachlichen Bezug zu dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens stehen. Dabei muß das vorlegende Gericht den Sachverhalt so weit aufklären, daß die Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Vorschrift feststeht und die Vorlage deshalb unerläßlich ist. Maßgebend hierfür ist das jeweilige Stadium des Ausgangsverfahrens: Hängt von der Vorlagefrage noch nicht unmittelbar die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage ab, so ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens in der konkreten Verfahrenssituation notwendig und geeignet ist, das Verfahren sachlich zu fördern. Solange die Möglichkeit besteht, daß das vorlegende Gericht den Rechtsstreit in dem von ihm gewünschten Sinne entscheiden kann, ohne die für verfassungswidrig gehaltene Rechtsnorm anzuwenden, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Norm (BVerfGE 11, 330 ≪335≫; 58, 153 ≪157 f.≫; 64, 251 ≪254≫). Nur wenn die Vorlage in diesem Sinne „unerläßlich” ist, erscheint die Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts geboten. Es entspricht jedoch nicht der Funktion eines Normenkontrollverfahrens und kann nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, Rechtsfragen zu entscheiden, die erkennbar für die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage bedeutungslos sein werden (BVerfGE 42, 42 ≪50≫ m.w.N.).
Im Vorlagebeschluß müssen ferner der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab angegeben und die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher dargelegt sein (BVerfGE 80, 59 ≪65≫ m.w.N.). Ist eine verfassungskonforme Auslegung der Norm möglich, so bleibt für eine Vorlage mangels Entscheidungserheblichkeit kein Raum (vgl. BVerfGE 22, 373 ≪377≫; 68, 311 ≪316 f.≫; 76, 100 ≪104≫; 80, 54 ≪58≫).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das vorlegende Gericht die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht hinreichend dargetan.
Die Darlegungen des vorlegenden Gerichts sind im wesentlichen so zu verstehen, daß es das Unterlassen des Gesetzgebers, nähere Regelungen über Organisation, Verfahren und Ausbildung für die Wahrnehmung von staatsanwaltlichen Aufgaben durch Finanzbehörden zu treffen, mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht für vereinbar hält. Eine mit einer solchen Rüge gesetzgeberischen Unterlassens begründete Verfassungsbeschwerde mag zwar in bestimmten Fällen zulässig sein (vgl. BVerfGE 56, 54 ≪70 f.≫). Allein hiermit läßt sich jedoch nicht schon die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlagefrage begründen.
a) Das Gericht geht davon aus, daß eine bestimmte Maßnahme deswegen unwirksam ist, weil eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt; es beanstandet nicht, daß eine vorhandene verfassungswidrig sei. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Fehlen der gesetzlichen Grundlage auf einem verfassungswidrigen Unterlassen des Gesetzgebers beruht. Für die von einem Gericht vorzunehmende Prüfung der Wirksamkeit einer Maßnahme genügt es festzustellen, ob eine gesetzliche Grundlage für sie erforderlich ist, ob diese vorhanden ist und ob die Maßnahme von ihr gedeckt ist. Erst wenn dies nach Überzeugung des Gerichts der Fall ist, würde sich die weitere Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage stellen.
Den Ausführungen des Gerichts ist demgegenüber zu entnehmen, daß es bereits das Vorhandensein einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für den bei ihm gestellten Strafbefehlsantrag verneint. Im Rahmen der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit hätte es damit besonderer Darlegungen bedurft, daß in diesem Fall dennoch bei Verfassungsmäßigkeit der beanstandeten Vorschriften von einem wirksamen Strafbefehlsantrag auszugehen wäre. Hierzu behauptet das vorlegende Gericht lediglich, daß im Falle der Gültigkeit der §§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1, 400 AO der Strafbefehl im Ausgangsverfahren zu erlassen wäre. Da aber allein die konkrete Anwendung und Umsetzung der Vorschriften durch die Zollverwaltung Ausgangspunkt und Grundlage der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, daß das Gericht im Falle der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Normen die beanstandete Praxis, wonach die Befugnisse durch die Hauptzollämter wahrgenommen werden, für rechtmäßig und den Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls für wirksam hielte. Dem Vorlagebeschluß läßt sich vielmehr entnehmen, daß das Gericht keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Betrauung der Finanzbehörden mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen hat, sondern speziell das Verfahren und die Auswahl der Beamten im Rahmen der Wahrnehmung der entsprechenden Befugnisse durch die Zollbehörden für unzulässig hält. Wird die grundsätzliche Befugnis der Finanzbehörden, einen Strafbefehl nach § 400 AO zu beantragen, aber nicht in Frage gestellt, hat das vorlegende Gericht damit selbst zu entscheiden, ob der im Ausgangsverfahren gestellte Antrag wirksam ist. Nach Ansicht des Gerichts enthalten die beanstandeten Regelungen gerade nicht eine gesetzliche Grundlage, wie sie das vorlegende Gericht fordert, insbesondere keine solche, die das praktizierte Verfahren der Hauptzollämter gesetzlich stützte. Kommt es damit, wie sich aus dieser Begründung des Vorlagebeschlusses entnehmen läßt, zu dem Ergebnis, daß ein zulässiger Antrag nicht vorliegt, müßte es den im Ausgangsverfahren gestellten Antrag auch im Falle der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Bestimmungen zurückweisen.
Insofern ist weder dargelegt noch ersichtlich, daß die Frage der Gültigkeit der beanstandeten Normen entscheidungserheblich ist. Denn für die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage kommt es bei Zugrundelegung der Auffassung des Gerichts nach alledem im Ergebnis nicht darauf an, ob der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls bei Gültigkeit der in Frage stehenden Vorschriften der Abgabenordnung wegen fehlender gesetzlicher Regelungen des Verfahrens und der Zuständigkeit im einzelnen oder im Falle der Verfassungswidrigkeit der Norm bereits wegen Fehlens der zuständigkeitsbegründenden Rechtsgrundlage als unwirksam angesehen würde. Daher würde ein Normenkontrollverfahren seine oben dargelegte Aufgabe nicht erfüllen.
b) Im übrigen hätte es auch eingehenderer Darlegungen dazu bedurft, weshalb den geäußerten Bedenken gegen die beanstandeten Vorschriften nicht durch eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG in Verbindung mit § 122 Abs. 1 DRiG für die Wahrnehmung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft bei den Finanzbehörden begegnet werden kann. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Tatsache, daß die Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht abschließend festlegen, wer staatsanwaltliche Aufgaben wahrnehmen kann, sondern auch eine Bestimmung durch landesgesetzliche Regelungen zulassen (BVerfGE 56, 110), der Möglichkeit der entsprechenden Anwendung dienstrechtlicher und organisatorischer Regelungen hier entgegenstehen könnte. Daß das vorlegende Gericht auch die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Wahrnehmung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft ohne entsprechende landesrechtliche Ergänzungen nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip für vereinbar hielte, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Damit sind die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erfüllt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen