Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. April 2007 – 14 U 2049/06 – und das Schluss- und Endurteil des Landgerichts Leipzig vom 27. September 2006 – 03 O 6687/04 –, soweit mit ihm die Klage abgewiesen worden ist, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Leipzig zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, durch die ein anwaltlicher Honoraranspruch aus einer Vergütungsvereinbarung gekürzt wurde.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Fachanwalt für Strafrecht. Im Januar 2002 übernahm er die Strafverteidigung eines sich in Untersuchungshaft befindenden Beschuldigten, dem ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt wurde. Dem Mandat lag eine Honorarvereinbarung mit dem Bruder des Beschuldigten, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagter), zugrunde. Vereinbart wurde ein Honorar von 320 EUR für jede Arbeitsstunde. Die vom Beschwerdeführer in der Folgezeit erbrachten Tätigkeiten hatten neben zahlreichen Besuchen des Beschuldigten in der Justizvollzugsanstalt auch die Teilnahme an der über mehrere Verhandlungstage andauernden Hauptverhandlung zum Gegenstand. Das Verfahren endete mit einer Verurteilung des – in einer Verhandlungspause geflohenen – Beschuldigten zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Der Beschwerdeführer stellte dem Beklagten etwa 63 Arbeitsstunden in Rechnung, woraus sich zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer eine Gesamtforderung in Höhe von 23.911,05 EUR ergab. Da der Beklagte hierauf lediglich 6.874,84 EUR zahlte, machte der Beschwerdeführer die Restforderung auf dem Klagewege geltend. Nachdem das Landgericht ein Teilanerkenntnisurteil in Höhe von 8.959,16 EUR erlassen hatte, verurteilte es den Beklagten mit Schluss- und Endurteil zur Zahlung weiterer 2.554,88 EUR und wies die Klage im Übrigen ab. Das vereinbarte Honorar sei unangemessen hoch und deswegen auf den angemessenen Betrag, das Fünffache der gesetzlichen Gebühren, herabzusetzen. Das Landgericht stützte die Kürzung auf § 3 Abs. 3 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung. Bei Anwendung dieser Vorschrift folgte das Landgericht der Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Strafverteidigungen eine tatsächliche Vermutung für die Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung sprechen soll, wenn sie mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt. Eine Entkräftung dieser Vermutung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nur möglich, wenn der Rechtsanwalt ganz ungewöhnliche, geradezu extrem einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, dass bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen ist (vgl. BGHZ 162, 98 ≪107≫).
2. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Oberlandesgericht zurück. Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3 BRAGO sei es, dem Rechtsanwalt beim Abschluss einer Vergütungsvereinbarung Mäßigung aufzuerlegen. Zur Durchsetzung dieses Mäßigungsgebots sei die Festlegung einer allgemeinen Honorargrenze angezeigt. Hierbei müssten die gesetzlichen Gebühren, mit denen der Gesetzgeber den ökonomischen Wert der anwaltlichen Leistung bemesse, und nicht die Maßstäbe des Marktes Bezugspunkt sein. Dies sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Die anwaltliche Vergütung stehe im Spannungsfeld zwischen dem zur Berufsausübungsfreiheit gehörenden Anspruch auf angemessene Vergütung und dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Justizgewährungsanspruch. Letzterer fordere, dass der Zugang zu den Gerichten nicht durch unangemessen hohe Kosten der Rechtsverfolgung unzumutbar erschwert werde. Bei der Beurteilung des gesetzlichen Systems der anwaltlichen Vergütung verbiete sich deshalb die isolierte Betrachtung eines Mandats. Der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG sei Genüge getan, wenn der gesetzliche Gebührenanspruch so bemessen sei, dass der Rechtsanwalt im Rahmen einer Mischkalkulation aus seinem Gebührenaufkommen sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Sei in diesem Sinne die gesetzliche Vergütung aber im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der Mischkalkulation angemessen, so gelte dies erst recht für den fünffachen Satz. Dieser sei sprichwörtlich „mehr als angemessen”. Die tatsächliche Vermutung, dass die vereinbarte Vergütung unangemessen hoch sei, habe der Beschwerdeführer nicht zu widerlegen vermocht.
3. Mit seiner gegen die gerichtlichen Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Sächsische Staatsministerium der Justiz, der Präsident des Bundesgerichtshofs, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein sowie der Gegner des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Nach den Grundsätzen der beschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫) sind die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts Aufgabe der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur, ob die fachgerichtlichen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der einfachrechtlichen Normen die Tragweite des einschlägigen Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 87, 287 ≪323≫).
Diese Voraussetzungen für eine Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht liegen hier vor. Das Landgericht hat bereits gänzlich unbeachtet gelassen, dass sich der Beschwerdeführer bei Abschluss einer Vergütungsvereinbarung im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG bewegt. Das Oberlandesgericht hat dies zwar erkannt, allerdings führt das Berufungsurteil zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers.
a) Die Garantie der freien Berufsausübung schließt die Freiheit ein, das Entgelt für berufliche Leistungen frei mit den Interessenten auszuhandeln (vgl.
BVerfGE 106, 275 ≪298≫; 114, 196 ≪244≫; 117, 163 ≪181≫). Zwar wird die Vertragsfreiheit auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. BVerfGE 65, 196 ≪210≫; 74, 129 ≪151 f.≫). Betrifft eine gesetzliche Regelung jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich der beruflichen Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, so scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfGE 117, 163 ≪181≫).
b) Die angegriffenen Entscheidungen berühren den Schutzbereich der Berufsfreiheit. Regelungen und diese umsetzende Entscheidungen, die die Vergütung für die berufliche Tätigkeit festlegen, weisen unmittelbaren Berufsbezug auf (vgl. BVerfGE 83, 1 ≪13≫; 101, 331 ≪347≫). Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus bereits entschieden, dass die gerichtliche Aberkennung eines vertraglichen Gebührenanspruchs wegen vermeintlicher Unbestimmtheit der Vergütungsvereinbarung einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. August 2002 – 1 BvR 328/02 –, NJW 2002, S. 3314). Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – der Honoraranspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 3 BRAGO – heute findet sich eine inhaltsgleiche Regelung in § 3a Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ≪RVG≫) – durch richterlichen Gestaltungsakt reduziert wird.
c) Das Oberlandesgericht hat bei Auslegung und Anwendung von § 3 Abs. 3 BRAGO zwischen der Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers (aa) und den potentiell betroffenen gegenläufigen Belangen (bb) den von Verfassungs wegen gebotenen verhältnismäßigen Ausgleich verfehlt (cc).
aa) Die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 110, 226 ≪251 f.≫). Dem entspricht, dass auch Rechtsanwälte das Entgelt für ihre beruflichen Leistungen frei aushandeln können (vgl. BVerfGE 117, 163 ≪181≫). Dabei lässt auch beim Abschluss von Vergütungsvereinbarungen der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien regelmäßig auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 81, 242 ≪254≫; 103, 89 ≪100 f.≫). Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers durch die Abänderung des vereinbarten Honorars gewichtig.
(1) Der Schutz der berufsbezogenen Vertragsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG wird nicht deshalb in Frage gestellt, weil der Abschluss von Vergütungsvereinbarungen in einem Umfeld stattfinden muss, das es dem Rechtsanwalt erschwert, seine Honorarvorstellungen durchzusetzen (vgl. BVerfGE 118, 1 ≪19≫). Abgesehen davon, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen grundsätzlich nicht unterschritten werden dürfen (vgl. § 49b Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung ≪BRAO≫), erlangt bei Vereinbarung eines höheren Honorars faktisch die Leitbildfunktion der gesetzlichen Gebührenordnung maßgebliche Bedeutung (vgl. BVerfGE 118, 1 ≪19≫). Denn der Mandant wird typischerweise davon ausgehen, dass mit den gesetzlichen Gebühren die anwaltliche Leistung dem Aufwand entsprechend abgegolten wird und sich vor Abschluss einer Vergütungsvereinbarung fragen, mit welcher besonderen Leistung die Abweichung von den gesetzlichen Gebühren gerechtfertigt sein soll. Außerdem erhält der Mandant selbst bei erfolgreichem Abschluss der Angelegenheit auch in Strafsachen nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen seines Verteidigers erstattet (vgl. § 464a Abs. 2 Nr. 2 der Strafprozessordnung ≪StPO≫ i.V.m. § 91a Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫).
(2) Die Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit wird daran deutlich, dass die angegriffenen Entscheidungen den vertraglichen Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers nicht nur der Höhe nach erheblich reduzieren, sondern auch den Charakter der Vereinbarung gleich in zweifacher Weise umgestaltet haben.
Dies gilt zunächst mit Blick auf den Gegenstand der Vergütung. Beim Abschluss einer Vergütungsvereinbarung treffen die Parteien eine Vereinbarung mit Blick auf das konkrete Mandat und bewerten dabei insbesondere dessen Bedeutung sowie den für die Bearbeitung nötigen Arbeitsaufwand. Demgegenüber erheben die gesetzlichen Gebühren nicht den Anspruch, das konkrete Mandat nach diesen Maßstäben adäquat oder auch nur kostendeckend zu vergüten. Ihnen liegt vielmehr eine Konzeption zugrunde, nach der erst das Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts in der Gesamtheit geeignet sein muss, sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt abzudecken (vgl. BVerfGE 80, 103 ≪109≫; 85, 337 ≪349≫). Dies soll durch eine Mischkalkulation, also eine Quersubventionierung der weniger lukrativen durch gewinnträchtige Mandate, sichergestellt werden (vgl. BVerfGE 83, 1 ≪14≫). Zielt die gesetzliche Regelung aber nicht auf eine adäquate Vergütung im Fall des konkreten Mandats, sondern auf eine im geschilderte Sinne auskömmliche Gesamtvergütung, so wird tiefgehend in die Freiheit privatautonomer Gestaltung eingegriffen, wenn deren Ergebnis an dem Maßstab dieses grundlegend anderen Vergütungskonzepts gemessen wird.
Die angegriffenen Urteile beschränken sich indes nicht darauf, die Maßstäbe eines am konkreten Fall orientierten Honorars durch die einer Mischkalkulation auszuwechseln. Eingegriffen wird vielmehr auch in das der Vergütungsvereinbarung zugrunde liegende Abrechnungsmodell. Wird – wie hier – die Grenze des Fünffachen an eine Stundenhonorarvereinbarung angelegt, so setzt sich der richterliche Gestaltungsakt über den für die Parteien bestimmenden Zeitfaktor hinweg, auf den die gesetzlichen Gebühren gerade nicht abheben. Vielmehr wird durch die Kappung des Honoraranspruchs auf das Fünffache der gesetzlichen Gebühren das Stundenhonorar der Sache nach in ein Pauschalhonorar umgestaltet. Zwar lässt sich die Kappung in jedem Einzelfall auch als eine entsprechende Reduzierung des Stundensatzes darstellen. Die Integrität des Abrechnungsmodells wahrt dies aber deswegen nicht, als sich die Obergrenze weiterhin zeitunabhängig bemisst, also proportional zum steigenden Stundenaufwand der Stundensatz sinkt.
bb) Für diesen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers lassen sich allerdings im Grundsatz gleichfalls gewichtige Gemeinwohlbelange anführen.
(1) Dies gilt zunächst, soweit die angegriffenen Urteile auf den Schutz des Mandanten vor überhöhten Vergütungsforderungen verweisen. Der Mandantenschutz zählt als Ausprägung des allgemeinen Verbraucherschutzes zu den schutzwürdigen Gemeinwohlbelangen (vgl. BVerfGE 117, 163 ≪184≫). Auch ist der Mandant beim Abschluss von anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen typischerweise in besonderem Maße schutzbedürftig. Dies erklärt sich daraus, dass es sich bei dem Vertragsgegenstand um eine immaterielle Leistung handelt, deren Gegenwert der Rechtsuchende selten ermessen kann. Hinzu kommt die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Mandant und Rechtsanwalt hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Rechtssache sowie des zu ihrer sachgerechten und möglichst erfolgreichen Betreuung erforderlichen Aufwands. Dieses Problem mangelnder Transparenz lässt sich durch einen Preiswettbewerb unter den Rechtsanwälten nicht lösen. Gerade in Strafverfahren ist es unwahrscheinlich, dass Mandanten vor der Beauftragung eines bestimmten Rechtsanwalts weitere Angebote einholen und damit die Grundlage für einen Preiswettbewerb schaffen (vgl. BVerfGE 117, 163 ≪184 f.≫). Wird – wie vorliegend – ein Zeithonorar vereinbart, kommt hinzu, dass der tatsächlich angefallene Zeitaufwand dem Mandanten verborgen bleibt, ein unredlicher Rechtsanwalt also in weitem Umfang ohne Kontrolle seiner tatsächlichen Leistung vertraglich seinen Mandanten finanziell beanspruchen kann.
Darüber hinaus ist im Bereich der Strafverteidigung das Schutzbedürfnis des Mandanten im Regelfall besonders hoch. Der auf die Ermittlung des Sachverhalts angelegte Strafprozess mit seiner Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch im Interesse des Rechtsgüterschutzes Einzelner um der Allgemeinheit willen durchzusetzen, ist mit erheblichen Belastungen und möglichen weitreichenden Folgen für den Betroffenen verbunden (vgl. BVerfGE 110, 226 ≪253≫). Insbesondere in Ansehung einer drohenden langjährigen Haftstrafe wird ein Beschuldigter daher eher bereit sein, für die von ihm erhoffte effektive Verteidigung auch eine unangemessen hohe Vergütung zu entrichten.
(2) Das Oberlandesgericht hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weiter darauf abgestellt, dass der Rechtsanwalt zur Mäßigung verpflichtet sei (vgl. BGHZ 162, 98 ≪106≫). Es gelte Auswüchse bei vertraglichen Vergütungsregelungen zu beschneiden, die mit der besonderen Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege nicht vereinbar seien (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – IX ZR 167/96 –, NJW 1997, S. 2388 ≪2389≫). Sollte das damit umschriebene Mäßigungsgebot darauf abzielen, die berufsbezogene Vertragsfreiheit des Rechtsanwalts allein wegen seiner Stellung als Organ der Rechtspflege Einschränkungen zu unterwerfen, würde dies die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen verfehlen. Der Rechtsanwalt übt einen freien Beruf aus, bei dem sich kommerzielles Denken nicht schlechthin verbietet (vgl. BVerfGE 87, 287 ≪329 f.≫; 117, 163 ≪183≫). Auch die Begrenzung des Einkommens von Rechtsanwälten ist für sich genommen kein legitimes Ziel für Eingriffe in die Berufsfreiheit (vgl. BVerfGE 118, 1 ≪22 f.≫). Schließlich kann das durch überhöhte Honorare möglicherweise gefährdete Ansehen eines Berufs Beschränkungen der Berufsfreiheit nur dann rechtfertigen, wenn über bloße berufsständische Belange hinaus das Allgemeininteresse berührt ist (vgl. BVerfGE 76, 171 ≪189≫).
Vor diesem Hintergrund kann die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege für sich allein weder Grundlage noch Maßstab einer Reduzierung des Honoraranspruchs sein. Ist hiernach Mäßigung um der Mäßigung willen kein legitimes Gemeinwohlziel, so kann die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege doch mittelbar Bedeutung erlangen. Denn der Schutz des – für eine funktionierende Rechtspflege wesentlichen – Vertrauens der Rechtsuchenden in die Integrität der Anwaltschaft stellt einen schutzwürdigen Gemeinwohlbelang dar (vgl. BVerfGE 117, 163 ≪184≫). Dieses Vertrauen kann erschüttert werden, wenn ein Rechtsanwalt den Abschluss einer Vereinbarung über ein Honorar erreicht, dessen Höhe die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt. Dies liegt in der faktischen Leitbildfunktion der gesetzlichen Gebührenordnung begründet. Vor ihrem Hintergrund wird der Rechtsuchende – ungeachtet der tatsächlich zugrunde liegenden abweichenden Konzeption – typischerweise davon ausgehen, dass mit den gesetzlichen Gebühren die anwaltliche Leistung auch im konkreten Fall angemessen abgegolten ist. Die Befürchtung, bei einer die gesetzlichen Gebühren mehrfach übersteigenden Vergütung könne ein Rechtsuchender den Eindruck gewinnen, er sei von seinem Rechtsanwalt übervorteilt worden, ist nicht von der Hand zu weisen.
(3) Soweit das Oberlandesgericht neben dem Mandantenschutz und dem Mäßigungsgebot auch auf die Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs (Art. 19 Abs. 4 GG) abgehoben hat, trägt diese Erwägung schon in ihrem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt nicht.
Zwar gehört es auch zum Schutzauftrag des Staates, darauf zu achten, dass die Justizgewährung nicht durch zu hohe Anwaltskosten erschwert wird (vgl. BVerfGE 118, 1 ≪25≫). Für den vorliegenden Fall eines Strafverfahrens folgt hieraus, dass das Recht des Angeklagten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren nicht gefährdet werden darf. Gewährleistet ist insoweit insbesondere die Zuziehung und Auswahl eines Verteidigers (vgl. BVerfGE 110, 226 ≪253≫). Dass diese Gewährleistung vorliegend die Reduzierung eines ausgehandelten Honoraranspruchs erforderlich macht, ist allerdings nicht erkennbar. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein Beschuldigter der Dienste des von ihm gewünschten Rechtsanwalts nicht versichern kann, wenn dieser nur auf Grundlage einer Vergütungsvereinbarung zur Verteidigung bereit ist. Dies lässt den Beschuldigten nicht schutzlos. Kann er die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufbringen, so ist ihm unter den Voraussetzungen des § 140 StPO von Amts wegen und auf Kosten der Staatskasse ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wobei regelmäßig ein Rechtsanwalt zu bestellen ist, der das Vertrauen des Beschuldigten genießt (vgl. BVerfGE 9, 36 ≪38≫). Diese Vorkehrungen genügen grundsätzlich der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪255 f.≫). Zwar wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn sich jenseits der Fälle der Pflichtverteidigung kein Rechtsanwalt mehr bereit fände, zu einer angemessenen vertraglichen Vergütung oder den gesetzlichen Gebühren tätig zu werden (vgl. BVerfGE 118, 1 ≪25 f.≫). Dies ist aber jedenfalls bei den gegenwärtigen Verhältnissen auf dem Anwaltsmarkt nicht zu befürchten.
cc) Zwischen den hiernach beachtlichen Gemeinwohlbelangen und der Berufsausübungsfreiheit haben die angegriffenen Entscheidungen keinen angemessenen Ausgleich geschaffen. Die Entkräftung der tatsächlichen Vermutung der Unangemessenheit einer vereinbarten Vergütung wird vielmehr von überzogenen Voraussetzungen abhängig gemacht, die das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Freiheitsausübung und Freiheitsbeschränkung in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in sein Gegenteil verkehren.
(1) Der in einer vertraglichen Vereinbarung zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt im Grundsatz auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, der grundsätzlich zu respektieren ist (vgl. BVerfGE 89, 214 ≪232≫; 103, 89 ≪100 f.≫). Ein solchermaßen sachgerechter Interessenausgleich bedarf weder aus Gründen des Mandantenschutzes noch zur Wahrung des Vertrauens in die Integrität der Anwaltschaft der Abänderung.
Diesen Anforderungen wird die von den Gerichten in Ansatz gebrachte tatsächliche Vermutungsregel nicht in jeder Hinsicht gerecht. Kann die Vermutung der Unangemessenheit nur bei „ganz ungewöhnlichen, geradezu extrem einzelfallbezogenen” Umständen erschüttert werden, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass nach Überschreiten der Vermutungsgrenze in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle den Gemeinwohlbelangen pauschal der Vorrang vor der Berufausübungsfreiheit des Rechtsanwalts eingeräumt wird. Dies gilt selbst dann, wenn ungewöhnlich gewichtige, einzelfallbezogene Umstände – die aber nicht das Niveau von „ganz” ungewöhnlichen, „extrem” einzelfallbezogenen Umständen erreichen – für die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung streiten und für ein Überwiegen gegenläufiger Belange nichts ersichtlich ist. Rechtfertigungsbedürftig, aber kaum noch rechtfertigungsfähig, ist dann aber nicht mehr der in dem richterlichen Gestaltungsakt liegende Eingriff in die Privatautonomie, sondern umgekehrt die Freiheitsausübung der Vertragsschließenden.
(2) Eine solche einseitige Belastung des Rechtsanwalts wäre allenfalls dann hinzunehmen, wenn sich bei einer Überschreitung der Gebühren um mehr als das Fünffache eine zur Wahrung der maßgeblichen Gemeinwohlbelange korrekturbedürftige Äquivalenzstörung derart aufdrängte, dass tatsächlich nur bei „ganz ungewöhnlichen, extrem einzelfallbezogenen” Umständen die Vergütungsvereinbarung unangetastet bleiben könnte. Die Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um das Fünffache lässt diesen Schluss aber nicht zu. Da die gesetzlichen Gebühren eine adäquate Vergütung des konkreten Mandats nicht anstreben, beinhalten sie auch keine ökonomische Bewertung der Anwaltsleistung im einzelnen Fall. Daraus, dass die gesetzliche Vergütung im Rahmen der Mischkalkulation angemessen ist, lässt sich deswegen nicht herleiten, der fünffache Satz sei – nun bezogen auf ein konkretes Mandat – „mehr als angemessen” und damit unangemessen. Im Einzelfall, etwa wenn sich die Verteidigung auf umfangreiche Aktivitäten im Ermittlungsverfahren beschränkt, ist aufgrund der auf die Hauptverhandlung ausgerichteten Gebührenstruktur noch nicht einmal gesichert, dass der Rechtsanwalt mit dem Fünffachen des gesetzlichen Vergütungssatzes auch nur kostendeckend arbeiten kann.
Hinzu kommt, dass die Grenze des Fünffachen nicht nur den Anwalt belastet, sondern sich im Einzelfall auch zum Nachteil des Mandanten auswirken kann. Bei Vereinbarung eines Zeithonorars mag sie den Rechtsanwalt zunächst dazu veranlassen, in die Bearbeitung des Mandats weniger Arbeitsstunden zu investieren als an sich erforderlich wäre. Denn auf Grundlage der angegriffenen Entscheidungen muss er – ist die Grenze überschritten – befürchten, eine Vergütung für jede weitere aufgewendete Stunde nicht mehr durchsetzen zu können. Ferner ist nicht auszuschließen, dass Strafverfahren bei Entfaltung hinreichender Verteidigungsaktivität bereits im Ermittlungsverfahren einzustellen wären, der Verteidiger den Umfang seiner Bemühungen jedoch deswegen in das Hauptverfahren verlagert, weil dies weitere gesetzliche Gebühren auslöst und diese erforderlich sind, um das vereinbarte Honorar unter der Grenze des Fünffachen zu halten.
Trotz dieser Erwägungen kann es den Fachgerichten aufgrund der faktischen Leitbildfunktion der gesetzlichen Gebührenordnung von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt sein, zur Bestimmung der Unangemessenheit auf die gesetzlichen Gebührentatbestände zurückzugreifen. Das schutzwürdige Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der Anwaltschaft gründet sich mit Blick auf die Vergütungshöhe typischerweise auf einem Vergleich mit den gesetzlichen Gebühren und Auslagen. Auch bei einer mehrfachen Überschreitung der gesetzlichen Vergütung kann das Vertrauen der Rechtsuchenden allerdings dann nicht beeinträchtigt sein, wenn der Nachweis gelingt, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Leistungen und des Aufwands des Rechtsanwalts, aber auch der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers gleichwohl angemessen ist. Verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar ist es deshalb, dem Beschwerdeführer mit den angegriffenen Entscheidungen diese Nachweismöglichkeit de facto abzuschneiden.
dd) Die Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um einen bestimmten Faktor ist zur Bestimmung der Unangemessenheit nach allem nicht schlechthin ungeeignet, darf aber, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu wahren, nicht allein maßgeblich sein. Ob ein qualifiziertes Überschreiten der gesetzlichen Gebühren und Auslagen im Rahmen einer tatsächlichen Vermutung, die dann jedoch auch tatsächlich einer Erschütterung zugänglich sein muss, oder bei einer Gesamtabwägung – was dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 BRAGO womöglich besser entspräche – zum Tragen kommt, ist nicht vom Bundesverfassungsgericht, sondern von den Fachgerichten zu entscheiden. Die Fachgerichte sind allerdings nicht gehindert, bei der Prüfung der Angemessenheit von Vergütungsvereinbarungen auch völlig andere Ansätze zu entwickeln. So kann etwa dann, wenn – wie vorliegend – die Vereinbarung eines Zeithonorars zu beurteilen ist, dem von den Parteien gewählten Vergütungsmodell am ehesten dadurch Rechnung getragen werden, wenn vornehmlich auf die Angemessenheit dieser Honorarform im konkreten Fall sowie auf die Angemessenheit des ausgehandelten Stundensatzes und der Bearbeitungszeit abgestellt wird.
2. Da die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits in seiner Berufsfreiheit verletzen, kann dahinstehen, ob auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.
III.
Die angegriffenen Entscheidungen sind gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen. Eine Zurückverweisung in die erste Instanz ist angezeigt, weil die Feststellung der Unangemessenheit weitere tatsächliche Aufklärung erforderlich machen kann und das Grundrecht des Beschwerdeführers bereits im ersten Rechtszug nicht hinreichend beachtet worden ist (vgl. BVerfGE 80, 1 ≪33 f.≫).
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen
Haufe-Index 2242176 |
NJW-RR 2010, 259 |
JurBüro 2009, 641 |
ZAP 2009, 847 |
AnwBl 2009, 650 |
ZfS 2009, 523 |
AGS 2009, 423 |
HRA 2009, 10 |
RENOpraxis 2009, 191 |
RVGreport 2009, 299 |
StRR 2009, 318 |
StV 2010, 89 |
StraFo 2009, 323 |
AG/KOMPAKT 2016, 126 |
BRAK-Mitt. 2009, 172 |
RVG prof. 2009, 156 |