Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlange Verfahrensdauer. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit eine Verletzung der Grundrechte im Hinblick auf die über 9 Jahre währende Verfahrensdauer beim Finanzgericht geltend gemacht wird, steht einer Prüfung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der Ausdruck in der Regelung des § 90 Abs. 2 BVerfGG gefunden hat, wenn die Rüge der Verfassungswidrigkeit erstmals vor dem BVerfG erhoben wird und nicht bereits die Revision darauf gestützt wurde.
2. Eine Verfahrensdauer beim BFH von über drei Jahren erscheint nicht offenkundig unangemessen und vermag einen Grundrechtseingriff für sich nicht zu begründen. Dem BVerfG obliegt es nicht, hinsichtlich jeder einzelnen Maßnahme die Verfahrenshandhabung des BFH nachzuprüfen, ob und inwieweit dieser möglicherweise früher hätte entscheiden können.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1; BVerfGG § 90 Abs. 2
Verfahrensgang
Gründe
1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte im Hinblick auf die über 9 Jahre währende Verfahrensdauer bei dem Finanzgericht geltend macht, steht einer Prüfung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der Ausdruck in der Regelung des § 90 Abs. 2 BVerfGG gefunden hat. Hiernach gilt, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muß, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪388 f.≫; 74, 102 ≪113≫; 81, 97 ≪102≫). Das bedeutet, daß eine Grundrechtsverletzung im Interesse einer ordnungsgemäßen Vorprüfung der Beschwerdepunkte zunächst in dem mit der Beeinträchtigung unmittelbar zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend gemacht werden muß (vgl. BVerfGE 59, 63 ≪83≫). Der sich aus § 90 Abs. 2 BVerfGG ergebende Grundsatz der Subsidiarität verlangt also von dem Beschwerdeführer nicht nur, daß er den Rechtsweg zu den Fachgerichten überhaupt, sondern auch mit all denjenigen Rügen erschöpft, welche er sodann – soweit sie ergebnislos geblieben sind – zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu stellen gedenkt. Nur auf diese Weise ist es den Fachgerichten möglich, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, indem sie diesen verfassungsrechtlichen Rügen – soweit sie begründet sind – Rechnung tragen oder sich mit ihnen soweit sie unbegründet sind – inhaltlich auseinandersetzen.
Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht, denn der Beschwerdeführer hat die Rüge der Verfassungswidrigkeit der Verfahrensdauer beim Finanzgericht erstmals in der Verfassungsbeschwerde erhoben. Demgegenüber waren mit der Revision nur Gründe vorgetragen worden, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts richteten und die in keinem Zusammenhang mit der Verfahrensdauer standen. Die überlange Verfahrensdauer hat der Beschwerdeführer im Rahmen des Revisionsverfahrens nur zum Anlaß genommen, eine mit Gründen versehene Entscheidung zu beantragen. Umstände, die erkennen ließen, warum es dem Beschwerdeführer verwehrt gewesen sein könnte, die Revision auch im Hinblick auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer zu stützen, sind weder von dem Beschwerdeführer vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Einschlägige, dem Begehren des Beschwerdeführers entgegenstehende Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, die sich mit der Verfassungswidrigkeit einer überlangen Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt insbesondere des Art. 19 Abs. 4 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG mit den daraus abzuleitenden Folgen auseinandersetzen, waren jedenfalls zum Zeitpunkt der Revisionseinlegung nicht ergangen, so daß auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Beschwerdeführer gehalten war, die Revision ebenfalls im Hinblick auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer einzulegen (vgl. etwa BVerfGE 77, 275 ≪282≫).
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Verfahrensdauer beim Bundesfinanzhof von über 3 Jahren wendet, ist sie gleichfalls unzulässig, denn die Beschwerde ist nicht mit einem Sachvortrag erhoben worden, der mit hinreichender Deutlichkeit zumindest die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten aufzeigt (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19≫; st. Rspr.). Die Dauer des Revisionsverfahrens erscheint nicht offenkundig unangemessen, wenn man berücksichtigt, daß ausweislich des Jahresberichts 1990 des Bundesfinanzhofs (S. 23) die durchschnittliche Dauer der Verfahren bei Revisionen mit einer Sachentscheidung 38 Monate betrug. Da der bloße Verfahrensablauf von über 3 Jahren ein Grundrechtseingriff für sich genommen nicht zu begründen vermag, hätte der Beschwerdeführer insbesondere Umstände darlegen müssen, die die Angemessenheit der Dauer des Revisionsverfahrens entsprechend der Besonderheiten des Einzelfalles in Frage stellen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt es nicht, hinsichtlich jeder einzelnen Maßnahme die Verfahrenshandhabung des Bundesfinanzhofs nachzuprüfen, ob und inwieweit dieser möglicherweise früher hätte entscheiden können. Dies verbietet sich schon im Hinblick auf den Umstand, daß jedes Gericht jeweils mit einer Vielzahl von Verfahren gleichzeitig befaßt ist und sich hieraus zwangsläufig für das einzelne Verfahren Verzögerungen ergeben, deren Ursachen nicht in diesem Verfahren selbst liegen. Im vorliegenden Revisionsverfahren sind jedenfalls keine erheblichen, von Verfassungs wegen zu beanstandenden Verzögerungen durch Untätigkeit des Bundesfinanzhofs von dem Beschwerdeführer dargelegt worden noch sind solche erkennbar (vgl. Nichtannahme-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 1981 – 2 BvR 348/81 – EuGRZ 1982, S. 75, 76).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen