Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2013 – 5 StR 258/13 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
1. Mit Urteil vom 14. Dezember 2012 verurteilte das Landgericht Potsdam den Beschwerdeführer und einen Mitangeklagten wegen mehrerer Betrugstaten jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und stellte fest, dass dem Verfall von Wertersatz in näher bezeichneter Höhe die Ansprüche der Verletzten entgegenstünden.
2. Gegen das Urteil legten der Beschwerdeführer und der Mitangeklagte Revision ein. Die Verteidigung des Beschwerdeführers rügte unter anderem einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Die Vorsitzende habe es versäumt, in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden hätten. Während des Ermittlungsverfahrens habe es mehrere Gespräche der beiden Verteidiger mit dem Staatsanwalt gegeben. Dieser habe gegenüber der Verteidigung erklärt, dass er im Falle umfassender Geständnisse eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren für beide Angeklagten für angemessen halte und Entsprechendes auch beantragen werde. Der Verteidiger des Mitangeklagten habe den Beisitzer der Strafkammer über diese Gespräche informiert und „vorgefühlt”, ob seitens der Kammer Interesse an einer entsprechenden Verfahrensabsprache bestehe. Der Beisitzer habe darauf abweisend reagiert.
3. Durch Beschluss vom 17. September 2013 hob der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf die Revisionen des Beschwerdeführers und des Mitangeklagten das Urteil des Landgerichts Potsdam gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über das Absehen von Verfallsanordnungen nach § 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen auf und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Die weitergehenden Revisionen verwarf der Bundesgerichtshof nach § 349 Abs. 2 StPO „aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen, die auch durch die Gegenerklärungen der Verteidigung nicht entkräftet werden” als unbegründet. Ergänzend verwies der 5. Strafsenat in Bezug auf die Rügen, es sei gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen worden, zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift, die lediglich Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO betreffe, auf ein Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13 –.
Das in Bezug genommene Urteil des 2. Strafsenats enthält die Schlussfolgerung, dass eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben. Dies zeige bereits ein Umkehrschluss aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach dem der Vorsitzende mitteile, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt, und erkläre sich auch aus dem Sinn und Zweck der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten. Die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten dienten der „Einhegung” der den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften. Wenn aber überhaupt keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden hätten, sei das Regelungskonzept des § 257c StPO nicht tangiert. Soweit die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 78 Abs. 2 OWiG darauf hindeuteten, § 243 Abs. 4 StPO habe die Pflicht statuieren sollen, auch eine Nichterörterung mitzuteilen, habe dies im Gesetzestext letztlich keinen Ausdruck gefunden.
Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168 ff.). Zwar führe das Bundesverfassungsgericht – ohne auf den entgegenstehenden Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzugehen – aus, wenn zweifelsfrei feststehe, dass überhaupt keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben, könne ausnahmsweise (lediglich) ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223, Rn. 98≫). Gleichzeitig betone das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass die Mitteilungspflicht nur dann eingreife, wenn bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum gestanden hätten (BVerfGE 133, 168 ≪216, Rn. 85≫). Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, beim Fehlen von Vorgesprächen entfalle das Beruhen des Urteils auf dem Fehlen einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, sei daher einfachrechtlich nicht schlüssig, da nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift in diesem Fall bereits kein Rechtsfehler vorliege.
Nach alledem bedürfe es einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht, wenn überhaupt keine oder nur solche Gespräche stattgefunden hätten, die dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen seien; das „Ob” der Handlung stehe unter dem Vorbehalt des „Wenn”. Soweit das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Negativmitteilung” verwendet habe, beziehe sich dieser nur auf gescheiterte Gespräche (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223, Rn. 98≫ unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10 –).
Vor diesem Hintergrund müsse ein Revisionsführer, der eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügen wolle, – gegebenenfalls nach Einholung von Erkundigungen beim Instanzverteidiger – bestimmt behaupten und konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt Gespräche stattgefunden hätten, die auf eine Verständigung abgezielt hätten. Denn das bloße Fehlen einer Mitteilung reiche nach dem zuvor Ausgeführten nicht aus, um einen – vom Revisionsführer darzulegenden – Rechtsfehler zu begründen.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam und die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs und rügt eine Verletzung „in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), ein faires Verfahren und seine Subjektstellung im Strafprozess (Art. 1 Abs. 1 GG)” sowie eine Verletzung „des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 2 GG, insbesondere Selbstbelastungsfreiheit, Öffentlichkeitsgrundsatz)”.
Durch das Unterlassen einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO habe die Strafkammer bei dem Beschwerdeführer eine Fehlvorstellung unterhalten, derentwegen er ein umfassendes Geständnis abgelegt habe. Er habe angenommen, dass die Kammer in ihrem Urteil nicht über den Antrag des Staatsanwalts hinausgehen werde. Er habe gedacht, es sei „alles abgesprochen”, es habe also seitens der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft auch mit der Kammer Gespräche gegeben, bei denen ein Einvernehmen über die Strafhöhe hergestellt worden sei. Die Kammer wäre verpflichtet gewesen, von dem Gespräch zwischen dem Verteidiger des Mitangeklagten und dem beisitzenden Richter zu berichten, weil dieses in den Anwendungsbereich des § 243 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit §§ 202a, 212 StPO falle. Dass der beisitzende Richter sich nicht auf den Verständigungsvorschlag des Verteidigers eingelassen habe, entbinde das Gericht nicht von der Mitteilungspflicht. Ein Gespräch, in dem jemand eine ablehnende Haltung zum Ausdruck bringe, sei nicht dasselbe wie ein Gespräch, das gar nicht stattgefunden habe.
Auch wenn man mit dem Bundesgerichtshof davon ausgehe, dass das Gespräch nicht in den Anwendungsbereich des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO falle, habe gleichwohl eine Mitteilungspflicht bestanden. Die Vorsitzende hätte in diesem Fall bekanntgeben müssen, dass die Kammer keinerlei Vorgespräche geführt habe, bei denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum gestanden habe. Dadurch hätte der Beschwerdeführer erfahren, dass entgegen seiner Annahme die Kammer nicht in die Übereinkunft zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft mit einbezogen worden sei. In diesem Fall hätte er sein Einlassungsverhalten den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst. Das Bestehen einer solchen Negativmitteilungspflicht ergebe sich sowohl aus der Gesamtschau des Gesetzeswortlauts als auch aus der Systematik und den Gesetzesmaterialien. Darüber dürfe sich der Rechtsanwender nicht hinwegsetzen. Andernfalls sei die Rechtsanwendung willkürlich. Unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf ein faires Verfahren, der Subjektstellung des Angeklagten im Strafprozess und der Selbstbelastungsfreiheit sei eine Negativmitteilungspflicht auch von Verfassungs wegen geboten.
Mit Schriftsatz vom 11. August 2014 beantragte der Beschwerdeführer, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2012 gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt und der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen erwidert.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs richtet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind insoweit gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet. Das der Revisionsentscheidung zugrunde liegende Verständnis des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
1. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits dann, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler aufweisen. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr in einem objektiven Sinne zu verstehen (vgl. BVerfGE 62, 189 ≪192≫; 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; stRspr).
2. Zur Gesetzesauslegung hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (BVerfGE 133, 168 ≪205 f., Rn. 66≫):
Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 ≪312≫; 11, 126 ≪130 f.≫; 105, 135 ≪157≫; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 ≪130≫; 105, 135 ≪157≫). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 ≪283≫ – abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 ≪394 f.≫). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24≫ m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 ≪284≫ – abw. M.).
3. Nach diesen Maßstäben ist die Auslegung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, wie sie der Revisionsentscheidung zugrunde liegt, wonach eine Mitteilungspflicht gemäß dieser Vorschrift nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben, unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar. Sie verstößt in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen den eindeutigen objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168 ff.) herausgearbeitet wurde.
a) § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO lautet:
Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt.
Der Wortlaut der sprachlich wenig geglückten Norm erscheint zwar auf den ersten Blick mehrdeutig (einerseits „ob”, andererseits „wenn”), lässt aber durch die weitere Formulierung „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt” auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht auch für den Fall schließen, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben (sog. Negativmitteilungspflicht), weil es des Zusatzes „und wenn ja” ansonsten nicht bedurft hätte. Da der Gesetzeswortlaut selbst bei einer Ersetzung des „ob” durch ein „dass” wegen der nachfolgenden konditionalen Doppelung („wenn”, „und wenn ja”) unverständlich bliebe, ist nicht das „ob”, sondern das „wenn” als Redaktionsversehen einzuordnen und die Vorschrift dahingehend zu verstehen, dass der Vorsitzende mitteilt, ob Erörterungen stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (so zu Recht Frister, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2011, § 243 Rn. 43).
b) Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wenn in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO von „Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung” die Rede ist, lässt dies allein den Schluss zu, dass zu Beginn der Hauptverhandlung in jedem Fall eine Mitteilung – sei es positiv oder negativ – zu erfolgen hat. Eine klare Bestätigung dieser Sichtweise findet sich in § 78 Abs. 2 OWiG, der für die Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid folgende Sonderregelung trifft:
§ 243 Absatz 4 der Strafprozessordnung gilt nur, wenn eine Erörterung stattgefunden hat; § 273 Absatz 1a Satz 3 und Absatz 2 der Strafprozessordnung ist nicht anzuwenden.
Daraus ergibt sich im Umkehrschluss eindeutig, dass im „normalen” Strafprozess eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch dann besteht, wenn keine Erörterung stattgefunden hat. Anderenfalls wäre § 78 Abs. 2 Halbsatz 1 OWiG sinnlos.
c) Auch die Materialien zum Verständigungsgesetz belegen eindeutig, dass der Gesetzgeber für den „normalen” Strafprozess eine Negativmitteilungspflicht einführen wollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Verständigungsgesetzes (BTDrucks 16/12310, S. 16) heißt es bezüglich § 78 Abs. 2
OWiG:
Für diese wenigen „geeigneten” Fälle ist es auch grundsätzlich gerechtfertigt, die im Strafverfahren aufgestellten prozessualen Anforderungen und Bedingungen auch im Bußgeldverfahren greifen zu lassen. Als eine nicht gerechtfertigte Anforderung erschiene es jedoch, auch den Regelfall, also das Unterlassen einer solchen Verständigung, protokollieren zu müssen; das gleiche gilt für die in § 243 Absatz 4 StPO-E enthaltene Pflicht, auch eine Nichterörterung mitzuteilen. In § 78 Absatz 2 OWiG-E wird daher die Protokollierungspflicht nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO-E für nicht anwendbar erklärt und die Mitteilungspflicht nach § 243 Absatz 4 StPO-E auf die Fälle beschränkt, in denen eine Erörterung im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden hat.
Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der Einführung einer Negativmitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit folgenden Erwägungen entgegengetreten (BTDrucks 16/12310, S. 18):
Eine Mitteilung des Vorsitzenden, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung stattgefunden haben, ist weder erforderlich noch zweckmäßig.
Nur für den Fall, dass Gespräche mit dem Ziel einer einvernehmlichen Absprache tatsächlich stattgefunden haben, besteht ein Bedürfnis, dies in der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung mitzuteilen und hierdurch transparent zu machen.
Über Negativtatsachen braucht hingegen nicht berichtet zu werden, da diese nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sind. Dies entspricht auch dem Grundsatz der negativen Beweislast [sic!] des Protokolls über die Hauptverhandlung. Eine anderweitige Regelung stünde daher nicht im Einklang mit der Systematik des Strafverfahrens.
Dementsprechend hat der Bundesrat folgende abweichende Fassung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorgeschlagen:
Haben Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung (§ 257c) stattgefunden, so teilt der Vorsitzende dies und deren wesentlichen Inhalt mit.
Dieser Vorschlag ist jedoch nicht Gesetz geworden. Es blieb vielmehr bei der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fassung.
d) Sinn und Zweck des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Regelungskonzepts, das die Schaffung umfassender Transparenz in Bezug auf Verständigungen im Strafprozess vorsieht (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪214 ff., Rn. 80 ff.≫), sprechen ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wie sich aus § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Verpflichtung zu expliziter „Fehlanzeige” einer Verständigung der Transparenz und der Beachtung der gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung dienlich ist (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 15).
e) Auch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts legt die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dahingehend aus, dass sie eine Negativmitteilungspflicht beinhaltet (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223 f., Rn. 98≫):
Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Absatz 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10 –, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein […], sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 – 32 Ss 87/11 –, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle” Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.
Der vom Bundesverfassungsgericht hier verwendete Begriff der „Negativmitteilung” bezieht sich – entgegen der Annahme des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13 – nicht nur auf die Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche, sondern umfasst auch die Mitteilung darüber, dass es keine Verständigungsgespräche gegeben hat. Anderenfalls ergäbe der Rest des Satzes keinen Sinn, weil es ausgeschlossen ist, dass einerseits eine Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche geboten gewesen wäre, andererseits jedoch „zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand”. Zwar ging es in dem zunächst in Bezug genommenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10 – tatsächlich um die Pflicht zur Mitteilung gescheiterter Verständigungsgespräche. Der nachfolgende Hinweis auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 30. August 2011 – 32 Ss 87/11 – zeigt jedoch deutlich, dass der Senat gerade auch diejenigen Fälle gemeint hat, bei denen eine Mitteilung darüber unterblieben ist, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben.
Soweit das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, dass Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO unterliegen (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪216, Rn. 84≫), ist damit nach dem Kontext der Gründe (vgl. insbesondere a.a.O., Rn. 83) die Pflicht zur (Positiv-)Mitteilung des wesentlichen Inhalts von Gesprächen gemeint (vgl. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO: „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt”). Diese Aussage lässt daher nicht den Schluss zu, dass es bei lediglich organisatorischen Vorgesprächen keinerlei Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO bedarf, auch keiner Negativmitteilung.
4. Die Annahme, im vorliegenden Fall sei trotz Fehlens einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO jedenfalls ein Beruhen des erstinstanzlichen Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs. 1 StPO) auszuschließen, weil zweifelsfrei feststehe, dass es keinerlei Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben habe (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223 f., Rn. 98≫), kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Aufklärung der entsprechenden Verfahrenstatsachen nicht stattgefunden hat. Zwar trägt der Beschwerdeführer lediglich zu Gesprächen der Verteidiger mit dem Staatsanwalt und zu einem Gespräch zwischen dem Verteidiger des Mitangeklagten und dem beisitzenden Richter vor, dessen Einordnung als mitteilungspflichtige Erörterung nach den konkreten Umständen zweifelhaft sein mag. Dass es darüber hinaus im Vorfeld keinerlei Verständigungsgespräche gegeben hat, deren Inhalt nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilen gewesen wäre, kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers aber nicht zweifelsfrei entnommen werden.
5. Ob ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes bei einem Verstoß gegen die Negativmitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch, wie der Beschwerdeführer meint, damit begründet werden könnte, dass sich der Angeklagte in dem Glauben befunden habe, es hätten Verständigungsgespräche stattgefunden, und ihn eine Negativmitteilung möglicherweise von der Abgabe eines Geständnisses abgehalten hätte, und ob ein solches Verständnis des Beruhens vom Schutzzweck des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO umfasst wäre, ist letztlich eine Frage des einfachen Rechts. Verfassungsrechtlich geboten erscheint dieses Verständnis jedenfalls nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits darauf hingewiesen, dass nach seiner Auslegung des Verständigungsgesetzes ein Ausschluss des Beruhens auch bei einem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪223 f., Rn. 98≫), und dass diese Auslegung mit der Verfassung in Einklang steht (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪229 ff., Rn. 108 ff.≫).
6. Ein Beruhen der Revisionsentscheidung auf dem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Bundesgerichtshof die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge möglicherweise auch bei Bejahung einer aus dieser Vorschrift folgenden Negativmitteilungspflicht als unzulässig angesehen hätte. Von einem Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf einer Grundrechtsverletzung ist bereits dann auszugehen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung des verletzten Grundrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Welche Darlegungsanforderungen der Bundesgerichtshof bei Bejahung einer Negativmitteilungspflicht an den Vortrag des Revisionsführers gestellt hätte und ob er hiernach die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge für zulässig erachtet hätte, kann durch das Bundesverfassungsgericht nicht beurteilt werden. Denkbar wäre es gewesen, keine über den – bereits im Fehlen jeglicher Mitteilung liegenden – Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hinausreichenden Anforderungen an die Darstellung des Verfahrensablaufs zu stellen und im Freibeweisverfahren aufzuklären, ob Gespräche stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (so im Ergebnis BGH, Beschluss vom 3. September 2013 – 1 StR 237/13 –, juris, Rn. 4 ff.). Ebenso hätte, einem Vorschlag des Generalbundesanwalts in der Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde folgend, verlangt werden können, dass die Revisionsbegründung mitteilt, über welche Kenntnisse und Hinweise bezüglich etwaiger Verständigungsgespräche der Revisionsverteidiger und der Angeklagte
– gegebenenfalls nach zumutbarer Einholung entsprechender Auskünfte beim Instanzverteidiger (vgl. BVerfGK 6, 235 ≪237 f.≫) – verfügen. Auch wenn es sich dabei um eine Ausnahme von dem revisionsrechtlichen Grundsatz handeln mag, dass der Revisionsführer zur Beruhensfrage nicht vorzutragen braucht, geht es hierbei doch letztlich um eine Frage des einfachen Rechts, über die das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat.
V.
Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
VI.
Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
VII.
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Landau, Kessal-Wulf, König
Fundstellen
Haufe-Index 7330157 |
NJW 2014, 3504 |
wistra 2014, 472 |
AO-StB 2015, 14 |
NJW-Spezial 2014, 664 |