Leitsatz (amtlich)
1. Die Unschuldsvermutung ist verletzt, wenn das Gericht dem Angeschuldigten in einem Einstellungsbeschluß nach § 153 Abs. 2 StPO oder in den Gründen der damit verbundenen Auslagenentscheidung strafrechtliche Schuld zuweist, ohne daß diese zuvor prozeßordnungsgemäß festgestellt wurde.
2. Die Unschuldsvermutung verbietet es nicht, die Entscheidung über die Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 4 StPO auf Erwägungen zum Tatverdacht zu stützen.
Verfahrensgang
AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.03.1988; Aktenzeichen 59 Js 13679/87 - 950 Ds 418) |
AG Hof (Beschluss vom 18.01.1988; Aktenzeichen Cs 25 Js 5780/87 Jug) |
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) wird zurückgewiesen.
2. Der Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt a.M. vom 25. März 1988 (59 Js 13679/87 – 950 Ds 418) verletzt mit der Entscheidung über die Auslagen das Grundrecht der Beschwerdeführerin zu 2) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. In diesem Umfang wird der Beschluß aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Amtsgericht Frankfurt a.M. zurückverwiesen.
3. Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin zu 2) die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Auswirkungen der Unschuldsvermutung auf die Einstellungs- und Auslagenentscheidung sowie deren Begründung, wenn ein Strafverfahren nach Anklageerhebung wegen Geringfügigkeit eingestellt wird (§ 153 Abs. 2, § 467 Abs. 1 und 4 StPO).
I.
Nach § 153 Abs. 2 StPO kann das Gericht ein Strafverfahren nach Erhebung der Anklage wegen Geringfügigkeit mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten einstellen. § 153 StPO in der Fassung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) lautet:
(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichts bedarf es nicht bei einem Vergehen, das gegen fremdes Vermögen gerichtet und nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist, wenn der durch die Tat verursachte Schaden gering ist.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.
§ 467 StPO regelt, wer Kosten und Auslagen zu tragen hat, wenn der Angeschuldigte nicht verurteilt wird. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
§ 467
(1) Wird der Angeschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt, so fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer. Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
- wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153 a) endgültig eingestellt wird.
§ 153 Abs. 2 StPO gilt auch im jugendgerichtlichen Verfahren gegen Heranwachsende, und zwar über § 109 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Nr. 2 und § 45 Abs. 2 Nr. 2 JGG, wenn der Richter Jugendrecht anwendet, sonst über § 2 JGG. In bezug auf die notwendigen Auslagen des Beschuldigten enthält das Jugendgerichtsgesetz keine von § 467 StPO abweichende Regelung.
II.
1. Mit Strafbefehl vom 26. Oktober 1987 verhängte das Amtsgericht – Jugendrichter – gegen die Beschwerdeführerin zu 1), eine Heranwachsende, wegen Betrugs eine Geldstrafe von zwanzig Tagessätzen zu je 30 DM. Ihr wurde zur Last gelegt, als Zeitschriftenwerberin die Bestellung eines Magazins dadurch erschlichen zu haben, daß sie über die vereinbarte Bezugsdauer täuschte. Die Beschwerdeführerin zu 1) hatte die Tat bestritten; sie wurde aber durch die Angaben der Bestellerin belastet. Nachdem die Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafverfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführerin zu 1) gemäß § 153 Abs. 2 StPO ein. Die Kosten des Verfahrens wurden der Staatskasse auferlegt. Von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin auf die Staatskasse sah das Amtsgericht hingegen ab. Die formularmäßigen Beschlußgründe lauten:
„Die Angeschuldigte ist hinreichend verdächtig, ein Vergehen nach § 263 StGB begangen zu haben. Ihre Schuld erscheint gering. Ein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht nicht. Das Verfahren wird daher nach § 153 Abs. 2 StPO mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Angeschuldigten eingestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 4 StPO.
Die Schuld der Angeschuldigten ist in hohem Maße wahrscheinlich. Es wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.”
2. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidung über die notwendigen Auslagen im Beschluß des Amtsgerichts. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung des Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 EMRK. Sie ist der Auffassung, die Begründung der angegriffenen Entscheidung verstoße gegen die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebende Unschuldsvermutung.
III.
1. Gegen die Beschwerdeführerin zu 2), ebenfalls eine Heranwachsende, war ein Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort vor dem Amtsgericht – Jugendrichter – anhängig. Die Hauptverhandlung wurde nach der Vernehmung von drei Zeugen ausgesetzt; zugleich verfügte der Richter die Ladung weiterer Zeugen zu einem von Amts wegen zu bestimmenden neuen Termin. Danach stellte das Amtsgericht das Verfahren nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Nr. 2 und § 109 Abs. 2 JGG sowie § 153 Abs. 2 StPO mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführerin ein, ohne eine neue Hauptverhandlung durchzuführen. Von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin auf die Staatskasse sah das Amtsgericht ab, „da nach den bisherigen Feststellungen die schuldhafte Begehung einer Straftat vorliegt (§ 467 Abs. 4 StPO)”. Die gegen die Auslagenentscheidung gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) verwarf das Landgericht als unzulässig. Ein im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht übersandter Antrag auf nachträgliche Anhörung gemäß § 33 a StPO wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen, weil der Auslagenentscheidung keine neuen, der Beschwerdeführerin unbekannten Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde gelegen hätten.
2. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Auslagenentscheidung im Beschluß des Amtsgerichts. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sie ist der Auffassung, die angegriffene Entscheidung verstoße gegen die Unschuldsvermutung und beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Im Blick auf das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme und auf die Ankündigung des Gerichts, daß die Vernehmung weiterer Zeugen erforderlich sei, habe sie davon ausgehen können, bei dem derzeitigen Stand der Ermittlungen komme eine Verurteilung nicht in Betracht. Die mit der Feststellung strafrechtlicher Schuld verbundene Auslagenentscheidung sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Es handle sich insoweit um eine Überraschungsentscheidung, gegen die sie sich nicht habe zur Wehr setzen können.
IV.
Zu beiden Verfassungsbeschwerden haben der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, der Präsident des Bundesgerichtshofs und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat sich zu der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1), die Hessische Staatskanzlei zu der der Beschwerdeführerin zu 2) geäußert.
1. Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde zu 2) für begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 74, 358 ≪373≫) verbiete es die Unschuldsvermutung, Kosten- und Auslagenentscheidungen unter Zuweisung von Schuld zu treffen, wenn das Hauptverfahren nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden sei. Insoweit könne zwischen der Versagung der Auslagenerstattung im Offizialverfahren und der Überbürdung von Auslagen eines Privat- oder Nebenklägers kein Unterschied gemacht werden. Der Rechtsausschuß des Bundestages habe mehrfach hervorgehoben (vgl. BTDrucks. 10/6592, S. 25; BTDrucks. 10/6824, S. 16), daß die Entscheidung über die Erstattung notwendiger Auslagen nicht auf die Kriterien der Schuldwahrscheinlichkeit oder des Tatverdachts abstellen dürfe. Aus diesen Äußerungen folge ein durchaus verallgemeinerungsfähiger Wille des Gesetzgebers, der auch insoweit die Respektierung der Unschuldsvermutung gebiete. Gerichtliche Entscheidungen verstießen jedenfalls dann gegen spezifisches Verfassungsrecht, wenn sich die Schuldfeststellungen der Auslagenentscheidung im Sinne eines Quasi-Schuldspruchs verselbständigten. Die Gründe der angegriffenen Entscheidung gingen deutlich über eine möglicherweise nicht zu beanstandende Umschreibung einer Verdachtslage hinaus. Das Gericht habe ungeachtet des nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführten Hauptverfahrens eine eindeutige Schuldzuweisung vorgenommen, die die Beschwerdeführerin zu 2) erheblich belaste.
Hinsichtlich der Beschwerdeführerin zu 1) beschränkte sich der Bundesminister der Justiz auf einen Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, EuGRZ 1987, S. 399 – Lutz; S. 405 – Englert; S. 410 – Nölkenbockhoff), wonach die Unschuldsvermutung durch Erwägungen zum Tatverdacht nicht verletzt werde, sofern sich das Gericht einer eindeutigen Schuldfeststellung enthalte.
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) für nicht begründet. Die Unschuldsvermutung verwehre es Strafverfolgungsorganen nicht, verfahrensbezogen den Grad des Verdachts einer strafbaren Handlung zu beurteilen. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses könnten nicht als Erkenntnis zur Schuld der Beschwerdeführerin angesehen werden. Das Amtsgericht habe lediglich eine Bewertung des bestehenden Tatverdachts vorgenommen.
3. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) für begründet. Das Amtsgericht habe die Schuld der Beschwerdeführerin festgestellt, obwohl das Verfahren nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden sei. Die Begründung der Auslagenentscheidung stehe deshalb mit dem Stand des Verfahrens nicht in Einklang und widerspreche der aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Unschuldsvermutung. Unter diesem Gesichtspunkt sei auch der erkennende Teil der Entscheidung zu beanstanden.
4. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 2., 3. und 4. Strafsenats übermittelt und mitgeteilt, daß das Gericht mit der durch die Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Rechtsfrage noch nicht befaßt worden sei. Der 1., 2. und 3. Strafsenat halten die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) nicht für begründet. Die angegriffene Entscheidung enthalte lediglich die Umschreibung einer Verdachtslage und stelle die Schuld der Beschwerdeführerin nicht fest. Ein solches Anknüpfen an den Tatverdacht und an die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung sei – lege man die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde – von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Der 4. Strafsenat ist demgegenüber der Ansicht, die Auslagenentscheidung sei mit Schuldzuweisungen begründet, die im Widerpruch zu der Unschuldsvermutung stünden. Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) nehmen die Senate auf ihre Stellungnahmen zu der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) Bezug.
5. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) für unbegründet, die der Beschwerdeführerin zu 2) hingegen für begründet.
Im Strafprozeß sei der Grad des Tatverdachts bezogen auf den jeweiligen Verfahrensstand zu konkretisieren. Hierbei zwinge die Unschuldsvermutung nicht zu der Annahme, ein Sachverhalt habe sich nicht zugetragen, wenn er nicht rechtskräftig festgestellt worden sei. Dies gelte auch für die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO und für die ihr nachfolgende Kostenentscheidung. Die richterliche Entscheidung über die Voraussetzungen der Einstellung wegen möglicher geringer Schuld setze die Annahme der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit des im Strafprozeß zu beurteilenden Sachverhalts voraus. Zusätzlich bedürfe es einer Verurteilungsprognose, weil es den Grundsätzen eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens widerspreche, dem Beschuldigten ein freisprechendes Urteil nur deshalb zu versagen, weil der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens unökonomisch erscheine. Diese verfahrensimmanente Prognose strahle auch auf die Kostenentscheidung nach § 467 Abs. 4 StPO aus. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages habe zwar im Gesetzgebungsverfahren verschiedentlich die Meinung vertreten, daß der Grad des verbleibenden Tatverdachts bei der Ausübung des Ermessens keine Rolle spielen dürfe. Eine systematische Auslegung des Gesetzestextes führe indes eher zu der gegenteiligen Auffassung, zumal andere plausible Gesichtspunkte, die eine Versagung der Auslagenerstattung auf der Grundlage des § 467 Abs. 4 StPO rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich seien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sei in seinen jüngsten Entscheidungen zur Unschuldsvermutung von der strengen Haltung früherer Jahre abgewichen und habe selbst eindeutige Verurteilungsprognosen nicht beanstandet. Die sich in diesen Entscheidungen andeutende neue Sicht könne auch im Blick auf das Grundgesetz hingenommen werden, weil alle schuldbezogenen prozessualen Maßnahmen einschließlich der Auslagenentscheidung im Lichte der verfahrensabschließenden Entscheidung zu sehen seien. Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung seien deshalb unbedenklich, solange ihr Wortlaut nicht mit dem Verfahrensergebnis der nicht nachgewiesenen Schuld in Widerspruch gerate.
Diesen Anforderungen werde der von der Beschwerdeführerin zu 1) angegriffene Beschluß gerecht. Der die Beschwerdeführerin zu 2) betreffende Beschluß des Amtsgerichts enthalte demgegenüber nach seinem objektiven Erklärungswert eine Zuweisung strafrechtlicher Schuld, die nach dem Stand des Verfahrens nicht gerechtfertigt sei.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
Allerdings hat die Beschwerdeführerin zu 2) ihre Rüge, Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, nicht in zulässiger Weise vorgebracht. Sie hat nicht dargelegt, was sie bei nach ihrer Meinung ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19 f.≫; st.Rspr.).
C.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist begründet. Die von ihr angegriffene Auslagenentscheidung verletzt sie in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, weil das Amtsgericht der Wirkkraft der verfassungsverbürgten Unschuldsvermutung nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist hingegen nicht begründet.
I.
1. Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist auch kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 74, 358 ≪370≫; st.Rspr.). Aus dem Prinzip, daß keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, folgt die Aufgabe des Strafprozesses, den Strafanspruch des Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪275≫; 74, 358 ≪370 f.≫). Dem Täter müssen deshalb Tat und Schuld nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 ≪169≫). Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 ≪320≫; 74, 358 ≪371≫). Die Unschuldsvermutung schützt also den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozeßordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪371≫).
2. Die Unschuldsvermutung als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Die Ausgestaltung des Strafverfahrens läßt die Unschuldsvermutung, um deren Widerlegung oder Fortgeltung es im Strafprozeß geht, hinreichend wirksam werden (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪371 f.≫).
Die Unschuldsvermutung verwehrt es den Strafverfolgungsorganen nicht, schon vor Abschluß der Hauptverhandlung verfahrensbezogen den Grad des Verdachts einer strafbaren Handlung eines Beschuldigten zu beurteilen (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪372≫). Die Strafprozeßordnung kennt eine Vielzahl von – unter Umständen tief in Grundrechte der Betroffenen eingreifenden – Maßnahmen und Entscheidungen, die einen näher bestimmten Tatverdacht voraussetzen (vgl. etwa § 100 a StPO – Überwachung des Fernmeldeverkehrs; § 102 StPO – Durchsuchung; § 111 a Abs. 1 StPO – vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis; § 112 Abs. 1 StPO – Untersuchungshaft; § 127 Abs. 2 StPO – vorläufige Festnahme; § 203 StPO – Eröffnung des Hauptverfahrens). Solche verfahrensbezogenen Bewertungen von Verdachtslagen sind für die Durchführung eines an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Strafverfahrens unerläßlich (vgl. etwa BVerfGE 19, 342 ≪347 f.≫ – Untersuchungshaft). Sie verstoßen deshalb nicht gegen die Unschuldsvermutung. Sowohl das Grundgesetz (Art. 104 Abs. 3 GG) als auch die Europäische Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EMRK), deren Inhalt und Entwicklungsstand bei der Auslegung des Grundgesetzes in Betracht zu ziehen sind (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪370≫), sehen die Feststellung des Tatverdachts als Voraussetzung für (vorläufige) Entscheidungen im Strafprozeß vor.
Festlegungen zur Schuld des Angeklagten zu treffen, Schuld auszusprechen und Strafe zuzumessen, ist den Strafgerichten allerdings erst erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in dem mit rechtsstaatlichen Verteidigungsgarantien ausgestatteten, bis zum prozeßordnungsmäßigen Abschluß durchgeführten Strafverfahren nachgewiesen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪372≫).
3. Mit der Schuldfrage ist der Strafrichter, wenn er die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO beabsichtigt, in verschiedenen Verfahrensstadien befaßt.
a) Wird ein Strafverfahren eingestellt, bevor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist, so fehlt es an der prozeßordnungsgemäßen Grundlage für ein Erkenntnis zur Schuld. Durch den Wortlaut der für das Offizialverfahren geltenden Einstellungsvorschrift des § 153 StPO hat der Gesetzgeber dem Rechnung getragen; das Gesetz verlangt hier eine nur hypothetische Schuldbeurteilung: Das Gericht hat den Sachverhalt, so wie er sich im jeweiligen Verfahrensstadium abzeichnet, daraufhin zu prüfen, ob die Schuld des Angeklagten gering wäre, wenn die Feststellungen in einer Hauptverhandlung diesem Bild entsprächen. Es darf die strafrechtliche Relevanz nicht nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld feststellen; es darf sie lediglich unterstellen (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪373≫).
Schuldzuweisungen oder -feststellungen in den Gründen eines Einstellungsbeschlusses, der vor Durchführung einer Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife ergeht, können hiernach zur Feststellung eines selbständigen Grundrechtsverstoßes führen (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪373 f.≫). In aller Regel kann sich eine Grundrechtsbeschwer zwar nur aus dem Tenor einer Entscheidung ergeben, weil dieser allein deren Rechtsfolgen verbindlich bestimmt. In einzelnen Ausführungen der Gründe kann aber dann eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegen, wenn durch diese dem Beschuldigten strafrechtliche Schuld attestiert wird, obwohl das Verfahren eingestellt, also dem tatsächlich bestehenden Tatverdacht nicht weiter nachgegangen wird und das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zum Nachweis der Schuld nicht stattgefunden hat. Ein derartiger richterlicher Spruch zur Schuldfrage hat Gewicht, auch wenn er dem Betroffenen im allgemeinen Rechtsverkehr nicht vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪374≫).
b) Anders verhält es sich regelmäßig dann, wenn die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist. Gewinnt das Gericht hier – nach dem letzten Wort des Angeklagten – die Überzeugung, daß die aus seiner Sicht feststehende Schuld gering ist, so ist es nicht gehindert, dies in den Gründen der Einstellungsentscheidung auszusprechen.
4. Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Die Unschuldsvermutung verbietet, gegen den Beschuldigten Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion gleichkommen, oder ihm in einer strafgerichtlichen Entscheidung Schuld zuzuweisen, ohne daß ihm in dem gesetzlich dafür vorgeschriebenen Verfahren strafrechtliche Schuld nachgewiesen worden ist. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können darum auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden.
Allerdings muß dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, daß es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage. Dieser Unterschied muß auch in der Formulierung der Gründe hinreichenden Ausdruck finden. Dabei ist der Sinnzusammenhang der gesamten Entscheidungsgründe zu würdigen. Unabhängig davon sollten die Gerichte im Blick auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung darauf Bedacht nehmen, nur solche Formulierungen zu verwenden, die von vornherein jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeiden; dies gilt insbesondere bei Formblättern.
5. Die Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit und die damit verbundene Auslagenentscheidung folgt diesen Grundsätzen.
a) Die Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO beendet das Strafverfahren ohne Schuldspruch. Sie erfolgt in der Regel in einem Stadium, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen der Schuldspruchreife noch nicht vorliegen. Deshalb verlangt das Gesetz nicht eine – regelmäßig unzulässige – Schuldfeststellung, sondern das hypothetische Urteil, daß „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre”. Damit setzt es voraus, daß durch das Verfahren bis zur Einstellung ein Tatverdacht nicht ausgeräumt worden ist. Nach einhelliger Ansicht darf das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO nicht eingestellt werden, wenn ein Tatverdacht nicht (mehr) begründet werden kann (vgl. Rieß in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. ≪1985≫, § 153 Rdnr. 32; Müller in: KMR, Kommentar zur StPO, Stand 1990, § 153 Rdnr. 3 f.; Schoreit in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 2. Aufl. ≪1987≫, § 153 Rdnr. 6; Kleinknecht/Meyer, StPO, 39. Aufl., § 153 Rdnr. 3). In einem solchen Fall wäre nicht die Einstellung des Verfahrens nach Ermessensgrundsätzen, sondern ein Freispruch geboten. Nur fortbestehender Tatverdacht kann die verfahrensrechtliche Grundlage für die vom Gesetz geforderte hypothetische Schuldbeurteilung bilden. Ohne die Feststellung, wessen der Angeschuldigte noch verdächtig ist, könnte nicht beantwortet werden, ob die Schuld als gering anzusehen wäre, falls sich der noch bestehende Verdacht bei weiterer Verfahrensdurchführung bis zur Schuldspruchreife bestätigen sollte.
Daraus folgt: Die Einstellung läßt die Schuldfrage offen; der Angeschuldigte wird weder schuldig gesprochen noch in einer dem Freispruch vergleichbaren Weise rehabilitiert. Das Gesetz trägt jedoch in § 153 Abs. 2 StPO einem Interesse des Angeschuldigten, den Tatverdacht auszuräumen, dadurch Rechnung, daß hier die Einstellung – anders als die Einstellung eines Privatklageverfahrens nach § 383 StPO – nur mit Zustimmung des Angeschuldigten erfolgen darf. Die Zustimmung zur Einstellung enthält kein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld (vgl. Rieß, a.a.O., § 153 Rdnr. 66). Das Zustimmungserfordernis erklärt sich vielmehr daraus, daß die Einstellung in ihrer Rehabilitationswirkung hinter dem Freispruch zurückbleibt.
b) Wird das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt, so kann das Gericht entgegen § 467 Abs. 1 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, weil es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies nach seinem Ermessen zuläßt (§ 467 Abs. 4 StPO). Von welchen Erwägungen sich das Gericht bei dieser Auslagenentscheidung leiten lassen darf, ist § 467 Abs. 4 StPO nicht zu entnehmen.
Die verfassungsrechtliche Unschuldsvermutung verbietet nicht, die Entscheidung über die Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 4 StPO auf Erwägungen zum Tatverdacht zu stützen.
Die Versagung des Auslagenersatzes ist keine Strafe und auch keine strafähnliche Sanktion, die einer Strafe gleichgeachtet werden kann. Denn die Gerichte lehnen es damit lediglich ab, die notwendigen Auslagen zu Lasten der Allgemeinheit zu erstatten. Das der Strafe innewohnende sozialethische Unwerturteil ist mit der Versagung des Ersatzes von Auslagen nicht verbunden.
Darin unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall von den Sachverhalten, die Gegenstand der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1987 (BVerfGE 74, 358 ff.) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. März 1983 (EuGRZ 1983, S. 475 ff. – Minelli) waren. Dort hatten die Strafgerichte dem Privatbeklagten die Gerichtskosten des Privatklageverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Privatklägers auferlegt und dies mit Schuldzuweisungen an den Privatbeklagten begründet. Im Lichte der Besonderheiten des Privatklageverfahrens hat das Bundesverfassungsgericht diese Kostenüberbürdung aufgrund ihrer Verbindung mit einer Schuldfeststellung als strafähnliche Sanktion angesehen (vgl. BVerfG a.a.O. S. 375 f.). Im Gegensatz dazu hat die hier zu beurteilende Entscheidung, daß der Angeschuldigte seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe, von vornherein keinen strafähnlichen Charakter (ebenso EGMR, EuGRZ 1987, S. 399 ≪403, Nr. 63≫ – Lutz; S. 405 ≪409, Nr. 40≫ – Englert; S. 411 ≪414, Nr. 40≫ – Nölkenbockhoff).
Die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachtsgründen bei der Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 4 StPO stellt keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder -zuweisung dar. Die Feststellung eines Tatverdachts ist etwas substantiell anderes als eine Schuldfeststellung oder -zuweisung (siehe oben unter 4.). Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die als Auslegungshilfe bei der Ermittlung der Tragweite des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgrundsatzes und der daraus abgeleiteten Unschuldsvermutung heranzuziehen ist (vgl. EGMR, EuGRZ 1987, S. 399 ≪403, Nr. 63≫ – Lutz; S. 405 ff. ≪409, Nr. 40≫ – Englert; S. 410 ≪414, Nr. 40≫ – Nölkenbockhoff; zur Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe vgl. BVerfGE 74, 358 ≪370≫).
c) Die Unschuldsvermutung ist danach erst dann verletzt, wenn das Gericht dem Angeschuldigten in den Gründen eines Einstellungsbeschlusses oder der damit verbundenen Auslagenentscheidung – über Verdachtserwägungen hinaus – strafrechtliche Schuld zuweist, ohne daß diese zuvor prozeßordnungsgemäß festgestellt wurde (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪375≫). Durch eine derartige Feststellung wird, auch wenn sie nur im Rahmen der Gründe geschieht und die Versagung der Auslagenerstattung nicht darauf beruht, der Angeschuldigte in der Sache als schuldig behandelt und damit in seinem Grundrecht verletzt (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪379≫).
Vor Abschluß der Hauptverhandlung ist eine hinreichende prozessuale Grundlage für Schuldfeststellungen nicht gegeben. Die Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung des Verfahrens kann weder als Schuldeingeständnis noch als Einverständnis mit der Feststellung strafrechtlicher Schuld in den Gründen des Einstellungsbeschlusses oder der damit verbundenen Kostenentscheidung gewertet werden.
II.
1. Für die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) gilt demnach:
Das Amtsgericht hat die Einstellung des Verfahrens damit begründet, die Angeschuldigte sei hinreichend verdächtig, ein Vergehen nach § 263 StGB begangen zu haben. Es wurde davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Schuld der Angeschuldigten in hohem Maße wahrscheinlich sei. Diese Ausführungen verstoßen bei einer Gesamtschau nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Für sich betrachtet, ist es zwar im Blick auf die Unschuldsvermutung bedenklich, daß das Gericht an zwei Stellen den Begriff „Schuld” verwendet. Bei einer Würdigung der gesamten Beschlußgründe ergibt sich aber noch hinreichend deutlich, daß das Gericht lediglich einen Tatverdacht festgestellt und bewertet hat. Die Aussage, die Schuld erscheine gering, folgt unmittelbar auf die Feststellung, die Angeschuldigte sei eines Vergehens nach § 263 StGB hinreichend verdächtig. Aus diesem Zusammenhang läßt sich ersehen, daß es sich bei der Schuldbewertung lediglich um die von § 153 StPO geforderte, auf der zuvor festgestellten Verdachtslage beruhende hypothetische Beurteilung handelt. Soweit das Gericht bei der Begründung der Auslagenentscheidung von „Schuld” spricht, ergibt sich aus dem damit verbundenen Wahrscheinlichkeitsurteil sowie aus dem Zusammenhang mit der vorangegangenen Feststellung des Tatverdachts hinreichend, daß hier lediglich die Stärke des Tatverdachts bewertet worden ist. Die unzulängliche Wortwahl rechtfertigt es daher nicht, die Ausführungen des Gerichts im Ergebnis als eine gegen die Unschuldsvermutung verstoßende Schuldzuweisung und Schuldfeststellung anzusehen (vgl. EGMR, a.a.O., S. 403 ≪Nr. 62≫; S. 409 ≪Nr. 39≫, S. 414 ≪Nr. 39≫).
2. Die von der Beschwerdeführerin zu 2) angegriffene Entscheidung verstößt hingegen gegen die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Unschuldsvermutung. Das Amtsgericht hat die Erstattung der Auslagen der Beschwerdeführerin mit der Begründung versagt, „nach den bisherigen Feststellungen” liege „die schuldhafte Begehung einer Straftat” vor. Es hat damit strafrechtliche Schuld festgestellt, obwohl das Verfahren noch nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden war. Die Formulierung „nach den bisherigen Feststellungen”, die auf das Ergebnis der Hauptverhandlung Bezug nimmt, rückt die Erklärung, es liege eine schuldhafte Begehung einer Straftat vor, nicht in den Bereich einer bloßen Verdachtserwägung, zumal jeder das Verfahren nach § 153 StPO beendende Beschluß sich auf den zur Zeit der Entscheidung vorliegenden Erkenntnisstand bezieht. Die sprachliche Wendung, daß eine schuldhafte Begehung der Straftat vorliege, ist mithin eine Feststellung von Schuld.
III.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zu 2) beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
IV.
Die Entscheidung zu 1. ist mit 6: 2, die Entscheidung zu 2. mit 7: 1 Stimmen ergangen.
Unterschriften
Mahrenholz, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Franßen, Kirchhof, Winter
Fundstellen