Entscheidungsstichwort (Thema)
Postbeamter des mittleren Dienstes a.D.. Sachbearbeiter mit Leitungsfunktion. Briefberaubung. Zugriffsdelikt. keine anerkannten Milderungsgründe. Disziplinarmaß. Aberkennung des Ruhegehalts
Normenkette
BBG §§ 54, 55 S. 2, § 77 Abs. 1 S. 2; BDO § 14
Verfahrensgang
BDIG (Urteil vom 24.07.2002; Aktenzeichen V VL 33/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer V – … –, vom 24. Juli 2002 hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens und der Kostenentscheidung aufgehoben.
Dem Postbetriebsinspektor a.D. … wird das Ruhegehalt aberkannt.
Der Ruhestandsbeamte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
I.
1. Der Leiter der Niederlassung Produktion Brief … hat mit Verfügung vom 18. Februar 1997 das förmliche Disziplinarverfahren gegen den am … in … geborenen und damals noch aktiven Beamten eingeleitet, ihn gleichzeitig vorläufig des Dienstes enthoben sowie 50 v.H. seiner jeweiligen Dienstbezüge einbehalten. Die Suspendierungsmaßnahmen sind letztlich durch Beschluss des Senats vom 20. März 1998 – BVerwG 1 DB 7.98 – bestätigt worden.
2. Nach Durchführung einer Untersuchung hat der Bundesdisziplinaranwalt den Ruhestandsbeamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
“am 4. oder 5. November 1996 im Zustellstützpunkt … aus dem Briefabgangsraum einen Brief entwendet, geöffnet, den beiliegenden Geldschein zu 50 DM an sich genommen und den Brief samt Glückwunschkarte anschließend vernichtet hat.”
Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 24. Juli 2002 das Verfahren eingestellt. Es hat seiner Entscheidung folgende sich aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 26. Juni 1997 ergebenden tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegt:
“Sie waren Postbetriebsinspektor beim Zustellstützpunkt des Postamtes …, … Am 4. oder 5. November 1996 gegen Mittag nahmen Sie in dem Raum, in dem die eingehende Post bearbeitet wird, vom dortigen Ausschütttisch einen verschlossenen Brief. Sie öffneten ihn, entnahmen hieraus einen 50 DM- Schein, den Sie für sich behielten und vernichteten anschließend den Brief. Die Strafverfolgung liegt im besonderen öffentlichen Interesse.”
Weiter hat das Bundesdisziplinargericht festgestellt:
Der Beamte war zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Verfehlung als Sachbearbeiter und stellvertretender Leiter des Zustellstützpunkts … eingesetzt. Am 8. November 1996 übergab er dem Beamten der Ermittlungsstelle … einen Geldbetrag in Höhe von 50 DM zur Schadenswiedergutmachung.
Das Bundesdisziplinargericht hat unter Zugrundelegung des Gutachtens des Instituts für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie der Universität … vom 28. März 2001 eine eingeschränkte Schuldfähigkeit des Ruhestandsbeamten zur Tatzeit festgestellt und die Verhaltensweise des Ruhestandbeamten wie folgt gewürdigt:
Durch den Diebstahl in Tateinheit mit Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses habe er gegen die ihm obliegenden Pflichten zur vollen Hingabe an seinen Beruf, zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie zur Beachtung dienstlicher Anordnungen verstoßen (§ 54 Sätze 1 und 3, § 55 Satz 2 BBG) und hierdurch schuldhaft ein einheitlich zu bewertendes Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG gegangen. Dieses Dienstvergehen sei disziplinar nicht nach den Grundsätzen der Amtsunterschlagung, sondern nach denen eines Diebstahls zu bewerten. Dies folge daraus, dass die Zustellung von Briefen nicht die eigentliche Aufgabe des Ruhestandsbeamten gewesen sei und er deshalb nicht im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt habe. Es komme deshalb auf die Beurteilung der Umstände des konkreten Einzelfalls an. Aufgrund der 30-jährigen tadellosen Dienstausübung, der besonderen Verdienste mit mehrmaligen Leistungszulagen und Belobigungen, der fehlenden strafrechtlichen und disziplinaren Maßregelung wäre der Ruhestandsbeamte, befände er sich noch im Dienst, aus diesem nicht entfernt worden. Da ein Ruhestandsbeamter nicht degradiert werden könne, hätte nur eine Ruhegehaltskürzung in Betracht kommen können. Deren Verhängung hätte die Vorschrift des § 14 BDO entgegengestanden, so dass das Verfahren habe eingestellt werden müssen.
3. Gegen dieses Urteil hat der Bundesdisziplinaranwalt rechtzeitig Berufung eingelegt, sie auf das Disziplinarmaß beschränkt, und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen. Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Bundesdisziplinargericht könne nicht darin gefolgt werden, dass der Ruhestandsbeamte nicht im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt habe. Als Sachbearbeiter und stellvertretender Leiter des Zustellstützpunkts … habe er denselben strengen Maßstäben in Bezug auf einen Vertrauensbruch unterlegen wie ein Beamter, dem die Beförderungsgüter unmittelbar anvertraut worden seien. Die Unantastbarkeit der zur Beförderung übergebenen Güter beziehe sich nicht nur auf die einem Beamten anvertrauten, sondern auch auf die ihm zugänglichen Güter. Jeglicher Zugriff auf Postgüter müsse ausgeschlossen sein. Dies gelte auch für jeden Postbediensteten, der im Postbetrieb Gelegenheit habe, an die anvertrauten Güter heranzukommen und sie in pflichtwidriger Weise anzutasten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts hat Erfolg und führt zur Aberkennung des Ruhegehalts des Ruhestandsbeamten.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 – NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Diese Beschränkung ist zulässig. Grundlage der erstinstanzlich ausgesprochenen Verfahrenseinstellung ist eine Entscheidung in der Sache, nämlich darüber, welche Disziplinarmaßnahme angemessen ist und ob eine Disziplinarmaßnahme gemäß § 14 BDO neben der strafgerichtlich verhängten Geldstrafe erforderlich ist. Der Bundesdisziplinaranwalt hat mit seiner Berufung die Feststellung des Bundesdisziplinargerichts angegriffen, dass (lediglich) eine Ruhegehaltskürzung angemessen sei. Hierüber hat der Senat zu befinden. Dagegen sind die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie die vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen für den Senat auch bei einer solchen Fallkonstellation aufgrund einer zulässigen Beschränkung der Berufung bindend (stRspr, vgl. Urteil vom 15. September 1998 – BVerwG 1 D 87.97 –).
Bindend ist im vorliegenden Fall insbesondere, dass das Bundesdisziplinargericht die Schuldfähigkeit des Ruhestandsbeamten aufgrund eingeholter Gutachten festgestellt hat. Allerdings hat die Vorinstanz keine Ausführungen zum Verschuldensgrad des Dienstvergehens gemacht. Es hat lediglich festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte schuldhaft gehandelt habe, ohne ausdrücklich klarzustellen, ob ein vorsätzliches oder nur fahrlässiges Verhalten vorlag. Eine Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das Bundesdisziplinargericht gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO bedarf es jedoch nicht, da die Auslegung des Urteils ergibt, dass das Bundesdisziplinargericht nur von einem vorsätzlichen Verhalten des Ruhestandsbeamten ausgegangen sein kann. Es hat festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte einen Diebstahl in Tateinheit mit Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses begangen hat. Diese Straftatbestände (§§ 242, 206 StGB) können nur in vorsätzlicher Form erfüllt werden, da das Gesetz ein fahrlässiges Handeln nicht mit Strafe bedroht (§ 15 StGB).
Die Auffassung des Bundesdisziplinargerichts, die disziplinare Bewertung richte sich nach den Grundsätzen des Diebstahls zum Nachteil des Dienstherrn und nicht nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen eines Zugriffsdelikts, ist unzutreffend. Zu dieser Feststellung ist der Senat trotz der auf das Disziplinarmaß beschränkten Berufung befugt. Die Qualifizierung, ob ein Fehlverhalten ein Zugriffsdelikt darstellt oder nicht, ist Bestandteil der Erwägungen zum Disziplinarmaß. Die rechtliche Einordnung als Zugriffsdelikt hängt zwar maßgeblich vom Umfang der Feststellungen zum Sachverhalt ab, die an der Bindungswirkung teilnehmen. Das Urteil des Bundesdisziplinargerichts enthält jedoch keine Feststellungen, die eine andere Qualifizierung als die eines Zugriffsdelikts ermöglichen (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 23. März 1999 – BVerwG 1 D 8.98 –). Insbesondere hängt die Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z.B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat (vgl. Köhler/Ratz-Mayer, BDG, 3. Auflage, B. II. 10 Rn. 3). Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, ob einem Beamten dienstliche Gelder oder dem gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind. Dem Ruhestandsbeamten war der entwendete Brief mit den 50 DM dienstlich zugänglich. Dies ist der Fall, wenn er auf den Brief aufgrund seiner von ihm wahrzunehmenden Aufgaben im Rahmen seiner Dienstausübung ohne weiteres tatsächlich zugreifen konnte (vgl. Köhler/Ratz-Mayer a.a.O., Weiß, GKÖD, Bd. II, J 975, Rn. 9, 10, jeweils mit weiteren Rspr-Nachweisen). Davon ist hier auszugehen:
Der Ruhestandsbeamte war beim Zustellstützpunkt … seit dem 1. Januar 1996 mit Leitungsfunktion als Sachbearbeiter und Vertreter des Betriebsleiters eingesetzt. Als solcher war er nach dem Betriebsleiter der höchste Vorgesetzte aller dem Briefdienst zugeordneten Kräfte in der Stadt und im Landkreis … Aus dem Geschäftsverteilungsplan beim Zustellstützpunkt … ergibt sich, dass es dem Ruhestandsbeamten sowohl in dieser Stellvertreterfunktion als auch als Sachbearbeiter u.a. oblag, Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf beim Zustellstützpunkt zu erkennen, zu beheben und ggf. zu dokumentieren. Er hatte bei den Zustellstützpunkten vor Ort Aufsichts- und Prüftätigkeiten wahrzunehmen. Dies hat der Ruhestandsbeamte früher auch selbst so gesehen. Mit den Aufnahmen der in der Filiale … installierten Videokamera konfrontiert, aus denen sich ergibt, dass der Ruhestandsbeamte sich in verdächtiger Weise am Sortiertisch mit Briefsendungen befasste, hat er angegeben, mehrfach dort nachgesehen zu haben, ob die Briefe durch die Schalterbeamten ordnungsgemäß abgestempelt worden seien. Er habe des Öfteren auch Briefe eingesteckt, die er dann wieder in die Behälter zurückgegeben habe. Diese Briefe habe er aus Dummheit und Neugierde eingesteckt. Diese Aussage ist zwar als Schutzbehauptung insoweit aufzufassen, als er einen bestimmten Zweck für die Befassung mit den Briefsendungen angegeben hat. Aus der Aussage ergibt sich jedoch, dass er sich grundsätzlich befugt sah, derartige Kontrollfunktionen auszuüben. Da ihm danach der entwendete Brief im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit zugänglich war, hat er entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts nicht nur ein Zugriffsdelikt begangen, sondern es liegt ein Erschwerungsgrund insoweit vor, als er als Dienstvorgesetzter mit Vorbildfunktion versagt hat und er statt Unregelmäßigkeiten zu erkennen und zu beheben, was seine dienstliche Aufgabe gewesen wäre, selbst eine schwerwiegende Unregelmäßigkeit begangen hat.
Ein Postbeamter, der eine ihm dienstlich zugängliche Postsendung in der Absicht öffnet, den vorgefundenen Inhalt für sich zu behalten, erschüttert regelmäßig das Vertrauensverhältnis derart nachhaltig, dass er nicht im Dienst belassen werden kann. Die Post ist in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten im Umgang mit Beförderungsgut angewiesen, weil eine lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist. Wer sich als Beamter über diese aus leicht erkennbarer Notwendigkeit begründete Pflicht zur Vertrauenswürdigkeit unter Missbrauch seiner Kontrollbefugnisse hinwegsetzt, beweist im Kernbereich seiner Pflichten ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit und Vertrauensunwürdigkeit, dass er grundsätzlich mit der einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses rechnen muss.
Mit dem Öffnen des Briefes und der Entwendung des darin befindlichen Geldes hat der Ruhestandsbeamte zusätzlich das Postgeheimnis verletzt. Die vertrauliche Behandlung der Briefsendungen gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen eines geordneten Postbetriebs. In der schuldhaften Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbedienstete liegt deshalb ein Dienstvergehen, das für sich allein bereits geeignet ist, bei einem aktiven Beamten die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Postgeheimnis mit dem Ziel verletzt wird, Zugang zu aneignungsfähigem Inhalt von Postsendungen zu gewinnen (vgl. zu allem Urteil vom 14. November 2001 – BVerwG 1 D 9.01 –).
Falls sich der Ruhestandsbeamte im aktiven Dienst befände, wäre seine Entfernung aus dem Dienst unerlässlich. In einem solchen Fall ist bei Ruhestandsbeamten regelmäßig und so auch hier gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BDO die Aberkennung des Ruhegehalts auszusprechen (Urteil vom 14. November 2001, a.a.O.). Beim Zugriff auf den Inhalt dienstlich zugänglicher Briefsendungen kann von der Höchstmaßnahme nur abgesehen werden, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Dies ist hier letztlich nicht der Fall.
In Betracht kam der Milderungsgrund der Geringwertigkeit. Zwar nimmt der Senat diesen Wert nunmehr mit etwa 50 € an und das entwendete Geld in Höhe von 50 DM läge unter diesem Wert. Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes ist jedoch weiter, dass ein Beamter nicht durch sein sonstiges Verhalten oder die konkrete Tatausführung zusätzlich belastet ist, dass durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Schutzgüter verletzt werden. Mit dieser Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes sollte in erster Linie die Vertraulichkeit des Inhalts von Post- und Bahnsendungen unabhängig vom Wert ihres Inhaltes geschützt bleiben (stRspr, vgl. Urteil vom 11. Juni 2002 – BVerwG 1 D 31.01 – BVerwGE 116, 308 = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28 = DÖV 2003, 33). Gerade wenn die Überführung eines Täters – wie hier – Probleme bereitet und nur mit einer Videoüberwachung oder der Einschleusung von Fangbriefen möglich erscheint, hätte es sonst auch die Betriebssicherung in der Hand, durch Einschleusen großer oder kleiner Geldscheine die Wertgrenze zu über- oder unterschreiten. Die Höhe des veruntreuten Geldes kann in derartigen Fällen nicht entscheidend sein.
Auch wenn die Überführung des Ruhestandsbeamten letztlich darauf beruht, dass er die Unterschlagung der 50 DM zugegeben hat und ein Geständnis auch in einem Disziplinarverfahren grundsätzlich geeignet sein kann, als mildernder Gesichtspunkt berücksichtigt zu werden, so gilt dies nach ständiger Rechtsprechung nicht bei einem als Zugriffsdelikt einzustufenden Dienstvergehen. Das “Geständnis” eines Beamten ist in derartigen Fällen nur dann disziplinar erheblich, wenn es sich u.a. als freiwillige, d.h. nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmte vollständige und vorbehaltlose Offenbarung des Fehlverhaltens vor Entdeckung der Tat darstellt (vgl. Urteil vom 23. Mai 2001 – BVerwG 1 D 12.00 –). Dies ist hier nicht der Fall. Der Ruhestandsbeamte hat erst nach Konfrontierung mit den Videoaufzeichnungen und der Mitteilung, dass ein Fangbrief nicht angekommen sei, die Beraubung eines Briefes zugestanden.
Für das Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation gibt es keine Anhaltspunkte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann von der Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme abgesehen werden, wenn die Dienstverfehlung als Folge einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation des Beamten zu werten ist. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen, unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu einem schockbedingten Fehlverhalten führt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Zugriff des Ruhestandsbeamten auf eine Briefsendung Ausdruck eines schockartigen Erlebnisses war.
Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts lag auch keine verminderte Schuldfähigkeit des Ruhestandsbeamten vor. Der Sachverständige Prof. Dr. R.… hat im Gegenteil sogar die Eingangsvoraussetzungen der §§ 20, 21 StGB für eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausdrücklich verneint. Im Übrigen kann auch eine verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einem Zugriffsdelikt und der Verletzung leicht einsehbarer Kernpflichten nicht zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2002 – BVerwG 1 D 5.02 –).
Die Aberkennung des Ruhegehalts erweist sich auch im Übrigen als verhältnismäßig.
Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1969 – 2 BvR 545/68 – ≪BVerfGE 27, 180≫; Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 – ≪BVerfGE 46, 17≫). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten verfolgen neben der Pflichtenmahnung die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst geboten ist, erweist sich die Höchstmaßnahme gegenüber dem Ruhestandsbeamten als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken von Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. So liegt es bei Zugriffsdelikten. In diesem Fall ist die Aberkennung des Ruhegehalts auch angemessen. Dabei kommt es nicht auf das Verhältnis zwischen den von dem Ruhestandsbeamten durch das Dienstvergehen erlangten Vorteilen und den durch die Disziplinarmaßnahme bewirkten Nachteilen an. Abzuwägen sind vielmehr das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastungen andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Sie beruht auf der schuldhaften Pflichtverletzung während der aktiven Dienstzeit und ist dem späteren Ruhestandsbeamten daher als bei Begehung vorhersehbar zuzurechnen (stRspr, vgl. Urteil vom 15. August 2000 – BVerwG 1 D 44.98 – ZBR 2001, 47 = NVwZ-RR 2001, 249; vgl. auch BVerfG – 3. Kammer –, Beschluss vom 21. Dezember 1988 – BVerfG 2 BvR 1522/88 –). Dabei ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Ruhestandsbeamte mit der Aberkennung des Ruhegehalts keineswegs ohne Versorgung dasteht. Denn er ist in der Rentenversicherung nachzuversichern (§ 9 Abs. 4 AVG, § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
Einen Unterhaltsbeitrag konnte der Senat dem Ruhestandsbeamten nicht bewilligen. Zwar ist er einer Unterstützung nicht unwürdig. Er ist jedoch mit Blick auf das Einkommen seiner Ehefrau und seiner Vermögensverhältnisse derzeit nicht bedürftig. Sollte sich eine Bedürftigkeit ergeben, so ist ihm ein Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht abgeschnitten. Solange er keine Erwerbsarbeit und keine auf der Nachversicherung durch den Dienstherrn beruhende Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält (vgl. hierzu Beschluss vom 27. Februar 2001 – BVerwG 1 DB 7.01 –), kann er jederzeit bei bestehender Bedürftigkeit beim Bundesdisziplinargericht und nach dessen Auflösung zum 31. Dezember 2003 bei dem dann zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.
Unterschriften
Albers, Mayer
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H. Müller ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.
Albers
Fundstellen