Rz. 453
Sowohl Verständigungs- als auch Schiedsverfahren adressieren bereits verwirklichte Sachverhalte und dienen der Streitbeilegung. Für die frühzeitige Sicherstellung von Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Streitigkeiten kann ein sogenanntes Vorabverständigungsverfahren (sog. Advance Pricing Agreements, APAs) durchgeführt werden. Ziel ist es, im Vorfeld eine Übereinkunft über eine konsistente Besteuerungspraxis zwischen den beteiligten Staaten zu erzielen. International wird dabei zwischen unilateralen, bilateralen und multilateralen Vorabverständigungsvereinbarungen unterschieden.
Unilaterale APA |
Bilaterale APA |
Multilaterale APA |
Beziehen sich ausschließlich auf den Steuerpflichtigen und das Finanzamt des Landes, in dem aufgrund der steuerlichen Verpflichtungen Steuern entrichtet werden müssen. In Deutschland sind dafür insbesondere § 89 und § 204 AO relevant. Die Anwendbarkeit auf Fälle von Verrechnungspreisen ist jedoch stark begrenzt. Vielmehr sind für eine erhöhte und frühzeitige Rechtssicherheit spezielle Instrumente (wie zB § 89a AO) zu nutzen. Daher stellen sie aus deutscher Perspektive nicht die Vorabverständigungsverfahren im klassischen Sinne dar. |
Beziehen sich auf mindestens zwei Finanzbehörden mit dem Ziel, die Anwendung einer einheitlichen Methode zur Verrechnung von Preisen für den betreffenden Sachverhalt zu vereinbaren. In Deutschland (sowie in anderen Ländern) basieren diese Verfahren auf Artikeln, die dem Art. 25 des OECD-OECD-MA nachempfunden sind. Bis zur Einführung des § 89a AO handelte es sich dabei allerdings überwiegend um eine administrative Praxis. |
Beziehen sich auf mehr als zwei Finanzbehörden mit dem Ziel, eine Vereinbarung über die Anwendung einer einheitlichen Verrechnungspreismethode für den spezifischen Sachverhalt zu treffen. Technisch betrachtet besteht der Prozess aus mehreren miteinander verknüpften bilateralen Advance Pricing Agreements (APAs). |
Rz. 454
Die deutsche Steuerverwaltung hat bisher auf Grundlage eines Informationsblattes des BMF vom 5.10.2006 (IV B 4 – S 1341 – 38/06), unter Bezugnahme auf Artikel, die dem Art. 25 OECD-MA nachgebildet sind, in den jeweiligen DBA Vorabverständigungsverfahren mit anderen Staaten durchgeführt. Dies erfolgte im Rahmen einer Verwaltungspraxis, insbes. wenn die Gefahr einer abkommenswidrigen Besteuerung bestand. Mit der Einführung von § 89a AO wurde nun eine spezifische gesetzliche Grundlage für Vorabverständigungsverfahren geschaffen. Ein Vorabverständigungsverfahren kann jedoch nur eingeleitet werden, wenn dies auch von dem anderen beteiligten Staat unterstützt wird, weshalb für den Steuerpflichtigen kein Rechtsanspruch auf die Durchführung eines solchen Verfahrens besteht. Die Ablehnung eines Vorabverständigungsverfahrens und die entsprechende Benachrichtigung gelten nicht als Verwaltungsakt und können daher nicht Gegenstand eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens sein. Zudem setzt die Einleitung eines Vorabverständigungsverfahrens voraus, dass ein relevantes DBA besteht und anwendbar ist.
Rz. 455
Für die Beantragung eines Vorabverständigungsverfahrens sind ein Antrag des Steuerpflichtigen und die Zahlung einer Gebühr gemäß § 89a Abs. 7 AO notwendig. Dem formellen Antrag, der schriftlich beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) einzureichen ist, müssen umfangreiche Unterlagen beigefügt werden, die den Sachverhalt lückenlos und detailliert beschreiben, siehe § 89a Abs. 2 AO. Vor Einreichung des Antrags wird empfohlen, ein Vorgespräch (sog. Prefiling) mit dem BZSt zu führen, in dem über Form, Inhalt, die Gefahr der Doppelbesteuerung, notwendige Unterlagen, Erfolgsaussichten und einen Zeitplan für das Vorabverständigungsverfahren gesprochen wird. Über die Einleitung des Vorabverständigungsverfahrens entscheidet das BZSt, wobei auch die zuständigen Behörden der beteiligten Staaten am Verfahren beteiligt sind.
Rz. 456
Informationen zu (Vorab-)Verständigungsverfahren sind im Informationsblatt zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren im Bereich der Einkommens- und Vermögenssteuern zu finden (BMF v. 27.08.2021, IV B 3 – S 1366/21/10001 :002, überarbeitet mit BMF v. 21.2.2024, IV B 3 – S 1304/21/10005 :003), im Informationsblatt zu bilateralen oder multilateralen Vorabverständigungsverfahren basierend auf Doppelbesteuerungsabkommen für die Erteilung verbindlicher Vorabzusagen bezüglich Verrechnungspreisen zwischen international verbundenen Unternehmen (BMF v. 5.10.2006, IV B 4 – S 1341 – 38/06) und im § 89a AO, der teilweise das Schreiben von 2006 ersetzt.
Rz. 457
Eine Vorabverständigungsvereinbarung (APA) kann auch rückwirkend auf Vorjahre angewendet werden, was als Roll-Back bezeichnet wird. Obwohl formell Vorjahre nicht in das APA einbezogen sind, lässt sich die Vereinbarung inhaltlich auf frühere Perioden übertragen. Dies kann beispielsweise durch die Einleitung eines zusätzlichen Verständigungsverfahrens gemäß Art. 25 Abs. 1 OECD-MA geschehen, welches sodann parallel zum APA-Verfahren ablaufen kann. Auch § ...