Entscheidungsstichwort (Thema)
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Art. 27. Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Grundsatz der Spezialität. Zustimmungsverfahren
Beteiligte
Tenor
1. Zur Bestimmung, ob die betrachtete Handlung im Sinne des Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten eine „andere Handlung” als diejenige ist, die der Übergabe zugrunde liegt, und die Durchführung des in Art. 27 Abs. 3 Buchst. g und Abs. 4 des Rahmenbeschlusses vorgesehenen Zustimmungsverfahrens erforderlich macht, ist zu prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale der Straftat nach deren gesetzlicher Umschreibung im Ausstellungsmitgliedstaat diejenigen sind, derentwegen die Person übergeben wurde, und ob sich die Angaben im Europäischen Haftbefehl und diejenigen in dem späteren Verfahrensschriftstück hinreichend entsprechen. Änderungen bei den zeitlichen und örtlichen Umständen sind zulässig, sofern sie sich aus den Tatsachen ergeben, die in dem im Ausstellungsmitgliedstaat bezüglich der im Haftbefehl beschriebenen Verhaltensweisen durchgeführten Verfahren ermittelt wurden, nicht die Art der Straftat verändern und keine Gründe für das Absehen von der Vollstreckung nach den Art. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses zur Folge haben.
2. Unter den Umständen des Ausgangsverfahrens ist eine Änderung der Beschreibung der Straftat, die die Art des in Rede stehenden Betäubungsmittels betrifft, als solche nicht geeignet, eine im Sinne des Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 „andere Handlung” als diejenige, die der Übergabe zugrunde liegt, zu begründen.
3. Die in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehene Ausnahme ist dahin auszulegen, dass bei einer „anderen Handlung” als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung ersucht werden und diese Zustimmung eingegangen sein muss, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die übergebene Person kann wegen einer solchen Handlung verfolgt und verurteilt werden, bevor diese Zustimmung eingegangen ist, sofern während des diese Handlung betreffenden Ermittlungs- und Strafverfahrens keine freiheitsbeschränkende Maßnahme angewandt wird. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im Europäischen Haftbefehl gerechtfertigt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Korkein oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 5. September 2008, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Strafverfahren gegen
Artur Leymann,
Aleksei Pustovarov
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. N. Cunha Rodrigues und J. Klučka, der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin) und des Richters A. Arabadjiev,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 5. September 2008, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung einem Eilverfahren zu unterwerfen,
aufgrund des Beschlusses der Dritten Kammer vom 11. September 2008, diesem Antrag stattzugeben,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Leymann, vertreten durch M. Annala, asianajaja,
- von Herrn Pustovarov, vertreten durch H. Tuominen, oikeustieteen maisteri,
- der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. ten Dam als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch I. Koskinen, R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 2 bis 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1, im Folgenden: Rahmenbeschluss).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das in Finnland gegen Herrn Leymann und Herrn Pustovarov eingeleitet wurde, die wegen einer schweren („törkeä”) Betäubungsmittelstraftat angeklagt und den finnischen Behörden aufgrund von Europäischen Haftbefehlen übergeben wurden.
Rechtlicher Rahmen
Recht der Europäischen Union
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses sieht vor:
„Ein ...