Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Dienstleistung, Feste Niederlassung, Begriff der festen Niederlassung, Tochtergesellschaft in anderem EU-Mitgliedstaat, Marketingdienstleistungen einer EU-ausländischenTochtergesellschaft an ihre inländische Muttergesellschaft
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 44
Beteiligte
Berlin Chemie A. Menarini |
Berlin Chemie A. Menarini SRL |
Administraţia Fiscală pentru Contribuabili Mijlocii Bucureşti – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti |
Verfahrensgang
Curtea de Apel Bukarest (Rumänien) (Beschluss vom 30.12.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 339/2) |
Tenor
Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung und Art. 11 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat nicht deshalb über eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat verfügt, weil diese Gesellschaft dort eine Tochtergesellschaft hat, die ihr personelle und technische Ausstattung gemäß Verträgen zur Verfügung stellt, nach deren Maßgabe sie ihr exklusiv Marketing-, Regulierungs-, Werbe- und Vertretungsdienstleistungen erbringt, die geeignet sind, unmittelbar das Volumen ihrer Verkäufe zu beeinflussen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 30. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2020, in dem Verfahren
Berlin Chemie A. Menarini SRL
gegen
Administraţia Fiscală pentru Contribuabili Mijlocii Bucureşti – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti,
Beteiligte:
Berlin Chemie AG,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), M. Ilešič, D. Gratsias und Z. Csehi,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Berlin Chemie A. Menarini SRL, zunächst vertreten durch M. Galgoţiu-Săraru, M.-R. Farcău, B. Mărculeţ und E. Bondalici, dann durch M. Galgoţiu-Săraru, M.-R. Farcău und E. Bondalici, Avocaţi,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, R. I. Haţieganu und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und E. A. Stamate als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung (ABl. 2008, L 44, S. 11) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) und von Art. 11 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Berlin Chemie A. Menarini SRL (im Folgenden: rumänische Gesellschaft) und der Administraţia Fiscală pentru Contribuabili Mijlocii Bucureşti – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti (Finanzverwaltung für mittelgroße Steuerpflichtige – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest, Rumänien) (im Folgenden: Finanzverwaltung) wegen eines Antrags auf Aufhebung eines Steuerbescheids, mit dem eine zusätzliche Mehrwertsteuer festgesetzt wurde, und auf Aufhebung eines Bescheids betreffend steuerliche Nebenforderungen sowie wegen eines Antrags auf Erstattung zusätzlicher Mehrwertsteuer und steuerlicher Nebenforderungen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes”) der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält u. a. ein Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung”). In Abschnitt 2 („Allgemeine Bestimmungen”) bestimmt Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie:
„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.”
Rz. 4
Kapitel V („Ort des steuerbaren Umsatzes”) Abschnitt 1 („Begriffe”) Art. 11 Abs. 1 der Dur...