Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen von Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder, Kostenrechnung einer wirtschaftlichen Interessenvereinigung, Auslandsgesellschaft und inländische Zweigniederlassung als verschiedene Unternehmer
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 167 und 168 derRichtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung sowie der Grundsatz der Neutralität sind dahin auszulegen, dass sie es der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats verwehren, eine Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, und ihre Zweigniederlassung im erstgenannten Mitgliedstaat deshalb als zwei verschiedene Steuerpflichtige anzusehen, weil sie jeweils über eine eigene Steueridentifikationsnummer verfügen, und aus diesem Grund der Zweigniederlassung das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zu versagen, die auf den von einer wirtschaftlichen Interessenvereinigung, zu deren Mitgliedern die Gesellschaft, nicht aber ihre Zweigniederlassung gehört, ausgestellten Belastungsanzeigen ausgewiesen ist.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 167-168
Beteiligte
TGE Gas Engineering GmbH - Sucursal em Portugal |
Autoridade Tributária e Aduaneira |
Verfahrensgang
Tribunal Arbitral Tributário (Portugal) (Beschluss vom 29.06.2016; Abl.EU 2017, Nr. C 104/34) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Vorsteuerabzug ‐ Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“
In der Rechtssache C-16/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal) mit Entscheidung vom 29. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Januar 2017, in dem Verfahren
TGE Gas Engineering GmbH ‐ Sucursal em Portugal
gegen
Autoridade Tributária e Aduaneira
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der TGE Gas Engineering GmbH ‐ Sucursal em Portugal, vertreten durch A. Fernandes de Oliveira, advogado,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und R. Campos Laires als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und B. Rechena als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Mai 2018
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 44, 45, 132 Abs. 1 Buchst. f, 167 bis 169, 178, 179, 192a bis 194 und 196 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie), der Art. 10 und 11 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2011, L 77, S. 1) sowie des Grundsatzes der Neutralität.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der TGE Gas Engineering GmbH ‐ Sucursal em Portugal (im Folgenden: TGE Sucursal em Portugal) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) (im Folgenden: ATA) über deren Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung im Zusammenhang mit der Weiterberechnung von Kosten eines Agrupamento complementar de empresas (wirtschaftliche Interessenvereinigung, im Folgenden: WIV).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.“
Rz. 4
Art. 45 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch von der festen Niederlassung des D...