Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Entstehung des Vorsteuerabzugs, Leistungsbezug von einem Ist-Versteuerer, Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Entrichtung der Gegenleistung, Zeitpunkt des Vorsteeurabzugs aus leistung von einem Ist-Versteuerer
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 66 Abs. 1 Buchst. b, Art. 167
Beteiligte
Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 |
Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 |
Finanzamt Hamburg-Oberalster |
Verfahrensgang
Tenor
Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Beschluss vom 10. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Januar 2020, in dem Verfahren
Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136
gegen
Finanzamt Hamburg-Oberalster
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und M. Ilešič,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136, vertreten durch M. Gerber, Steuerberater,
- der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg, dann durch J. Möller als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch O. Simonsson, C. Meyer-Seitz, M. Salborn Hodgson, H. Shev, H. Eklinder und R. Shahsavan Eriksson als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch R. Pethke und N. Gossement, dann durch R. Pethke als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 (im Folgenden: Grundstücksgemeinschaft) und dem Finanzamt Hamburg-Oberalster (Deutschland) (im Folgenden: Steuerbehörde) wegen der Bestimmung des Zeitpunkts der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 24. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Die Begriffe ‚Steuertatbestand’ und ‚Steueranspruch’ sollten harmonisiert werden, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden.”
Rz. 4
Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/45 heißt es:
„Zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, denen es Schwierigkeiten bereitet, vor Eingang der Zahlung ihrer Kunden Mehrwertsteuer an die zuständige Behörde zu entrichten, sollte den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, diesen Unternehmen zu gestatten, dass sie die Mehrwertsteuer mit Hilfe einer Cash-accounting-Regelung (‚Kassenbuchführung’) abrechnen, so dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die Steuer erst dann an die zuständige Behörde entrichtet, wenn er die Zahlung für seine Lieferung oder Dienstleistung erhält, und sein Recht auf Vorsteuerabzug dann entsteht, wenn er eine Lieferung oder Dienstleistung bezahlt. Dies dürfte es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ein fakultatives Cash-accounting-System einzuführen, das keine negativen Auswirkungen auf den Cashflow ihrer Mehrwertsteuereinnahmen hat.”
Rz. 5
Titel VI („Steuertatbestand und Steueranspruch”) der Mehrwertsteuerrichtlinie umfasst vier Kapitel. In Kapitel 2 („Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen”) bestimmt Art. 63:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”
Rz. 6
Art. 66 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:
…
b) spätestens bei der Vereinnah...