Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit, Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, Übertragung eines Grundstücks von einer Aktiengesellschaft auf einen Aktionär als Gegenleistung für den Rückkauf seiner Aktien
Leitsatz (amtlich)
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt, wenn eine Aktiengesellschaft wie im Fall des Ausgangsverfahrens einem ihrer Aktionäre als Gegenleistung für den ‐ nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Einziehung von Aktien erfolgenden ‐ Rückkauf von Aktien, die dieser Aktionär an ihrem Grundkapital hält, das Eigentum an Grundstücken überträgt, sofern die Grundstücke für die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Aktiengesellschaft verwendet werden.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1
Beteiligte
Szef Krajowej Administracji Skarbowej |
Polfarmex Spólka Akcyjna w Kutnie |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 22.03.2017; ABl. EU 2017, Nr. C 357/3) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 2 Abs. 1 Buchst. a ‐ Anwendungsbereich ‐ Steuerbare Umsätze ‐ Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt ‐ Übertragung eines Grundstücks von einer Aktiengesellschaft auf einen Aktionär als Gegenleistung für den Rückkauf seiner Aktien“
In der Rechtssache C-421/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 22. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2017, in dem Verfahren
Szef Krajowej Administracji Skarbowej
gegen
Polfarmex Spółka Akcyjna w Kutnie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richterinnen C. Toader (Berichterstatterin) und A. Prechal,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
‐ der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Socio, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Szef Krajowej Administracji Skarbowej (Leiter der nationalen Finanzverwaltung, Polen) und der Polfarmex Spółka Akcyjna w Kutnie (im Folgenden: Polfarmex) wegen einer ihr vom Minister Finansów (Finanzminister, Polen, im Folgenden: Minister) übermittelten Einzelfallauslegung, worin dieser die Auffassung vertrat, dass ein Vorgang der Mehrwertsteuer unterliegt, in dessen Rahmen Polfarmex beabsichtigt, in einem nach nationalem Recht zulässigen Verfahren zum Aktienrückkauf auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Aktien von Polfarmex hält, als Gegenleistung für diese Aktien Grundstücke zu übertragen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 7 und 35 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:
„(7) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.
…
(35) Im Hinblick auf eine gleichmäßige Erhebung der Eigenmittel in allen Mitgliedstaaten sollte ein gemeinsames Verzeichnis der Steuerbefreiungen aufgestellt werden.“
Rz. 4
In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…“
Rz. 5
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Rz. ...