Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückbehaltung von Vorsteuerüberhängen durch die Finanzbehörde
Leitsatz (redaktionell)
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob die nach belgischem Recht mögliche „Zurückbehaltung” etwaiger Vorsteuerüberhänge mit Artikel 18 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie vereinbar ist oder nicht. In den Streitfällen hatten die belgischen Finanzbehörden die Auszahlungen von Vorsteuerguthaben verweigert, bis Klarheit über die Höhe der Umsätze in anderen Besteuerungszeiträumen bestehe und die Guthaben als Sicherheiten für zu erwartende Umsatzsteuerschulden betrachtet.
Nach der EuGH-Entscheidung ist eine derartige Zurückbehaltung grundsätzlich mit Artikel 18 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie vereinbar. Die Vorschrift betreffe derartige Maßnahmen grundsätzlich nicht. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen zu prüfen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nach dem Urteil verletzt sein, wenn die Sicherheitsleistung das Vorsteuerabzugsrecht systematisch in Frage stellt.
Beteiligte
Bureau Rik Decan-Business Research & Development NV (BRD) |
Gründe
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
„Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Geltungsbereich – Recht auf Vorsteuerabzug – Zurückbehaltung des geschuldeten Mehrwertsteuersaldos – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit”
In den verbundenen Rechtssachen C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96 betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Hof van Beroep Antwerpen (Belgien) (C-286/94 und C-340/95), von der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel (C-401/95) und von der Rechtbank van eerste aanleg Brügge (Belgien) (C-47/96) in den bei diesen anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Garage Molenheide BVBA (C-286/94),
Peter Schepens (C-340/95),
Bureau Rik Decan-Business Research & Development NV (BRD) (C-401/95),
Sanders BVBA (C-47/96)
gegen
Belgischen Staat
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter M. Wathelet, J. C. Moitinho de Almeida, P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Garage Molenheide BVBA, vertreten durch Rechtsanwalt V. Dauginet, Antwerpen,
der Bureau Rik Decan-Business Research & Development NV (BRD) und der Sanders BVBA, vertreten durch Rechtsanwälte L. Vandenberghe und R. Tournicourt, Brüssel,
der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Verwaltungsdirektor im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,
der griechischen Regierung (C-340/95, C-401/95 und C-47/96), vertreten durch F. Georgakopoulos, beigeordneter Rechtsberater im Juristischen Dienst des Staates, und A. Rokohyllou, Sonderberaterin des Stellvertretenden Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung (C-286/94, C-340/95 und C-401/95), vertreten durch U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und Avvocato dello Stato Maurizio Fiorilli,
der schwedischen Regierung (C-401/95), vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård in der Abteilung Außenhandel des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Garage Molenheide BVBA, vertreten durch Rechtsanwalt Vanden Broeck, Antwerpen, der Bureau Rik Decan-Business Research & Development NV (BRD) und der Sanders BVBA, vertreten durch Rechtsanwalt L. Vandenberghe, der belgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwälte B. van de Walle de Ghelcke und G. de Wit, Brüssel, der griechischen Regierung, vertreten durch F. Georgakopoulos, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. de Bellis, und der Kommission, vertreten durch B. J. Drijber, in der Sitzung vom 30. Januar 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. März 1997,
folgendes
Urteil
1. Der Hof van Beroep Antwerpen (Rechtssachen C-286/94 und C-340/95), die Rechtbank van eerste aanleg Brüssel (Rechtssache C-401/95) und die Rechtbank van eerste aanleg Brügge (Rechtssache C-47/96) haben mit Beschlüssen vom 17. Oktober 1994 (C-286/94), 25. Oktober 1995 (C-340/95), 12. Dezember 1995 (C-401/95) und 6. Februar 1996 (C-47/96), beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 1994, am 30. Oktober 1995, am 21. Dezember 1995 bzw. am 16. ...