Entscheidungsstichwort (Thema)
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen. Art. 54. Verbot der Doppelbestrafung. Anwendungsbereich. Begriff ‚rechtskräftig abgeurteilt’. Entscheidung, mit der eine Polizeibehörde die Strafverfolgung einstellt. Entscheidung, die im nationalen Recht nicht die Strafklage verbraucht und kein Verbot der Doppelbestrafung bewirkt
Beteiligte
Tenor
Das Verbot der Doppelbestrafung, das in Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen niedergelegt ist, ist nicht auf eine Entscheidung anwendbar, mit der eine Behörde eines Vertragsstaats nach sachlicher Prüfung des ihr unterbreiteten Sachverhalts in einem Stadium, zu dem gegen einen einer Straftat Verdächtigen noch keine Beschuldigung erhoben worden ist, die Strafverfolgung einstellt, wenn diese Einstellungsentscheidung nach dem nationalen Recht dieses Staates die Strafklage nicht endgültig verbraucht und damit in diesem Staat kein Hindernis für eine erneute Strafverfolgung wegen derselben Tat bildet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Landesgericht für Strafsachen Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 8. Oktober 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2007, in dem Strafverfahren gegen
Vladimir Turanský
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot sowie der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Niollet als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch J. Čorba als Bevollmächtigten,
- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch zunächst T. Harris, dann I. Rao als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines am 23. November 2000 in Österreich eingeleiteten Strafverfahrens gegen den slowakischen Staatsangehörigen Vladimir Turanský wegen des Verdachts eines im Zusammenwirken mit Dritten im Hoheitsgebiet der Republik Österreich gegen einen österreichischen Staatsangehörigen verübten schweren Raubes.
Rechtlicher Rahmen
Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
Rz. 3
Art. 21 Abs. 1 und 2 des am 20. April 1959 in Straßburg unterzeichneten Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (SEV Nr. 30) bestimmt:
„(1) Anzeigen einer Vertragspartei zum Zwecke der Strafverfolgung durch die Gerichte einer anderen Partei sind Gegenstand des Schriftverkehrs zwischen den Justizministerien. …
(2) Der ersuchte Staat teilt dem ersuchenden Staat die auf Grund dieser Anzeige getroffenen Maßnahmen mit und übermittelt ihm gegebenenfalls eine Abschrift der ergangenen Entscheidung.”
Recht der Europäischen Union
Rz. 4
Nach Art. 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Anhang beigefügt wurde (im Folgenden: Protokoll), sind 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Republik Österreich, ermächtigt, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang zu diesem Protokoll umschrieben ist, zu begründen.
Rz. 5
Zu dem dort umschriebenen Schengen-Besitzstand gehören u. a. das am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der...