Entscheidungsstichwort (Thema)
Organschaft, Beschränkung der Organschaft auf den Finanz- und Versicherungssektor
Leitsatz (redaktionell)
Klageabweisung zu dem Antrag der Kommission auf Feststellung, dass das Königreich Schweden dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der RL 2006/112/EG verstoßen hat, dass es die Möglichkeit, eine Personengruppe (Organschaft) zu bilden, die als ein einziger Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden kann, in der Praxis auf die Erbringer von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen beschränkt hat.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 11
Beteiligte
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Steuerwesen ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 11 ‐ Nationale Rechtsvorschriften, die die Möglichkeit, eine Personengruppe zu bilden, die als ein einziger Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden kann, auf die Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors beschränken“
In der Rechtssache C-480/10
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 5. Oktober 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal und K. Simonsson als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und S. Johannesson als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
unterstützt durch:
Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von G. Clohessy, SC, und N. Travers, BL,
Republik Finnland, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, des Richters J.-C. Bonichot, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2012,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. November 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Schweden dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) verstoßen hat, dass es die Möglichkeit, eine Personengruppe zu bilden, die als ein einziger Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden kann, in der Praxis auf die Erbringer von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen beschränkt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 2
Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (nachstehend ‚Mehrwertsteuerausschuss‘ genannt) kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt, kann die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“
Schwedisches Recht
Rz. 3
Kapitel 6a Art. 1 Mervärdesskattelag 1994:200 (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:
„Für die Zwecke der Anwendung dieses Gesetzes können zwei oder mehr Gewerbetreibende unter den in diesem Kapitel genannten Voraussetzungen als ein einziger Gewerbetreibender (Mehrwertsteuergruppe) und kann die von der Mehrwertsteuergruppe ausgeübte Tätigkeit als eine einzige Tätigkeit angesehen werden.“
Rz. 4
Kapitel 6a Art. 2 dieses Gesetzes sieht vor:
„Einer Mehrwertsteuergruppe können nur angehören:
1. unter Finanzaufsicht stehende Gewerbetreibende, die eine Tätigkeit ausüben, die steuerbefreit ist, weil der aus dieser Tätigkeit erzielte Umsatz nach Kapitel 3 Art. 9 oder 10 befreit ist, und
2. Gewerbetreibende, deren Haupttätigkeit in der Lieferung von Gegenständen oder in der Erbringung von Dienstleistungen an die in Nr. 1 bezeichneten Gewerbetreibenden besteht, oder
3. Gewerbetreibende, bei denen es sich um Kommissionäre und Kommittenten handelt und zwischen denen ein Kommissionsverhältnis wie das in Kapitel 36 des Einkommensteuergesetzes (1999:1229) bezeichnete besteht.“
Rz. 5
Nach Kapitel 3 Art. 9 des Mehrwertsteuergesetzes sind Bank- und Finanzdienstleistungen sowie der Handel mit Wertpapieren und ähnliche Umsätze befreit.
Rz. 6
Nach Kapitel 3 Art. 10 des genannten Gesetzes sind auch Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen befreit. Aus allen diesen Bestimmungen ergibt sich, dass hauptsächlich Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors eine Mehrwertsteuergruppe bilden können.
Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof
Rz. 7
Da die Kommission der Ansicht war, dass die Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes gegen Art. 11 der Mehrwertsteu...