Erlass mit Übergangsregelung zur Anwendung dieser Entscheidung
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegzugsbesteuerung, FZA-Abkommen EU-Schweiz, Besteuerung des nichtrealisierten Wertzuwachses einer Beteiligung, abhängig beschäftigter Grenzgänger, Veräußerungsgewinn, Anteile an einer Kapitalgesellschaft, Außensteuergesetz
Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999, sind dahin auszulegen, dass sie einem Steuersystem eines Mitgliedstaats entgegenstehen, das in einer Situation, in der ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, also eine natürliche Person, der im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine Erwerbstätigkeit ausübt, seinen Wohnsitz von dem Mitgliedstaat, dessen Steuersystem in Frage steht, in die Schweiz verlegt, vorsieht, dass die für die latenten Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen dieses Staatsangehörigen geschuldete Steuer im Zeitpunkt dieser Wohnsitzverlegung erhoben wird, während im Fall der Beibehaltung des Wohnsitzes im selben Mitgliedstaat die Erhebung erst im Zeitpunkt der Realisierung der Wertzuwächse, d. h. bei der Veräußerung der betreffenden Gesellschaftsanteile, erfolgt.
Normenkette
FZA
Beteiligte
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Oktober 2017, in dem Verfahren
Martin Wächtler
gegen
Finanzamt Konstanz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe und des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter A. Rosas, M. Ilešič, J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Wächtler, vertreten durch Rechtsanwalt R. Bock,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García und V. Ester Casas als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier, B.-R. Killmann, M. Šimerdová und N. Gossement als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. September 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999 (ABl. 2002, L 114, S. 6, im Folgenden: FZA).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Martin Wächtler und dem Finanzamt Konstanz (Deutschland) wegen dessen Entscheidung, anlässlich der Verlegung des Wohnsitzes von Herrn Wächtler von Deutschland in die Schweiz den nicht realisierten Wertzuwachs der Beteiligung zu besteuern, die er an einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz hält, deren Geschäftsführer er zugleich ist.
Rechtlicher Rahmen
FZA
Rz. 3
Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die Schweizerische Eidgenossenschaft andererseits unterzeichneten am 21. Juni 1999 sieben Abkommen, darunter das FZA. Diese sieben Abkommen wurden durch den Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und – bezüglich des Abkommens über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit – der Kommission vom 4. April 2002 über den Abschluss von sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (ABl. 2002, L 114, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt und traten am 1. Juni 2002 in Kraft.
Rz. 4
Nach dem Wortlaut der Präambel des FZA sind die Vertragsparteien „entschlossen, [die] Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen”.
Rz. 5
Art. 1 dieses Abkommens bestimmt:
„Ziel dieses Abkommens zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ist folgendes:
a) Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;
…
c) Einräumung eines Rechts auf Einreise und Aufenth...