Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Eigenverbrauchsbesteuerung bei ohne Vorsteuerabzug erworbenen Gegenständen
Leitsatz (redaktionell)
Nach dem Urteil ist die Abschreibung eines betrieblichen Gegenstandes als Kostenbestandteil aus der Bemessungsgrundlage für den sogenannten Verwendungseigenverbrauch auszuschließen, wenn der Gegenstand beim Erwerb (z.B. von einer Privatperson) nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt hat. Dies gilt auch dann, wenn Vorsteuern abgezogen werden können, die auf Kosten für den laufenden betrieblichen Aufwand im Zusammenhang mit dem Gegenstand (z.B. Kraftstoffkosten eines Pkw, Wartung und Pflege) lasten. Der entsprechenden Richtlinienvorschrift (Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) kommt ein Anwendungsvorrang vor entgegenstehendem innerstaatlichem Recht zu.
Beteiligte
Gründe
Urteil des Gerichtshofes
(Sechste Kammer)
27. Juni 1989
In der Rechtssache 50/88
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EWG-Vertrag vom Finanzgericht München, in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Heinz Kühne, München,
gegen
Finanzamt München III
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 6 Absatz 2 Satz 1 Buchstabe a der sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388; ABl. L 145, S. 1)
erläßt
Der Gerichtshof
(Sechste Kammer)
unter der Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. Koopmans, der Richter T. F. O'Higgins, G. F. Mancini, C. N. Kakouris und F. A. Schockweiler,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: D. Louterman, Hauptverwaltungsrätin
Beteiligte, die Erklärungen abgegeben haben:
die Regierung der Bundesrepublik Deutschland durch den Ministerialdirigenten im Bundesministerium für Wirtschaft R. Morawitz als Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung,
die Regierung der Portugiesischen Republik durch L. Fernandez und A. Coreia als Bevollmächtigte im schriftlichen Verfahren und
die Kommission der Europäischen Gemeinschaften durch Rechtsberater H. Étienne als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 1989,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. März 1989,
folgendes
Urteil
1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 9. Dezember 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Februar 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388; ABI. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich anläßlich einer Klage des Rechtsanwalts Kühne, München, gegen einen Umsatzsteuerbescheid des Finanzamts München III.
3 Nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz (UStG 1980) unterliegt die private Nutzung eines Betriebsgegenstands der Mehrwertsteuer. Außerdem kann danach der Restbetrag der Mehrwertsteuer für einen Gebrauchtgegenstand, der von einer nicht mehrwertsteuerpflichtigen Privatperson an einen Steuerpflichtigen verkauft worden ist, von diesem selbst dann nicht abgezogen werden, wenn der Gegenstand seinem Unternehmen zugeordnet ist.
4 Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der als Rechtsanwalt mehrwertsteuerpflichtig ist, kaufte von einer als solche nicht steuerpflichtigen Privatperson einen gebrauchten Betriebs-Pkw, den er auch privat nutzt. Das Finanzamt München III unterwarf die Abschreibung des Pkw proportional zur privaten Nutzung durch den Kläger des Ausgangsverfahrens der Mehrwertsteuer. Den entsprechenden Steuerbescheid focht der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Finanzgericht München an. Er machte geltend, da er die Mehrwertsteuer für den Pkw nicht habe abziehen können, würde die Umsatzsteuer doppelt erhoben, wenn die anteilige Abschreibung für die private Nutzung des Pkw der Steuer unterworfen würde; dies liefe dem System der Mehrwertsteuer zuwider. Nur die reinen Betriebskosten des Fahrzeugs, nicht aber die Abschreibung dürften bei der Besteuerung der privaten Nutzung berücksichtigt werden.
5 Nach Ansicht des Finanzgerichts stößt eine wortgetreue Anwendung des UStG 1980 im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie auf Bedenken. Nach dieser Vorschrift setzt die Besteuerung der privaten Nutzung eines Betriebsgegenstands voraus, daß dieser zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat. Das Finanzgericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„I – Wie ist Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie auszulegen?
1) Ist durch den konditionalen Nebensatz „wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat”
- die Besteuerung des Eigenverbrauchs ...