Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, innergemeinschaftliche Lieferung, Buchnachweis, keine Versagung der Steuerbefreung alleine wegen verspätetem Buchnachweis
Leitsatz (amtlich)
Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 geänderten Fassung ist in dem Sinn auszulegen, dass er der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats verwehrt, die Befreiung einer tatsächlich ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer allein mit der Begründung zu versagen, der Nachweis einer solchen Lieferung sei nicht rechtzeitig erbracht worden.
Bei der Prüfung des Rechts auf Befreiung einer solchen Lieferung von der Mehrwertsteuer muss das vorlegende Gericht die Tatsache, dass der Steuerpflichtige zunächst bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat, nur dann berücksichtigen, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens besteht und diese vom Steuerpflichtigen nicht vollständig beseitigt worden ist.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1
Beteiligte
Finanzamt Limburg an der Lahn |
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 ‐ Innergemeinschaftliche Lieferung ‐ Versagung der Befreiung ‐ Verspätet erbrachter Nachweis der Lieferung“
In der Rechtssache C-146/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Februar 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2005, in dem Verfahren
Albert Collée als Gesamtrechtsnachfolger der Collée KG
gegen
Finanzamt Limburg an der Lahn
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn Collée als Gesamtrechtsnachfolger der Collée KG, vertreten durch M. Preisinger, Steuerberater,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, F. Huschens und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Massella Ducci Teri, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Januar 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 (ABl. L 376, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Collée als Gesamtrechtsnachfolger der Collée KG und dem Finanzamt Limburg an der Lahn (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, eine innergemeinschaftliche Lieferung, die im Jahr 1994 durchgeführt wurde, von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Nach Art. 2 der Sechsten Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer.
4
Die Sechste Richtlinie enthält einen Abschnitt XVIa („Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten“), der durch die Richtlinie 91/680 eingefügt wurde.
5
Das Recht auf Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen von Gegenständen ist in Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie vorgesehen:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:
a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 und des Artikels 28a Absatz 5 Buchstabe a), die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nic...