Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerlegung der Drei-Tages-Zugangsfiktion eines Verwaltungsakts; Schätzungsbescheid ohne Vorbehalt der Nachprüfung nicht unwirksam
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Fiktion des Zugangs eines Steuerbescheids am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post -und der Beginn der Einspruchsfrist- wird nicht durch die Vorlage eines Briefumschlags des Finanzamts mit einem Freiststempeldatum wiederlegt, woraus sich eine Aufgabe des Briefs zur Post erst Wochen nach dem Datum aufgrund der Drei-Tages-Fiktion ergibt, wenn aber dem Steuerpflichtigen an diesem späteren Tag mehrere andere Steuerbescheide zugeschickt wurden.
2. Ein wegen Nichtabgabe der Jahressteuererklärung geschätzter Umsatzsteuerbescheid ist auch dann nicht unwirksam und nichtig, wenn das FA den Schätzungsbescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen hat.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 164 Abs. 1, §§ 162, 124 Abs. 3, § 125 Abs. 1, §§ 110, 355 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Umsatzsteuerbescheid, der aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen ergangen ist, aufgrund der nach Klageerhebung abgegebenen Steuererklärung zu ändern ist und ob der Einspruch gegen den Schätzungsbescheid rechtzeitig erhoben wurde.
Die Klägerin wurde durch Vertrag vom 27. Januar 1995 mit dem Sitz in … (D.) gegründet und am 03. Mai 1995 ins Handelsregister eingetragen. Zur ersten einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführerin wurde Frau … (S.S.) in … (G.) bestellt. Als Geschäftsräume der Firma wurde … str. 22 in D. angegeben. Am 24. Juli 1995 wurde durch die Ortspolizeibehörde D. die Erlaubnis erteilt, Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit aufzustellen. Als Anschrift ist dabei ebenfalls … str. 22 in D. angegeben. Gesellschafter der Klägerin waren mit Anteilen von je 50 % S.S. und deren Sohn, Herr … (M.R.), dessen Wohnung ebenfalls … str. 22 in D. war. Durch Vertrag vom 26. September 1995 schenkte S.S. ihren Geschäftsanteil an M.R.
Am 27. März 1996 wurde die Bestellung von M.R. zum Prokuristen der Klägerin im Handelsregister eingetragen. Im Juli 1997 wurde der Betrieb der Klägerin mit der Betriebsstätte … str. 14 in G. bei der dortigen Gewerbebehörde angemeldet und M.R. als Inhaber angegeben. Am 30. Juni 1997 wurde eine weitere Betriebsstätte der Klägerin in … (W.) gewerberechtlich angemeldet und S.S. als Inhaberin angegeben. Als Anschrift der Hauptniederlassung ist G. genannt.
Am 26. Februar 1997 wurde die Verlegung des Sitzes von D. nach G. beschlossen und M.R. zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. S.S. war seitdem nicht mehr Geschäftsführerin. Dies wurde am 13. Oktober 1997 ins Handelsregister eingetragen. Am 07. Oktober 1997 lehnte das zuständige Konkursgericht eine Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Klägerin mangels einer die Kosten deckenden Masse ab.
Das damals für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzamt (FA) E. forderte die Klägerin mehrmals unter ihrer Anschrift in D. dazu auf, bestimmte Unterlagen über den Beginn ihres Betriebs vorzulegen. Nach einer solchen wiederholten Aufforderung vom 15. Februar 1996 rief S.S. beim FA am 11. März 1996 an und teilte mit, die geforderten Unterlagen seien noch nicht erstellt. Am 12. August 1996 ging beim FA auf einem Briefbogen der Klägerin ein Stundungsantrag wegen Steuerrückständen ein. Der Briefbogen enthält den Zusatz „M.R.”. Die gedruckte Angabe der Anschrift in D. ist durchgestrichen und maschinenschriftlich als neue Adresse die Anschrift in G. angegeben. Das Schreiben ist von M.R. unterzeichnet.
Nachdem das FA mit Schreiben vom 23. August 1996 darum gebeten hatte mitzuteilen, wo sich die Geschäftsleitung befinde, und mit Bescheid vom 16. September 1996 wegen der Nichtbefolgung der angeordneten Vorlage von Unterlagen und Mitteilung über den Ort der Geschäftsleitung Zwangsgelder angedroht und diese mit Bescheid vom 21. Oktober 1996 festgesetzt hatte, teilte S.S. dem FA am 10. Dezember 1996 u. a. mit, der Sitz der Geschäftsleitung befinde sich in W.
Da die Klägerin Steuererklärungen für 1995 nicht abgeben hatte, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Bescheid vom 03. Februar 1997 aufgrund eines geschätzten Umsatzes in Höhe von 25.000 DM die Umsatzsteuer 1995 auf 3.750 DM fest. Der zuständige Sachbearbeiter hatte die Veranlagungsdaten am 20. Januar 1997 zur maschinellen Verarbeitung freigegeben. Der Bescheid wurde maschinell erstellt und erhielt das Datum vom 03. Februar 1997. Als Anschrift ist „… str. 18, W.” ausgedruckt.
Am 03. Februar 1997 ging beim FA mit einem Begleitschreiben einer Steuerberatungsgesellschaft vom 01. Februar 1997 eine Umsatzsteuervoranmeldung für das zweite Vierteljahr 1995 ein, in der erhebliche Vorsteuern geltend gemacht wurden und der Kopien von zwei an die Klägerin gerichteten Rechnungen beilagen. Am 20. Februar 1997 rief S.S. beim Veranlagungssachbearbeiter des FA an und fragte nach, ob die von ihr am 01. Februar 1997 eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung bereits bearbeitet sei. Der Sachbearbeiter s...